Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

's ist wahr, toll ist sie – Schade, daß es wahr ist,
Und wahr auch, daß es Schad' ist – wahre Narrheit!
Doch fort – ich will nicht hinterlistig handeln.
So mög' sie toll denn sein und mög' es bleiben.
Bis wir den Grund erkundet des Effekts –
Obschon ich besser spräche – dieses Defekts.

Shakspeare.

Da Mr. Dragwell bereits seiner Gattin auf eine ehrenvolle Weise erwähnt hat, so wird es nur noch nöthig sein, zu bemerken, daß er eine einzige Tochter hatte – ein schönes, lebhaftes Mädchen, welches mit einem gewissen Mr. Ramsden, dem neuen Wundarzte des Ortes und dem Nachfolger in der Kundschaft des alten, der sich nach vierzigjähriger Praxis in den Ruhestand gesetzt hatte, versprochen war. Fanny Dragwell hatte viele gute Eigenschaften, nebst manchen andern, die etwas zweifelhafter Natur waren. Zu den letzteren gehörte der Umstand, daß sie weit mehr Feinde hatte, als man bei ihrem Alter wohl hätte erwarten sollen. Sie war ein Schadenfroh, hatte eine Freude an allen praktischen Scherzen und trieb dieselben gern auf eine Höhe, an die Andere nicht zu denken gewagt haben würden; indeß muß zugestanden werden, daß sie in der Regel ihre Opfer nur aus der Zahl derjenigen Personen wählte, welche durch ihr Benehmen gegen Andere eine Wiedervergeltung reichlich verdient hatten. Die verschiedenen Possen, welche sie gewissen querköpfigen alten Jungfern, Klatschbasen, Lästerern und Verläumdern gespielt hatte, bildeten oft ein Thema für heitere Unterhaltung, obschon derartige Eulenspiegeleien im Allgemeinen eine sehr ernste Rüge treffen muß: sie beruhen nämlich, wenn sie erfolgreich und gut durchgeführt werden sollen, auf einer gänzlichen Mißachtung der Wahrheit. In der letzten Zeit hatte nun Miß Fanny an Niemanden ihr Müthchen kühlen können, als an Mr. Ramsden, mit dem sie, wie gesagt, verlobt war – eine Periode, in welcher sich die Frauenzimmer am vorteilhaftesten, die Männer aber am einfältigsten ausnehmen. Doch auch die Zeit der Neckerei hatte sich nachgerade abgenützt, und sie war ihm bereits so zugethan, daß Alles, was ihm wehe that, auch ihr schmerzlich fiel. Als daher ihr Vater nach Hause kam und das Vorgefallene erzählte, ohne den beabsichtigten Plan zu verheimlichen, ging Fanny mit tausend Freuden in den Entwurf ein. Mrs. Forster war ihr längst ein Dorn im Auge gewesen, und sie hatte eine Kränkung, welche gedachte Dame ihrem Bräutigam zufügte, indem sie ihn einen »pillenvergoldenden Laffen« nannte, nicht vergessen. Ihr thätiger und erfinderischer Geist schmiedete alsbald einen Anschlag, der sie in den Stand setzte, den Spaß viel weiter auszudehnen, als er ursprünglich beabsichtigt war. Ramsden, den man herbeigerufen hatte, um den armen Mr. Spinney wundärztlich zu berathen, war ihr einziger Vertrauter und ging bereitwillig auf den Plan ein, der seiner Geliebten so viel Spaß machte und ihm selbst auch Rache für die erlittene Beschimpfung versprach, um so mehr, da Miß Dragwell erklärte, sie wolle an Mrs. Forster bloß das Recht der Wiedervergeltung in Anwendung bringen.

Spät am Abend erhielt Mr. Ramsden von Newton die Aufforderung, zu seiner Mutter zu kommen. Er kam eben von einem Besuche bei dem alten Küster, der jetzt wieder zur Besinnung gekommen war und sich über nichts zu beklagen hatte, als über einen tiefen Riß in der Schläfe, den der Rand des Zinnkrugs veranlaßt. Nach einigen Abschiedseinschärfungen von Seiten der Miß Dragwell verließ Mr. Ramsden das Pfarrhaus.

