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Drittes Kapitel

Die Schöpfung lächelt rings; die Abendlieder
Der Vögel wirbeln von den Zweigen nieder;
Der Blumen Schmelz säumt roth die Muttererde
Und dumpf schallt das Geblöck der woll'gen Heerde.
Des Meeres Spiegelfläche schweigt gebannt
Und wäscht nur murmelnd des Gestades Sand.

Falconer.

Forster lag nach seiner nächtlichen Anstrengung bald in tiefem Schlafe und träumte von allerlei verwirrten Dingen; da jedoch Träume nichts weiter als Schäume sind, so mag ich die Leute selten mit derartigen Dingen bemühen. Wenn die Vernunft von ihrem Throne herabsteigt und für eine Weile von ihrer Thätigkeit ausruhen will, bemächtigt sich die Phantasie des erledigten Sitzes und möchte gerne in ihrer eingebildeten Majestät die verschiedenen Kräfte ihrer Schwester in Anwendung bringen. Sie thut es auch nach ihrem besten Vermögen, obgleich etwa mit demselben Erfolge, wie etwa ein Affe, wenn er es versucht, die verschiedenen Operationen durchzumachen, welche zu dem Geheimniß des Bartscheerens gehören; – und so endet meine kurze und schließliche Abhandlung über Träume.

Wir müssen aber jetzt – um mich eines seemännischen Ausdrucks zu bedienen, in unserer Geschichte eine Weile »beilegen«, denn es ist nöthig, daß wir ein Bischen weiter in die frühere Geschichte unseres Edward Forster eingehen, was wir nun ohne Unterbrechung thun können, da die Personen, welche wir dem Leser vorgestellt haben, sich sämmtlich eines ruhigen Schlafes erfreuen.

Der Vater Edward Forsters war ein Geistlicher, der, obgleich er etlich und zwanzig oder dreißig Vettern im ersten, zweiten und dritten Grade mit hochtönenden Titeln zählen konnte, in einem Distrikte unfern des Orts, wo Forster zur Zeit wohnte, als Pfarrer funktionirte. Er war eine von den Bienen der Kirche, welche sich beständig abmühen, während die Drohnen den Honig verzehren. Jahr aus, Jahr ein hielt er jeden Sonntag an drei verschiedenen Orten Predigt und Gottesdienst, taufte, verheirathete und begrub eine Bevölkerung, die sich über einige taufend Morgen verbreitete – und Alles dies für den spärlichen Jahrgehalt von hundert Pfunden. Bald nach Erlangung seiner Pfarrei heirathete er ein junges Frauenzimmer, das ihm Schönheit und Bescheidenheit als Morgengabe brachte; hintendrein kamen dann die Bescheerungen wechselseitiger Liebe ad libitum. Doch Er, der gibt, nimmt auch wieder, und von ungefähr zwanzigen dieser interessanten, aber kostspieligen Geschenke, die sie ihrem Gatten brachte, erreichten nur drei, sämmtlich dem männlichen Geschlechte angehörig, die Jahre der Reife. John (oder Jack, wie er gewöhnlich genannt wurde) war der älteste und wurde nach London geschickt, wo er unter Anleitung eines Verwandten die Rechte studirte. Der menschenfreundliche Vetter wußte, daß die Bescheerung, welche Mrs. Forster jährlich dem Leben gab, nicht auch mit einer entsprechenden Bescheerung für das Leben begleitet war; er nahm ihr daher eine Sorge ab und den Gegenstand derselben in sein eigenes Haus aus.

Jack war ein unverdrossener Bursche, studirte mit großem Fleiße und behielt, was er gelesen hatte, obgleich er nicht schnell las; was ihm aber an rascher Fassungsgabe abging, ersetzte er durch Ausdauer, so daß er mit der Zeit seiner unermüdlichen Anstrengung eine sehr geachtete Stellung verdankte.

