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43. Kapitel.

Sternau langte in die Tasche, um den letzten Brief Rosas noch einmal durchzulesen, zog aber statt dessen den Plan der Pyramide hervor, faltete ihn auseinander und überflog ihn mehr instinktiv als absichtlich nochmals mit den Augen.

Die Gänge waren überaus symmetrisch gebaut, nur einer, ein ganz kurzer, paßte nicht in die Ordnung. Es schien kein Gang, sondern eine lange, schmale Kammer zu sein. Auf der Zeichnung stand das Wort peta-pove, das Sternau noch niemals hörte.

Während der nachdachte, kam Büffelstirn auch emporgestiegen. Mehr aus wirklicher Zerstreutheit als aus Überlegung fragte Sternau ihn:

»Hat mein Bruder einmal das Wort peta-pove gehört?« – »Ja.« – »Was bedeutet das?« – »So sprechen die Jemes-Indianer. Es heißt, ›in das Tal gehen‹. Warum fragt mein Bruder?«

Der Indianer bekam keine Antwort, denn Sternau hatte sich erhoben und blickte scharf nach Westen, wo sich die Kordilleren von Sonora erhoben. Ein Blitz durchzuckte sein Inneres, rasch wandte er sich um und sagte:

»Mein Bruder folge mir.«

Mit diesen Worten eilte er an der Seite der Pyramide hinab nach dem Ort, wo die beiden Mädchen ihr Lager hatten. Auch ihnen waren die Komantschen, die Anwesenheit der Dragoner und die Sendung des Leutnants aufgefallen. Sie wollten die beiden mit Fragen bestürmen, aber Sternau ließ sich auf keine Antwort ein, sondern nahm ein kleines Fäßchen Pulver, das zum Vorrat der Dragoner gehörte, rief einige kräftige Apachen herbei, denen er Hammer und Hacke nebst Brecheisen gab, bat Bärenherz, acht zu haben, und verschwand mit Büffelstirn und den Apachen in der Eingangsöffnung der Pyramide.

Verdoja stieß bei ihrem Anblick einen Schrei aus, wurde aber nicht beachtet. Man brannte einige Laternen an und vertiefte sich dann in das Innere.

Da, wo man zum ersten Mal rechts eingebogen war, schritt Sternau geradeaus, bis er an eine Tür kam. Sie leistete der Hacke und Brechstange Widerstand und wurde dann gesprengt. Mit einer zweiten Tür ging es ebenso. Dann gelangte man an eine Treppe, die abwärts führte. Hier traf man auf die Tür, die den Raum verschloß, den Sternau der Zeichnung nach für eine lange, schmale Zelle gehalten hatte. Als auch sie gesprengt worden war, gab es einige Stufen niederzusteigen, und man gelangte in ein schmales, hohes Gewölbe, das kein Ende nahm. Es war – ein unterirdischer, aus Backsteinen gemauerter Gang, der in schnurgerader Richtung nach West führte.

Das war es, was Sternau gedacht hatte, als er die Übersetzung des fremden Wortes hörte. Das Herz wurde ihm froh und leicht. Er eilte voran, immer den finsteren Gang hinein, den seine Laterne nur notdürftig erhellte. Wie lange das so fort ging, das wußte er nicht, bis er plötzlich nach kurzer Zeit wieder vor Stufen stand. Er stieg diese hinauf und fand die mit großem Steingeröll gefüllte Wölbung.

Hier waren die Hacke und das Brecheisen zu gebrauchen. Das Geröll wurde zur Seite gestoßen, nach unten geworfen, und – plötzlich brach das Tageslicht herein. Sie machten die Öffnung weiter, stiegen heraus und standen in einem kleinen Tälchen, das nur aus Steingeröll bestand und nicht eine Spur von Vegetation zeigte.

Vorsichtig bestiegen sie die eine Seite des Tälchens und gewahrten in einer Entfernung von mehr als einer englischen Meile die Pyramide im Osten und zwischen ihr und dem Tal die Menge der Komantschen. Die Pferde derselben weideten kaum fünfhundert Schritt von dem Tal entfernt.

»Was sagt mein Bruder zu dieser Entdeckung?« fragte Sternau den Mixteka. – »Sie ist viele Menschenleben wert«, antwortete dieser mit ruhiger Stimme, aber man sah es seinem Auge an, daß ihm das Herz leicht geworden war. – »Die Söhne der Komantschen werden glauben, wir sind Zauberer.« – »Sie werden uns suchen und nicht finden, denn wir sind mit ihren Pferden fortgegangen. Karja, die Tochter der Mixtekas, braucht nun nicht zu sterben von der Hand ihres Bruders, der sie erlösen wollte von der Schande, das Weib eines Komantschen zu sein.«

Er, der Bruder, dachte doch immer sogleich an seine Schwester.

