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48. Kapitel.

Der Panther des Südens kam weder heute noch morgen. Erst am dritten Abend überraschte er Cortejo. Josefa hatte am Tag wieder den Besuch ihrer Spionin gehabt und von derselben erfahren, daß Pedro Arbellez wieder abgereist sei. Sie erzählte das ihrem Vater, als sie noch sehr spät beieinandersaßen. Von dem übrigen hatte sie ihm noch nichts mitgeteilt. Da öffnete sich vollständig die Tür, und eine Gestalt huschte herein, so unhörbar, als ob sie nur ein Schatten sei.

Josefa stieß einen lauten Schrei des Schreckens aus; selbst ihr Vater fuhr empor. Da trat der Fremde aus dem Dunkel in den Lichtkreis der Lampe und winkte den beiden mit der Hand Beruhigung zu. Er war in die einfache Tracht eines gewöhnlichen Peonen – Reitknechts – gekleidet, doch zeigten seine Waffen mehr als den Reichtum eines Dieners. Sein langes, dunkles, schlaffes Haar, seine braune Haut und die Bildung seines kühnen, von Leidenschaften zerrissenen Gesichts zeigten, daß er von indianischer Abstammung sei. Es war der Wüterich Juan Alvarez, der Panther des Südens.

»Oh, Señor Alvarez, wie habt Ihr uns erschreckt!« sagte Josef. »Wir erwarten Euch bereits seit vorgestern. Seid willkommen!«

Der Indianer blickte sie mit kaltem Staunen an und sagte zu Cortejo:

»Ich komme im Dunkel der Nacht, um keinen Zeugen zu haben! Und Ihr gebt mir ein Weib zum Zeugen!« – »Sie ist meine Tochter«, entschuldigte sich Cortejo. – »Ist eine Tochter kein Weib?« klang es scharf zurück.

Da trat Josefa einen Schritt auf ihn zu. Wenn es sich um solche Dinge, die das Licht zu scheuen hatten, handelte, so war sie ganz an ihrem Platz. Darum sagte sie in einem stolzen, selbstbewußten Ton:

»Glaubt Ihr etwa, daß ich mich vor dem Panther des Südens fürchte? Bin ich denn schuld, daß ich ein Weib bin? Gibt es nicht unter den Männern Weiber? Warum soll es nicht unter den Weibern Männer geben? Ein solcher Mann bin ich. Mein Vater vertraut mir alles an, und er hat es noch nie zu bereuen gehabt. Auch Ihr sollt noch heute erfahren, daß ich Eures Vertrauens würdig bin und wie ein Mann zu handeln weiß!«

Auf die schmalen Lippen des grimmigen Mannes trat ein leises, höhnisch zuckendes Lächeln, und er antwortete:

»Sie spricht wie ein Mann, Señor Cortejo. Wenn sie aber nicht wie ein Mann handelt, so ist es Euer Schaden. Der Panther des Südens gibt seine Geheimnisse nur so vielen Ohren kund, als es ihm beliebt. Laßt uns von unserer Angelegenheit reden!« – »Setzt Euch!« bat Cortejo, indem er dem Gast einen Stuhl hinschob. – »Nein«, antwortete dieser, schlug die Hände über der Brust zusammen, leuchtete den Spanier mit seinen Flammenaugen an und fuhr fort: »Ich werde im Stehen sprechen. Da Ihr eine Mitwisserin habt, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen, so können wir kurz sein. Habt Ihr das Geld?« – »Bar allerdings nicht!« – »So sind wir fertig!«

Der Indianer drehte sich kalt um und wollte gehen. Doch Cortejo ergriff ihn am Arm und bat:

»Bleibt einen Augenblick, Señor, und hört meine Erklärung. Ich sagte, daß ich das Geld nicht bar habe, denn wer legt in der jetzigen Zeit Millionen leichtsinnig her. Ich habe Besitzungen, von denen jede mehr wert ist. Soll ich eine verkaufen, so erhaltet Ihr das Geld, soll ich Euch eine schenken, so tun wir, als hättet Ihr sie gekauft. Was wählt Ihr?«

Der Indianer hatte ihm halb abgewandt zugehört, jetzt drehte er sich herum und fragte:

»Habt Ihr das Recht, eine Besitzung zu verkaufen oder zu verschenken?« – »Ja.« – »Seid Ihr der Besitzer?« – »Nein, aber ich bin vom Grafen Rodriganda ermächtigt, zu tun, was mir beliebt. Ich darf in seinem Namen unterschreiben.« – »Das ist Eure Sache, ich aber glaube es nicht. Ich will keine Hazienda kaufen oder mir schenken lassen, die ich früher oder später wieder hergeben muß. Lebt wohl!«

Er drehte sich wieder um, und dieses Mal war es Josefa, die ihn zurückhielt.