Er war jedoch in früher Jugend von seiner Familie getrennt worden und nie in der Lage gewesen, zu derselben zurückzukehren. Allerdings hörte er von der Geburt unterschiedlicher Brüder und Schwestern, desgleichen auch von ihrem Tode und endlich von dem Ableben seiner Eltern – der einzigen Mittheilung, die ihn wirklich ergriff, denn er liebte seinen Vater und seine Mutter und sah mit Freuden der Zeit entgegen, wann es in seiner Macht sein würde, es ihnen behaglicher zu machen. Doch all dies gehört einer langen Vergangenheit an. Er war jetzt ein Hagestolz und in den Fünfzigen, bärenartig und ungeschlacht in seinem Aeußeren und linkisch in seinem Benehmen. In seinem Arbeitszimmer eingeschlossen brütete er über den trockenen Formalitäten seines Berufes und hatte demgemäß auch die moralische Welt in zwei Partieen abgetheilt – in ehrlich und unehrlich – gesetzlich und ungesetzlich. Alle übrigen Gefühle und Neigungen, wenn er deren besaß, lagen begraben und hatten sich nie bis zu der Oberfläche erhoben. In der Zeit, von welcher wir sprechen, verfolgte er seinen mühsamen, aber einträglichen Beruf, zog in seinem Geschirre, wie der Gaul in der Mühle, und häufte sich Reichthümer an, ohne zu wissen, wem sie einst zufallen sollten – nicht aus Geiz, sondern nur aus langer Gewohnheit, welche ihn in seinem Beruf nicht nur eine Lust, sondern auch das eigentliche Element seines Daseins finden ließ. Edward Forster hatte ihn seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gesehen – das Letztemal als er durch London kam, um sich vom Dienste zurückzuziehen. Da die Brüder überhaupt nicht miteinander korrespondirten, so ist es zweifelhaft, ob Jack nur wußte, wer von seinen Geschwistern noch am Leben war, und hätte der Gegenstand irgend ein Interesse für ihn gewonnen, so würde er wahrscheinlich die früheren Briefe seines Vaters und seiner Mutter als legale Dokumente zu Rath gezogen haben, um über seine noch vorhandene Verwandtschaft Belehrung einzuholen.

Der nächste überlebende Sohn hieß Nicholas. Der ehrwürdige Mr. Forster, der seiner Familie nichts hinterlassen konnte, als einen guten Namen – ein Erbtheil, welches zwar besser sein soll, als Schätze, aber nicht immer auch nur einen Laib Brod einzubringen im Stande ist – beobachtete natürlich bei seinen Kindern sorgfältig, jedes eigentümliche Symptom von Genie, welches sie für irgend einen der verschiedenen Pfade zu Ruhm und Reichthum, auf welchen man sich am leichtesten heben kann, zu befähigen im Stande war. Nun traf sich's aber, daß Nicholas, als er noch im Kinderröckchen stack, eine große Vorliebe zu einem Brennglas zeigte, vermittelst dessen es ihm gelang, viel Unfug anzustiften. So verbrannte er zum Beispiel dem Hunde, der vor der Thüre in der Sonne schlief, die Nase, und das Kleid seiner Mutter zeigte Proben von seinem Genie in unterschiedlichen, kleinen, runden Löchern, die sich mehr und mehr vergrößerten, so oft im Hause eine Wäsche vorgenommen wurde. Ja, so ketzerisch und verdammungswürdig auch die Thatsache ist – auch seines Vaters Amtsrock gestaltete sich in Folge der wiederholten und hinterlistigen Angriffe des jungen Naturforschers zu einem mottenfräßigen Gewande. Das Brennglas entschied sein Schicksal. Er wurde zu einem Optikus und Mechanikus in die Lehre gethan, aus der er wo möglich mit dem höchsten Grade kunstgerechter Entwickelung hervorgehen sollte. Mangel an Ehrgeiz oder Talent gestatteten ihm jedoch nicht, die höchste Stufe der Leiter zu ersteigen, weshalb er zur Zeit unserer Erzählung einen Laden in der kleinen Hafenstadt Overton hielt und daselbst Hülfsmittel für die Wissenschaft ausbesserte – den einen Tag eine Taschenuhr, den andern einen Quadranten oder Kompaß. Seine Hauptstärke lag jedoch in Teleskopen, weshalb er ein großes Schild mit der Inschrift: » Nicholas Forster, Optiker« über dem kleinen Ladenfenster anbrachte, an dem man ihn stets beschäftigt sehen konnte.

