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Fünfzigstes Kapitel

Die Hoffnung ist der schönste Gast hienieden;
Die Freud' hat Thränen, das Entzücken stirbt:
Doch Hoffnung ist Arznei, unschädlich, kräftig –
Und gießt zumal in's Menschenherz den Muth
Und Frohsinn letztern nicht als Thorheit strafend.
's Alles, was hienieden ohn' Gefährde
Wir tragen können, stärkt den Leib und Geist.
Erscheint dem keuschen Aug' als rein Entzücken.
Gleich eines milden Sommerabends Hauch,
Und ist der Menschheit immer voller Kelch –
Sein Paradies hienieden.

Young.

Mit welchen entzückten Gefühlen stand nicht Newton Forster auf dem Decke des Windsor-Castle, als er vor einer schönen Kühlte durch die Bay von Biscaya dahin fuhr! Sein Glück war in der That so groß, daß er bisweilen zitterte, der Becher könnte ihm noch vor den Lippen weggerissen werden; er dankte Gott für den erhaltenen Segen, erging sich aber zugleich in heißem Gebet, daß seine hoffnungsvollen Aussichten nicht zernichtet werden möchten. Wie glücklich fühlte er sich, wenn er Isabel auf das Deck geleitete und während der schönen Sommerabende an ihrer Seite hin- und herging, mit ihr sich über seine Besorgnisse und Hoffnungen unterhaltend, oder sich in Rückblicken auf die Vergangenheit und süßen Vorahnungen der Zukunft ergehend, bis sie die Stunde der Mitternacht erinnerte, wie schnell ihnen die Zeit entflohen war! Das Piratenschiff, welches mit den Leuten des neutralen Fahrzeugs und einem Theile der Matrosen des Windsor-Castle bemannt und der Obhut des vierten Maten übertragen worden war, umsegelte sie in Wellenlinien, bis sie endlich in den Kanal einliefen und von einer westlichen Brise begünstigt, in den Dünen Anker warfen. Hier verließen Mrs. Enderby und Isabel das Schiff, während Newton Auftrag erhielt, in die Themse einzufahren. Noch ehe das Windsor-Castle abermals seine Anker ausgeworfen hatte, las unser Held in den Zeitungen einen Bericht über die beiden Treffen, und hatte die Freude, zu bemerken, daß seine Landsleute in Lobsprüchen über sein verdienstvolles Benehmen nicht knauserig waren.

Newton stellte sich dem Direktorenkollegium vor, welches seinen Rang bestätigte und ihm, unter schmeichelhafter Anerkennung seiner Tapferkeit im Schutze eines so werthvollen Eigenthums, das Kommando des nächsten verfügbaren Schiffes zusagte. Newton verabschiedete sich von dem erlauchten Leaderhallkollegium und eilte nach der Wohnung seines Onkels. Die Thüre wurde ihm von einem Diener geöffnet, der ihn nicht kannte. Newton ging an ihm vorbei und nach dem Besuchszimmer, wo er Ambra in William Aveleyns Gesellschaft fand, welcher ihr eben die Depesche über das Gefecht mit Surcoeuf vorlas.

Ambra eilte in seine Arme. Sie war jetzt ein Mädchen von beinahe fünfzehn, in aufknospender, jungfräulicher Schönheit, die vollkommen zu werden versprach, wenn sie es auch jetzt noch nicht war. William Aveleyn war gleichfalls um einen halben Fuß größer geworden, und ein glühendes Roth, das sein schönes Antlitz überflog, als er allein mit Ambra überrascht wurde, bekundete, daß an die Stelle der Gefühle des Knaben die des Jünglings getreten waren.

»Wo ist meine Mutter?« fragte Newton.

