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Dreißigstes Kapitel

Nun, beim zweiköpf'gen Janus,
Welch schnurr'ge Käuze hat nicht schon Natur
Gemodelt; manche blinzeln stets vergnügt,
Wie bei dem Dudelsack die Papageien,
Und and're haben solche Essigmienen,
Daß nie ein Lächeln ihre Zähne zeigt,
Und schwüre Nestor selbst, das Späßchen sei
Zum Lachen.

Shakspeare.

Am nächsten Vormittag verließen Nicholas und sein Sohn zeitig ihr Wirthshaus, um der Bestellung zu entsprechen. Der Himmel hatte sich aufgeklärt und die Straßen waren mit Leuten angefüllt, welche den Vortheil des schönen Wetters benutzt, um die verschobenen Geschäfte einzubringen. Nicholas, der in alle Richtungen stierte, nur nicht in die rechte, erhielt viele Püffe und Stöße, über die er sich beschwerte, ohne daß sich die betreffenden Personen die Mühe nahmen, auch nur umzusehen. Dieses Benehmen versetzte ihn in einen Anfall von Träumerei, aus dem er bald durch einen anderen Schlag auf die Schulter, welcher ihn fast im Kreise drehte, geweckt wurde. Und so ging's fort in einer Abwechslung von Träumerei und Aufregung, bis ihn Newton durch die Thüre des Rechtsgelehrten hineingezogen hatte. Der Schreiber, welcher Auftrag hatte, sie einzulassen, öffnete das Empfangzimmer, und sie trafen Mr. John Forster am Tische, wo derselbe, die Brille auf seiner Nase, eben den Bericht eines Attorney durchlas.

»Gehorsamer Diener, junger Mann. – Nicholas Forster, denke ich?« sagte er, die Augen von seinen Akten aufschlagend und Forster ansehend, ohne sich von seinem Stuhle zu erheben. »Wie geht es dir, Bruder?«

»Bist du mein Bruder John?« fragte Nicholas.

»Ich bin John Forster,« versetzte der Rechtsgelehrte.

»Schön; freut mich in der That, dich wieder zu sehen, Bruder,« sagte Nicholas, indem er seine Hand ausstreckte, welche mit einem »Hum!« entgegengenommen wurde.

Es trat nun eine kurze Pause ein.

»Junger Mensch, du kamst um zehn Minuten zu spät,« sagte John, indem er sich an Newton wandte. »Ich habe dich auf Punkt ein Uhr herbeschieden.«

»Es thut mir leid,« versetzte Newton; »aber es war ein große» Gedränge in den Straßen, und mein Vater machte mehrere Male Halt.«

»Warum machte er Halt?«

»Um sich gegen diejenigen zu beschweren, die ihn mit den Ellenbogen bearbeiteten. Er ist nicht daran gewöhnt.«

»Wird's bald werden, wenn er lange hier ist. – Bruder Nicholas,« fuhr er, sich umwendend, fort; als er aber bemerkte, daß Nicholas seine Uhr aufgenommen hakte und das Innere derselben untersuchte, änderte er die beabsichtigte Bemerkung. »Bruder Nicholas, was treibst du mit meiner Uhr?«

»Sie ist sehr staubig,« antwortete Nicholas, in seiner Untersuchung fortfahrend; »sie muß auseinandergenommen werden.«

»Nein, das soll sie nicht,« versetzte John.

»Sei unbesorgt; ich will es selbst thun und werde dir nichts dafür anrechnen.«

»Du wirst es nicht selbst thun, Bruder. Meine Uhr geht sehr gut, wenn man sie gehen läßt. – Thu' mir den Gefallen und gib sie her.«

Nicholas schloß die Uhr und bot sie seinem Bruder über den Tisch hinüber.

»Sie kann aber in diesem Zustande unmöglich gut gehen, Bruder.«

»Ich sage dir, sie geht, Bruder,« versetzte John, die Uhr in seine Tasche steckend.

»Ich habe die gedachten Artikel mitgebracht, Sir,« sagte Newton, sie aus seinem Schnupftuche hervornehmend.

»Schön; hast du das Verzeichniß?«

»Ja, Sir; hier ist es.«

» Nro. 1. – ein Diamantring.«

» Nro. 2. – –«

»Ich möchte eher glauben, daß sie Nro. 3. ist,« bemerkte Nicholas, welcher die Brille seines Bruders ausgenommen hatte. »Du bist nicht sehr kurzsichtig, Bruder.«

»Nein, Bruder Nicholas. Willst du so gut sein, mir meine Brille zu geben?«

»Ja; aber ich will sie dir zuvor abwischen,« versetzte Nicholas, indem er sie mit einem alten baumwollenen Schnupftuche zu poliren begann.