Er war eine excentrische Person – eine von denjenigen, welche nur um ein Haar der Gewitztheit entgingen; aber in seinem Geiste stak eine gewisse Verschrobenheit, welche eine klare Ordnung nicht zuließ.

In der kleinen Stadt, wo er wohnte, gewann er sich fortwährend ein anständiges Auskommen, denn er hatte keine Konkurrenz und galt als Mann von guten Fähigkeiten. Er war der einzige von den drei Brüdern, welcher es wagte, zu heirathen; von diesem Theil unserer Geschichte wollen wir jedoch vorderhand nicht weiter sagen, als daß er ein Kind besaß und seine Gattin heirathete, weil sie – seiner eigenen Aeußerung zufolge – seinem Focus zusagte.

Edward Forster der jüngste, den wir bereits dem Leser vorgestellt haben, zeigte große Vorliebe zum Seewesen, denn er ließ Nußschaalen in einer Pfütze schwimmen und schickte Lattenstücke, mit Papiersegeln besteckt, den Bach hinunter, welcher an dem Pfarrhause vorbeirieselte. Dies erschien als tatsächlicher Beweis: er wurde überwiesen und auf die See geschickt, um als ein Nelson zurückzukehren.

Was sein Benehmen während der Zeit seines Dienstes betraf, so machte sich Edward Forster unstreitig um sein Vaterland verdient und würde sich durch seine Verdienste wahrscheinlich bis zu dem höchsten Grade gehoben haben, wenn er im Stande gewesen wäre, seinen Beruf fortzusetzen; als er jedoch seine Zeit als Midshipman ausgedient hatte, erhielt er bei einem »Heraushauen« eine verzweifelte Wunde und bald nachher in Folge seines tapferen Betragens die Beförderung zu dem Range eines Lieutenants.

Seine Wunde war von der Art, daß er den Dienst verlassen und sich für eine Weile mit Halbsold zurückziehen mußte. Viele Jahre sah er der Periode entgegen, wann er seine Laufbahn wieder aufnehmen könnte – aber vergeblich, seine Wunde brach mit jedem Frühling aufs Neue auf, frische Knochensplitter arbeiteten sich heraus und er sah sich zu ewig getäuschter Hoffnung verdammt.

Endlich war sie geheilt; aber Jahre der Leiden hatten das Feuer der Jugend gedämpft, und als er sich um eine Anstellung meldete, waren seine Dienste vergessen. Er erhielt eine kühle Abweisung, die fast in Einklang mit seinem Wunsche stand, und kehrte, ohne sich gekränkt zu fühlen, nach der von uns beschriebenen Hütte zurück, wo er in der Abgeschiedenheit ein nicht unglückliches Leben führte. Seine Bedürfnisse waren gering und sein Halbsold mehr als hinreichend, sie zu befriedigen. Die glückliche, beschauliche Gleichgültigkeit eines gebildeten Geistes, welcher eher aus dem früher Erworbenen Nahrung zieht, als seine Vorräthe erweitert, ein ruhiger Charakter und eine durch Uebung gekräftigte, strenge Selbstbeherrschung – dies waren die Charakterzüge Edward Forsters, den wir jetzt wecken wollen, um in unserer Erzählung fortfahren zu können.

