Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neununddreißigstes Kapitel

Denn da gab's Seufzer, tief, weil unterdrückt,
Und Blicke, süßer noch, weil sie verstohlen;
Ein glühend Roth, wie's nicht die Sünde schmückt,
Zittern beim Gruß, beim Abschied wie auf Kohlen.
Wo nur ein Herz, vom holden Gott entzückt,
Spielt solch ein Vorspiel unverholen
Und zeigt, wie schüchtern Liebe sich benimmt.
So lang' sie in den ersten Funken glimmt.

Byron.

Newton verließ in keiner sehr glücklichen Gemüthsstimmung das Haus des Obristen, um seinen Auftrag an die Mrs. Revels zu vollziehen. Daß die beiden ältesten weder das Benehmen ihres Vaters, noch die Kälte ihres Verwandten sonderlich zu Herz nehmen würden, wenn sie nur zugelassen würden, war er so ziemlich überzeugt; indeß kannte er doch Isabels Charakter zu gut, um nicht zu wissen, daß das Demüthigende ihrer Lage schwer auf ihrem edlen, gefühlvollen Geiste lasten mußte. Da war jedoch nicht zu helfen, und so wünschte er sich fast Glück, daß der Auftrag des Obristen, der denn doch von irgend Jemand hätte besorgt werden müssen, seinen Händen anvertraut worden war.

Kapitän Drawlock hatte, des Wartens müde, die jungen Damen in das Hotel am Lande geleitet und harrte ängstlich auf Newtons Rückkehr, dem er einen Boten entgegen geschickt hatte, damit unser Held sich nicht vergeblich nach dem Schiffe bemühe.

»Nun, Mr. Forster, wie stehts – ist Alles in Richtigkeit?« fragte Kapitän Drawlock, sobald er seiner ansichtig wurde.

»Der Wagen des Obristen wird die Damen in weniger als einer halben Stunde abholen,« antwortete Newton ausweichend.

»Dann, meine Fräulein, will ich euch guten Morgen sagen, da ich außerordentlich viel zu thun habe; ich behalte mir übrigens vor meiner Abreise noch das Vergnügen vor, euch meine Aufwartung zu machen. Erlaubt mir auch, meinen besten Dank für eure Gesellschaft während unserer Reise darzubringen und euch zu versichern, wie viel eure Anwesenheit dazu beigetragen hat, sie zu erheitern. Forster, Ihr werdet natürlich bei den Damen bleiben, bis sie wohlbehalten im Wagen untergebracht sind.«

Darauf drückte ihnen Kapitän Drawlock, welcher der Ansicht zu sein schien, daß seine Verantwortlichkeit mit der Fahrt ein Ende habe, die Hände und verließ das Hotel.

»Mr. Forster,« sagte Isabel, sobald Kapitän Drawlock außer Hörweite war, »ich sehe es Eurem Gesichte an, daß etwas Unangenehmes vorgefallen ist. Habe ich nicht Recht?«

»Ich bedaure, Eure Frage mit Ja beantworten zu müssen, noch mehr aber, daß ich mich genöthigt sehe, Euch den Grund davon mitzuteilen.«

Newton verbreitete sich sodann ausführlich über die Scene im Hause des Obristen. Isabel hörte mit Aufmerksamkeit, Charlotte und Laura mit Ungeduld zu. Miß Charlotte fragte mit der Miene der Bestürzung, ob der Obrist sich weigert, sie zu empfangen, und schien sich zufrieden zu geben, so bald sie vom Gegentheil belehrt wurde.

Laura machte ein einfältiges Gesicht und bemerkte: »Wie gar kurios von Papa!« Dann aber schien sie nicht mehr darüber nachzudenken. Isabel äußerte nichts; sie blieb auf ihrem Stuhle sitzen und vertiefte sich augenscheinlich in schmerzliche Gedanken.

Einige Minuten nach Newtons Mittheilung langte der Wagen des Obristen an und Newton bedeutete den Schwestern, daß sie jetzt das Hotel verlassen sollten. Charlotte und Laura waren sogleich bereit und konnten es vor Ungeduld kaum erwarten, bis sie im Wagen saßen; aber Isabel blieb ruhig an dem Tische.

»Komm, Isabel,« rief Charlotte.

»Ich kann nicht gehen, meine theure Charlotte,« versetzte Isabel; »doch laßt euch durch mich nicht hindern, für euch selbst einen Entschluß zu fassen.«

»Nicht gehen?« riefen die beiden Schwestern zumal.

Isabel blieb fest, und Newton, der nicht befugt zu sein glaubte, sich in die Angelegenheit zu mengen, war ein stummer Zeuge der fortgesetzten Ueberredungen und Vorstellungen von Seite der zwei älteren Schwestern, welchen die jüngere eine entschiedene Verweigerung entgegen stellte.

In dieser Weise war fast eine halbe Stunde entschwunden. Charlotte und Laura entschlossen sich, zu gehen und den Wagen nach Isabel zurückzuschicken, welche bis dahin wohl zur Besinnung gekommen sein werde. Die herzlosen, gedankenlosen Mädchen stiegen heiter in die Equipage und fuhren ab. Newton, der sie begleitet hatte, kehrte mit klopfendem Herzen nach dem Zimmer zurück, wo er Isabel verlassen hatte.