»Ich fürchte, das ist eine sehr schlimme Geschichte, Mr. Forster,« bemerkte der Wundarzt gegen Newton, als dieser in Betreff des Schadens, welchen Herr Spinney genommen hatte, Erkundigung einzog. »Es hat augenscheinlich eine Gehirnerschütterung stattgehabt. Vielleicht kommt er davon – vielleicht aber auch nicht; ein paar Tage müssen die Sache entscheiden. Freilich ist er ein gebrechlicher alter Mann.«

Newton seufzte bei dem Gedanken an das Unglück und an die Schmach, die aus dem ungestümen Charakter seiner Mutter entspringen konnten.

»Wie – was, Mr. Ramsden? sagte Nicholas, der seit einiger Zeit das zerbeulte Gesicht seiner Ehehälfte betrachtet hatte. »Sagtet Ihr nickt, sie werde sterben?«

»Nicht doch, Mr. Forster; für Eure Frau ist nichts zu fürchten, denn da hat's keine Gefahr. Sie wird nach ein paar Tagen wieder auf und abermals so rührig sein, als nur je.«

»Das wolle Gott nicht!« murmelte der geistesabwesende Nicholas.

»Sieh zu, Forster, ob ich Dich nicht dafür bezahle, sobald ich wieder auf den Beinen bin,« murmelte die in dem Bette liegende Dame so gut, als es die unter ihrem Kinne befestigten Bandagen gestatten wollten.

»Ich bitte, kommt doch morgen früh wieder, Mr. Ramsden, und laßt uns wissen, wie es Mr. Spinney geht,« sagte Newton, beim Abschiede dem Wundarzte die Hand reichend.

Mr. Ramsden drückte sie mit Wärme und verließ das Haus. Er war noch kaum eine halbe Stunde fort, als Betsy mit einigen Bähwassern, welche sie in der Küche zubereitet hatte, eintrat.

Um sich für unterschiedliche Schläge, die sie täglich erhalten, und die vielen Beiwörter, die ihr von ihrer Gebieterin stündlich zugetheilt worden, zu rächen, rief sie schon unter der Thüre in weinerlichem Tone aus:

»O du meine Güte, Mr. Newton! Das sind schreckliche Nachrichten, die wir aus dem Pfarrhause hören. Mr. Spinney. ist eben gestorben, und meine Missis wird gehangen werden!«

Mrs. Forster sagte kein Wort, zitterte aber aus Furcht, die Kunde möchte sich erwahren, am ganzen Leibe. Newton und der alte Nicholas sahen einander an und drückten ihre stumme Angst dadurch aus, daß sie sich mit den Händen das Antlitz bedeckten.

Sobald Hilton und der Pfarrer über ihre Pläne, Mrs. Forster in die Enge zu treiben, einig geworden waren, hielt man es für räthlich, den jungen Newton, der nicht so leicht getäuscht werden konnte, aus dem Wege zu schaffen. Hilton hatte bereits seine Absicht angedeutet, ihm die Führung seiner Schaluppe anzuvertrauen, und dachte jetzt darauf, ihm den Vorschlag zu machen, daß er den Transport einer Schindelladung, welche etwa fünfzig Meilen weiter unten an der Küste bereit lag und in Waterford abgeliefert werden sollte, beaufsichtige. Am andern Morgen früh sprach er in Forsters Hause an, und Newton, der noch nicht aus den Kleidern gekommen war, trat ihm entgegen.

»Nun, Newton, wie geht's Eurer Mutter? fragte Hilton. »Ich hoffe, Ihr seid mir nicht böse, daß ich zu dem Unfalle Anlaß gab; aber ich konnte es nicht mit ansehen, daß Euer würdiger Vater in dieser Weise behandelt werden sollte.«

»Ich schäme mich eigentlich, zugestehen zu müssen, Mr. Hilton, daß ihr ganz recht geschehen ist,« versetzte Newton; »aber noch weit mehr beunruhigt mich der Zustand des Küsters. Habt Ihr nicht gehört, wie es ihm diesen Morgen geht?«

