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Einunddreißigstes Kapitel

Wir armen Eintagsfliegen! welchen Planen
Folgt unser Geist nicht, von der Heimath fern;
Er jagt dahin auf ungemeinen Bahnen,
Das Ich nur wählend sich zum Leitestern.

Doch Sorg' eilt nach, um bald zu überholen
Das gute Schiff: ein kriegerisches Roß.
Dem Ziele treu, hängt sie sich an die Sohlen
Des Flüchtlings, schneller als der Winde Stoß.

Cowper.

Newton hatte schon vor dem Abschiede von seinem Onkel alle seine Vorbereitungen getroffen und eilte jetzt nach dem Schiffe zu Gravesend, um daselbst zu warten, bis die vier und zwanzig Bleiköpfe, welche in Leaden-hall-Street Bleihallenstraße. präsidirten, ihre Depeschen abgeschlossen hatten. Die Passagiere befanden sich mit Ausnahme eines schottischen Presbyterianer-Geistlichen und seines Weibes noch am Lande, in den Wirthshäusern der Stadt bis auf den letzten Augenblick zögernd, ehe sie das Festland gegen so viele Monate von Himmel und Wasser vertauschten, und jeden Tag von dem Kapitän des Schiffs einen Besuch erhaltend, der ihnen der Reihe nach die Aufwartung machte und Kunde über jedes Gerücht brachte, das er über die wahrscheinliche Zeit der Abreise aufgefangen hatte.

Als Newton an Bord anlangte, wurde er von dem ersten Maten, einem rauschen, gutmüthigen und einsichtsvollen Vierziger, dem er bereits bei Ueberbringung seines Briefs von dem Direktor durch den Kapitän vorgestellt worden war, empfangen.

»Schön, Mr. Forster; Ihr kommt in guter Zeit. Da wir wahrscheinlich für eine oder zwei Reisen Schiffskameraden sein werden, so hoffe ich, daß wir uns gut mit einander stellen können. Doch jetzt wollen wir an Euer Gepäck gehen.«

Er wandte sich dann um und redete in der Hindusprache zwei oder drei Laskaren (schöne olivenfarbige Männer mit krausem, schwarzem Haar) an, welche sich unverweilt in Bewegung setzten, um die Habseligkeiten unsres Helden heraufzuschaffen.

Der erste Mate begab sich mit einem »Entschuldigt mich für einen Augenblick« nach dem Vorderschiffe, um den englischen Matrosen einige Befehle zu ertheilen, und überließ es Forster, sich auf dem Schiffe umzusehen. Wir wollen das Ergebniß seiner Beobachtungen zum Besten unserer Leser hier niederschreiben.

Der Indienfahrer war ein Schiff von zwölfhundert Tonnen, so groß als ein Vierundsiebenziger in des Königs Dienst, stark gebaut, mit hohen Schanzen und auf dem oberen Decke für achtzehn Kanonen gebohrt, die auf dem Halbdecke und in der Back aufgefahren waren. Hinten ragte die dreißig bis vierzig Fuß lange Kampagnie über die Schanzen empor, und unter derselben befand sich das Speisezimmer nebst den Staatskajüten für die Reisenden. Die Kampagnie, zu der man auf beiden Seiten durch die Vermittlung von Leitern gelangte, war mit langen Reihen von Käfigen besetzt, in denen unterschiedliches Hausgeflügel wohnte und in glücklicher Ungewißheit dem Tage entgegen sah, wann es die üppige Tafel des Kapitäns zieren sollte. Aus einigen streckten Truthühner ihre langen Hälse hervor und pickten nach den Ameisen, die in ihrer Emsigkeit über die Decken wanderten. Aus andern hörte man das unablässige Krähen der Hähne und das Gackern der Hühner, während wieder anderswo die Gänse, in Reihe und Glied aufgepflanzt, nur auf das Signal einer Kamerädin warteten, um in ein einstimmiges Geschnatter auszubrechen, das dann auch ebenso plötzlich wieder aufhörte. Ein Käfig antwortete dem anderen in wechselnden Mißtönen, während der Geflügelwärter umherging, um die Bedürfnisse so vieler Hunderte, die seiner Pflege anvertraut waren, zu befriedigen.

