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Neunundvierzigstes Kapitel

Sie stand für eine Weil', wie Pythia
Auf ihrem Dreifuß, voll Begeisterung,
Die ihrem herben Elend sich entrungen
Gleich einem wilden Roß, das an den Banden
Des Herzens zerrte, bis es blutend riß.
Als endlich Kraft und Feuer ihr erlahmt.
Sank langsam nieder sie auf ihren Sitz
Und beugt' ihr klopfend Haupt auf ihre Kniee.

Byron.

Mit tiefem Schmerze ertheilte Newton die Weisung, den Schnabel des Schiffes wieder in die Richtung von England umzuwenden. Das seiner Obhut anvertraute Eigenthum war zu Werthvoll, als daß er hätte wagen dürfen, länger nach dem Piraten zu kreuzen, dessen überlegene Segelgeschwindigkeit ohnehin keine Hoffnung auf Erfolg bot. Madame de Fontanges' traurige Lage stimmte Alles, sogar die Matrosen düster, während der Schmerz des trostlosen Gatten, welcher denselben mit dem ganzen theatralischen Ungestüm seiner Nation laut werden ließ, stets auf's Neue die peinlichsten Erinnerungen weckte. Sie hatten ihre Reise vier Tage weiter fortgesetzt, ohne in den leichten, neckischen Winden eine bedeutende Strecke zurückzulegen, und wurden nun von einem jener dicken Nebel eingeholt, die man so häufig in der Breite des Caps de Verds findet, und die durch den sie begleitenden leichten Regen noch unangenehmer werden.

Am sechsten Tage gegen zwölf Uhr klärte sich der Horizont im Norden auf, und der Nebel wich in dieser Richtung vor einer starken Brise, welche das Wasser kräuselte. Newton, der auf dem Decke stand, bemerkte, daß der Wind genau aus der entgegengesetzten Seite von dem Strome der leichten Brise kam, für welche ihre Segel früher aufgeholt worden waren, weshalb er die Raaen des Windsor-Castle umbrassen ließ, um ihn aufzufangen. Der Stoß war stark, und das Schiff ganz auf der Seite, als man die Bramschooten und Ziehtaue nach der Weisung des wachhabenden Offiziers fliegen ließ. Der dichte Nebel im Lee begann sich nun gleichfalls zu verziehen, und wie sich der Himmel aufklärte, rief der Marquis de Fontanges, der an der Seite unseres Helden auf der Hütte stand, plötzlich aus:

» Voila un batiment!«

Newton blickte in die angedeutete Richtung und entdeckte durch den lichteren Nebel den Rumpf eines Schiffes, das ungefähr eine Viertelmeile im Lee des Windsor-Castle lag. Eine kurze Musterung überzeugte ihn, daß es der Pirate war, der, nicht sehr gewandt in Setzung seiner Segel, in Fesseln lag (wie es die Seeleute nennen) und vor dem Windstoße überhielte. Das Windsor-Castle lief eben frei, mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen in der Stunde.

»Steuerbord das Ruder– alle Hände an Bord – stätig so! Hurtig, meine Jungen – 's ist der Seeräuber! – Backbord ein wenig! Hurrah, ihr Leute! – tummelt euch, und er gehört uns – rasch!« Die Mannschaft, die auf dem Decke versammelt war, holte ihre Stutzsäbel von dem Kabstan, und ehe drei Minuten entschwunden waren, während welcher Zeit der Seeräuber sich nicht aus seiner Verlegenheit herauszuwinden vermochte, hatten sich Alle zum Kampfe gerüstet. Ihnen schloßen sich die flämischen Matrosen des neutralen Schiffes an, welche gar bedächtlich die Hände in die Hosentaschen steckten und ihre ungefähr zwei Fuß langen Messer herausholten, da sie diese Waffe jeder andern vorzogen.

Monsieur de Fontanges, der vor Ungeduld glühte, trat mit Newton an die Spitze der Matrosen. Als das Zusammentreffen der beiden Schiffe stattfand, manöverirte das Windsor-Castle so, daß es den Piraten nicht in den Grund segelte, sondern an der Seite vorbeischor, die Bollwerke des Feindes einstieß und seine Stengen wegführte, welche, von dem Drucke auf die Backstagen windwärts gezogen, auf das Windsor-Castle niederfielen und sich so in dessen Takelwerk verstrickten, daß die beiden Fahrzeuge nicht wieder getrennt werden konnten.