»Wartet, Señor!« sagte sie. »Ich werde diese Sache ordnen.«

Der Indianer lächelte höhnisch wie vorher und erwiderte in ungeduldigem Ton:

»Wozu die unnötigen Worte! Wie will ein Weib eine Angelegenheit ordnen, zu der der Mann, der es tun sollte, kein Geld hat! Und gerade Geld ist es, was ich brauche.« – »Ihr sollt es haben!« – »Wann?« fragte er kalt. – »Wann Ihr wollt.« – »Eine Million?« – »Nein, sondern fünf Millionen!«

Jetzt trat er erstaunt einen Schritt zurück. Doch sagte er sofort:

»Diese Señorita ist nicht bei Sinnen!«

Auch ihr Vater blickte in höchster Verwunderung zu ihr hinüber. Sie aber ließ sich nicht irremachen, sondern fuhr fort:

»Ich will deutlicher sprechen. Mein Vater hat Euch eine Million versprochen, Señor. Er wollte sie Euch auszahlen, hier auf diesen Tisch; Ihr konntet sie einstecken, leicht und mühelos. Ich nun biete Euch vier Millionen mehr und mache nur die zwei Bedingungen, daß Ihr sie Euch selbst holt und meinem Vater dennoch Euer Versprechen haltet.« – »Wo sind sie zu finden?« fragte der Indianer rasch. – »Das werde ich Euch sagen, sobald Ihr mir Euer Wort gegeben habt und wir noch über einen anderen Punkt einig geworden sind.« – »So redet!«

Der Indianer stellte sich, wie vorher, mit über der Brust gekreuzten Armen vor die beiden hin und richtete seine Augen mit einem wahrhaft durchbohrenden Blick auf das Mädchen, das fortfuhr:

»Es gibt zwei Personen, die meiner Rache verfallen sind. Sie sollen sterben oder wenigstens in die fernen Berge verschwinden, in denen Ihr Gebieter seid. Es ist Vater und Tochter. Sie haben fünf Millionen bares Geld bei sich und wohnen hier in der Stadt. Ich kenne den Ort, wo diese Summe zu finden ist, und ich kenne auch die Art und Weise, wie man zu ihm gelangt. Ihr sollt Euch das Geld holen. Ihr sollt diese beiden Personen mitnehmen und verschwinden lassen. Ihr sollt endlich, wenn dies Euch gelingt, annehmen, daß mein Vater Euch seine Million bezahlt hat, und ihm ehrlich das Wort halten, das Ihr ihm gegeben habt. Unter diesen Bedingungen sage ich Euch, welche Personen und welchen Ort ich meine.« – »Alle Teufel, jetzt weiß ich, wen du meinst!« rief Cortejo. »Und du weißt genau, daß diese ungeheure Summe dort zu finden ist?« – »Ganz genau. Du kennst ja meine Spionin.«

Da legte ihr der Indianer die Hand auf den Arm und sagte mit tiefer Stimme:

»Señorita, der Panther des Südens läßt sich nicht betrügen, am allerwenigsten von einem Weib. Wenn Ihr lügt, so morde ich Euch!« – »Tut es!« antwortete sie, ihm furchtlos in die vor Geldgier funkelnden Augen blickend. »Ich bin meiner Sache gewiß.« – »Nun, so seid Ihr wirklich kein Weib, sondern ein Mann. Wem eine Rache mehr wert ist als fünf Millionen, dem darf man Vertrauen schenken. Ich gehe auf den Handel ein und nehme die Bedingungen an.«

Nun endlich war es ihr geglückt. Ihre fahlen Wangen röteten sich vor Freude. Doch ging sie sicher und fragte speziell:

»Ihr nehmt den Mann und die Tochter mit?« – »Ja«, antwortete er. – »Quittiert Ihr meinem Vater die Million?« – »Ja.« – »Und steht ihm bei, auf den Präsidentenstuhl zu gelangen?« – »Ja.« – »Gebt uns Eure Hand und schwört es uns!«

Er reichte beiden seine Hände hin und gelobte mit fester Stimme:

»Ich schwöre es Euch und werde mein Wort halten, wenn Ihr die Wahrheit gesprochen habt Jetzt aber sagt mir den Ort, Señorita!« – »Kennt Ihr Lord Lindsay, den Engländer?«

Der Indianer horchte auf; seine Lippen öffneten sich ein wenig, und ein leise pfeifender Ton fuhr zwischen seinen Zähnen hervor.

