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Siebenunddreißigstes Kapitel

's ist süß, das dumpfe ehrliche Gebelle
Des Haushunds zu vernehmen, uns zum Gruß;
Noch süßer, wenn ein theures Aug' wird helle.
Sobald dem heim'schen Herd sich naht der Fuß.

Byron.

Edward Forster kehrte mit seinem kleinen Schützling leichten Herzens nach Hause zurück, denn er wußte, daß das Wort seines Bruders so gut war, wie seine Handschrift, und daß er unter der rauhen Außenseite ein edelmüthiges, teilnehmendes Herz verbarg. Es war gegen Anfang des Herbsts, als er wieder in seiner Hütte anlangte, und wie er abermals in seinem alten Lehnstuhle saß, tief er im Geiste aus:

»Da liege ich wieder für eine kurze Zeit vor Anker, bis ich nach einer andern Welt abberufen werde!«

Seine Prophezeihung traf ein, denn während des folgenden strengen Winters brach seine Wunde wieder aus, und seine geschwächte Constitution erlag den wiederholten Leiden. Er hatte das Bett kaum vierzehn Tage gehütet, als er fühlte, daß sein Ende herannahte. Er hatte sich längst vorbereitet und brauchte jetzt nichts mehr zu thun, als einen Brief an seinen Bruder zu schreiben, den er dem Fischer Robinson mit der Weisung übergab, ihn alsbald nach seinem Tode der Post zu übergeben; zugleich ertheilte er ihm den gemessenen Auftrag, das Mädchen in seine Obhut zu nehmen, bis Mr. John Forster sie abholen ließe.

Nach Bereinigung dieses letzten nöthigen Aktes theilte Robinson, der mit dem Briefe in der Hand an der Seite des Bettes stand, seinem alten Freunde und Gönner mit, daß die Familie in der Halle Abends zuvor vom Kontinent zurückgekehrt und die Gesundheit des jungen Aveleyn wieder völlig hergestellt sei. Diese Kunde veranlagte Forster, seine Pläne zu ändern. Auf die frühere Freundschaft des Lord Aveleyn bauend, schickte er Robinson nach der Halle, damit er dort seinen Zustand melde und den gnädigen Herrn bitte, nach der Hütte zu kommen. Lord Aveleyn entsprach unverweilt der Aufforderung, bemerkte aber auf den ersten Blick, daß Forsters Zustand keine Wiedergenesung hoffen ließ; er unterzog sich daher bereitwillig der Besorgung des Briefes und versprach dem Leidenen, Ambra in sein Haus aufzunehmen, bis sie mit guter Gelegenheit nach London gebracht werden könne. Es war bereits spät, als Lord Aveleyn seinem Freunde unter schwermüthigen Vorahnungen das letzte Lebewohl sagte; denn ehe die Sonne wieder aufgegangen war, hatte Edward Forsters Geist seine Freiheit errungen, um in die Heimath aller Edeln einzugehen, während die verlassene Ambra neben der gebrochenen Hülle weinte und betete.

Edward Forster hatte ihr seinen bedenklichen Zustand nicht verhehlt und sie, seit der Rückkehr von London, ausführlich mit allen Einzelnheiten bekannt gemacht, die mit ihrer Geschichte zusammenhingen. Die letzten paar Wochen hatte er jeden schmerzensfreien Augenblick benützt, um die Grundsätze, die er ihr eingeflößt, zu befestigen und sie auf das Ereigniß vorzubereiten, das nun wirklich stattgefunden hatte.

Ambra kniete an der Seite des Bettes; sie hatte lange so gelegen, ohne zu bemerken, daß es bereits heller Tag geworden war. Ihr mit den Händen verhülltes Antlitz war völlig durch das üppige Haar, welches sich dem Zwange des Kammes entrissen hatte, verborgen, als die Thüre des Gemachs leise aufging. Ambra hörte entweder das Geräusch nicht oder glaubte, Robinsons Tochter, welche als Dienstmädchen in der Hütte wohnte, sei eingetreten; sie richtete daher den Kopf nicht auf. Die Tritte kamen näher, ihr Schall hörte auf und Ambra fühlte, daß sie von ein paar Armen umschlungen wurde, welche bemüht waren, sie aus ihrer knieenden Lage aufzurichten. Jetzt erhob sie ihre Augen und streifte die Locken aus ihrer Stirne, um zu sehen, wer da sei – es war der junge Aveleyn, der über sie niedergebeugt war.

»Mein armes Mädchen!« sagte er im Tone innigen Mitleids.

»Oh! William Aveleyn!« rief Ambra in Thränen ausbrechend, während er sie noch immer mit seinen Armen umschlungen hielt.

Der Schmerz der Jugend ist theilnahmerregend, und William Aveleyn, obgleich siebzehn Jahre alt und schnell der Mannheit entgegenreifend, verschmähte es nicht, seine Thränen mit denen seiner früheren Spielgefährtin zu vermischen. Es stund einige Zeit an, ehe er Ambra, die sich in ihrem Kummer an ihn anklammerte, einigermaßen beruhigen konnte.