»Keinen Pardon, meine Freunde!« rief Monsieur de Fontanges, der in der Nähe des Haupttakelwerks mit einigen Matrosen an Bord des Piratenschiffes stürzte, während Newton und die Uebrigen mit gleichem Eifer über dessen Windvierung einbrachen.

Der Angriff war so rasch und ungestüm geschehen, daß die meisten Seeräuber nicht Zeit gehabt hatten, sich zu bewaffnen, was in Anbetracht ihrer überlegenen Anzahl den Kampf gleicher machte. Es folgte nun ein verzweifeltes Gemetzel, denn die Angegriffenen erwarteten und verlangten keinen Pardon. Auf beiden Seiten Schlag für Schlag, Wunde für Wunde, und Tod! Jeder Zoll des Deckes mußte mit rauchendem Blute bezahlt werden. Die Stimmen von Newton und Monsieur de Fontanges, welche ihre Mannschaft ermuthigten, wurden durch eine andere beantwortet – durch die des Seeräuberkapitäns, welcher seine Leute anfeuerte und sie um sich sammelte.

Newton konnte sich sogar in der Hast und Aufregung des Kampfes des Gedankens nicht erwehren, daß er diese Stimme schon früher gehört haben müsse. Der Widerstand war so hartnäckig, daß die englischen Matrosen nur wenig Grund gewinnen konnten. Die Seeräuber stürzten, aber wenn sie schon auf dem Decke lagen, erhoben sie ihre erschöpften Arme, um noch einen letzten Schlag der Rache zu führen, ehe ihr Lebensblut entströmt war, oder packten in den Zuckungen des Todes ihre Gegner mit den Zähnen. Eine Abtheilung jedoch, die, vermöge ihrer natürlichen Langsamkeit bisher fast neutral gewesen war, bahnte sich jetzt einen Weg in den Kampf – ich meine die flämischen Matrosen mit ihren langen Messern, deren sie sich mit so unverwüstlicher Ruhe bedienten, als trieben sie ein regelmäßiges Fleischergewerbe. Sie hatten das Haupttakelwerk des Schiffes gewonnen, stiegen über die Schwigtingen der Puttingtaue und brachen mit der ganzen Ruhe der Bären auf der andern Seite herein – ein Manöver, welches die Piraten auch in den Flanken blos stellte. In dem bunten Gewirre leisteten die Messer der Flamänder weit wirksamere Dienste, als die Waffen, mit welchen der Angriff empfangen wurde. Der Beistand der Flamänder wurde von den englischen Matrosen mit einem Hurrah begrüßt, und Letztere sammelten sich zu einem nachdrücklicheren Angriffe. Newtons Säbel hatte eben einen großen, gewaltigen Mann, der seit dem Beginne des Kampfes unverletzt in der Vorderreihe der Seeräuber gekämpft hatte, zu Boden gestreckt, als in Folge dieses Falles unser Held den Kapitän des Schiffes zu Gesicht bekam, dessen Gestalt durch die athletische Figur, welche Newton eben erlegt, verborgen gewesen war, obgleich seine Stimme ohne Unterlaß in das Getümmel schallte. Man denke sich aber das Erstaunen und die Entrüstung unseres Helden, als er sich jetzt einem Menschen gegenüber befand, von dem er geglaubt hatte, er sei längst abberufen worden, um für seine Verbrechen Rede zu stehen – wir meinen seinen früheren eingefleischten Feind, Jackson.

Jackson schien nicht weniger erstaunt zu sein, als er Newton erkannte, der, seiner Meinung nach auf der Sandbank zu Grunde gegangen war. Beide riefen sich gegenseitig mechanisch bei Namen und sprangen auf einander zu. Der Hieb von Newtons Säbel wurde parirt, aber zu gleicher Zeit senkte Monsieur de Fontanges den seinigen bis an's Heft in den Körper des Elenden. Unser Held hatte kaum noch Zeit, Jacksons Sturz mit anzusehen, als ein Tomahawk auf seinen Kopf niederfiel; seine Sinne schwanden und er lag unter den Todten auf dem Decke.