»Nun müssen wir zurückkehren«, warnte Sternau. »Man darf uns hier nicht sehen.«

Sie stiegen wieder in den Gang hinab und legten so viel Geröll wie möglich vor die Öffnung. Dann kehrten sie auf dem unterirdischen Weg nach der Pyramide zurück. Wer weiß, was dieser Weg früher alles gesehen hatte! Gewiß hatte er dazu gedient, das gläubige Volk zu mystifizieren; die Priester waren in ihm hin- und hergewandelt, wenn droben auf der Pyramide das Blut der Menschenopfer in Strömen vergossen wurde.

Jetzt nun wurde eine große Beratung gehalten, zunächst unter den Häuptlingen, und dann zog man auch die Krieger dazu heran.

Sie hatte hatten sich bereits verloren gegeben, nun, da sich ihnen ein solcher Ausweg bot, gab es keinen einzigen, der widersprochen hätte. Am glücklichsten waren die beiden Mädchen, die auch der Beratung mit beiwohnten.

Es wurde beschlossen, daß man die Kordilleren ersteigen wolle, um sich dann zu trennen. Aber Bärenherz fügte hinzu:

»Bärenherz liebt seine Freunde, er wird sie begleiten bis Guaymas.«

Die Wangen Karjas röteten sich. Sie wußte recht gut, wem diese Aufmerksamkeit eigentlich galt.

Auf den Bergen war wenig Proviant zu finden, darum war es gut, daß man mit demselben reichlich versehen war. Da man die Pferde nicht mit durch die unterirdischen Gewölbe nehmen konnte, so mußte man sie zurücklassen und dafür die der Komantschen zu bekommen suchen.

Ein jeder war beschäftigt mit Vorbereitungen zur Abreise. Alles, was man fortbringen konnte, sollte mitgenommen werden, und so legten sich die Apachen sogar ihre Sättel zurecht in die sie sich eingewöhnt hatten.

Als die Sonne zu sinken begann und bereits den Horizont erreichte, stieg Karja zur Höhe empor. Sie stand oben, hoch und schlank wie eine mexikanische Priesterin. Ihr Gewand flatterte im Wind, und ihre dunklen Wangen belebten sich unter dem Abschiedskuß der scheidenden Sonne. Woran dachte sie?

Ihr Auge blickte nach Norden. Dort lag nicht Guaymas, das nächste Ziel ihrer Reise, dort lag auch nicht die Hacienda del Erina, ihre Heimat in die sie zurückwollte, aber dort lagen die Jagd- und Weidegründe der Apachen, und Bärenherz, der Häuptling derselben, hatte es ihrem Herzen angetan.

Wie hatte sie nur glauben können, den Grafen Alfonzo zu lieben! Oh, hätte sie doch jene Abende aus dem Leben streichen können, jene Abende am Bach hinter der Hazienda, an denen sie dieser Mensch geküßt und an sich gedrückt hatte.

Wie anders war dagegen Bärenherz! Sie hätte für ihn sterben können.

Sie hörte nicht, daß auf der anderen Seite der Pyramide auch jemand emporgestiegen kam; es war kein anderer als der, an den sich dachte.

Nicht Überlegung oder Absicht führte beide herauf, sondern der unbewußte Instinkt des Herzens, der oft richtiger führt als die raffinierteste Überlegung. Bärenherz sah sie und blieb stehen. Er sah die Sonne auf ihrem Scheitel und ihren Wangen glänzen, er sah ihre dunklen Augen in Wehmut nach Mitternacht gerichtet, er sah die schönen, runden Linien ihrer schlanken Gestalt, jetzt begriff er, wie Pardero um dieses Mädchens willen so vieles wagen konnte.

Es stieg ihm heiß zum Herzen. Wenn dieses schöne Mädchen, diese Tochter der Edelsten ihres Volkes, unterlegen wäre! Wenn Pardero durch Hunger, Durst oder Gewalt ihren Widerstand besiegt hätte! Das war jetzt ein fürchterlicher Gedanke für ihn, und er legte unwillkürlich die Hand an den Tomahawk.

Er trat ihr näher, da hörte sie seine Schritte und wandte sich um. Als sie ihn erblickte, ward sie trotz ihres dunklen Teints bis tief in den Nacken rot. Das war ja der, an den sie gedacht hatte, er mußte es ihr ja sofort ansehen!