»Nicht zu Hause, lieber Newton,« versetzte Ambra; »sie ging mit Eurem Vater aus. Beide sind wohl.«

»Und mein Onkel?«

»Ganz wohl und verlangt mit Sehnsucht, Euch zu sehen. Er spricht von Niemand, als von Euch, und von Nichts, als von Euren Gefechten, die wir eben lasen, als Ihr eintratet. Ich bitte Kapitän Newton, darf ich nach Euren französischen Freunden fragen? Was ist aus ihnen geworden?«

»Sie sind in dem Hotel Sablonniere, Miß Ambra, und haben von dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ihre Ordre erhalten.«

Das Gespräch wurde durch die Rückkehr von Newtons Eltern unterbrochen, und bald nachher erschien auch Mr. John Forster. Nachdem die erste Begrüßung und Beglückwünschung vorüber war, bemerkte Nicholas:

»Nun, Newton, du hast also, wie ich höre, ein Seeräuberschiff abgeschlagen?«

»Nein, mein theurer Vater, wir enterten dasselbe.«

»Ah, richtig – ich erinnere mich jetzt; und du tödtetest Sarcoeuf.«

»Nein, Vater, diesen hab' ich nur abgeschlagen.«

»Richtig – ich entsinne mich wieder – Bruder John, ist es nicht fast Essenszeit?«

»Ja, Bruder Nicholas; und es ist mir recht lieb. Mr. William Aveleyn, vielleicht beliebt es Euch, Eure Hände zu waschen? Die Pfote eines jungen Menschen wird nicht schlechter durch ein wenig rein Wasser.«

William Aveleyn erröthete, und fühlte sich in seiner Würde verletzt; aber er war in der letzten Zeit mit dem Forster'schen Hause sehr vertraut geworden und ging deshalb hinaus, um dem Rathe zu entsprechen.

»Nun, Bruder Nicholas, was hast du den ganzen Tag über getrieben?«

»Was ich getrieben habe, Bruder? In der That, das weiß ich selber nicht recht. Meine Liebe,« fuhr Nicholas gegen seine Gattin fort, »was habe ich denn den Tag über gethan?«

»Soviel ich mich erinnere,« entgegnete Mrs. Forster mit einem Lächeln, »so hast du gefragt, wenn das Diner bereit sein würde.«

»Onkel Nicholas,« sagte Ambra, »Ihr habt mir versprochen, einen Strang blauer Seide für mich zu kaufen.«

»Hab' ich das, meine Liebe? Nun ja, ich glaube, ich that's auch. Es thut mir recht leid, – du mein Himmel, ich hatte ganz vergessen, daß ich ihn kaufte. Ich ging an einem Laden vorbei, wo das ganze Fenster voll hing; dies erinnerte mich daran, und ich kaufte ihn, er kostete – was war es denn – was hat er gekostet?«

»O, ich weiß, was er kostet,« versetzte Ambra; »ich gab Euch drei Pence, ihn zu bezahlen. Wo ist er?«

»Wenn ich mich recht erinnere, so kostete er sieben Schillinge und sechs Pence,« versetzte Nicholas, indem er keinen Strang blauer Seide, sondern eine Elle blauen Taffts hervorzog.

»Nun, Papa, schaut einmal her! Onkel Nicholas, ich will Euch nie wieder einen Auftrag geben. Ist das nicht ärgerlich? Soll ich da sieben Schillinge und sechs Pence für eine Elle blauen Taffts bezahlen, den ich nicht brauche. Onkel Nicholas, Ihr seid doch in der That recht einfältig.«

»Nun, meine Liebe, es muß wohl wahr sein. Ich hörte William Aveleyn dasselbe sagen, als ich diesen Morgen in's Zimmer kam weil – laßt mich sehen –«

»Ihr habt ihn nichts sagen hören, Onkel,« unterbrach ihn Ambra erröthend.

»Ja, ich entsinne mich jetzt – wie einfältig ich sei, daß ich hereinkomme, wenn man mich nicht brauche!«

»Hum!« sagte John Forster; – und das Diner wurde angekündigt.