»Ist's bei ihm?« fragte er. – »Ja. Ihr scheint überrascht. Wollt Ihr vielleicht zurücktreten, Señor?« – »Nein. Redet weiter!«

»Der Keller seines Hauses hat drei Teile; vorn ist der Küchenkeller, dann folgt der Weinkeller und endlich der Geldkeller. Er ist klein und mit einer eisernen Tür verschlossen. Er enthält die eisernen Geldkisten. Der Schlüssel dazu und alle anderen befinden sich im geheimen Fach des Toilettentischs im Schlafzimmer Lindsays. Das ist alles, was ich weiß und zu sagen habe.« – »Es ist genug«, meinte der Indianer. »Bleibt morgen abend zu Hause. Señorita.« – »Warum? Kommt Ihr wieder?« – »Ja, morgen werde ich mir das Geld holen. Ihr werdet dabeisein.« – »Ich? Warum?« fragte sie erschrocken. »Was soll ich dabei tun?« – »Nichts. Man wird Euch nicht bemerken, denn ich werde Euch an einen Platz stellen lassen, wo Ihr sicher seid. Ist das Geld im Keller, so bringe ich Euch nach Hause und halte mein Wort. Habt Ihr mich aber belogen, so hängt Ihr am nächsten Morgen an der Kellertür.« – »Dios! Wenn nun das Geld vorhanden ist und Ihr gelangt nicht dazu?« – »So seid Ihr schuldlos, und ich halte Euch dennoch mein Wort. Ihr seht, daß ich ehrlich mit Euch handle. Komme ich morgen abend, um Euch abzuholen und Ihr stellt Euch nicht, so seid Ihr und Euer Vater verloren!«

Der Panther des Südens wartete keine Entgegnung ab und ließ die beiden in einer nicht sehr fröhlichen Stimmung zurück. Wie nun, wenn die Spionin sich geirrt hatte? Der Indianer hörte die Befürchtungen nicht, die hinter ihm laut wurden. Er ging durch den finsteren Korridor mit einer Sicherheit, als ob es am hellen Tag sei. Mit dem Schritt einer Katze gelangte er in den Hof und schwang sich über die Mauer, schritt durch die Straßen und kam nach einer halben Stunde an das Wasser eines Kanals, dessen Ufer von Bäumen umsäumt waren. Dort hockten mehrere dunkle Gestalten am Boden. Die eine derselben erhob sich bei seinem Kommen und fragte leise:

»Vater?« – »Ich bin es, Diego«, antwortete er. »Steigt auf. Wir gehen zurück!«

Da standen auch die anderen vom Boden auf, es wurden Pferde herbeigeholt, die in der Nähe verborgen gewesen waren, und bald setzte sich der kleine Trupp in Bewegung.

Der Panther ritt mit seinem Sohn voran; die anderen folgten respektvoll in einiger Entfernung. Die Pferde gingen sicher, obgleich es sehr dunkel war, sie und ihre Reiter schienen jeden Schritt des Weges zu kennen. Die ganze Umgegend, die ganze Natur war in tiefe Stille versunken, so auch der Panther. Doch endlich fragte er seinen Sohn:

»Weißt du noch, wie wir den Präsidenten Santa Anna aus Mexiko jagten?« – »Ich weiß es«, antwortete der Gefragte einfach. – »Es gab einen fürchterlichen Straßenkampf, in dem unser Häuflein fast erlag.« – »Ja. Ich erhielt einen Stich in die Brust und einen Hieb über den Kopf und stürzte nieder. Als ich erwachte, lag ich im Bett, in einem schönen Zimmer.« – »Im Haus des Engländers Lord Lindsay. Ich hätte dich wohl damals verloren, denn jede deiner Wunden schien tödlich. Aber man pflegte dich wie einen Sohn und gab dich mir wieder. Wir schwuren beide, dankbar zu sein.« – »Wir sind es noch nicht gewesen.« – »Wir werden es morgen sein. Ich soll mir aus dem Haus des Engländers Geld holen und ihn und seine Tochter töten. Er soll sehen, daß der Panther des Südens keine Wohltat vergißt. Ich werde das Geld holen, ihn und seine Tochter aber nicht töten, sondern beide in die fernen Berge von Chiapa als Gefangene senden. Sie dürfen uns nicht sehen, sie dürfen nicht wissen, wer ihnen das Geld nahm. Darum werde ich sie einem anderen anvertrauen, der sie festnimmt und an ihren Bestimmungsort bringt, wo sie nicht entfliehen können, sondern bewacht werden, so lange es mir gefällt.« – »Wieviel Geld ist es?« – »Fünf Millionen.«

Der Sohn antwortete nicht. Diese Summe war so groß, so unfaßbar für ihn, daß ihm mit der Sprache fast der Atem ausging. Aber ebensogroß und unfaßbar dünkte ihm auch die Dankbarkeit seines Vaters, der ja nur aus Dankbarkeit die fünf Millionen nahm, ohne den Besitzer zu töten.


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