Sie war in Thränen.

»Belästige ich vielleicht, Miß Isabel?« begann Newton, der bei ihrem Anblick seine innere Erregung nicht zu unterdrücken vermochte.

»O nein! Ich erwartete mit Sehnsucht Eure Rückkehr, Mr. Forster. Glaubt Ihr, daß Ihr Kapitän Drawlock auffinden könnt? Ich würde Euch sehr Dank wissen, wenn Ihr die Mühe für mich übernehmen wolltet.«

»Ich will unverweilt gehen, um ihn aufzusuchen, wenn Ihr es wünscht. Glaubt mir, Miß Revel, ich fühle aus ganzer Seele das Bedrückende Eurer Lage, aber Ihr haltet es vielleicht für unbescheiden, wenn ich Euch frage, was Ihr zu thun gedenkt?«

»Da Ihr mit allen Umständen bekannt seid, Mr. Forster, so ist Eure Frage nicht nur nicht ungehörig, sondern sogar freundlich. Gott weiß, daß ich eines Berathers bedarf, und ich möchte gar zu gerne die Thatsachen vor Kapitän Drawlock geheim halten. Es ziemt einer Tochter nicht, die Fehler eines Vaters zu veröffentlichen; aber Ihr seid von Allem unterrichtet und ich brauche deßhalb kein Bedenken zu tragen, mit Euch zu Rathe zu gehen – in der That, ich sehe nicht ein, warum. Mein Entschluß ist im besten Falle übereilt, aber doch steht er in so weit fest, daß ich Willens bin, nimmermehr das Haus meines Verwandten unter so demüthigenden Umständen zu betreten. Für meine weiteren Schritte bedarf ich freilich des Raths, denn ich befinde mich in einer grausamen Lage. Welch ein hülfloses Wesen ist nicht ein Weib! Wäre ich ein Mann, so könnte ich für meine Heimfahrt arbeiten, oder hierorts mein Brod ehrlich verdienen; aber ein Frauenzimmer – ein junges, unbeschütztes Mädchen – in einem fernen Klima und ohne einen Freund –«

»Nennt Euch nicht freundlos; es gibt wenigstens Einen, der den Willen, wenn auch nicht die Macht hat, Euch zu dienen,« versetzte Newton.

»Nein – nicht ganz freundlos; aber was nützt ein Freund, dessen Beistand ich nicht annehmen könnte? Ich muß mich daher an Kapitän Drawlock wenden und, so schmerzlich es mir auch fallen mag, auf seinen Edelmuth bauen. Aus diesem Grunde wünsche ich ihn zu sehen. Er kennt vielleicht Mittel, um mir zu meiner Heimfahrt zu verhelfen. Es ist mir gleichgültig, in welcher Eigenschaft ich zurückkehre, sei es als Kinderwärterin, als Kammerjungfer oder in was immer für einer Stellung, wenn sie nur ehrenhaft ist. Ich wollte lieber Monate lang an dem Schmerzenslager der Fieber- und Pestkranken wachen, als die Doppelzüngigkeit meines Vaters so augenfällig an's Licht treten lassen. O, Mr. Forster, was müßt Ihr nach dem, was Ihr von dem Benehmen der Eltern gehört habt, von den Töchtern denken?«

Und Isabel brach in Thränen aus.

Newton konnte sich nicht länger halten.

»Meine theure Miß Isabel, ich bitte, beruhigt Euch,« sagte er, indem er ihre Hand ergriff, welche nicht zurückgezogen wurde. »Wenn Euch Eure Lage schmerzlich fällt, so wird sie mir noch unendlich schmerzlicher – ja, viel schmerzlicher, weil ich sie nur beklagen kann und nicht wagen darf, Euch meinen Beistand anzubieten. Die Mittel zu Eurer Rückkehr könnte ich mir zwar leicht von Kapitän Drawlock verschaffen, aber würdet Ihr sie von mir annehmen? Ich weiß – ich kann nicht von Euch erwarten, daß Ihr es thut, und daß es unter solchen Umständen kränkend wäre, wenn ich sie Euch anbieten wollte. Bedenkt also selbst, wie peinlich es mir fallen muß, Zeuge Eures Unglückes zu sein, und doch einem Wesen, für das – oh mein Gott –« schloß Newton, seine Empfindungen unterdrückend.