Ein Schrei – ein durchbohrender Schrei ließ sich vernehmen, als Newton fiel. Er kam von den Lippen eines Wesens, das mit zu angelegentlicher Angst, als daß sie sich schildern ließe, dem Ausgange des Kampfes entgegen geharrt hatte – von den Lippen Isabels, welche nach dem durch das Zusammenprallen der Schiffe herbeigeführten Krachen ihre Kajüte verließ, um von der Hütte aus Zeuge des Kampfes zu sein. Feuerwaffen wurden nicht gebraucht, da man keine Zeit gehabt hatte, sie zu laden. Es war daher auch kein verhüllender Rauch vorhanden – und alles bot sich offen ihren entsetzten Blicken dar. Ja, dort hatte sie gestanden, das Auge auf Newton Forster geheftet, wie er an der Spitze seiner Leute langsam das Deck des bestürmten Schiffes erreichte. Stumm, aber mit vor Angst geöffnetem Munde folgte sie allen seinen Bewegungen – ihr Auge haftete starr auf der Stelle, wo er kämpfte – ihn Hoffnung schwellte sich freudig an, als sie seinen Arm sich erheben und das Opfer fallen sah – aber dann ihr Entsetzen, als die Seeräuberwaffe nach einem Leben, das ihr so theuer war, zielte. Sie stand da wie eine Statue – ebenso weiß und ebenso schön – so regungslos, als sei sie in der That aus parischem Marmor gemeißelt worden. Hätte nicht das Klopfen ihres Busens den Sturm der ungestümen Gefühle bekündet, so würde man wohl geglaubt haben, daß im Innern Alles kalt sei. Newton fiel – alle ihre Hoffnungen waren dahin – sie stieß einen einzigen, wilden Schrei aus und brach besinnungslos zusammen.

Nach Jacksons Fall wurden die Piraten muthlos und leisteten nur noch schwachen Widerstand. Monsieur de Fontagnes bahnte sich mit blutigem Eisen einen Weg bis zum Hackebord und wandte sich dann, um das Gemetzel auf's Neue zu beginnen. Nach einigen Minuten hatten sich die Verzagtesten nach unten geflüchtet und ließen die wenigen Tapferen in Stücke hauen; das Deck des Piratenschiffes war im Besitze der britischen Mannschaft. Ohne inne zu halten, um ein wenig zu Athem zu kommen, stürzte Monsieur de Fontanges hinunter, um seine Gattin aufzusuchen. Die Kajütenthüre war verschlossen, wich aber der Gewalt seiner Anstrengung, und er fand Madame de Fontanges besinnungslos in den Armen ihrer Dienerinnen. Ein Schrei des Entsetzens bei dem Anblick des blutigen Säbels – ein anderer der Freude bei dem Erkennen des Gebieters – und nun folgte die Erklärung, daß Madame nur ohnmächtig geworden sei. Monsieur de Fontanges nahm seine Gattin in die Arme und brachte sie auf das Deck, von wo aus sie unter dem Beistand der Matrosen nach dem Windsor-Castle geschafft wurde und daselbst bald wieder zur Besinnung kam. Nach den ersten Liebkosungen galt es nun, eine unangenehme Frage an die Gattin zu stellen; sie betraf die Behandlung, welche Letztere an Bord des Piratenschiffes erlitten hatte, und wurde von Monsieur de Fontanges mit einer, für einen Franzosen sehr merkwürdigen ängstlichen Angelegentlichkeit vorgebracht. – » Il n'y a pas de mal, mon ami,« versetzte Madame de Fontanges. Dies war eine etwas jesuitische Antwort, und Monsieur de Fontanges wollte die weiteren Einzelheiten wissen. » Elle avait temporisé« mit den Schurken in der schwachen Hoffnung des Beistandes, der nun wirklich so gelegen und unerwartet gekommen war. Monsieur de Fontanges begnügte sich mit der Erklärung seiner Gattin, weshalb sich der Leser um das, was zwischen Jackson und Madame de Fontanges vorgegangen war, nicht weiter zu kümmern braucht. Mimi und Charlotte sprachen nicht mit solcher Zuversicht, sondern brachen, wenn sie gefragt wurden, in Thränen aus; sie nannten den Kapitän und den ersten Lieutenant des Seeräuberschiffs Barbaren, legten ihnen alle nur erdenklichen Beiwörter bei und beklagten sich bitter über die Behandlung, die ihnen angethan worden sei.

