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49. Kapitel.

Am anderen Abend blieb Lindsay etwas länger als gewöhnlich wach mit seiner Tochter. Er hatte einen sehr ausführlichen Bericht nach der Heimat zu verfassen gehabt und unterhielt sich mit Amy noch über den Besuch des alten, ehrlichen Hazienderos und über die verschollenen Freunde. Über Amys Wesen lag ein Hauch tiefer Schwermut ausgebreitet, der ihre angeborene Lieblichkeit zu verdoppeln schien, und auch der Lord war mißmutiger als gewöhnlich gestimmt. Er war der ewigen mexikanischen Wirren herzlich müde und sehnte sich aus diesem Land fort, das nie zur Ruhe kommen konnte. Endlich nahmen sie herzlichen, innigen Abschied voneinander, und der Lord steckte, da die Dienerschaft bereits zur Ruhe gegangen war, sich sein Licht selbst an und begab sich nach seinem Schlafzimmer.

Dort öffnete er den Toilettentisch, drückte an der verborgenen Feder, worauf ein Kästchen aufsprang, und legte in dieses mehrere Schlüssel, die er aus der Tasche zog, um es durch denselben Federdruck zu verschließen.

Er bemerkte nicht, daß unter dem Bett hervor vier Augen jeder seiner Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit folgten, entkleidete sich, verlöschte das Licht und begab sich zur Ruhe, und bald hörte man an seinen leisen, ruhigen Atemzügen, daß er eingeschlafen sei.

»Hast du die Feder bemerkt?« raunte es da plötzlich selbst für einen Wachen, der im Bett gelegen hätte, ganz unhörbar unter demselben. – »Ich würde sie im Dunkeln finden«, lautete die ebenso leise Antwort. – »So komm!«

Kein Laut, nicht die leiseste Spur von Geräusch verriet, daß jetzt zwei Gestalten unter dem Bett hervorkrochen und sich neben dem Vorhang desselben emporrichteten. Der eine der Männer zog ein Tuch und ein Fläschchen aus der Tasche, tröpfelte eine Flüssigkeit auf das erstere, schlug den Vorhang zurück und trat zu dem Schlafenden, dem er erst das Tuch vorsichtig nahe an Mund und Nase hielt, und es dann, als er das Geräusch des Atmens nicht mehr hörte, ihm ganz auf das Gesicht legte.

»Fertig!« sagte er jetzt halblaut. »Gib die Maske her!« – »Soll ich das Licht anbrennen?« – »Ja; schließe aber erst die Vorhänge!« In einer Minute brannte das Licht wieder. Dem narkotisierten Lord wurde nun eine schwarze Kopfbedeckung über den Kopf gezogen, die unten am Kinn zugebunden werden konnte und nur drei Öffnungen für die Augen und den Mund hatte. Dann zogen ihm die beiden Indianer, denn solche waren es, die sämtlichen Kleider wieder an und steckten ihm, da er nun bald wieder erwachen konnte, durch das Loch der Maske einen Knebel in den Mund.

Unterdessen war Amy noch nicht sofort schlafen gegangen und saß, mit dem Rücken nach der Tür gekehrt, am Tisch, in einem Album blätternd, das die Bildnisse bekannter Personen enthielt. Auch das des Geliebten war dabei. Sie betrachtete die teuren Züge. Sie dachte sich in die Zeit zurück, in der sie ihn in Rodriganda zum ersten Mal gesehen und kennen- und liebengelernt hatte. Die Erinnerung drang so mächtig auf sie ein, daß die Gegenwart vor ihren Sinnen schwand und sie nicht ein leises, leises Geräusch hörte. Sie sah auch nicht, daß die Tür sich öffnete und daß die beiden Männer eintraten, die soeben im Schlafzimmer ihres Vaters gewesen waren.

Beide winkten einander. Der eine zog abermals das Tuch hervor und befeuchtete es mit der Flüssigkeit aus seinem Fläschchen. Dann rückten sie näher an die in so tiefes Sinnen Versunkene heran. Plötzlich faßte der eine sie mit beiden Händen bei der Gurgel, so daß sie keinen Laut ausstoßen konnte, und der andere legte ihr das Tuch auf Mund und Nase. In kurzer Zeit lag sie in ihrem Stuhl wie eine Leiche.