»Danke, danke Bruder – 's ist schon gut,« entgegnete John, indem er die Hand nach der Brille ausstreckte, sie in dem Futterale verwahrte und in seiner Tasche versorgte.

Der Rechtsgelehrte fuhr sodann in dem Inventare fort.

»Es ist Alles recht, junger Mann; ich will einen Empfangschein ausstellen.«

Der Empfangschein wurde unterzeichnet, worauf Mr. John Forster die Artikel in der eisernen Truhe verwahrte.

»Nun, Bruder Nicholas, meine Zeit ist gemessen? hast du mir noch etwas zu sagen?«

»Nein,« versetzte Nicholas zusammenfahrend.

»Gut denn; aber ich habe dir etwas zu bemerken. Erstlich kann ich dir, wie ich bereits gestern meinem Neffen sagte, in deinem Berufe nicht behülflich sein und auch keine weitere Zeit aufwenden, da sie für mich kostbar ist. So lebe denn wohl, Bruder. Da hast du etwas zum Lesen, wenn du nach Hause kömmst. John Forster nahm sein Taschenbuch heraus und übergab ihm einen versiegelten Brief.

»Neffe, obgleich ich nie die See sah und auch in meinem Leben nie mit einem Seemann in Berührung kam, so hat doch ein Jurist überall seine Hände. Ein Ostindiendirektor, der gegen mich in Verpflichtung steht, hat mir für dich die Stelle eines dritten Maten an Bord des Bombay-Castle versprochen. Hier ist seine Adresse – besuche ihn, und Alles wird dann in's Reine kommen. Du kannst, ehe du aussegelst, wieder hierher kommen und wirst hoffentlich gebührende Sorge tragen für deinen Vater, der – nach dem zu urtheilen, was ich bereits gesehen habe – das ihm gegebene Papier verlieren wird, obschon es etwas enthält, was man nicht alle Tage auf den Straßen findet.«

Nicholas war in tiefe Träumereien versunken und hatte, ohne es zu bemerken, den Brief auf den Teppich niederfallen lassen. Newton las ihn auf und steckte ihn, ohne daß es sein Vater beachtete, in seine eigene Tasche.

»Nun, Gott befohlen, Neffe; sei so gut, meinen Bruder mit fortzunehmen. Es ist was Gutes, kann ich dir sagen, bisweilen einen Onkel aufzufinden.«

»Ich hoffe, mein Benehmen wird beweisen, daß ich Eure Güte verdiene,« versetzte Newton, hocherfreut über den unerwarteten Ausgang der Zusammenkunft.

»Ich hoffe so, junger Mann. Guten Morgen. Nimm jetzt deinen Vater mit fort – ich habe zu thun.«

Und der alte Forster setzte seine Brille auf, um in seinen Akten weiter zu lesen.

Newton ging auf seinen Vater zu, berührte ihn an der Schulter und sagte in gedämpftem Tone, während er mit dem Kopf gegen die Thüre winkte –

»Kommt, Vater.«

Nicholas stand auf, zog sich einige Schritte zurück und wandte sich dann wieder um.

»Bruder, sagtest du nichts von einem Brief, den ich auf die Post geben solle?«

»Nein,« entgegnete John kurz abgebrochen, ohne seine Augen von den Akten zu verwenden.

»Nun, ich meinte doch, ich hätte von etwas Derartigem gehört –«

»Kommt, Vater. Der Onkel hat zu thun.«

»Gut; so leb' wohl, Bruder.«

»Leb' wohl,« entgegnete John, ohne aufzublicken.

Und Newton verließ mit seinem Vater das Zimmer.

Sie legten den Weg nach dem Wirthshause schweigend zurück, wenn man nicht etwa die gefällige Bemerkung des alten Optikers ausnimmt, daß sein Bruder sehr beschäftigt zu sein scheine.

Als sie in ihrem Quartier anlangten, beeilte sich Newton, den Umschlag zu öffnen, und fand darin die Anweisung auf fünfhundert Pfund, welche sein Onkel Tags zuvor auszufüllen befohlen hatte. Nicholas war in Erstaunen verloren, und Newton, der bereits einige Einsicht in den Charakter seines Onkels gewonnen hatte, war nicht wenig erstaunt über diese außerordentliche Freigebigkeit.