Wir verließen Newton gediehlt (wie sich Kapitän Oughton ausgedrückt haben würde) auf dem Decke des Piratenschiffes und Isabel ohnmächtig auf der Hütte des Windsor-Castle. Beide waren aufgenommen und nach ihren Kajüten geschafft worden, wo sie nach dem gewöhnlichen Brauche in Romanen und im wirklichen Leben wieder zur Besinnung kamen. Isabel war die erste, die sich wieder erholte, wahrscheinlich, weil eine Herzenswunde nicht ganz so ernstlicher Natur ist, als ein Schlag auf den Kopf. Zum Glück für Newton war der Tomahawk an der Schläfe abgeglitten, ohne den Schädel verletzt zu haben; er war dadurch betäubt worden, und außerdem hatte sich eine anständige Portion seines Skalpes losgetrennt, der jetzt wieder angelegt werden mußte. Ein Lanzet brachte ihn zur Besinnung, und der Wundarzt erklärte seine Wunde für ungefährlich, vorausgesetzt, daß er ruhig bliebe.

Newton fügte sich anfangs in den medizinischen Rath; aber ein paar Stunden später trat ein Umstand ein, welcher eine dermaßen wiederbelebende Wirkung übte, daß er, ungeachtet der von dem Blutverlust herbeigeführten Schwäche, das Kommando des Schiffes nicht abgeben mochte, sondern im Betreff des genommenen Fahrzeugs und der Gefangenen seine Befehle ertheilte, als ob nichts vorgefallen wäre. Was so wesentlich zur Genesung unseres Helden beigetragen hatte, bestand einfach darin, daß ihn, wie es eben gehen mochte, Mrs. Enderby für einige Minuten mit Isabel Revel allein ließ. Während dieser paar Minuten trug sich, wie es eben zu gehen pflegt, eine sehr interessante Scene zu, die ich nicht zu beschreiben bemüßigt bin; sie endigte übrigens damit, daß sich die betreffenden Partien, wie es eben zu gehen pflegt, ewige Treue gelobten. Ich habe oben bemerkt, daß Liebe und Mord ganz gute Freunde sind, und ein Hieb mit dem Tomahawk bildete nur das Vorspiel zu dem Niedersteigen des holden Gottes mit seinen heilenden Schwingen.

In dem schweren Kampfe waren von der Mannschaft des Windsor-Castle fünf Leute getödtet und eilf verwundet worden. Auch die Flamänder zählten drei Verwundete. Die Piraten hatten weit schwerer gelitten. Da kein Pardon gegeben wurde, so waren von fünfundsiebenzig Mann nur sechsundzwanzig übrig geblieben, die sich in den Unterraum geflüchtet und daselbst verborgen hatten. Diese wurden in Eisen unter das Halbdeck des Windsor-Castle gesetzt, um in England vor Gericht gestellt zu werden. Ich habe hier Gelegenheit, sie mit einem Worte abzufertigen, und will deshalb bemerken, daß sie durch Sir William Scott, der bei dieser Gelegenheit eine sehr nachdrückliche Rede hielt, zum Tode verurtheilt wurden; die meisten davon erlitten ihre Strafe an den Ufern der Themse. Der höfliche Kammerdiener des Marquis de Fontanges miethete eine Fähre und geleitete Madmoiselle Mimi und Charlotte nach dem Orte der Hinrichtung, wo sie die » barbares« in ihren Ketten baumeln sehen konnten, und die schwärzlichen, jungen Damen kehrten sehr erbaut von ihrem interessanten Ausfluge zurück.

Es wird nun nöthig sein, Jacksons Wiederauftauchen zu erklären. Der Leser wird sich erinnern, daß er in dem Boote von hinnen gesegelt war, Newton auf der Insel zurücklassend, die sie nach dem Schiffbruche der Brigg erreicht hatten. Als das Boot umgestürzt mit der Fluth herunterschwamm, hielt sich Newton für überzeugt, daß Jackson ertrunken sein müsse; er war übrigens von einem Schooner aufgelesen worden. Das Boot, welches man, die Hauptschoote an dem Nagel belegt, triftig werden ließ, hatte in einem Windstoße umgeschlagen und war mit der Strömung nach der Sandbank hinuntergekommen, wo Newton im Wasser stand. Jackson kehrte nicht nach England zurück, sondern ging an Bord eines portugiesischen Sklavenschiffes, und beschäftigte sich geraume Zeit mit diesem anrüchigen Handel, der so sehr dazu dient, das Herz zu verhärten und zu demoralisiren. Nach mehreren Reisen zettelte er eine Meuterei an und ermordete den Kapitän sammt Allen, welche bei seinem Komplott nicht betheiligt waren, um sodann eine Seeräuberlaufbahn zu beginnen, in welcher er lange Zeit – Dank sei es der Segelgeschwindigkeit seines Schiffes und dem Muthe der verhärteten Bösewichter, die er um sich gesammelt hatte – erfolgreich sein Wesen trieb.


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