An den Spieren vor dem Hauptmaste hingen die großen Boote, welche man vorsorglich bereits aufgehißt hatte. Auch sie bildeten gewissermaßen die Abtheilung eines Meierhofs. Das Langboot enthielt ungefähr fünfzig so dicht zusammengekeilte Schafe, daß sie beim Kauen ihres Futters kaum Raum zur Bewegung ihrer Kinnladen fanden. Die Sternschooten der Barke und der Jolle waren mit Ziegen und zwei Kälbern angefüllt, die zuerst dem Messer des Schlächters anheim fallen sollten, während der übrige Theil des Raumes Heu und anderen Futtervorrath aufbewahrte, der durch irgend eine gewaltige Maschinerie in die engsten Gränzen zusammengepreßt worden war. Das gelegentliche Blöcken und Meckern auf den Spieren wurde durch das Gebrüll der drei Milchkühe unter den Luken des Deckes beantwortet, wo sich gleichfalls einige weitere Ställe mit Geflügel und Kaninchen befanden. Die Scheide des Vorderschiffs war den Schweinen angewiesen; da jedoch die Kabel noch nicht aufgeschlagen, deßgleichen auch die Klüszapfen eingesetzt waren, so bestand ihr Gefängniß aus zwischen den Hauptdeckkanonen angebrachten Gittern, wo sie jeden Vorübergehenden angrunzten, als sprächen sie ihn um Fressen an.

Die Boote auf den Schanzen und die Ladetackel der Jütten, an welchen sie aufgehängt waren, bildeten den Küchengarten, aus welchem die Passagiere versehen wurden, und waren mit Zwiebel-, Kartoffel-, Rüben-, Möhren- und Kohlsäcken beladen; namentlich hingen letztere in ihren vollen, runden Verhältnissen an den Ladetackeln, als wären sie riesige Rosenkränze, deren Ausstellung ein muhamedanischer Despot aus Zorn oder Laune befohlen.

Forster stieg die Leiter des Hauptdecks hinab, welches er gleichfalls mit Passagierskajüten sammt dem dazu gehörigen Gepäcke, Bettzeug und sonstigen Gegenständen, die noch nicht in den Raum geschafft worden waren, überladen fand. Die Luken des Unterraums standen offen, und die allenthalben aufgehangenen Laternen zerstreuten theilweise die Dunkelheit, so daß man die wirren Umrisse von Ballots und anderem Gepäcke unterscheiden konnte. Zimmerleute zersägten Bretter, Segelmacher versahen den untern Theil eines alten Hauptsegels mit Tauen, Diener gingen mit Schüsseln hin und her, Laskaren plapperten in ihrer eigenen Sprache, britische Matrosen verfluchten wie gewöhnlich ihre Augen in einfachem Englisch – kurz Alles schien unserem Helden höchst verwirrt und unmethodisch betrieben zu werden, obgleich er sich nachher gestehen mußte, daß er zu vorschnell geurtheilt hatte. Wo eine große Menschenmenge versorgt und das Gepäck so vieler Leute, von dem schwersten Koffer an bis zur zerbrechlichsten Schachtel, gesondert aufbewahrt werden muß, während es zugleich auch gilt, die Ladung einzunehmen und das Schiff seefertig zu machen, kann es nicht ohne Verwirrung abgehen. In wenigen Tagen findet aber Alles seinen Platz und zwar in einer Weise, daß es gefunden wird, sobald man es braucht.

Nach dem an Bord der ostindischen Schiffe geltenden Regulative hatte Forster seinen Tisch bei den jüngeren Maten, den Midshipmen, dem Wundarztgehülfen und so weiter, da nur die ersten und zweiten Maten berechtigt waren, beständig die Kapitänstafel zu theilen, obschon auch die Uebrigen hin und wieder eingeladen wurden.

Forster stellte sich bald auf einen vertraulichen Fuß mit seinen Schiffskameraden; sie werden jedoch auf der Bühne erscheinen, sobald es ihre Rollen verlangen, weßhalb wir uns vorderhand auf eine Schilderung des Kapitäns und der Passagiere beschränken wollen.