Seit Mrs. Forster ihren Gatten wieder gefunden hatte, durfte sie an der Tafel ihres Schwagers den Vorsitz führen. Das Diner war vortrefflich und männiglich ließ ihm volle Gerechtigkeit widerfahren, namentlich Nicholas, dessen Appetit durch das Nichtsthun gesteigert zu werden schien. Seit Newton England verlassen hatte, befand er sich als Pensionär im Hause seines Bruders, und den beharrlichen Vorstellungen seiner Gattin war es zu danken, daß er die Untugend aufgab, sich mit der Uhr oder der Brille seines Bruders zu befassen. Dies war Alles, was Mr. John Foster wünschte, und Nicholas ging wie eine zahme Katze im Hause umher, ohne auf Jemand zu achten oder selbst beachtet zu werden.

Nach dem Diner zogen sich die Frauenzimmer zurück, und bald nachher verließ William Aveleyn das Gemach.

Newton hielt dies für eine gute Gelegenheit, dem Onkel seine Liebe zu Miß Revel und deren günstiges Resultat mitzutheilen. Mr. John Forster hörte ihn ohne Unterbrechung an.

»Ich will glauben, Neffe, daß sie ein sehr hübsches Mädchen ist,« erwiederte er endlich; »aber du bist noch zu jung zum Heirathen. Du kannst nicht ein Weib nehmen und zur See gehen. Verfolge deinen Beruf, Newton – und mache lieber eine Opiumspekulation – ich will dir Mittel dazu beischaffen.«

»Ich hoffe, Onkel, daß ich das Heirathen nicht für eine Spekulation halte; wenn's übrigens der Fall wäre, dürfte sich diese doch als die bessere ausweisen. Miß Revel hat ein sehr großes Vermögen.«

»Um so schlimmer – ein Mann sollte seinem Weibe nie wegen Geldes verpflichtet sein – sie können das nie vergessen. Ich wollte lieber, du hättest dich in ein Mädchen verliebt, das keinen Schilling besitzt.«

»Als ich sie zuerst lieben lernte, besaß sie auch wirklich keine sechs Pence.«

»Hum! – nun, Neffe, das mag wahr sein; aber wie vorhin gesagt, verfolge deinen Beruf.«

»Der Ehestand wird mich daran nicht hindern, Onkel. Die meisten Indienfahrer-Kapitäne sind verheirathet.«

»Dann sind sie Narren! Wer wird auch sein Weib verlassen, damit Gott weiß wer ihr schmeichle und sie bethöre. Ein Weib, Neffe, ist – – ein Weib.«

»Ich hoffe, daß dies auch die meinige sein wird, Sir,« versetzte Newton lachend.«

»Neffe, ein- für allemal, ich liebe es nicht, wenn du jetzt heirathest – das ist ausgemacht. Ich wünsche, daß du deinem Berufe folgest. Um aufrichtig gegen dich zu sein, ich habe dir fast mein ganzes Vermögen vermacht; aber – ich kann auch mein Testament ändern – und das geschieht, sobald du dieses Mädchen heirathest.«

»Dein Testament ändern, Bruder?« sagte Nicholas, der der Unterhaltung aufmerksam zugehört hatte. »Ei, wem könntest du denn dein Geld anders hinterlassen, als Newton?«

»Ich kann's für Spitäler – für Abzahlung an der Nationalschuld – für Alles bestimmen. Vielleicht vermache ich Alles jenem kleinen Mädchen, das bereits einen Fetzen abgekriegt hat.«

»Aber Bruder,« versetzte Nicholas, »wird es gerecht sein, wenn du all dein Geld Deiner Familie entziehst?«

»Gerecht? Ja, Bruder Nicholas, ganz gerecht. Das Testament eines Mannes ist sein Wille. Wenn er es macht, um den Wünschen oder Erwartungen Anderer zu entsprechen, so ist es nicht länger sein Wille, sondern der ihrige. Neffe, wie gesagt, wenn du ohne meine Einwilligung heirathest, so ändere ich mein Testament.«