»Nein; aber unter uns, Newton, die Doktors machen gerne aus der Mücke einen Elephanten. Ich habe nie gehört, daß ein Mensch durch einen Zinnkrug erschlagen worden wäre; es ist mir deßhalb um den Spinney nicht bange. Ich komme übrigens, um Euch mitzutheilen, daß ich gestern Abend einen Brief von Repton erhielt, in welchem mir gemeldet wurde, daß die Schindeln vor dem zehnten des nächsten Monats abgeliefert sein müssen, wenn der Kontrakt nicht null und nichtig werden soll. Der Besteller verlangt, ich sollte die Schaluppe augenblicklich ausschicken, oder er müsse ein anderes Fahrzeug mit der Fracht beauftragen. Ich glaubte daher, Ihr thätet besser, gleich aufzubrechen; der Wind ist schön und Ihr könnt noch vor Abend anlangen.«

»Ach, Mr. Hilton, ich möchte im gegenwärtigen Augenblick gar nicht gerne die Heimath verlassen,« versetzte Newton gedankenvoll.

»Nun, wie Ihr wollt, Mr. Forster,« entgegnete Hilton mit der Miene des Mißvergnügens. »Ich habe Euch das Kommando des Schiffes angeboten, und bei der allerersten Gelegenheit, die mir Eure Dienste werthvoll macht, weigert Ihr Euch schon, auf meine Interessen bedacht zu nehmen – und weshalb auch? weil es da ein paar Löcher im Kopfe gesetzt hat!«

»Ich habe wohl Unrecht,« erwiederte Newton, »und bitte Euch um Verzeihung. Laßt mich übrigens nur ein paar Worte mit meinem Vater sprechen und ich will in weniger als einer halben Stunde an Bord sein.«

»Ich erwarte Euch dort,« erwiederte Hilton, »und werde zugleich die nöthigen Papiere bereit halten. Tummelt Euch, so schnell Ihr könnt, oder Ihr verliert den Vortheil der eintretenden Fluth.«

Newton kehrte in's Haus zurück. Der alte Nicholas hatte gegen seine Abreise nichts einzuwenden, und als unser Held in Gemäßheit seines Versprechens eben ausbrechen wollte, begegnete er dem Wundarzte unter der Thüre.

»Mr. Ramsden,« sagte Newton, »ich bin von dem Eigenthümer meines Schiffes aufgefordert, unverweilt abzufahren; wenn Ihr aber glaubt, daß das Leben des Mr. Spinney ernstlich in Gefahr ist, so will ich lieber auf das Kommando der Schaluppe verzichten, als meine Mutter in einer so bedrückenden Lage verlassen. Habt daher die Güte, mir die Wahrheit unumwunden mitzutheilen.«

»Wenn Ihr wollt, könnt Ihr noch in dieser Minute ausfahren, Mr. Forster, denn ich bin so glücklich, Euch über diesen Punkt beruhigen zu können. Der Küster befindet sich gut, und Ihr könnt ihn schon am ersten Sonntage nach Eurer Rückkehr wieder in seinem Chorstuhle sehen.«

»Dann will ich unverzögert aufbrechen. Gott befohlen, Mr. Ramsden, und tausend Dank.«

Mit erleichtertem Herzen sprang Newton in den Nachen, der ihn an Bord der Schaluppe bringen sollte, und steuerte in weniger als einer halben Stunde vor schönem Winde nach Süden, um den erhaltenen Auftrag zu vollziehen.

Ramsden blieb einige Minuten an der Thüre stehen, bis Newton an Bord der Schaluppe gestiegen war; dann trat er ein und wurde von Betsy empfangen.

»Nun, Betsy, Ihr habt Euch dazu hergegeben, Mrs. Forster glauben zu machen, daß Mr. Spinney todt sei; aber wir dachten damals wenig, daß bitterer Ernst daraus werden könnte.«

»Gott behüte uns, Sir! Wie, Ihr wollt doch nicht sagen, daß –«

»Allerdings, Betsy; aber wohlgemerkt, wir müssen es vorderhand geheim halten, bis wir Mrs. Forster aus dem Wege schaffen können. Wie geht es ihr diesen Morgen?«

»Oh, sie ist sehr steif und sehr widerwärtig, Sir.«

»Ich will zu ihr hinausgehen,« versetzte Ramsden; »aber vergeßt nicht, Betsy, daß Ihr keiner Seele davon sagen dürft.«

Mit diesen Worten begab sich der Wundarzt die Treppe hinauf.