Kapitän Drawlock war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren und der Sage nach in seiner Jugend sehr wild gewesen. Einige seiner Kollegen pflegten ihn oft damit zu necken, indem sie unterschiedliche Schwänke aus seinen früheren Tagen erzählten, obschon ihm die Erinnerung daran nicht sehr angenehm zu sein schien. Mochten nun die übrigen Kapitäne in ihren Behauptungen Recht haben oder nicht, soviel war wenigstens gewiß, daß sich Kapitän Drawlocks Charakter zu der Zeit, in welcher wir ihn vorstellen, ganz anders gestaltet hatte. Er war sehr gesetzt, lächelte selten und schien eine besonders hohe Meinung von der Bedeutsamkeit des in ihn gesetzten Vertrauens namentlich in Betreff der unter seinen Schutz gestellten jungen Frauen zu unterhalten. Er sprach viel von seiner Verantwortlichkeit und theilte seine ganze Zeit zwischen seinen Chronometern und seinen jungen Damen, an denen beiden er auch nicht den mindesten Fehler leiden konnte. Die Abweichungen der ersteren regelte er sorgfältig und die der letzteren erhielten gehörige Rüge, denn wenn er dort die Sicherheit seines Schiffes gefährdet glaubte, so stand hier in gleicher Weise der Ruf desselben auf dem Spiele. Boshafterweise wollte verlauten, daß die Frauenzimmer der bei Weitem sündigere Theil von beiden sei, noch mehr aber, daß man in dem strengen Benehmen des Kapitän Drawlock nur Verstellung suchen müsse, denn er sei so empfänglich wie der jüngste Offizier des Schiffs, und die Weiber hätten dies lange vor Beendigung der Reise ausgefunden.

Es ist bereits bemerkt worden, daß sich sämmtliche Passagiere noch am Lande befanden, einen presbyterianischen Geistlichen und sein Weib ausgenommen, deren Reisekosten durch eine Subscription der Frommen zu Glasgow gedeckt wurden, welche zwar eifrig zu beten, zugleich aber ihre Andacht mit dem vortrefflichsten Punsch zu beleben pflegten. Der würdige Gottesdiener (denn das war er) dachte fast an nichts Anderes, als an seinen Beruf, und war ein aufrichtiger, begeisterter Mann, der sich durch keine Rücksicht von dem abhalten ließ, was er für seine Pflicht hielt; auch war er, wo er rügen mußte, in seinem Tadel mild und nie leidenschaftlich. Streng in seinem Glauben, der nirgends einen Schlupfwinkel offen ließ, durch welchen ein Sünder entschlüpfen konnte, zeigte er doch sogar in seinen Verweisen ein Wohlwollen und eine Demuth, die seinem Eifer alles Beleidigende benahm und oft zu ernsten Betrachtungen Anlaß gab. Seine Gattin war eine große schöne Frau, die sich augenscheinlich in allen Punkten, die nicht mit dem Berufe zusammenhingen, die Oberherrlichkeit über ihren Mann angemaßt hatte. Auch sie war fromm, obgleich sie nicht die ächte Religion besaß, der die Liebe zur Grundlage diente. Sie sprach selten, aber die wenigen Worte, die ihren Lippen entglitten, hatten stets eine sarkastische Tendenz.

Die am Lande befindlichen Reisenden waren zahlreich – darunter ein alter Obrist, der von einem dreijährigen Urlaub zurückkehrte, welchen er größtentheils zu Cheltenham verbracht hatte. Er war ein sechzigjähriger Adonis mit gelben Wangen und weißen Zähnen, ein Mann, der sein Leben in Nichtsthun verbracht hatte und zu seinem Range gestiegen war, ohne je in ein Treffen zu kommen – eine einzige Gelegenheit ausgenommen, auf die er sich sehr viel zu Gute that. Mit einer guten Konstitution und einem glücklichen Temperament war er in der Gesellschaft, in welcher er eine Rolle gespielt hatte, alt geworden, ohne es zu merken, weßhalb er bei dem anderen Geschlecht immer noch derselbe Gegenstand des Interesses zu sein glaubte, der er als fünfundzwanzigjähriger Kapitän mit guten Aussichten gewesen war. In genügsamer Unterhaltung hatte er die Blätter des Lebensromans so ununterbrochen durchblättert, daß er beinahe an der letzten Seite angelangt war, ohne sich des Umstandes bewußt zu werden, daß es auf das Ende losging.