»Nein, das muß ich sagen, Mr. Forster! was Sie für einen Schlaf haben!« rief Mrs. Beasely mit so lauter Stimme, daß der Schlummernde augenblicklich erwachte, als sie mit etwas heißem Wasser in die Stube trat, um ihm in jener männlichen Beschäftigung beizustehen, deren tägliche, peinliche Wiederkehr die gelegentliche »süße Strafe, welche Weiber tragen,« mehr als aufwiegen soll. Obgleich dies nicht bewiesen werden kann, bis Damen – der Himmel verhüte es – mit Bärten begabt sind, oder irgend ein moderner Tirefias auftritt, um die Frage zur Entscheidung zu bringen, so scheint doch die Behauptung ihre Richtigkeit zu haben, wenn wir dabei die Analogie des übrigen Lebens zu Rathe ziehen. Wir finden nämlich, daß nicht der schwere Schlag plötzlichen Unglücks, der die Leiter des Ehrgeizes umwirft und uns in den Staub legt, das »intermittirende Fieber« des Lebens erzeugt, sondern daß der Grund dazu in den tausend kleinen Verdrießlichkeiten zu suchen ist, die uns stündlich begegnen.

Kehren wir indeß zu Mrs. Beasely zurück, welche fortfuhr –

»Ei, 's ist neun Uhr, Mr. Forster, und obendrein ein hübsch frischer Morgen nach dem Sturme der letzten Nacht. Aber sagt mir auch, was Ihr gehört und gesehen habt, Sir,« fügte die Alte bei, indem sie die Fensterläden öffnete und das Licht der Sonne hereinströmen ließ, als ob sie entschlossen sei, daß jedenfalls er jetzt hören und sehen solle.

»Ich will Euch Alles sagen, Mrs. Beasely, sobald ich angekleidet bin. Bringt mir nur in möglichster Bälde mein Frühstück, denn ich muß wieder nach der Bucht hinunter. Es war nicht meine Absicht, so lange zu schlafen.«

»Ei, was ist denn jetzt in dem Winde, Mr. Forster?« fragte die Alte, eine von seinen nautischen Phrasen borgend.

»Wenn Ihr's zu wissen wünscht, Mrs. Beasely, so könnt Ihr um so eher die verlangte Auskunft erhalten, je bälder Ihr mich aus dem Bette aufstehen laßt.«

»Aber was bewog Euch denn, so lange auszubleiben, Mr. Forster?« fuhr die Haushälterin fort, welche entschlossen zu sein schien, von der erwarteten Nachricht sich wo möglich einigen Vorschuß geben zu lassen, um ihren Appetit daran zu beschwichtigen, bis ihre Neugierde zu dem substanzielleren Mahle gelangen könnte.

»Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß ein Schiff zu Grund gegangen ist.«

»Oh Herr Je! Herr Je! Und sind Menschenleben dabei verloren gegangen?«

»Ich fürchte, Alle – ein einziges ausgenommen, und auch dies ist noch nicht gewiß.«

»Herr Jemine! Herr Jemine! Oh, Mr. Forster, seid doch so gut, mir das Ganze zu erzählen.«

»Sobald ich angekleidet bin, Mrs. Beasely,« versetzte Mr. Forster, indem er eine Bewegung machte, welche andeutete, daß er aufstehen wolle, möge sie nun gehen oder nicht. Dies veranlaßte die Haushälterin schleunigst den Rückzug zu ergreifen.

Nach einigen Minuten erschien Forster in der Wohnstube, wo er sowohl den Kessel, als die Haushälterin, kochend vor Ungeduld antraf. Er begann zu essen und zu erzählen, bis sein und Mrs. Beaselys Appetit in gleicher Weise beschwichtigt war, worauf er nach Robertsons Wohnung aufbrach, um über das Schicksal des Kindes Erkundigung einzuziehen.