»Wie geht es Euch diesen Morgen, Mrs. Forster? Glaubt Ihr wohl aufstehen zu können?«

»Aufstehen, Mr. Ramsden? Nicht, wenn ich den Himmel damit verdienen könnte – ich vermag ja kaum, mich von einer Seite auf die andere zu drehen.«

»Das bedaure ich recht sehr,« versetzte der Wundarzt; »ich hoffte, Euch in soweit gebessert zu finden, daß Ihr eine Reise ertragen könntet.«

»Eine Reise, Mr. Ramsden? Und warum denn eine Reise?«

»Ich bedaure, Euch mittheilen zu müssen, daß Mr. Spinney gestorben ist – der arme, alte Mann! Es wird ein Leichenschaugericht statthaben, und da wäre es gut, wenn Ihr nicht gefunden würdet, da das Verdikt auf ›vorsätzlichen Mord‹ lauten muß.«

»Oh Je! oh Je!« tief Mrs. Forster, entsetzt aus ihrem Bette springend und die Hände ringend; »was kann ich thun? Was kann ich anfangen?«

»Vorderhand ist es noch ein Geheimniß, Mrs. Forster, kann's aber nicht lange mehr bleiben. Miß Dragwell, welche Mitleid mit Euch hat, bot mich, vorderhand Niemanden ein Wort davon zu sagen. Sie will herkommen und sich mit Euch berathen, wenn Euch ihr Besuch angenehm ist. 's ist in der That eine traurige Geschichte, Mrs. Forster, durch einen thörichten Gatten in eine solche Lage versetzt zu werden.

»Ja, da habt Ihr wohl Recht, Mr. Ramsden,« entgegnete die Dame, mit Heftigkeit; »er ist der größte Narr, den Gott geschaffen hat. Alle Welt weiß, was ich für einen gutmüthigen Charakter hatte, ehe ich ihn heirathete; aber Fleisch und Blut sind nicht im Stande, zu ertragen, was ich durchzumachen habe.«

»Würde es Euch angenehm sein, Miß Dragwell zu sehen?«

»Oh ja – sehr; ich habe sie stets für ein sehr artiges Mädchen gehalten – allerdings ein bischen wild – ein wenig vorlaut und naseweis – aber doch ein ziemlich artiges Mädchen.«

»Wohlan, so will ich ihr sagen, sie soll je eher je lieber zu Euch kommen, denn wenn die Sache einmal ruchbar wird, geräth die ganze Stadt in Aufruhr. Es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn die Bürgerschaft das Haus stürmte, – denn Alles wird in die größte Entrüstung gerathen.«

»Will's wohl glauben,« versetzte Mrs. Forster; »denn wie ich von dem einfältigen Tropf – meinem Manne – gereizt werde – nein, 's ist durch Nichts zu entschuldigen!«

»Guten Morgen, Mrs. Forster; Ihr glaubt also, daß Ihr eine Ortsbewegung ertragen könntet.«

»Oh ja! oh ja! Aber wohin soll ich gehen?«

»Das kann ich Euch in der That nicht sagen – Ihr werdet gut thun, Euch mit Miß Dragwell darüber zu berathen – verlaßt Euch übrigens darauf, daß ich mich glücklich schätzen werde, Euch in dieser unglücklichen Lage allen Beistand zu bieten, der in meinen Kräften steht.«

»Ihr seid sehr gütig,« knurrte Mrs. Forster, und Ramsden verließ das Zimmer.

Ich habe ein paar Bekannte, denen ich nur etwas als tiefes Geheimniß anzuvertrauen brauche, wenn ich wünsche, daß es in möglichster Geschwindigkeit durch die ganze Stadt cirkulire. Auf diesem Wege verbreitet sich die Kunde sogar weiter, als wenn ich sie in die Zeitungen einrücken ließe.

Ramsden kannte Betsys Klatschliebhaberei, und lange, ehe er Mrs. Forster verlassen hatte, glaubte man allenthalben durch die ganze Stadt Overton, daß Mr. Spinney zwar nicht, wie zuerst verlauten wollte, gleich auf der Stelle getödtet worden, wohl aber nachher an den Beschädigungen, welche er von dieser neuerstandenen Xantippe erlitten hatte, gestorben sei.

Mrs. Forster hatte eine halbe Stunde Zeit, um über ihre vermeintlich schlimme Lage nachzudenken; sie konnte dies jedoch nicht lange ertragen und schickte nach Nicholas, den sie eben mit den bittersten Schmähworten überschüttete, als Miß Dragwell angekündigt wurde.