Dann waren auch zwei Kadetten von dem Kollege da, die sich gewaltig viel auf sich selbst und ihre Bedeutsamkeit einbildeten. Ihre Eltern hatten sie reichlich mit Geld und Rath ausgestattet, die beide in gleicher Weise bestimmt waren, in die Winde zu gehen. Ferner gehörte unter die Passagiere ein junger Schriftsteller, der viel von seiner Mutter, der Lady Elisabeth, und anderen hohen Verwandten sprach; dieselben schickten ihn nach Indien, damit er dort entweder durch die Cholera oder durch einen einträglichen Posten versorgt werde, eine Alternative, die seinen wohlwollenden Freunden völlig gleichgültig war. Dann – laßt mich sehen – oh! da waren auch zwei Offiziere von einem Regiment auf St. Helena, die sich weit längerer Zungen als Börsen erfreuten und des Vormittags sich herabließen, den schönern Exemplaren des zweiten Geschlechts Unsinn vorzuschwatzen, während sie am Abend bemüht waren, den männlichen Schwachköpfen einige Pfunde abzugewinnen.

Doch alle diese waren nichts in den Augen des Kapitäns Drawlock – nur ein Theil seines Kargos, für den er nicht einzustehen hatte. Der wichtigste Theil der ihm anvertrauten Güter bestand aus vier unverheiratheten Damen, von welchen drei jung, schön und arm, die vierte häßlich und alt, aber zugleich reich war.

Wir müssen dem Reichthum und dem Alter den Vortritt einräumen. Die letzterwähnte Dame war eine Miß Tavistock, geboren und erzogen in der City, wo ihr Vater lange an der Spitze der weitbekannten Firma Tavistock, Bottlecock und Comp. Färber Tuchwalker und Fleckenreiniger, gestanden hatte. Sie war die glückliche einzige Erbin von ihres Vaters Reichthum, der sich fast bis auf dreißigtausend Pfund belief; was übrigens die Gaben der Natur betraf, so war sie in dieser Hinsicht ziemlich vernachlässigt geblieben. Man konnte in Wahrheit von ihr sagen, daß sie das Privilegium, häßlich zu sein, mißbrauche, denn ihr Bau war groß und männlich, ihr Haar roth und ihr Gesicht tief von Pocken gefurcht. Wäre sie ein Mann gewesen, so würde man sie als die Essenz der Gemeinheit betrachtet haben, so aber konnte sie mit Fug die Quintessenz derselben genannt werden – ein Umstand, dem es zuzuschreiben war, daß sie ihr sechsunddreißigstes Lebensjahr erreicht hatte, ohne daß ihr, trotz ihrem Vermögen, genügende Aufmerksamkeit zu Theil geworden wäre, um sie als eine Werbung zu deuten. Da wir stets dasjenige, dessen Erringung uns am schwierigsten wird, mit dem meisten Eifer suchen, so besaß sie eine eigentliche fureur de se marier; und als letzten Ausweg hatte sie sich vorgenommen, nach Indien zu gehen, wo, wie man sie glauben gemacht, »Alles, was weiß war« auf Abnehmer zählen durfte. Diese Leidenschaft für den Ehestand – denn es war eine eigentliche Leidenschaft, wo nicht gar eine Krankheit – beschäftigte alle ihre Gedanken, obschon sie dieselbe stets durch eine affektirte Empfindsamkeit und Zartheit zu bemänteln suchte. So schrack sie zum Beispiel vor Allem zurück, was nur im Geringsten auf das »Wachsen und sich mehren« hindeutete; auch klagte sie ohne Unterlaß über die außerordentliche Gebrechlichkeit ihrer Konstitution, die mit ihrem athletischen Knochenbau in so entschiedenem Widerspruche stand, daß sämmtliche Zuhörer ob dieser keckstirnigen Behauptung verstummten. Miß Tavistock hatte eine fleißige Korrespondenz mit einer alten Schulfreundin unterhalten, die in früher Jugend zu ihren Verwandten nach Indien gezogen und daselbst in den Ehestand getreten war. Je mehr ihre Hoffnungen auf die Freuden des Familienlebens hinschwanden, desto mehr schien sich die Zuneigung zu ihrer alten Freundin zu steigern. Endlich erklärte sie in Beantwortung eines Briefes, daß sie wohl auch gerne Indien sehen und – da sie sich längst entschlossen habe, ledig zu bleiben – eines der Kinder ihrer Freundin adoptiren möchte, um sodann ihre Tage in dem Familienkreise der Letzteren zu beschließen. Diesem Schreiben folgte eine Erwiederung, in welcher die Freundin sich glücklich schätzte, sie bei sich aufzunehmen und das alte vertraute Verhältniß zu erneuern, wenn Miß Tavistock es anders über sich gewinnen könne, eine so lange und gefährliche Reise zu wagen. Ob diese Antwort aufrichtig war, oder nicht ist uns unbekannt – genug, Miß Tavistock machte von der Einladung Gebrauch, meldete ihre baldige Ankunft, und ging als Passagier auf dem Bombay-Castle an Bord.