Wie verschieden war der Schauplatz von dem der vorigen Nacht! Die See war noch immer in Bewegung, und die Strahlen der Sonne vergoldeten die Wellenspitzen mit einer Pracht und Majestät, so daß sich auch keine Spur auffinden ließ, welche Schrecken zu erregen im Stande gewesen wäre. Die Atmosphäre, durch den Krieg der Elemente gereinigt, war frisch und kräftigend. Die niedrige Vegetation, welche den Vorsprung und die anstoßenden Berge bedeckte, zeigte sich in lebhafterem Grün und schien sich nach der Reinigung, welche der schwere Regen an ihr vorgenommen hatte, in der Sonne zu wärmen, während die Schafe – denn die ganze Küste war eine einzige, weit sich erstreckende Schafwaide – mit ihren weißen Vließen einen schönen Gegensatz zu dem tiefen Grün der Natur bildeten. Das glatte Wasser der Bucht neben den zürnenden Wogen des unbeschützten Meeres, das Gemurmel der leichten Wellen, die in langen, sanft gekrümmten Linien auf dem gelben Sande zur Ruhe kamen, die Oberfläche, hin und wieder durch die einherwirbelnde Brise gekräuselt, Forsters kleiner Nachen, wohlbehalten an seinem Lauer mit den Wellen spielend, die Seemöven, die vor wenigen Stunden noch unheimlich kreischend von der Wuth der Bö umhergestoßen wurden, jetzt aber auf den Wogen schwammen oder in der Nähe ihrer unzugänglichen Schlupfwinkel mit den Fittigen sich im Gleichgewicht hielten, das Singen der kleineren Vögel rings umher – Alles dies weckte in Edward Forsters Herzen eine Leichtigkeit, die er seit lange nicht mehr gekannt hatte. Er erreichte bald die Hütte, und der Ton seiner Schritte brachte den Fischer und seine Frau, die den kleinen Gegenstand seiner Sorge auf ihren Armen trug, in's Freie.

»Seht, Mr. Forster,« sagte Jane, ihm das Kind entgegenhaltend, »es ist ganz wohl und munter – auch so freundlich, daß es in einem fort lächelt. Was das für ein liebes Würmlein ist.«

Forster sah das Kind an, welches wirklich wie in frohem Danke lächelte; dann wurde aber seine Aufmerksamkeit durch den Neufoundländerhund in Anspruch genommen, welcher wedelnd herankam und, nachdem er seine Liebkosungen in Empfang genommen, sich auf den Sand setzte, den er mit dem Schwänze pritschte und dabei klug zu Forster aufsah.

Forster nahm das Kind von den Armen seiner neuen Mutter.

»Du bist mit Noth entronnen, armes Ding,« sagte er, und sein Gesicht nahm einen wehmüthigen Ausdruck an. »Wer weiß, wie viel weitere Gefahren deiner noch harren? Wer kann sagen, ob du je wieder in die Arme deiner Verwandten zurückkehren darfst, oder ob du als Waise unter der Obhut eines Seemannes bleiben sollst? Wäre es nicht vielleicht besser gewesen, die Wellen hätten dich in deiner Reinheit verschlungen, als daß du jetzt ausgesetzt bist einer herzlosen Welt voll Kummer und Verbrechen? Doch Er, der dich retten wollte, weiß am besten, was den armen, im Dunkeln wandelnden Sterblichen dient.«

Forster küßte das Kind auf die Stirne und legte es wieder in die Arme der Fischersfrau.

Nachdem er mit Robertson und seinem Weibe, in deren Obhut die Kleine vorderhand verbleiben sollte, einiges Abfinden getroffen hatte, lenkte er seine Schritte nach dem Vorsprunge, um sich zu überzeugen, ob von dem Schiffe nichts übrig geblieben sei. Er streckte sich über die Spitze der Klippe weg und bemerkte, daß mehrere untere Kippen und Planken, die sich über dem Wasser zeigten, noch zusammenhingen. Begierig, ob sich kein Schlüssel zu Erkennung des Schiffes auffinden ließe, schickte er sich an, einen gefährlichen Schlangenpfad hinabzusteigen, und war nach einer Viertelstunde ziemlich nahe an das Wrack gekommen, konnte aber mit Ausnahme der zerschellten Reste, welche fest zwischen die Felsen eingekeilt waren, nichts sehen – keine Spur von den Masten, Spieren oder Segeln, nicht der mindeste Ueberrest eines Wesens, das vordem mit Leben begabt war. Die Flut, welche wüthend um den Vorsprung brauste, hatte Alles weggefegt, was nicht das Untertauchen des Wassers in die Tiefe gerissen, um es weit, weit draußen in der See wieder von sich zu stoßen. Forster konnte nur ausfindig machen, daß das Schiff einen großen Tonnengehalt geführt hatte und von fremder Bauart war; über die Verunglückten aber oder über die Ladung, welche von den Wogen verschlungen worden, ließ sich nicht einmal eine Vermuthung aufstellen. Das Hemdchen des Kindes war mit J. de F. gezeichnet – dies war der einzige Schlüssel, der zu einer etwaigen Erkennung führen konnte.

