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29. Kapitel.

Jetzt standen sie da und blickten einander ratlos an. »Ob Verdoja vielleicht, bevor er zu uns kam, eine Tür offengelassen hat?« meinte Mariano. »Wir wollen nachsehen!«

Sie verfolgten den Gang bis zu derselben Tür, die ihnen schon einmal Halt geboten hatte, fanden sie aber fest verschlossen, und so viel Scharfsinn und Körperkraft sie auch daran wandten, sie zu öffnen, es gelang ihnen nicht.

»Wir sind eingeschlossen«, sagte Emma. »Wir sind zum Tod des Verschmachtens verdammt; wir müssen sterben.« – »Noch nicht«, tröstete Mariano. »Gott wird uns nicht umkommen lassen.« – »Wir wollen fleißig nachdenken und alles zu unserer Rettung versuchen«, meinte Helmers. »Vielleicht gelingt es uns doch noch, das Geheimnis der Türen zu entdecken.« – »Wir entdecken es nicht«, versetzte Karja. »Hilfe kann nur von Señor Sternau kommen.« – »Aber wenn dieser selbst nicht kommt?« klagte Emma. »Wenn sie ihn fangen und töten?« – »Oh, er ist klug; er entkommt vielleicht doch«, tröstete Helmers. »Übrigens brauchen wir uns den Kopf nicht darüber zu zerbrechen, wie die Türen geöffnet werden. Wir haben ja ein ganz gutes Werkzeug dazu.« – »Welches?« fragte Mariano. – »Unsere Messer.« – »Ah, wirklich!« rief Emma. »Wir schneiden die Türen durch.«

Helmers konnte sich trotz ihrer schlimmen Lage eines Lachens nicht erwehren.

»So ist es nicht gemeint, Señorita«, sagte er. »Dieses Holz ist so hart wie Eisen, es würde eine Riesenarbeit von einigen Jahren sein, alle Türen zu durchschneiden, und selbst dann wäre es noch fraglich, ob wir zu dem richtigen Ausgang gelangen. Und das Holz nur einer Tür zu durchschneiden, würde uns nichts anderes bringen, als was wir bereits gesehen haben. Wir haben ja hier eine offene Tür, ohne das Geheimnis ergründen zu können. Ich meine vielmehr, wir müssen den Teil der Mauer entfernen, der sich um das Türgewände legt; in diesem Teil ist das Geheimnis verborgen.« – »Das ist richtig!« stimmte Mariano bei. »Gehen wir an das Werk!« – »Es gibt noch ein kürzeres Mittel, wenn es gelingt«, bemerkte Karja. – »Welches?« fragten schnell die anderen. – »Wir drehen uns ein Seil, und einer läßt sich zu Verdoja hinab. Lebt er noch, so muß er sagen, wie die Türen geöffnet werden.« – »Wovon soll das Seil gefertigt werden?« – »Von den Lassoriemen, mit denen wir gefesselt waren, sie liegen noch in den Zellen; ferner von den Kleidern der beiden Toten, auch von den unsrigen, soweit sie entbehrlich sind. Vielleicht können wir die Ketten ausdrehen, an denen die beiden Señores gefesselt waren. Man nahm für Señorita Emma und mich einige Decken mit. Sie liegen noch in meiner Zelle und der ihrigen. Wenn wir sie zerschneiden und zusammendrehen, wird ein Seil fertig.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man vereinigte also die zerschnittenen Lassostücke, zerschnitt die Kleider Parderos und des Wächters, die man ihnen auszog, ebenso die Decken, und als das Seil fertig war, hatte es eine Länge von über dreißig Fuß. Um seine Festigkeit zu prüfen, zogen Mariano und Helmers mit aller Macht an demselben, es gab nicht nach; und so erklärte Mariano, sich demselben anvertrauen zu wollen, da er der leichtere sei.

Man hatte zwei Laternen. Die eine befestigte Mariano sich um die Taille, und nun begaben sie sich nach dem Brunnengemach, wo sie das Wimmern noch so stark wie vorher hörten. Mariano band sich jetzt das eine Ende des Seils unter den Armen fest, um sich hinabzulassen, erklärte aber, aufwärts werde er daran emporklettern. Hierzu gab es zwei Gründe, erstens wurde ihm dieses Klettern leichter, als Helmers das Ziehen, selbst wenn die Damen mithelfen würden, und zweitens war das Emporziehen für ihn gefährlich, da das Seil am Rand des Schlundes scheuerte und dadurch leicht reißen konnte.

Da vier Krüge mit Wasser vorhanden waren, so opferte man einen davon, um das Seil zu befeuchten, es erhielt dadurch eine größere Elastizität und Widerstandsfähigkeit. Dann ging man an das Werk.