Die drei andern Jungfrauen waren Schwestern – Charlotte, Laura und Isabell Revel, Töchter des hochwohlgeborenen Mr. Revel, eines Roué von vornehmer Familie, der eine Geldheirath gemacht und die Habe seiner Frau bis auf ihr Witthum, aus jährlichen sechshundert Pfund bestehend, vergeudet hatte. Ihre Mutter war eine eigennützige, kurzsichtige, intrikante Frau, die sich's eifrig angelegen sein ließ, ihre Töchter zu versorgen, oder, mit anderen Worten, den Aufwand ihrer Unterhaltung von den eigenen Schultern auf die anderer Leute abzuwälzen, gleichviel ob die armen Geschöpfe dadurch glücklich wurden oder nicht. Mr. Revel war so zu sagen seiner Familie längst desertirt. Niemand wußte, wo er sich umtrieb, und er ließ sich nur dann blicken, wenn es ihm um Brandschatzung seiner Gattin zu thun war, welche sich durch seine Bitten und Drohungen genöthigt sah, vielleicht mehr als die Hälfte ihres Einkommens zu opfern, um ihn nur sich wieder vom Halse zu schaffen. Bei solchen Gelegenheiten nahm er von seinen Töchtern nur wenig Notiz, und wenn es je der Fall war, so geschah es in der Regel in Ausdrücken, die mehr darauf berechnet waren, die Schamröthe der entrüsteten Bescheidenheit zu erregen, als die natürlichen Gefühle kindlicher Liebe anzufachen. Die Mutter, deren Einkommen nicht zureichte, um die Anforderungen eines elenden Gatten und den nothwendigen Aufwand für drei erwachsene Mädchen zu befriedigen, war unablässig bemüht, letztere an den Mann zu bringen. Wir wollen jedoch ein Gespräch anführen, das zwischen ihr und einem gesetzt aussehenden, gepuderten alten Gentleman statt fand, den man lange als einen »Freund der Familie« betrachtet hatte; der Leser wird daraus vielleicht einen besseren Blick in ihren Charakter zu thun vermögen.

»Die Sache ist nämlich die, mein theurer Mr. Heaviside, daß ich kaum weiß, was ich thun soll. Mr. Revel, der auf sehr vertrautem Fuß mit den Leuten vom Theater steht, meint, sie sollten ihr Glück auf der Bühne versuchen. Er sagt – und es liegt in der That etwas Wahres darin – daß heut zu Tage der Mann nichts Besseres thun kann, um sich populär zu machen, als wenn er sich nach Newgate schicken läßt, während ein Mädchen die schönste Aussicht gewinnt, sich ein Adelskrönlein zu erringen, wenn sie Schauspielerin wird. Nun, der Gedanke wollte mir nicht sonderlich gefallen, aber am Ende stimmte ich ein. Isabel, meine Jüngste, ist, wie Ihr wißt, sehr hübsch von Person und singt merkwürdig gut; wir haben daher das Abfinden getroffen, daß sie den Anfang machen und, im Falle es ihr gelinge, Charlotte ihr folgen sollte. Aber Isabel hat einen sehr störrischen Charakter, und als wir ihr den Vorschlag machten, weigerte sie sich mit Entschiedenheit, indem sie erklärte, sie wolle lieber Gouvernante oder alles Andere werden, als auf's Theater gehen. Ich redete ihr in Güte zu, und ihr Vater versuchte es mit Drohungen, aber es war Alles vergebens. Dies geschah vor ungefähr einem Jahre, und sie ist jetzt erst siebenzehn; aber sie war stets von sehr entschiedenem und starrköpfigem Charakter.«

»In der That sehr pflichtwidrig, Ma'am; sie könnte jetzt bereits eine Herzogin sein. Wahrhaftig, Ma'am, das ist ein sehr thörichtes Mädchen,« bemerkte der Gentleman.