»Liebe Ambra, du mußt zu uns nach der Halle kommen; dies ist jetzt kein Platz mehr für dich.«

»Und warum nicht, William? Warum sollte ich schon so bald fort? Ich fürchte mich nicht, hier zu bleiben oder allein in der Stube zu schlafen, denn ich habe schon andere Leute sterben sehen. Ich sah Mrs. Beaseley sterben – ich sah den armen Treu sterben; und nun sind sie Alle todt,« sagte Ambra in Thränen ausbrechend, und ihr Antlitz an William Aveleyns Brust verbergend. »Ich wußte, daß er sterben würde,« fuhr sie nach einer Weile wieder fort, indem sie das Köpfchen aufrichtete – »er hat mir's gesagt; aber der Gedanke, daß ich ihn nie wieder werde sprechen hören – daß ich ihn sobald schon nicht mehr sehen soll! – Ich muß weinen, William.«

»Aber dein Vater ist glücklich, Ambra.«

» Er ist glücklich, ich weiß es; aber er war nicht mein Vater, William. Ich habe keinen Vater, keinen Freund auf Erden. Er sagte mir Alles, bevor er starb. Treu brachte mich aus dem Meere.«

Diese Kunde weckte die Neugierde William Aveleyns, welcher nun Ambra eines Weiteren befragte und von ihr Auskunft über den ganzen Hergang erhielt, wie er ihr von Edward Forster mitgetheilt worden. In Beantwortung seiner vielen Fragen wurde sie ruhiger.

Sie hatte ihre Erzählung kaum beendigt, als Lord Aveleyn, der von Robinson herbeigerufen worden war, in Begleitung der Lady Aveleyn vor der Thüre anfuhr, denn Letztere glaubte, ihre Anwesenheit und ihre Vorstellungen würden eher geeignet sein, Ambra zu einem Verlassen der Hütte zu bewegen. Nachdem sie die verwaiste Kleine von der Zweckmäßigkeit ihres Vorschlags überzeugt hatte, ließ sich Ambra ohne Widerstreben in den Wagen bringen und nach der Halle führen, wo Allem, was Wohlwollen und Theilnahme an die Hand gab, aufgeboten wurde, um ihren Schmerz zu mildern. Wir müssen übrigens jetzt die Halle verlassen und nach der Hauptstadt zurückkehren.

»Scratton,« sagte Mr. John Forster zu seinem Schreiber, als derselbe auf den Ruf der Klingel eintrat, »merkt's Euch, ich kann heute Niemand sprechen.«

»Aber Ihr habt mehrere Leute herbestellt, Sir,« versetzte der Schreiber.

»Laßt Allen wieder absagen.«

»Ja, Sir, und wenn Jemand kommt – soll ich sagen, daß Ihr nicht zu Hause seid?«

»Nein, ich bin zu Hause; warum zu einer Lüge Zuflucht nehmen? Aber ich kann Niemand sprechen.«

Der Schreiber schloß die Thüre, und John Forster setzte seine Brille auf, um aufs Neue den Brief zu lesen, der vor ihm lag. Es war Edwards Schreiben, in die Frankatur des Lord Aveleyn eingeschlossen, welcher ihm mit wenigen Zeilen den Tod seines Bruders meldete und zugleich bemerkte, daß Ambra in der Halle sei, wo man sie mit Freuden verpflegen werde, bis es dem Rechtsgelehrten passend dünke, sie abholen zu lassen. Edward dankte in seinem Briefe wiederholt für das freundliche Versprechen seines Bruders, und sagte ihm ein letztes ergreifendes Lebewohl. John Forster kämpfte eine Weile mit seinen Gefühlen, aber je mehr er sie zu unterdrücken bemühte, desto ungestümer traten sie hervor. Er war allein und konnte ihnen daher unverhohlen Raum geben. Die Akten vor ihm, die dem bitteren Kampfe des Lebens ihren Ursprung verdankten, wurden in ganz ungewöhnlicher Weise mit dem Zolle, den der Rechtsgelehrte dem Andenken seines Bruders abtrug, befeuchtet. Aber nach einigen Augenblicken war der alte Mann wieder ganz er selbst; alle Spuren der Aufregung waren verschwunden und Niemand, der ihn sah, würde an die Möglichkeit geglaubt haben, daß John Forster so tief ergriffen werden konnte. Am andern Tage traf man ihn nicht wie gewöhnlich in seinem Bureau, denn er war unmittelbar nach dem Frühstück auf eine sogenannte »Hausjagd« ausgezogen. Der Raum, den er in seinem Geschäftslokale bewohnte, reichte nicht zu für die beabsichtigte Vergrößerung seines Haushalts, und als er Edward sein Versprechen gab, wußte er wohl, wie kostspielig Ambra's Ausnahme für ihn werden würde. Dennoch hatte er beschlossen, sich dem Aufwande zu unterziehen. Er miethete eine bequeme Wohnung in Lincoln's Inn-Fields, die nicht zu weit von seinem Bureau abgelegen war, und kehrte wieder zurück, nachdem er einen Mietvertrag auf zwölf Jahre eingegangen hatte.