»Ich bedaure, Sir, bedaure von Herzen, wenn Ihr unzufrieden mit mir sein solltet; aber ich bin mit dieser Dame verlobt, und keine irdische Rücksicht wird mich veranlassen, eine Zusage aufzulösen, an der in der That mein ganzes künftiges Glück hängt. Ich habe keine Ansprüche an Euch zu machen, Onkel, sondern stehe im Gegentheil sehr in Eurer Schuld für Eure wohlwollende Gönnerschaft. Was Ihr sonst von mir verlangen mögt –«

»Hum! so heißt's immer – Alles, nur das nicht, was man verlangt. Bruder Nicholas, thu mir den Gefallen, hinaufzugehen; ich wünsche, mit meinem Neffen allein zu sprechen.«

»Ei freilich, Bruder John, im Falle du's wünschest – und du mit Newton ein Geheimniß zu verhandeln hast.«

Und Nicholas erhob sich von seinem Stuhle.

»Zuverlässig können wir keine Geheimnisse haben, in die mein Vater nicht eingeweiht sein dürfte,« bemerkte Newton, dem die abgebrochene Entlassung seines Vaters mißfiel.

»Du vielleicht nicht, aber ich, Neffe. Dein Vater ist mein Bruder, und ich nehme mir die Freiheit gegen meinen Bruder, wenn du lieber so willst – nicht gegen deinen Vater.«

Nicholas war in der Zwischenzeit aus dem Zimmer gestampft.

»Neffe,« fuhr Mr. John Forster fort, sobald die Thüre sich hinter dem Abgehenden geschlossen hatte, »ich habe dir meinen Wunsch ausgedrückt, daß du dieses junge Frauenzimmer nicht heirathen sollest, und will dir jetzt meine Gründe auseinander setzen. Das Mädchen, welches Bruder Edward meiner Obhut anvertraute, ist mir wie eine Tochter geworden. Ich beabsichtige, dich als Kapitän eines Indienfahrers noch drei oder vier Reisen machen zu lassen und dich dann mit ihr zu vermählen; Ihr seid dann die Erben meines ganzen Vermögens. Du verstehst mich jetzt. Darf ich fragen, was du dagegen einzuwenden hast?«

»Nichts, als was ich bereits angegeben habe – meine Verlobung mit einer Andern.«

»Sonst nichts?«

»Ist es nicht genug?«

»Es scheint, daß diese junge Frauensperson sich auf dem Schiffe in ein Verhältniß eingelassen hat, ohne ihre Verwandten zu Rathe zu ziehen.«

»Sie hat keinen Vater, Sir – ist außerdem majorenn und unabhängig.«

»Du hast dasselbe gethan.«

»Ich gebe es zu, Sir; aber selbst wenn ich geneigt wäre, könnte ich mit Ehren wieder zurücktreten?«

»Hum!«

»Vielleicht würdet Ihr meiner Verbindung mit dieser jungen Dame nicht so abgeneigt sein, Sir, wenn Ihr sie kennen würdet.«

»Vielleicht – wenn ich sie mit deinen Augen ansehen würde; aber dies ist wahrscheinlich nicht der Fall. Alte Leute sind ein Bischen blind und ein Bischen hartnäckig. Wenn man sich durch sein ganzes Leben abgemüht hat, um ein Vermögen zusammenzubringen, so will man auch in der Art, darüber zu verfügen, seinen eigenen Willen haben – es ist der einzige Dank, den man für seine Mühe verlangen kann. Handle übrigens wie es dir gut dünkt, Neffe. Wie zuvor gesagt, wenn du ohne meine Einwilligung heirathest, so werde ich mein Testament ändern. Leere jetzt die Flasche – wir wollen hinaufgehen.«


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