»Ich fühle die Güte und die Zartheit Eures Benehmens, Mr. Forster; auch will ich aufrichtig zugestehen, daß ich, im Falle ich Euren Beistand annehmen könnte, gegen Niemand lieber verpflichtet sein möchte; aber die Welt wird es nicht gestatten.«

»Was soll ich thun, Miß Revel – soll ich Kapitän Drawlock aufsuchen?«

»Bleibt noch eine Weile – ich will es überlegen. Was würdet Ihr mir rathen? Sprecht Euch aufrichtig und als Freund aus, Mr. Forster.«

»Ich bin in der That stolz darauf, daß ihr mir diesen Titel zu Theil werden laßt – es ist Alles, was ich je zu hoffen wage; – aber Isabel (ich bitte um Verzeihung, Miß Revel, wollte ich sagen). –«

»Nicht doch, ich höre das nicht ungerne – warum nicht Isabel? Wir kennen einander lange genug, und in meiner Verlassenheit kömmt mir ein freundliches Wort –«

Isabel bedeckte das Gedicht mit ihrer Hand. Newton, der an ihrer Seite stand, wurde jetzt durch die Gewalt seiner Gefühle ganz hingerissen. Allmählig rückte er ihr näher, bis sich – vermuthlich in Folge desselben Prinzips, welches das ganze Weltall zusammenhält, nämlich der Attraktion – seinen Arm um Isabels Leib schlang und sie an seiner Schulter schluchzte. Es wurde Newton schwer, seine Seele nicht vor ihr auszugießen und die glühende Liebe zu bekennen, die er längst gegen sie gefühlt hatte; aber er wollte nicht von ihrer Lage Vortheil ziehen. Was hatte er ihr auch anders anzubieten, als sich selbst und Armuth? Er hielt deßhalb an sich, und die Worte blieben ungesprochen. Dennoch ahnete Isabel seine Gedanken, wußte sein Zartgefühl zu würdigen und liebte ihn dafür nur um so mehr.

»Isabel,« sagte Newton endlich mit einem Seufzer, »nie zuvor habe ich den Reichthum so zu schätzen gewußt und mich mehr darnach gesehnt, als eben jetzt. Bis auf diese Stunde fühlte ich nie das Elend, arm zu sein.«

»Ich glaube Euch, Mr. Forster, und bin Euch dankbar dafür, denn ich weiß, daß Ihr dieses Gefühl um meinetwillen unterhaltet. Doch,« fuhr sie fassend fort, »weinen und klagen führt zu nichts. Ich habe Euch um Euren Rath gebeten und Ihr habt mir nur Euern Arm gegeben.«

»Ich fürchte, es ist Alles, was ich Euch je anzubieten haben werde,« versetzte Newton. »Aber erlaubt mir nur eine einzige Frage. Isabel – seid Ihr fest entschlossen, das Haus Eures Verwandten nie zu betreten?«

»Nicht unter den demüthigenden Bedingungen, welche er daran geknüpft hat. Wenn der Obrist hieher kommt und mich mitnimmt, so will ich bei ihm bleiben, bis ich nach England zurückkehren kann; andernfalls unterwerfe ich mich aber lieber jeder Entbehrung, jeder ehrenhaften Demüthigung, ehe ich unter sein Dach trete. Es ist übrigens in der That nöthig, Mr. Forster, daß Ihr Kapitän Drawlock herbeiruft. Wir sind hier allein – es ist nicht schicklich; Ihr müßt das selbst auch fühlen.«

»Allerdings; aber Isabel, ich habe diesen Morgen dem Obristen einen kleinen Dienst geleistet, der mir vielleicht einigen Einfluß über ihn verleiht. Wollt Ihr mir erlauben, daß ich zu ihm zurückkehre und versuche, was ich thun kann? Es ist noch zwei Stunden bis zum Abend, und ich werde bald wieder hier sein.«

Isabel willigte ein. Newton eilte zu dem Obrist, welcher bereits zu seiner nicht geringen Verwunderung von den Dienstboten vernommen hatte, daß nur zwei Damen angelangt seien (er selbst hatte sie noch nicht gesehen). Der alte Gentleman war jetzt ruhig. Die Auseinandersetzung und die Ueberredungsgabe unseres Helden in Verbindung mit dem muthigen Benehmen Isabels gewannen endlich die Oberhand, um so mehr, da ihr Entschluß so gar nicht im Einklange stand mit der Ansicht, die sich der Obrist im Allgemeinen von dem weiblichen Geschlecht gebildet hatte. Er ließ seinen Wagen vorführen und machte sich, von Newton begleitet, nach dem Hotel auf den Weg, wo er eine Art von Entschuldigung vorbrachte (keine kleine Anstrengung für ihn) und seine Nichte bat, mit seinem Dache vorlieb zu nehmen. Nach einigen Minuten waren Isabel und der Obrist außer Sicht, und Newton blieb seinen Betrachtungen überlassen.

Ein paar Tage später erhielt Newton von dem Obristen eine Einladung zum Diner, welche er annahm – eine Gelegenheit, bei der er sich überzeugte, daß die Sachen besser gingen, als er erwartet hatte. Der alte Gentleman war von fernen Bekannten über die Erweiterung seines Hauswesens grausam verspottet worden und hatte nicht wenig unter der Geisel ausgeschlagen; aber im Ganzen schien er sich weit besser darein zu finden, als man wohl erwartet hätte. Newton bemerkte übrigens, daß er, so oft er von den drei Schwestern sprach, sie unabänderlich, als »meine Nichte und die beiden andern Frauenzimmer« bezeichnete.


 << zurück weiter >>