Er sah in der Tat ihre Verwirrung, trat einen Schritt zurück und sagte:

»Die Tochter der Mixtekas erschrickt, wenn Bärenherz erscheint. Er wird wieder gehen, aber er weiß nicht, womit er sie beleidigt hat.«

Sie schwieg, und als er sich von ihr wandte, erwiderte sie kaum hörbar:

»Der Häuptling der Apachen hat mit nicht beleidigt.«

Da drehte er sich wieder um, blickte sie forschend an und fragte:

»Aber sie haßt ihn, sie möchte fort sein, wenn er kommt?«

Sie nahm sich den Mut, zu antworten, wenn auch nur das kleine Wörtchen:

»Nein.« – »Kann Bärenherz dafür, daß er immer ihre Fährte trifft? Kann der Mann die Gedanken aus seiner Brust schneiden? Kann er dem Traum befehlen, was er bringen soll und was er nicht bringen darf? Warum sieht das Auge in den Wellen des Flusses, in den Wolken des Himmels immer nur das eine Haupt und die eine Gestalt? Bin ich Manitou, bin ich ein Gott, daß ich das Leben töten kann, das in meiner Seele wohnt?«

Karja schwieg, aber Bärenherz sah, daß sie leise, ganz leise bebte. Er zog die Brauen finster zusammen, er, der Heldenhäuptling, wußte nicht, daß es auch ein Beben des Glücks, der Wonne, der Erwartung gibt.

»Warum antwortet Karja nicht?« fragte er. »Wie lange wird Bärenherz noch diejenige sehen, welche er liebt? Einige Tage, einige Stunden. Dann wird sie das Weib eines anderen, und er geht, um dies an seinen Feinden zu rächen.« – »Sie wird nie das Weib eines anderen sein!« flüsterte sie.

Da trat er schnell näher.

»Nie, sagst du, nie?« fragte er. – »Nie!« antwortete sie. – »Weißt du das wirklich, weißt du das genau?« – »Wer Bärenherz liebt, kann keinen anderen lieben!«

Da faßte er ihre Hand und fragte:

»Und kennst du eine, die ihn liebt?«

Sie schwieg.

»Du willst es nicht sagen, du willst mich nicht glücklich sehen!« – »Oh«, antwortete sie, »ich möchte dich glücklich sehen, aber du willst ja nicht glücklich sein!« – »Weshalb glaubst du das?« fragte er. – »Wer glücklich sein will, der muß Liebe haben, Liebe, bloß für eine.« – »Du hast recht. Und habe ich dir nicht bereits unten in dem Gewölbe gesagt, daß du wert bist, die einzige Frau eines Helden zu sein? Wäre ich ein Held, so würde ich dich bitten, meine Frau zu sein.« – »Du bist ein Held!« sagte sie, ihn mit stolzem, entzücktem Auge betrachtend. – »Bin ich wirklich einer, so sag, ob du mich lieb hast, Karja!« – »Ich habe dich lieb«, flüsterte sie erglühend. – »Und ich dich auch. Du sollst das Weib des Apachen sein, sein einziges Weib, das schönste, stolzeste und glücklichste Weib unter den Roten. Du sollst nicht arbeiten wie andere Frauen, sondern du sollst es haben wie eine weiße Señora, deren Wunsch ist wie ein Befehl!«

Damit schlang Bärenherz die Arme um Karja, drückte sie an sich und küßte sie, ganz unbekümmert darum, daß sie auf der Höhe der Pyramide standen und von allen Komantschen gesehen werden konnten. Da unten lauerte der Tod auf sie, und hier oben ruhten die Herzen warm aneinander. Da unten sprach man bereits das Todesurteil über sie, und da oben schlossen sie einen Bund für das Leben. Die Liebe kennt keinen Tod, denn sie ist ja das Leben.

So standen sie, eng umschlungen, sich selbst und alles andere vergessend, beleuchtet vom Abendrot, das nach und nach im Westen verglimmte. Da drehten sie sich erschrocken um, denn eine bekannte Stimme hatte gefragt:

»Wer von Euch ist der Kranke, daß ihn der andere stützt?«

Büffelstirn war es! Es war fast Zeit zum Aufbruch, darum hatte er die Schwester gesucht und allerdings nicht geahnt, sie in den Armen des Apachen zu finden.

