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Neunzehntes Kapitel

Der Mensch jedoch, der stolze Mensch,
Gekleidet in ein kleines, kurzes Amt
Und nicht erkennend, was er wissen sollte –
Daß es auf Stunden nur – spielt wie ein Affe
In seiner Dummheit solche Narrenstreiche
Im Angesicht des Himmels.

Shakspeare.

Das Riff, auf welchem die Brigg gestrandet hatte, gehörte zu der langen Kette, welche sich südlich von den virginischen Inseln ausdehnt. Newton hatte beabsichtigt, gut ostwärts zu steuern, um eine der nördlichsten englischen Kolonieen zu erreichen; da er aber keinen Compaß besaß, hielt er sich natürlich nicht in sonderlich gleichem Kurse. Er steuerte sogar eher gen Süden, und während er schlief, rann das Boot noch weiter von seinem Kurse ab, denn es stand auf dem Backbordgange und hatte außer Newton, der hinten in den Sternschooten lag, keine weitere Last, weshalb es sich nicht geneigt fühlte, seinen Wind zu halten. Newtons Schlaf war so tief, daß ihn weder das Zerren der großen Schoote, die er sich mit einem runden Schlage um die Hand gedreht hatte, noch das Tanzen des Bootes, welches während der Nacht schnell vor einer sich steigernden Brise dahinlief, aus seiner Lethargie weckte. Das Boot segelte weiter und überließ den Steuergang der Vorsehung, während Newton fortschlief, als setze er auf dieselbe gleichfalls sein festes Vertrauen. Erst mit Tagesanbruch wurde seine Ruhe sehr plötzlich durch einen Stoß unterbrochen, der ihn von den Sternschooten des Bootes über den hintersten Dost warf. Als Newton wieder zur Besinnung und auf die Beine kam, befand er sich neben der Seite eines Schiffes. Sein Vorsteven war gegen einen kleinen Schooner angerannt, der vor Anker ritt. Da das Boot schnell vorbeitriftete, so machte Newton einen Sprung und erreichte das Verdeck des Schiffes.

» Ah! ah! mon Dieu – les Anglais – les Anglais – nous sommes prisonniers!« rief der einzige Mann auf dem Decke, der auf die Beine sprang und eiligst in den Raum hinuntertauchte. Das Schiff, von welchem Newton in dieser Weise Besitz genommen hatte, hatte die Bestimmung, Zucker von den Pflanzungen nach Basse-terre, dem Hafen von Guadeloupe, zu bringen, wo derselbe nach Europa eingeschifft werden sollte; Newtons Boot war nämlich so weit südlich gelaufen, um diese Insel anzuthun. Der Schooner lag an der Mündung eines kleinen Flusses vor Anker und wartete auf seine Ladung.

Die Mannschaft des Schooners, die aus lauter Sklaven bestand, hatte sich bei dem Zusammenstoße der beiden Fahrzeuge ganz in Newtons Lage befunden; sie lag nämlich in tiefem Schlafe. Der Anprall hatte sie geweckt; aber sie waren Alle unten, den einzigen ausgenommen, der so merkwürdig gute Wache gehalten hatte.