»Ach, freilich, Mr. Heaviside. Wir dachten dann, Charlotte, unsere älteste, hätte die beste Aussicht auf einen guten Erfolg, obschon sie keineswegs so hübsch ist, wie ihre Schwester. Offen gestanden, Mr. Heaviside – ich würde das natürlich nicht Jedermann anvertrauen, aber ich weiß, daß Ihr ein Geheimniß bewahren könnt – Charlotte ist nun nahezu dreißig – und ihr Schwester, Laura, nur um ein einziges Jahr jünger.«

»Ist's möglich, Ma'am!« versetzte Mr. Heaviside, die Dame mit wohlgespieltem Erstaunen ansehend.

»Freilich,« entgegnete die Dame, welche vergessen hatte, daß sie auch ihr eigenes Geheimniß verrieth, während sie die ihrer Töchter ausschwatzte; »aber ich trat so jung, so gar jung in die Ehe, daß ich mich fast schäme, wenn ich daran denke. Nun, Mr. Heaviside, wie ich sagte – obgleich sie nicht so hübsch ist, als ihre Schwester, so meint doch Mr. Revel, der sich auf derartige Dinge versteht, daß Charlotte in der Theaterbeleuchtung sich als ein recht schönes Frauenzimmer präsentiren würde. Wir machten ihr den Vorschlag, auf den sie auch nach einigem Schmollen einging; die einzige Schwierigkeit blieb nur noch, ob sie es mit der Tragödie oder mit der Komödie versuchen sollte. Ihre Züge schienen etwas zu scharf für das Lustspiel und ihre Figur nicht ganz groß genug für das Trauerspiel zu sein. Sie selbst zog das Letztere vor, was der Sache den Ausschlag gab, und Mr. Revel, der alle Schauspieler kennt, beredete Mr. Y. (Ihr wißt, wen ich meine, den großen Tragöden), uns zu besuchen und seine Ansicht über ihre Deklamation abzugeben. Mr. Y. war außerordentlich höflich und erklärte Charlotte für eine junge Dame von großem Talent, meinte aber, ein leichtes Lispeln, das sie an sich habe, qualificire sie durchaus nicht für die Tragödie. Natürlich kam nun die Komödie in Vorschlag, auf welche sie einige Zeit viel Studium verwendete, und als wir meinten, sie hätte sich gehörig eingeübt, bewog Mr. Revel den großen Mr. M. bei uns einzusprechen, um sein Gutachten abzugeben. Wir glaubten, Charlotte habe ihre Rolle zum Wunder gut durchgeführt, und als sie fertig war, verließ sie das Zimmer, damit Mr. M. durch ihre Abwesenheit in den Stand gesetzt werde, seine Ansicht unbefangen zu äußern.«

»Und sie fiel natürlich günstig aus, Ma'am, denn wenn sie für das Eine nicht paßte, mußte sie natürlich für das Andere wie geschaffen sein.«

»So dachte ich auch,« versetzte die Dame auf diese höfliche Folgerung des Gentleman. »Aber Mr. M. ist ein gar wunderlicher Mann und – ich muß sagen – nicht sehr höflich. Was haltet Ihr davon, Mr. Heaviside? – sobald sie das Zimmer verlassen hatte, stand er von seinem Stuhle auf, zog, während er mir in's Gesicht sah, die Mundwinkel in die Höhe und sagte:

»›Madame, ich bin der Meinung, daß das Spiel Eurer Tochter, so oft sie auf den Brettern auftritt – um mich eines Yakeeausdruckes zu bedienen – ganz besonders verdammt sein wird! Ich wünsche recht guten Morgen.‹«

»Das ist in der That sehr roh, Madame – im höchsten Grade unhöflich von Mr. M. Ich hätte nicht geglaubt, daß es möglich wäre.«

»Nun, Mr. Heaviside, kommen wir auf das arme Ding, die Laura! Ihr wißt, daß sie wohl ein bischen gescheiter sein könnte, denn sie hat nie ein Gedächtniß gehabt. Schon als Kind konnte sie sich das Nachtgebet nicht merken, wenn sie es zwei Abende übergangen hatte, und so ist natürlich bei ihr vom Theater keine Rede, demnach auch jede Hoffnung auf eine glänzende Versorgung durch diesen Kanal verschwunden. Was würdet Ihr mir vorschlagen, mein theuerster Mr. Heaviside?«

»Ach, Ma'am, es ist in diesen Zeiten wahrhaftig sehr schwer zu rathen; aber wenn Ihr Eure Töchter so gerne versorgt wissen möchtet, warum schickt Ihr sie nicht nach Indien?«