»Nun,« rief Nicholas, seine Hände reibend, »kann ich an meine Verbesserung der doppelten Hemmung gehen.«

Dieses Thema riß ihn so dahin, daß er sich in tiefen Gedanken verlor. Auf dem Umschlage befand sich nur ein kleines Stückchen Rath – »Wenn du die Anweisung einkassirst, so zeichne die Nummern deiner Noten auf.« Dies war Alles; Newton handelte sorgfältig darnach und erhob nur zwanzig Pfund, indem er das Uebrige in den Händen des Bankiers ließ. Am andern Tage besuchte Newton den Ostindien-Direktor und erhielt von demselben einen Brief an den Kapitän eines zu Gravesend liegenden Schiffes, das in einigen Tagen aussegeln sollte. Er begab sich daher unverweilt an Ort und Stelle, legte seine Beglaubigungsbriefe vor und fand günstige Aufnahme, indem ihm der Kapitän zugleich bemerkte, daß seine Anwesenheit so bald wie möglich wünschenswerth sei. Unser Held hatte jetzt nur noch für seinen Vater ein Asyl aufzusuchen, und war glücklich genug, ein solches zu finden, wo er es am wenigsten erwartete. Er war in Greenwich an's Land gegangen, um die Londoner Kutsche zu benützen, und da er noch eine Stunde übrig hatte, verfügte er sich nach dem Hospital, um jenes Gebäude zu betrachten, das für jeden Matrosen so viel Interesse hat. Nachdem er es einige Minuten gemustert, setzte er sich auf eine äußere Bank zu mehreren Pensionären nieder, um sich mit ihnen über ihre Lage zu besprechen, als er Einen davon den Andern folgendermaßen anreden hörte:

»Ei, Steffen, seit der alte Mann todt ist, gibt es keinen mehr, der für uns paßt, und ich denke wohl, wir müssen uns in Zukunft ohne Blinzler behelfen. Jim Nelson sagte mir letzthin, daß der Kerl in der Stadt, der seinen Laden so voll polirten Messings hat, wie das Halbdeck der Amphitrite, als sie von dem geschnäbeligen hochgeborenen So und So kommandirt wurde – Jim sagte mir, daß dieser Mensch ihm einen Schilling und sechs Pence für ein neues Stück Flintglas vor seinem Steuerbordauge angerechnet habe. Nun weißt du, daß der alte Wilkins nie mehr forderte, als drei Pence. Wie wir eine solche Ausgabe erschwingen sollten, weiß ich nicht. Jim hatte nichts, als seine drei Pence, und so mußte er seine Blinzler dort im Versatz lassen.«

Wir müssen einen anderen Mann ausfindig machen. Der Laden ist zu vermiethen und gut eingerichtet. Wie wär's, wenn wir mit dem Gouverneur sprächen?«

»Wozu sollte dies führen? Er braucht keine Blinzler und wird daher kein Mitgefühl haben.«

Newton ließ sich mit den Leuten in ein Gespräch ein und fand, daß ein alter Mann, der sich in einem kleinen Laden neben dem Spitale durch Ausbesserung der Brillen für die Pensionäre sein Auskommen erworben hatte, kürzlich gestorben war – ein Verlust, den die invaliden Matrosen schwer empfanden, da die Optiker in der Stadt nicht zu so billigen Preisen arbeiteten. Newton betrachtete den Laden, der zwar klein, aber gemächlich war und eine angenehme Aussicht über den Fluß hatte; er zweifelte deßhalb nicht, daß dieses Unterkommen seinem Vater zusagen würde. Nach seiner Rückkehr machte er dem alten Nicholas den betreffenden Vorschlag, und dieser ging mit Freuden auf die Idee ein; sie besichtigten am andern Tage gemeinschaftlich das Anwesen und schloßen den Miethvertrag ab. Ein paar Tage nachher war Nicholas in seiner neuen Wohnung eingerichtet und emsig damit beschäftigt, die alten Pensionäre in die Lage zu versetzen, daß sie die Zeitungen lesen und ihre Points auf dem Cribage-Brett zählen konnten. Seine Kunden gefielen ihm und er ihnen deßgleichen. Der Erwerb entsprach ganz seinen Bedürfnissen, so daß er nie zu dem Bankier seine Zuflucht nehmen mußte, als wenn er etwa, einmal im Jahre, an seinem Geburtstage einen neuen Rock brauchte.

Sobald Newton seinen Vater untergebracht und seine eigenen Angelegenheiten besorgt hatte, machte er noch vor der Abfahrt seinem Onkel einen Besuch. Der alte Forster nahm seine Mitteilungen mit einem wohlgefälligen »Hum!« auf, und unser Held, der Takt genug hatte, um seine Visite abzukürzen, wurde von dem Rechtsgelehrten mit einem herzlichen Händedruck entlassen.


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