Erschöpft, wie Newton war, konnte er nur über seine ungestörte Besitznahme der Schiffsdecken lächeln. Gespannt einem Verkehr mit den Leuten an Bord entgegensehend, setzte er sich nieder und wartete, bis Jemand heraufkam. Nach einigen Minuten bemerkte er, daß sich ein schwarzer Kopf langsam und scheu aus der Vorderluke erhob und dann wieder verschwand. Ein anderer tauchte auf huschte aber gleichfalls wieder hinunter, und so ging es fort, bis Newton zehn verschiedene Gesichter gesehen hatte. Nachdem sich männiglich überzeugt hatte, daß nur ein einzelner, unbewaffneter Mensch oben war, ermuthigten sich die Neger einigermaßen. Der Kopf, der zuerst zum Vorschein gekommen war, und einem vor Alter grauen Neger angehörte, tauchte wieder aus der Vorderluke auf und fragte Newton aus Französisch, wer er sei und was er wolle. Unser Held, der kein Wort von dieser Sprache verstand, schüttelte den Kopf, deutete durch Oeffnen der Hände und Ausbreiten seiner Arme an, daß er keine Vertheidigungsmittel besitze, und winkte ihm, heraufzukommen. Der Kopf des Mannes verschwand wieder, und nach einiger Zögerung krochen neun oder zehn Neger nacheinander die Vorderluke herauf, jeder mit einer oder der andern Sicherheitswaffe vorgesehen. Sie blieben im Vorderkastell des Schiffes, bis auch der letzte heraufgekommen war, und rückten dann auf einen Wink ihres grauköpfigen Führers in Masse gegen Newton an. Newton stand auf, deutete auf das Boot, das nur ungefähr eine Viertelmeile im Stern abgetriftet war, und gab ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß er Schiffbruch gelitten habe.

» Apparemment c'est un pauvre misérable, qui a fait naufrage,« bemerkte der alte Neger, welcher die Aufsicht über das Schiff zu führen schien. » Gustave Adolphe, tu parles bien l'anglais; demandez-lui les nouvelles,« fuhr der alte Mann fort, indem er, an den Hauptmast des Schiffes gelehnt, die Arme kreuzte und in der That sehr großartig aussah.

Gustav Adolph stand in dem Vorderschiffe, von den übrigen Negern abgesondert. Er war ein kleiner, fetter Bursche mit einem glänzenden Gesichte und einem Haare, das in ungefähr fünfzig kleine Zöpfe geflochten war. Er verbeugte sich zuerst gegen seinen alten Kommandeur, stemmte dann die Arme in die Seite und ging auf Newton zu, dem er voll in's Gesicht sah und dann sein Dolmetscheramt in folgender Weise begann.

»He da – God-dam –«

Newton lächelte.

» Oui, monsieur, c'est un Anglais.«

» Continuez, Gustave Adolphe,« versetzte der alte Neger mit majestätischer Miene.

Gustav Adolph nahm mit einer abermaligen Verbeugung wieder auf:

»He – woher komm?«

»Von Barbadoes,« entgegnete Newton.

» Monsieur, il vient de Barbadoes.«

» Continuez, Gustav Adolphe,« erwiederte sein Oberer mit einem Winken der Hand.

»Ich frag – wo gehen?«

»Wo ich gehe?« versetzte Newton. »Auf dem Boden.«

» Monsieur – il allait au port de Bo – den.«

» Bo – den?« wiederholte der alte Neger. » Où diable est ça?«

Nun wurde eine allgemeine Berathung gehalten, aus welcher sich herausstellte, daß man von einem derartigen Hafen in Westindien nie etwas gehört habe.

» Gustave Adolphe, demandez-lui si c'est un port anglais.«

»Ich frag – Bo – den – englisch Hafen?«

»Nein,« entgegnete Newton, durch diesen Irrthum belustigt; »ich möchte ihn eher neutral nennen.«

» C'est un port neutral, monsieur.«

» Gustave Adolphe demandez-lui de quelle île.«

»He, was Insel – Bo – den

Newton, der vor Hunger und Durst fast ohnmächtig war, fühlte sich vorderhand nicht geneigt, eine Unterhaltung fortzusetzen, die ihm unter andern Umständen viel Spaß gemacht haben würde. Er bedeutete daher dem Neger durch Zeichen, daß er zu essen und zu trinken wünsche.