Dieser wurde für einen Augenblick verlegen, doch faßte er sich schnell und fragte mit fester Stimme:

»Ist Büffelstirn noch mein Freund und Bruder?« – »Er ist es«, antwortete der Gefragte ernst. – »Zürnt er mir, daß ich ihm das Herz seiner Schwester raube?« – »Er zürnt nicht, denn das Herz der Schwester kann mir keiner rauben. Im Herzen eines guten Weibes haben beide Platz, der Gatte und der Bruder.« – »Erlaubst du mir, nach der Hacienda del Erina zu kommen und die Morgengabe zu bringen?« – »Ich erlaube es!« – »Worin soll sie bestehen?« – »Bestimme es selbst! Büffelstirn verkauft seine Schwester nicht.« – »Soll ich dir bringen hundert Skalps deiner Feinde?« – »Nein; ich nehme mir diese Skalps selbst.« – »Oder zehn Felle des grauen Bären?« – »Nein; ich habe der Felle genug.« – »So sage, was du von mir forderst!«

Da wurde das Auge des Königs der Ciboleros feucht, er legte dem Apachen die Hand auf die Schulter und sagte:

»Ich verlange von dir nicht die Skalpe und Häute, nicht Gold und Silber, sondern ich verlange, daß Karja, die Tochter der Mixtekas, glücklich sei in deinem Haus. Du bist mein Freund und Bruder, aber wäre meine Schwester nicht glücklich bei dir, so würde ich mit meinem Tomahawk dir den Kopf spalten und dein Gehirn den Ameisen zur Speise geben. Geh nach deinem Weidegrund und sprich mit den Deinen, dann komme nach der Hacienda del Erina, und du sollst sie haben!«

Büffelstirn drehte sich um und schritt hinab. Bärenherz aber forderte von der Geliebten noch einen Kuß, dann folgte er ihm, hoch und stolz wie ein Mann, der nie ein süßes Wort mit einem Weib gesprochen hat.

So lange es noch hell war, durfte man den Lagerplatz nicht verlassen, sobald es aber dunkel war, sollte der Aufbruch beginnen.

Vor allen Dingen galt es, Verdoja nichts wissen zu lassen. Er wurde daher aus der Höhle heraus und an einen Ort geschafft, von wo aus er nichts bemerken konnte. Seine Schreie hallten da wie die Rufe böser, gequälter Geister hinaus in die stille Nacht, und die Komantschen schüttelten die Köpfe über die fürchterlichen Laute, die sie zu hören bekamen.

Jetzt war der Weg frei, und die Apachen betraten die Gänge, ein jeder seine Waffe bei sich und das, was er nicht entbehren zu können glaubte. Als der letzte eingetreten war, wurde der Stein wieder vorgeschoben, und dann setzte sich der Zug in Bewegung, voran Büffelstirn und hintenan Sternau.

Dieser letztere hatte Pulver mitgenommen. Als der Zug die Treppe passiert hatte, legte er eine Mine in den Gang und zündete die Schnur an. Dann folgte er den anderen. Sie passierten den unterirdischen Gang ohne Licht und gelangten glücklich an den Ausgang desselben, der sofort verschüttet wurde.

Eben als sie damit fertig waren, vernahmen sie ein leises Rollen, wie von einem fernen Erdbeben, aber es war kein verräterischer Luftblitz dabei zu sehen, so fest Sternau auch seine Augen auf die Ruinen richtete – die Mine war explodiert und hatte den Gang eingestürzt. Jetzt konnte niemand sagen, wie sie entkommen waren.

Nun galt es vor allen Dingen, ungefähr hundertsiebzig Pferde zu verschaffen, eigentlich keine Kleinigkeit, hier aber doch nicht schwer, da viele hunderte derselben gar nicht weit von dem Tal weideten.

Es wurden Kundschafter ausgesandt, um zu sehen, ob die Tiere sehr sorgfältig bewacht seien. Sie kamen mit der Meldung zurück, daß sie drei Wächter bemerkt hätten. Sie wurden nun voran geschickt, diese Wächter unschädlich zu machen, und dann folgten die anderen, ein jeder sein Eigentum gleich bei sich.

Es waren Indianerpferde, sie ließen die Indianer heran zu sich, ohne zu schnaufen oder sonst ein Zeichen der Unruhe zu geben. Auf Sternaus Befehl ging man sehr vorsichtig zu Werke. Es durften nicht alle auf einmal aufsitzen und im Trupp wegreiten, dadurch wären die Komantschen aufmerksam gemacht worden, sondern es holte sich ein jeder sein Pferd einzeln und leise weg, führte es eine genügende Strecke weit fort und stieg erst dann auf.

Da es hier weichen Prärieboden gab, so wurde kein Mensch etwas von dem Pferderaub gewahr, und als der nächste Morgen graute und man die Leichen der Wächter fand, hatten die Apachen schon eine halbe Tagereise zurückgelegt. Sie kümmerten sich wenig um die Enttäuschung der Komantschen, als diese ihre Feinde verschwunden wußten. Es wurde nach Erklärungen gesucht, und schließlich wurde allgemein angenommen, daß der Fürst des Felsens die Macht besitze, durch die Luft zu fliegen und seine Freunde mitzunehmen. Sein Ruhm war jetzt größer als längst vorher.


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