»Da siehst du, Mensch,« fuhr Mrs. Forster fort, »in welche Lage du ein zärtliches und treues Weib versetzt hast – eine Frau, die Tag und Nacht nur aus dein Wohl bedacht war – die –«

»Ja wohl,« fügte Miß Dragwell bei, welche den Angriff schon auf der Treppe gehört hatte und nun die Partei von Mrs. Forster ergriff, um sich in ihrem Vertrauen festzusetzen – »ja wohl, Mr. Forster – das sind die Folgen Eurer Thorheit, Eures Rauchens und Eures Trinkens. – Seid so gut, das Zimmer zu verlassen; es nimmt mich nur Wunder, wie Mrs. Förster Euren Anblick ertragen kann!«

Nicholas machte große Augen und war eben im Begriffe, einige Worte der Rechtfertigung dazwischen zu werfen, als ihn ein wüthendes »Fort!« von Seite seines Weibes zum schleunigsten Rückzuge bewog.

»Wir Alle haben uns über diese traurige Geschichte berathen, meine theure Mrs. Forster,« begann Miß Dragwell, »und sind nach langer Erwägung auf den einzigen Ausweg verfallen, der Euch gegen die Strafe des Gesetzes schützen kann. Ja, meine theure Ma'am,« fuhr Miß Dragwell mit der sanftesten und liebevollsten Stimme fort, »es wäre Thorheit, Euch die Wahrheit zu verheimlichen. Die Angaben meines Vaters und des Mr. Hilton müssen, wenn sie vorgefordert werden, dahin lauten, daß ein Verdikt auf ›vorsätzlichen Mord‹ unvermeidlich ist und Ihr« – die junge Dame stotterte und führte ihr Taschentuch nach den Augen – »ohne Weiteres gehangen werdet!«

»Gehangen?« knirschte Mrs. Forster.

»Ja, gehangen – ›aufgehängt am Halse, bis Ihr todt seid, und der Herr sei Eurer Seele gnädig.‹ – Dies wird Euer Urtheil sein,« versetzte die junge Dame schluchzend. »Ach, welch ein schrecklicher und schmählicher Tod – und obendrein für eine Frauensperson!«

»Oh Gott! oh Gott!« rief Mrs. Forster, welche jetzt wirklich in Todesängsten gerieth. »Was soll aus mir werden?«

»Ihr werdet in eine andere und bessere Welt gehen, wie mein Papa in seinen Predigten sagt, und ich glaube auch, daß der Schmerz nicht sehr groß ist – aber die Schande.«

Mrs. Forster brach in Thränen aus.

»Rettet mich! rettet mich! Miß Dragwell – oh! oh! dieser dumme Nicholas – oh! oh!«

»Meine theure Mrs. Forster, wir sind im Pfarrhause sammt und sonders darüber einig geworden, daß es hiezu nur eine einzige Methode gibt.«

»Nennt sie mir, theure Miß Dragwell, nennt sie!« tief Mrs. Forster flehentlich.

»Ihr müßt Euch anstellen, als ob Ihr toll wäret, und dann wird das Verdikt auf Wahnsinn lauten; aber die Rolle muß in allen Stücken gut durchgeführt werden, damit man nicht die Verstellung alsbald erkenne. Mr. Ramsden ist mit Doktor B. bekannt, der die Leitung des Irrenhauses zu D. führt. Es ist nur neun Meilen entlegen; Doktor B. wird Euch aufnehmen und wenn das Leichenschaugericht vorüber ist, könnt Ihr wieder zurückkehren. Man wird dann glauben, die Geistesstörung sei nur vorübergehend gewesen. Wie gefällt Euch dieser Vorschlag?«

»Ei, ich bin schon lange Zeit von Sinnen gewesen,« versetzte Mrs. Forster; »das Betragen meines Mannes und meines Sohnes war zu viel für meine Nerven; aber doch will mir der Gedanke gar nicht einleuchten, daß ich wirklich in ein Tollhaus gehen soll. Könnte man nicht – –«

»Oh Jemine, Marm!« Marm, verdorben: statt Madame, oder Ma'am. rief Betsy in das Zimmer stürzend; »ein ganzes Heer von Leuten umringt das Haus. Man will Euch nach dem Stadtgefängniß bringen, weil Ihr Mr. Spinney ermordet habt. Was soll ich ihnen sagen? Ich meinte schon, sie wollten die Thüre einbrechen.«

»Geht, und sagt, Mrs. Forster sei zu krank, um aus dem Bette genommen zu werden – sie sei ganz von Sinnen – hört Ihr, Betsy? Sagt ihnen, sie liege in einem tollen Rasen da

»Ja, ich will es, Marin,« versetzte Betsy, im Hinausgehen sich die Augen abwischend.