»Scratton,« sagte er, »seht mir nach einem Bedienten, einer Köchin, einem Stubenmädchen und einer gesetzten Person als Haushälterin – sie müssen aber gute Zeugnisse haben. Die Haushälterin sollte eine gebildete, verständige Person sein, da sie eine junge Miß in Obhut zu nehmen hat, denn ich wünsche nicht, daß mein Pflegling durch die Gesellschaft von Dienstboten gewöhnlichen Schlags verderbt werde. Habt Ihr mich verstanden?«

Scratton hatte verstanden und in weniger als einem Monate war, da in London für Geld Alles zu haben ist, das Haus von einem Citymöblirer einfach ausgestattet, desgleichen auch das gesammte Dienstpersonal in seine respektiven Posten eingeführt.

Mr. John Forster nahm Besitz von seinem Hause und sah eine Woche zu, ob Alles in gehöriger Ordnung ging. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß an der Einrichtung nichts mehr fehlte, die untergeordneten Dienstboten sich gut aufführten und die Haushälterin eine sanfte, einsichtsvolle Frau war, der man getrost die Sorge für ein kleines Mädchen anvertrauen konnte, so schrieb er an Lord Aveleyn, wiederholte seinen Dank für die Ausnahme des verwaisten Kindes und bat, daß Ambra dem Ueberbringer des Schreibens übergeben werben möchte. Die Besorgung des Auftrags wurde Mr. Scratton anvertraut, der nach gebührender Zeit in der Halle anlangte. Ambra weinte bitterlich bei dem Gedanken, sich von denen trennen zu müssen, die so freundlich gegen sie gewesen waren, um in die Hände eines Fremden überzugehen. Nachdem sie William Aveleyn das Versprechen abgenommen hatte, daß er sie auf seinem Wege nach Cambridge besuche, sagte sie ihren wohlwollenden Freunden Lebewohl, stieg mit Mr. Scratton in den Wagen und fuhr nun London zu.

Mr. Scratton war eine von jenen Personen, welche nur über Geschäftssachen sprechen mögen, und da er mit einem zwölfjährigen Mädchen nichts der Art zu verhandeln hatte, so schwieg er fortwährend, wenn nicht etwa die unbedingte Nothwendigkeit das Band seiner Zunge löste. Ambra blieb daher ganz ihren Betrachtungen überlassen. Welcher Art dieselben sein mochten, kann ich nicht sagen; so viel ist aber gewiß, daß es keine sehr angenehme Aufgabe war, mit Mr. Scratton zwei Tage in einer Chaise zu reisen. Ambra fühlte sich überglücklich, als sie an der Thüre von Mr. John Forsters neuer Wohnung anlangte. Der alte Gentleman, der nach einem Briefe ihres Begleiters die Stunde ihrer Ankunft berechnet hatte, war zugegen, um sie zu empfangen. Ambra war durch Edward Forster schon vornweg zu seinen Gunsten eingenommen, da ihr der Hingeschiedene gesagt hatte, sie werde in seinem Bruder einen Beschützer und nachsichtigen Vater finden. Sie eilte daher beim Eintritte in das Zimmer auf ihn zu und brach in Thränen aus, da Edward Forsters Lehren wieder in ihr Gedächtniß zurückkehrten. John Forster nahm sie in seine Arme und küßte sie.

»Armes Mädchen,« sagte er, »ich will dir sein, was dir mein Bruder war. Betrachte mich als deinen Vater; denn um seines Andenkens – und ich hoffe, bald auch um deiner selbst willen – wird mir diese Aufgabe zur Freude werden.«

Nach einer Stunde, während welcher Zeit Ambra wieder ruhig und fast heiter geworden war, wurde sie der Obhut von Mrs. Smith, der Haushälterin, übergeben, und John Forster eilte nach seinem Bureau zurück, um die verlorene Zeit wieder einzubringen.

Es stund nicht lange an, bis der alte Gentleman die Entdeckung machte, daß die Unruhe und der Aufwand, denen er sich seinem Bruder zu Liebe unterzogen hatte, für ihn selbst zur Quelle der Freude und des Genusses wurde. Er fühlte sich nicht länger einsam in der Welt – mit einem Worte, er hatte eine Heimath, in der ihm ein leuchtendes Auge entgegenstrahlte und ein liebevolles Herz seine Wünsche zu erfüllen eilte – wo sein wohlbekanntes Klopfen an der Thüre Freude verbreitete und dem sich Entfernenden mit Bedauern nachgeblickt wurde. In wenigen Monaten hatte Ambra das ganze Herz des Alten gewonnen. Die besten Lehrer wurden ihr gehalten, und sie genoß der ganzen Liebe, die ein zärtlicher Vater einem einzigen Kinde weiht – und zwar von einem Manne, welcher, als ihm der Vorschlag zu ihrer Aufnahme gemacht wurde, die Erklärung abgegeben hatte, »es sei schlimm genug, Kinder von eigener Zeugung zu ernähern.«

Gott behüte! Wie müssen sich nicht arme Autoren abjagen. So bin ich jetzt genöthigt, flugs wieder nach Indien zu eilen und an Bord des Bombay-Castle zu gehen.


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