Mariano kniete am Rand nieder, faßte darauf das Seil oberhalb der Befestigung mit beiden Händen und stieß mit den Worten: »In Gottes Namen, jetzt hinab!« die Knie vom Rand ab.

Helmers war stark; niederwärts konnte er ihn allein erhalten, und so verschwand der kühne, junge Mann bald in dem schwarzen Schlund. Helmers ließ das Seil sehr langsam und vorsichtig ablaufen, und die beiden Frauen, die sich am Rand niedergekniet hatten, sahen den Lichtschein seiner Laterne sich immer weiter entfernen.

»Um Gottes willen, wenn er erstickt!« sagte da Emma. »Dieser Brunnen ist sehr tief und sehr alt; er kann gefährliche Gase enthalten!«

Daran hatte man vorher gar nicht gedacht; aber Helmers schüttelte lächelnd den Kopf und fragte:

»Señorita, hören Sie Verdoja noch wimmern?« – »Ja«, antwortete sie, »es klingt schrecklich!« – »Nun, dieses Wimmern ist ein Zeichen, daß er noch lebt, und er würde nicht mehr leben, sondern erstickt sein, wenn es da unten tödliche Gase gäbe.«

Nach einiger Zeit, als das Seil auf fast nur noch zwei Meter abgelaufen war, hörte die Spannung auf. Mariano hatte den Boden erreicht, und die drei oben befindlichen Personen lauschten mit großer Spannung hinab.

Der Brunnen war, wie bereits gesagt, nicht rund, sondern viereckig, und die Wände waren glatt; das schloß jede Gefahr für das Seil aus. Vor Jahrhunderten hatte er wohl Wasser gegeben, jetzt aber war er ausgetrocknet. Mariano stand an einem porösen Felsen, der ringsum von einer sandigen Erdschicht umgeben war. Durch diese war vor Jahren das Wasser hereingesickert.

Jetzt sah sich der junge Mann nach Verdoja um. Dieser lag zusammengekrümmt wie ein Hund vor seinen Füßen und ließ aus dem offenen Mund jenes Wimmern hören, das hier unten noch viel schrecklicher klang als oben. Die Lippen zeigten einen blutigen Schaum, die Augen standen offen, waren aber nicht stier, sondern hatten einen Ausdruck, der erkennen ließ, daß Verdoja bei vollständiger Besinnung sei.

»Schreien Sie nicht, sondern antworten Sie«, sagte Mariano. »Ich komme, Ihnen zu helfen.«

Der Verunglückte hörte einen Augenblick lang auf mit Wimmern und sah den Retter mit einem Blick an, in dem ein wahrhaft teuflischer Haß zu erkennen war.

»Wo ist Pardero?« fragte er.

Aber man sah ihm an, daß ein jedes Wort ihm die fürchterlichsten Schmerzen bereitete.

»Tot«, antwortete Mariano. – »Der Wächter?« – »Auch tot.« – »Die Mädchen?« – »Sie sind oben bei uns.« – »Mörder!«

Verdoja wollte die Fäuste ballen, aber es ging nicht; er hatte beide Arme gebrochen.

»Schmähen Sie nicht«, gebot Mariano ernst. »Sie sind an allem selbst schuld! Und dennoch werden wir Sie retten.« – »Ihr? Wie?« fragte Verdoja.

Aber er litt dabei solche Schmerzen, daß er fast zwischen jeder Silbe ein schneidendes Jammern ausstieß und daß seine Worte schwer zu verstehen waren.

»Wir ziehen Sie mit dem Seil hinauf und schaffen Sie nach der Hazienda.«

Über das schmerzverzerrte Gesicht Verdojas glitt für einen Augenblick ein lichter Zug; dann aber verfinsterte es sich wieder, und er fragte:

»Wie kommt ihr hinaus?« – »Sie werden sagen, wie die Türen zu öffnen sind und welchen Weg wir einzuschlagen haben.« – »Ah! Ihr wißt es nicht?«

Ein Zug wahrhaft höllischer Schadenfreude verzerrte sein Gesicht noch mehr, als es bereits vom Schmerz geschah, und er fügte hinzu:

»Ihr müßt verhungern – verdursten – verschmachten!«

Dabei rief er jedes der drei Worte in einem höheren Ton, bis die letzte Silbe überschnappte. Offenbar empfand er eine Genugtuung, die sogar die fürchterlichen Schmerzen, die er litt, betäubte.

»Wir werden nicht verschmachten«, sagte Mariano, »denn Sie werden wieder frei und gesund sein wollen, und das können Sie nur durch uns.« – »Frei! Gesund! Ah!« stöhnte Verdoja. »Nie! Arme gebrochen! Rückgrat gebrochen! Ich muß sterben!« – »Sie werden nicht sterben; Sie werden leben, und zwar durch uns. Wollen Sie sich uns anvertrauen?« – »Nie! Nie! Auch ihr sollt sterben!«

Der Schaum um Verdojas Mund verdoppelte sich, und seine Augen drohten aus ihren Höhlen zu treten, er glich einer Schlange, die sich noch im Tod windet, um Gift zu spritzen. Mit Marianos Geduld ging es fast zu Ende.