»Wie schön!« flüsterte der eine. – »Wir wollen ihr nicht weh tun«, meinte der andere. »Sie hat den Sohn des Panthers gerettet.«

Da fiel das Auge des ersten auf das Album, und nachdem er einen Augenblick lang darinnen geblättert, flüsterte er:

»Sie hat diejenigen lieb, deren Bilder dies sind. Wollen wir ihr dieses Buch mitgeben?« – »Wird der Panther nicht zanken?« – »Muß er es denn wissen? Er darf es gar nicht zu sehen bekommen.« – »So nimm es mit.«

Der Mann schlich, während sein Gefährte das Album zu sich nahm, zur Tür hinaus und kam bald darauf mit einigen Indianern zurück. Von diesen Leuten wurden die Lichter verlöscht und die beiden Gefangenen vorsichtig emporgenommen, um sie fortzutragen. Der Weg ging den Korridor entlang und die Treppe hinab. Hier wurde die hintere Tür entriegelt, so daß man in den Hof gelangen konnte. Da trat eine dunkle Gestalt zu ihnen. Es war der Panther.

»Endlich!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ihr habt mich lange warten lassen. Leben die beiden noch?« – »Ja«, antwortete einer. – »Habt ihr die Schlüssel?« – »Hier sind sie.« – »Wie erfuhrt ihr, welches die Zimmer der beiden seien?« – »Ich lernte am Tag die Duenja kennen, indem ich als Bettler hierherging und dem Gesinde einige Lieder vorsang. Das Mädchen vernarrte sich in mich und gab mir Antwort auf alle meine Fragen.« – »Gut. Wißt ihr, wo die Kellertür ist?« – »Hier, gleich neben der Treppe.« – »So schafft die beiden zur Stadt hinaus nach den Pferden und schickt mir die anderen her. Sie warten dort in der Ecke des Hofes. Aber wenn ihr euch unterwegs sehen oder gar ergreifen laßt, so ist das euer Tod.«

Sie gingen nun, die Gefangenen auf den Armen, davon, und nach wenigen Augenblicken schlichen sich andere Gestalten herbei, fast dreißig an der Zahl, die in das Haus traten und die Tür des Hofes wieder hinter sich zuzogen, deren Riegel sie vorschoben, um ja von außen nicht zufälligerweise gestört zu werden.

Der Panther tappte sich zur Stelle, die ihm bezeichnet worden war, und fand die Tür. Sie war mit Eisen beschlagen und hatte ein Loch für einen großen Hohlschlüssel. Deshalb wußte Alvarez sogleich, welches der richtige war, wählte ihn unter den anderen Schlüsseln aus, steckte ihn leise ein und öffnete, ohne daß er ein Geräusch verursachte, worauf er, noch immer mit leiser Stimme, sagte:

»Hier ist die offene Tür! Folgt mir die Stufen hinab! Die zwei letzten ziehen den Schlüssel heraus und die Tür hinter sich heran. Auf der obersten Treppenstufe bleiben sie als Wache stehen. Die Lichter werden erst unten angebrannt.«

So geschah es. Als sich alle, außer den beiden Wachen, unten in dem Küchenkeller befanden, wurden einige kleine Laternen hervorgezogen und angebrannt. Nun konnte man das Terrain ganz leidlich überblicken.

Ein Stück weiter hinten, in dem mit allerhand Speisewaren besetzten Keller, gab es eine zweite Tür. Der Panther untersuchte das Schloß derselben, zog einen Schlüssel hervor, der paßte, und öffnete.

Jetzt befand man sich im Weinkeller, der einen großen Vorrat von Faßwein und ein noch größeres Flaschenlager zeigte. Keiner der Indianer machte Miene, eine der Flaschen anzurühren. Ganz im Hintergrund gab es nun eine dritte, kleinere Tür, die aus dickem Eisen bestand. Auch hierzu fand sich der Schlüssel. Der Panther des Südens war das Schloß nicht gewöhnt, es schien sich sehr schwer zu öffnen. Er trat daher zur Seite, um mehr Kraft anwenden zu können. Da plötzlich sprang die Tür auf, und zu gleicher Zeit krachte ein Doppelschuß, und zwei der Indianer stürzten nieder.