» Monsieur,« bemerkte Gustav Adolph gegen den alten Neger, » le prisonnier refuse de faire reponse, et demande à manger et à boire.«

» Va lui en chercher, Gustave Adolphe,« versetzte der Alte. » Allons, messieurs,« fuhr er fort, sich an die andern Neger wendend; » il faut lever l'ancre de suite et amener notre prisonnier aux autorités; Charles Philippe, va chercher mon portvoix.«

Der Negerkapitän ging auf dem Decke des Schoners, der ungefähr dreißig Fuß lang sein mochte, hin und her, bis Charles Philippe mit dem Sprachrohre erschien. Dann schickte er sich an, das Schiff unter Segel zu bringen, was mit mehr Lärm und Geräusch geschah, als je in der englischen Marine vernommen wurde, selbst wenn der stolzeste Dreidecker sein Tuch dem Winde preisgab.

Gustav Adolph brachte, den erhaltenen Befehlen zufolge, unserem Helden einige Paradiesfeigen, ein großes Stück Salzfisch und eine Kalabasche mit Wasser. Letztere wurde augenblicklich an die Lippen gebracht und nicht abgesetzt, so lange noch ein Tropfen darin war, sehr zum Erstaunen des Negers, der nun wieder sein Englisch zu radbrechen begann.

»Ich sag – sehr gut – ob mehr?«

»Wenn Ihr so gut sein wollt,« versetzte Newton.

» Monsieur,« sagte Gustav Adolph zu seinem Kommandanten, » le prisonnier a soif, et demande encore de l'eau.«

» Va donc lui en chercher,« entgegnete der alte Neger, indem er mit seinem Sprachrohre winkte. » Charles Philippe, attention à la barre Das Ruder luvwärts an Bord., sans venir au vent, s'il vous plait. Matelots du gaillard d'avant,« fuhr er durch sein Sprachrohr brüllend fort; » bordez le grand foc Vorderkastellmatrosen, holt die Klüverschote nach hinten.

Nach zwei Stunden wurde der Schooner mit eben so viel Lärm und Wichtigthuerei, als er unter Segel gegangen war, vor Anker gebracht. Ein Boot, das einen Ruderer und zwei Andere fassen konnte, wurde vom Decke des Schiffes niedergelassen. Der Negerkapitän stieg zuerst für einige Minuten nach seiner Kajüte hinunter und kehrte, nach Negerart äußerst modisch gekleidet, wieder zurück, worauf er das Boot zu bemannen befahl.

Gustav Adolph bemannte sofort das Boot mit seiner eigenen Person, worauf der Negerkapitän höflich unsern Helden zum Eintreten winkte und dann selbst nachfolgte.

Gustav Adolph ruderte nach einem Landungsplatze, etwa zwanzig Ellen von dem Schooner.

» Gustave Adolphe, suivez en arrière, et gardez bien, que le prisonnier n'échappe pas.«

Mit diesen Worten ging Monsieur le capitain nach einem großen, weißen Hause, das mit seinen Nebengebäuden zweihundert Schritte von dem Ufer des Flusses ablag, voran. Bei seiner Ankunft wurde Newton von zwanzig oder dreißig Sklaven beiderlei Geschlechts umringt, welche zu plappern begannen und wegen des Fremdlings tausend Fragen an den Negerkapitän und Gustav Adolph stellten, die sich zu keiner Antwort herabließen.

» Monsieur de Fontanges – ou est-il?« fragte der alte Neger.

» Monsieur dort,« versetzte eine kleine weibliche Stimme.

Der Kapitän gerieth über diesen unglücklichen Umstand fast aus der Fassung, denn Niemand wagte es, den Gebieter zu wecken.

» Et Madame?« fragte er weiter.

» Madame est dans sa chambre.«

Eine abermalige Täuschung – denn auch dorthin durfte er sich nicht wagen; er führte deshalb unsern Helden, dem es nicht leid that, den sengenden Strahlen der Sonne zu entkommen, nach seiner eigenen Wohnung, wo eine alte Negerin, sein Weib, die Kunde über Newtons Gefangennehmung, um welche sich der Sklavenschwarm im Hof vergeblich abgemüht hatte, herausholte – aber Frauen haben so gewinnende Weisen an sich!


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