Miß Dragwell ging nach dem Fenster. Obgleich das durch Betsy ausgestreute Gerücht einen Volkshaufen vor dem Hause versammelt hatte, geschah doch kein Versuch zur Gewaltthat.

»Ich fürchte, daß es schon zu spät ist,« sagte die junge Dame, sich vom Fenster abwendend. »Welch' ein Haufen, und wie zornig sie zu sein scheinen! Nun wird Euch wohl nichts mehr von dem Galgen retten!«

»Oh nein! Ich will toll – ich will Alles sein, meine theure Miß Dragwell.«

»Wohlan denn, wir müssen uns beeilen – Ihr braucht Euer Kleid nicht anzuziehen – der Unterrock ist weit besser; ich will Euch aufputzen.«

Miß Dragwell durchstöberte nun die Kommoden und brachte unterschiedliche Federn und farbige Bänder zusammen, die sie mit Stecknadeln an der Bandage um Mrs. Forsters Kopf befestigte; dann zog sie einen langschößigen schwarzen Frack, den Mr. Nicholas Forster abgelegt hatte, heraus, ließ die eingeschüchterte Xantippe ihre Arme durchstecken und knöpfte ihn vorn zu.

»Das wird vorderhand zureichen,« rief Miß Dragwell. »So, da ist die Katze – nehmt sie in Eure Arme, geht damit an's Fenster und hätschelt sie, als ob sie ein kleines Kind wäre. Ich will das Fenster aufmachen – Ihr kommt vor und macht ihnen einen Knix. Dadurch verbreitet sich in der Stadt das Gerücht, daß Ihr vom Verstande gekommen seid, und das Uebrige geht dann leicht.«

»Oh! ich kann nicht – ich kann nicht an das Fenster gehen – wahrhaftig, 's ist mir unmöglich.«

»Ich will das Fenster öffnen und die Leute anreden,« sagte Miß Dragwell.

Damit zog sie den Schieber auf und theilte der gaffenden Menge unten mit, daß Mrs. Forster zwar ganz von Sinnen, aber vollkommen harmlos sei.

»Vollkommen harmlos, nachdem sie einen Menschen erschlagen hat?« bemerkte einer von den Untenstehenden.

»Sie wollen mir nicht glauben, Mrs. Forster; kommt, Ihr müßt, oder Ihr könnt dem Galgen nicht entrinnen.«

Durch ihre Furcht gedrungen, näherte sich Mrs. Forster nun dem Fenster und zeigte sich der erstaunten Menge.

»Verbeugt Euch gegen sie,« sagte Mrs. Dragwell ihr Taschentuch vor den Mund haltend.

Mrs. Forster knixte.

»Lächelt ihnen zu,« fuhr das boshafte Mädchen fort.

Mrs. Forster grinste schrecklich.

»Nun laßt Eure Katze tanzen.«

Mrs. Forster gehorchte der Einschärfung.

»Jetzt stoßt einen lauten Schrei aus und werft die Katze durch das Fenster.«

Mrs. Forster ließ ein häßliches Gezetter vernehmen und schleuderte das Thier auf die Köpfe der Zuschauer hinunter, welche sich entsetzt nach allen Richtungen zurückzogen.

»Nun brecht in ein Gelächter aus, verbeugt Euch vor den Zuschauern und winkt ihnen mit der Hand – dann wird's genug sein.«

Auch dem letzteren Befehle leistete Mrs. Forster Folge, und Miß Dragwell schloß das Fenster. In einigen Minuten lief das Gerücht durch die ganze Stadt, Mrs. Forster habe den Verstand verloren, und da Mr. Spinneys Tod ein nahezu erschöpftes Thema war, so wurde dieses für eine Weile verlassen, um die spätere Katastrophe von allen Seiten zu beleuchten.


 << zurück weiter >>