Die Indianer standen vor Schreck wortlos da, und nur der Panther blieb gefaßt. Er bückte sich kaltblütig zu den Gefallenen nieder, leuchtete sie an, befühlte sie und sagte:

»Sie sind tot. An einen Selbstschuß habe ich nicht gedacht. Er war mit zwei Kugeln geladen. Schafft sie zur Seite.«

Damit leuchtete er empor, um das Gewölbe zu untersuchen, und sagte, um seine Leute zu beruhigen:

»Man kann die Schüsse da oben gar nicht hören. Sie waren ganz allein zur Verteidigung angebracht, nicht aber, um die Bewohner des Hauses zu alarmieren. Übrigens haben wir die beiden Wächter und im Notfall unsere Waffen. Treten wir also ein!«

Es rührte ihn nicht im mindesten, daß er nur durch einen geringfügigen Zufall dem Tod entgangen war. Hätte er nicht zur Seite gestanden, so wäre er von einer der Kugeln oder von allen beiden getroffen worden.

Das kleine Gewölbe vermochte gar nicht alle zu fassen. Aber diejenigen, die eintreten konnten, sahen nichts als sechs schwarze, eiserne Kisten, die am Boden standen. Keiner von ihnen wußte, um was es sich eigentlich handele; der Anführer hatte es nicht für gut befunden, ihnen mitzuteilen, daß es sich um den Raub von fünf Millionen handle.

»Faßt an!« gebot er.

Es gehörten vier starke Männer dazu, eine der Kisten in die Höhe zu heben.

»Nun fort damit, hinauf, und zunächst in den Hof.«

Der Panther leuchtete voran, und seine Leute schleppten die überreiche Beute hinter ihm her. Als er zu den Schildwachen gelangte, fragte er:

»Habt Ihr den Schuß gehört?« – »Nur dumpf«, lautete die Antwort. – »Verspürtet ihr oben etwas Verdächtiges?« – »Nein.« – »So kommt alle! Löscht aber zuvor die Laternen aus und laßt sie zurück.«

Nur der Panther allein ließ die seinige brennen, um den Flur und die nach der Etage führende Treppe zu beleuchten. Er fand alles in Ruhe und Sicherheit und öffnete nun die Hoftür, nachdem er sein Licht auch verlöscht hatte. Seine Leute folgten ihm hinaus, keuchend unter der Last.

Es ging bis hin zur Mauer, hinter der ein Weg vorüberführte. Zwei Männer standen hier, die nicht untätig gewacht, sondern einen Block hingestellt hatten, über den einige starke Bretter vom Boden hinauf zur Kante der Mauer führten. Der Panther war umsichtig gewesen und hatte für alles gesorgt.

»Ist der Wagen noch nicht da?« fragte er die Wachen. – »Er wartet bereits draußen«, antwortete der eine. – »Hörte man ihn kommen?« – »Nein, denn die Hufe und die Räder sind ja umwickelt. Nur die Pferde schnaubten ein wenig.« – »So, nun schnell ans Werk, damit wir vollends zu Ende kommen.«

An der anderen Seite der Mauer hielt ein Wagen, der mit vier Pferden bespannt war. Die Kisten wurden mit Hilfe der Bretter zunächst auf die Mauer gebracht und auf den Wagen geladen. Dies ging nicht ganz geräuschlos ab, aber man befleißigte sich einer solchen Schnelligkeit, daß keine Gefahr zu befürchten war, selbst wenn jemand Verdacht geschöpft hätte und herbeigekommen wäre. Das hätte ja immerhin eine gewisse Zeit erfordert.

Als die Kisten sich auf dem Wagen befanden, gab der Panther Befehl zum Aufbruch. Einer seiner Untergebenen wagte zu fragen:

»Sollen wir nicht unsere Toten mitnehmen, Señor?« – »Nein«, antwortete er barsch. »Sie bleiben da, ebenso wie die Laternen und diese Bretter, damit niemand denken möge, daß der Engländer selbst mit diesen Kisten geflohen sei. Also vorwärts! Es kommt nur noch darauf an, den Wagen glücklich aus der Stadt zu bringen. Wer euch hindern will, den schießt ihr einfach nieder.«

Der Wagen fuhr ab. Der Panther blieb noch eine Weile auf der Mauer stehen, zog einen Zettel aus der Tasche, warf ihn in den Hof zurück und sprang jenseits hinab auf den Weg. Auf demselben schlich er sich fort, trat um zwei dunkle Ecken und stand nun vor zwei Männern, die ein Frauenzimmer zwischen sich hatten.

»Ihr könnt gehen und mir mein Pferd bringen«, gebot er.