»Aber Mensch, Sie richten sich ja selbst zugrunde!« rief er. – »Ich will es!« antwortete Verdoja. »Und auch ihr sollt zugrunde gehen, verfaulen, in die Hölle fahren!« – »Ist dies Ihr letztes Wort?«

Da fletschte der Mensch die Zähne und grinste:

»Mein letztes, letztes, letztes.« – »Nun gut, so hört die Liebe auf, und die Strenge beginnt«, sagte der junge Mann. »Wenn Bitten nicht helfen und die eigene Lust zum Leben, so gibt es andere Mittel, einen solchen Teufel zum Reden zu bringen. Wir haben keine Lust, wegen deiner höllischen Bosheit hier zu verschmachten.«

Mariano kniete darauf neben Verdoja nieder, faßte die beiden Arme desselben an der Stelle, wo sie gebrochen waren, und drückte sie mit aller Gewalt. Diese Art der Folter preßte dem Bösewicht einen Schrei aus, von dem Mariano meinte, er müsse da oben sogar außerhalb der Pyramide gehört werden.

»Wie werden die Türen geöffnet?« fragte er. – »Ich sage es nicht!« brüllte Verdoja. – »Du mußt es sagen; ich lasse nicht nach!« rief Mariano und drückte den Arm nochmals an den gebrochenen Stellen mit aller Macht. Das Geschrei, das Verdoja jetzt bei den entsetzlichsten Schmerzen ausstieß, glich dem Gebrüll von Tigern, aber er gab die gewünschte Antwort trotzdem noch nicht. Da faßte ihn Mariano bei den Beinen. Das half jedoch nichts, sie waren gänzlich gefühllos, denn der Mensch hatte den unteren Teil des Rückgrats gebrochen und lachte höhnisch auf, als er die Erfolglosigkeit von Marianos Bemühungen sah. Dieser wurde dadurch noch zorniger.

»Lache nur, du Satan«, sagte er. »Es gibt noch andere Schmerzen.«

Damit faßte er, bis zur Gefühllosigkeit zornig, die Hände des Verwundeten und gab beiden Armen einen so gewaltigen Ruck, daß er glaubte, sie aus den Schultern zu ziehen. Verdoja stieß einen entsetzlichen Schrei aus, beantwortete aber die Frage nicht.

»Mensch, du bist selbst für den Teufel zu schlecht!« rief Mariano. »So stirb denn so, wie du es willst. Gott wird uns helfen!«

Er rüttelte darauf an dem Strick, zum Zeichen, daß er empor wolle, und faßte denselben mit beiden Händen. Als Verdoja dieses bemerkte, erhob er den Kopf, spie nach dem jungen Mann und rief mit überschnappender Stimme:

»Seid verflucht! Verflucht! Verflucht!«

Diese Abschiedsworte brachten Mariano auf einen Gedanken, den er bisher wunderbarerweise gar nicht gehabt hatte. Er kniete noch einmal neben Verdoja nieder, untersuchte dessen Kleider und nahm ihm, nachdem er darin eine Uhr, Geld, Ringe, einen Revolver, ein Messer und andere Kleinigkeiten gefunden hatte, alles ab und steckte es zu sich.

»Räuber!« rief Verdoja. – »Pah, wir können es gebrauchen, du aber nicht, Halunke!«

Mariano probierte nochmals am Seil, ob es oben festhalten werde und turnte sich an demselben empor, bis er den Rand erreichte. Während von unten das herzzerreißende Wimmern heraufscholl, wurde er von den anderen nach dem Erfolg seiner Sendung gefragt. Als er denselben mitteilte und auch erzählte, welche Folter er angewandt habe, um den Menschen zum Sprechen zu bringen, zogen sich die Mädchen voll Grauen zurück. Helmers aber sagte:

»Warum haben Sie diesen Satan nicht erstochen oder erschlagen?« – »Fällt mir nicht ein. Er will nicht gerettet sein, weil auch wir frei würden, und so mag er verschmachten und sterben, wie er es uns bestimmt hat.« – »So bleibt uns nichts anderes übrig, als zu den Messern zu greifen und die Backsteine um die Tür auszugraben. Wenn wir die Konstruktion nur einer einzigen Tür kennen, so können wir alle anderen öffnen.«

Sie kehrten in die Gänge zurück, und zwar zu der von Verdoja zuletzt verschlossenen Tür, und machten sich da an die Arbeit.


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