Mehr als eine Stunde blieb Forster, die Arme verschlungen, wie eine Statue auf dem Felsen stehen und blickte auf die ungestümen Wellen nieder, die gegen die stumpfen Kanten anschlugen, oder sich theilten, wenn sie zwischen dem Holzwerk des Schiffs durchflutheten; er war in tiefen, wehmüthigen Gedanken versunken.

Und welcher Gegenstand wäre auch geeigneter, ernste Betrachtungen zu wecken, als ein Wrack? Der Stolz und der Scharfsinn des Menschen gedemüthigt und überwältigt – die Elemente des Höchsten das Gebäude zerwühlend, das ihnen trotzen sollte, hüpfend, tanzend und stoßend, als freuten sie sich über ihren Sieg!

Vor wenigen Stunden noch thürmte sich ein Prachtwerk auf, so vollkommen, als es der menschliche Geist nur erfinden konnte; stolze Segel flatterten im Winde und trugen den Menschen über die Oberfläche des Todes dahin, damit er seinen Nebenmenschen begrüße! Verachtungsvoll schnitt der Kiel durch die Welle und verfolgte seinen bahnlosen Weg – Kunde bringend von Friede und Sicherheit, von Krieg und Zerstörung – Freuden- oder Trauerposten, die ganze Reiche ergriffen, als wären sie nur einzelne Individuen.

Jetzt jubeln die Wellen in ihrer Rache und funkeln vor Freude, während die Sonne auf ihren Sieg niederleuchtet. Derselbe Kiel, der so oft mit der Schärfe einer Sichel durch die widerstrebenden Wogen dahinschnitt, ist jetzt begraben – tief begraben im Sand, den die zornige Welle mit jeder Minute mehr anhäuft, als habe sie sich vorgenommen, daß sie das vermessene Gebälk nicht mehr mit seiner Last drücken solle.

Wie viele Jahre sind dahin geschwunden, wie viele Millionen zu dem Staub zurückgekehrt, aus dem sie entsprossen, ehe die Kerne zu den Waldriesen anschwollen, die für dieses Gebäude geschlagen wurden; – welche Mühe hat es nicht gekostet, das Werk auszuführen; – wie viele Menschen fanden nicht ihr Auskommen, während sie langsam dieses Denkmal ihrer Geschicklichkeit errichteten; – wie oft hat der müde Bergmann sein Werkzeug auf die Seite gelegt, um den Schweiß von der Stirne zu wischen, ehe das Metall, das zur Vollendung nöthig war, aus der Finsterniß gehoben wurde; – wie viele Tausende wurden beschäftigt, ehe es zubereitet und für den beabsichtigten Gebrauch nutzbar war! Jener Kupferbolzen, der von keiner menschlichen Kraft gedreht ist und sich über die Wellen erhebt, gleichsam um Zeugniß abzulegen von ihrer furchtbaren Gewalt – birgt an sich schon eine Geschichte.

Wie viele Fahrzeuge mußten nicht beschäftigt werden, um von Norden, von Süden, von Osten und Westen die Masten, Spieren, das hänfene Takelwerk, die Segelleinwand, die verschiedenartige Ausstattung, die Mundvorräthe und den schweigend im Magazine ruhenden Tod Ist vermuthlich Schießpulver gemeint. Anm. des Herausgebers. beizuschaffen. Und Diejenigen, welche im Vertrauen auf ihre Kraft und ihre Geschicklichkeit so furchtlos die Decken betraten, ihre Tausende von Leinwandellen dem Winde entgegenbreiteten, oder sie mit zauberischer Geschwindigkeit vor dem losbrechenden Sturme strichen – wo sind sie jetzt? Wie viele Seufzer beklagen ihre Abwesenheit, wie viele Herzen würden froh ihrer Rückkehr entgegengeschlagen haben! Wo sind jetzt die Furcht und das Hoffen, der Stolz und der Ehrgeiz, der Muth und der Unternehmungsgeist, die Liebe und die Freundschaft, die Spekulationen für die Gegenwart und die Berechnungen für die Zukunft, welche ihren Geist beschäftigten oder die sie in ihrem Busen nährten? Alles – Alles gescheitert!