Sie entfernten sich eilig. Er aber wartete, bis er von ihren leisen Schritten nicht mehr hörte, und sagte:

»Nun, Señorita, ist Euch die Zeit lang geworden?« – »Unendlich!« antwortete sie mit grollender Stimme. »Meine Gegenwart war ganz und gar unnötig!« – »Im Gegenteil sehr!« höhnte er. – »Ist es gelungen?« – »Ja, bis jetzt.« – »Habt Ihr die Kisten alle?« – »Alle.« – »So werdet Ihr also Wort halten?« – »Ich werde mein Wort natürlich nicht brechen, vorausgesetzt, daß es wirklich fünf Millionen sind.«

Da dachte Josefa daran, daß ihre Spionin nicht von vollen fünf Millionen, sondern von »wohl an die fünf Millionen« gesprochen hatte. Darum sagte sie:

»Sollte eine Kleinigkeit fehlen, so kommt es wohl nicht darauf an?« – »Soll ich etwa auch eine Kleinigkeit an meinem Wort fehlen lassen, Señorita?« spottete er. »Ich kann mein Wort nicht in Teile zerlegen und werde mir also auch nicht die mir garantierte Summe teilen lassen. Ich bin meines Wortes entbunden, sobald ein einziges Goldstück, ein einziger Peso fehlt.« – »Das wäre schändlich!« rief Josefa, fast zu laut für die Vorsicht, die anzuwenden hier so notwendig war. »In diesem Fall würdet Ihr mich zwingen, zu verraten, wer die Kisten geholt hat.«

Sie hatte diese Worte in einem drohenden Ton gesprochen. Der Panther aber lachte in seiner höhnisch-kalten Weise und antwortete:

»Und ich würde in diesem Fall verraten, wer diese Kisten zunächst ausspioniert, mir angeboten und sodann hier Wache gestanden hat. Da bringt man mein Pferd! Lebt wohl, Señorita! Ich werde Euch die Summe, die ich finde, ganz genau wissen lassen.«

Damit stieg er auf und ritt davon, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als im Dunkel der Nacht allein nach Hause zu gehen, mit dem Bewußtsein, daß sie diese Millionen aufs Spiel gesetzt habe, ohne das geringste dabei zu gewinnen.

Bereits am frühen Morgen versetzte die Nachricht von dem Verschwinden des Geldes die ganze Stadt Mexiko in die größte Aufregung. Ein solcher Raub – er ist eine geschichtliche Tatsache – war so unerhört, daß man gar nicht begreifen konnte, wie er hatte gelingen können, obgleich die Spuren deutlich genug waren, um daraus zu sehen, in welcher Weise er unternommen worden war. Man fand den losgegangenen Selbstschuß, die beiden Toten, die Laternen, den Bock mit den Brettern und sogar auch den Zettel, der die Worte enthielt:

 

»So muß es allen Fremden gehen, die nach Mexiko kommen, um Humanität zu predigen und dabei doch Reichtümer zusammenscharren und die Hilfsquellen des Landes erschöpfen! Einer, dem nie seine Rache mißlingt.«

 

Der Täter konnte kein gewöhnlicher Mann gewesen sein. Er mußte über außerordentliche Mittel verfügen und eine Kühnheit besitzen, die ihresgleichen suchte. Aber alle Nachforschungen nach ihm blieben resultatlos.

Eine weitere Frage war die, wohin Lindsay mit seiner Tochter gekommen sei. Er blieb verschwunden für lange Jahre, und man wußte nichts weiter von den beiden Unglücklichen, als daß sie zu gleicher Zeit mit dem Geld verschwunden seien. Lindsays Aufzeichnungen wiesen nach, daß die geraubte Summe vier und eine halbe Million in Gold und Staatspapieren betrage, und als dies Cortejo und seine Tochter hörten, vermochten sie ihre Wut kaum zu zügeln. Sie hatten den Kontrakt mit dem Panther des Südens umsonst gemacht und waren gezwungen, ihre Enttäuschung zu verbergen. Und als ob es dieser besonderen Mitteilung bedurft hätte, erhielten sie nach einigen Tagen die Zeitungsnummer zugeschickt, in der von dem Raub die Rede und die genaue Summe angegeben war. Und am Rand der betreffenden Stelle stand geschrieben:

 

»Meines Wortes quitt! Fragt Euch überhaupt, ob Ihr das Zeug zum Präsidenten habt und Señorita Josefa zur Tochter eines solchen!«

 


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