»Wir haben auch schon mehrere Male daran gedacht; denn Mr. Revel hat dort einen unverheiratheten Onkel, der sehr reich sein soll. Er ist, glaube ich, Obrist bei der Bombay-Marine.«

»Ihr wolltet wahrscheinlich sagen, bei der bengalischen Armee, Ma'am?«

»Ja, ich glaube, Ihr habt Recht; jedenfalls ist er nicht im Dienste der Kompagnie. Aber der alte Gentleman haßt meinen Gatten und will nichts mit ihm zu schaffen haben. Ich schrieb ihm einen sehr höflichen Brief, in welchem ich ihm andeutete, wie gerne ich ihm eine oder zwei von meinen Töchtern zu Führung seines Hauswesens abträte, aber er ließ sich nie herab, mir eine Antwort zu geben. Wie ich höre, ist er ein sehr unangenehmer Mann.«

»Ein schwieriges Ding, hier zu rathen, Ma'am, in der That, sehr schwierig; aber ich kann Euch einen Umstand mittheilen, der sich vor vier Jahren zutrug, als einer meiner Freunde ein ähnliches Gesuch an einen Verwandten in Indien stellte. Es fand dieselbe Mißachtung wie das Eurige; da übrigens angenommen wurde, die Antwort sei verloren gegangen, so schickte man die junge Dame mit einer anständigen Ausstattung an ihren Verwandten, und gab ihr ein Empfehlungsschreiben mit. Der Vetter war allerdings sehr überrascht, aber was konnte er thun? Er konnte doch die junge Dame nicht ohne Obdach lassen, und nahm sie daher in sein Haus auf; auch schwieg er weislich über die Art, wie er zu seinem Gaste gekommen war. Das Frauenzimmer machte nach drei Monaten eine sehr gute Heirath und schickt meines Wissens beharrlich indianische Shawls und andere schöne Sachen nach Hause, die sie ihrer Mutter zum Geschenke macht.«

»Ihr rathet mir also wirklich, Mr. Heaviside?«

»Es ist schwer, außerordentlich schwer, in einem so kitzlichen Punkte zu rathen. Ich gebe nur eine Thatsache an, meine theure Madame, sollte übrigens fast meinen, daß der Obrist weibliche Gesellschaft vermissen muß. Doch Gott behüte – es ist fast 2 Uhr. – Guten Tag, meine theure Mrs. Revel – guten Tag.«

»Guten Tag, mein theurer Mr. Heaviside; es ist sehr schön von Euch, daß Ihr mich so freundlich besucht und ein paar Stündchen mit mir plaudert. – Guten Tag.«

Das Resultat des gedachten Gesprächs war eine Konsultation zwischen Mr. Revel und seiner Gattin, die bei der nächsten Zusammenkunft statt fand. Mr. Revel war ganz entzückt über den Plan, nicht so fast, weil es ihm am Herzen lag, seine Töchter zu versorgen, sondern weil er sich in dem Vorgenusse des Aergers freute, den sein Onkel haben würde, auf welchen er einmal große Erwartungen gebaut hatte. Es war jedoch nöthig, namentlich gegen Isabel mit Umsicht zu handeln, weshalb Mr. Revel bei dem nächsten Besuche die Gelegenheit ersah, anzudeuten, er habe von seinem Onkel in Indien einen Brief erhalten, in welchem derselbe den Wunsch ausdrücke, daß eine seiner Töchter zu ihm komme und bei ihm lebe. Einige Monate später brachte er einen weiteren Brief, den er selbst aufgesetzt und durch eine andere Hand hatte abschreiben lassen: dieser enthielt die angelegentliche Aufforderung, sie Alle möchten zu ihm kommen, da es nicht ihr Schade sein würde. Das Widerstreben der beiden ältesten Töchter wurde durch die Hoffnung glänzender Versorgungen, die man ihnen in Aussicht stellte, beseitigt, und Isabel willigte ein, weil die Eltern auf ihren Nothstand und ihre Schulden hinwiesen, die nothwendig mit dem Bettelstabe enden müßten, wenn nicht die Töchter ihren Eltern die Last der Ernährung abnähmen.

Mrs. Revel ließ ihr Leben versichern und nahm die für die Fahrt erforderliche Geldsumme auf ihr Leibgeding auf; dann wurden die drei Miß Revels von ihren liebevollen Eltern auf Gerathewohl am Bord des Bombay-Castle eingeschifft.


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