Tage, Wochen und Monate entschwanden, und doch blieben alle Schritte, welche eingeschlagen wurden, um den Namen des Schiffes ausfindig zu machen, ohne Erfolg. Zwar war Forsters Vermuthung, daß es einer von den vielen ausländischen Westindienfahrern sei, welche in jenem stürmischen Winter ein ähnliches Loos erlitten, ohne Zweifel richtig, aber doch ließ sich durchaus nichts auffinden, was über die Abkunft des kleinen Mädchens Licht verbreitete. Sein Hemdchen war freilich mit Anfangsbuchstaben bezeichnet gewesen, aber dieser Umstand bot nur geringe Aussicht für eine Entdeckung. Entweder waren die Verwandten des Kindes von seinem Untergange so fest überzeugt, daß sie keine Nachforschungen für nöthig hielten, oder kannten sie den Namen des Schiffes nicht, in welchem sich dasselbe als Passagier befunden hatte.

Sobald die Kleine entwöhnt war, wurde sie nach der Wohnung des alten Seemanns gebracht, wo sie die Aufmerksamkeit der alten Haushälterin und unseres Forsters sehr in Anspruch nahm, denn Letzterer, welcher daran verzweifelte, daß sie je zurückverlangt würde, beschloß, sie als sein eigenes Kind zu erziehen.

Mrs. Beasely, die Haushälterin, war eine gutmüthige Frau, die längst das große Stufenjahr des menschlichen Lebens im Rücken hatte, und ihrem Herrn, bei welchem sie schon seit sehr langer Zeit wohnte, aufrichtig zugethan. Aber wie alle Weiber, welche die Verantwortlichkeit einer Haushaltung auf sich genommen haben (mögen sie nun verheirathet oder ledig sein), mochte sie von ihrer eigenen Weise nicht abgehen und schmälte so ganz ohne Umstände mit ihrem Gebieter, als ob sie durch die Bande des Ehestandes mit einander vereinigt gewesen wären.

Forster lief sich dies ruhig gefallen; er hatte lange genug in der Welt gelebt, um zu bemerken, daß die Leute, welche unter keiner Leitung stehen, nicht eben die Glücklichsten sind, und da er zugleich in gewissem Grade Philosoph war, so unterwarf er sich dem Strafkodex des Ehestandes, ohne seine Freuden zu kosten. Nach der Ankunft des Kindes meinte er mehr als je, verheirathet zu sein, denn er genoß alle die Freuden einer Kinderstube sammt den vorausgehenden Unannehmlichkeiten. Aber obgleich nicht durch Bande des Bluts an seine Hausgenossen geknüpft, fühlte er sich doch glücklicher. Er spielte bald mit der Kleinen und fügte sich in den Willen seiner Haushälterin mit der ganzen Schmiegsamkeit eines gut gezogenen Ehemanns.

Der Neufoundländerhund ging bald auf den wohlverdienten Namen »Treu« und schlief zu den Füßen des Lagers seiner kleinen Gebieterin, welche nun gleichfalls einen anderen Namen erhalten sollte.

»Sie ist ein Schatz, der von dem Meer ausgeworfen wurde,« sagte Forster, das liebliche Kind küssend, »und soll darum Ambra heißen.«

Wir müssen sie jedoch in ihrer Unschuld und Reinheit aufknospen lassen, während wir die Aufmerksamkeit des Lesers anderen Scenen zuwenden, welche sich mit den vorerwähnten so ziemlich zu gleicher Zeit zutrugen.


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