Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Als Albion nach des Himmels Worte
Sich aus der azur'nen Fläche rang,
Ward ihm zum Freibrief, zum Landeshorte
Die Losung verkündet durch Engelgesang:
Britannia, Britannia, herrsch' über die Meere,
Denn nimmer sind Sklaven der Briten Heere.

Wir haben Newton Forster verlassen, wie er in Folge eines Schlags auf den Kopf besinnungslos auf dem Pflaster lag, das zu dem Bristoler Hafendamm führte. Er blieb jedoch nicht lange liegen, sondern wurde von zwei stämmigen Burschen in blauen Jacken und dergleichen Beinkleidern, welche schwere Knüttel in den Händen trugen und zwischen Hemd und Weste eine Pistole versteckt hatten, auf die Schultern genommen. Diese matrosenartig aussehenden Leute warfen ihn auf die Sternbank eines Bootes, als ob es ihnen gar nicht leid thäte, ihrer Last loszuwerden, und da unser Held fortwährend in einem Zustand von Besinnungslosigkeit verblieb, so wurde er an der Seite eines Kutters, der ungefähr hundert Ellen von der Küste vor Anker lag, hinaufgehißt.

Als Newton wieder zu sich kam, vermochten seine schwimmenden Augen eben noch zu unterscheiden, daß etwas davor flimmerte, was ihnen in ihrem geschwächten Zustande Schmerz verursachte. Sobald er sich mehr sammelte, entdeckte er, daß ihm ein Mann eine kleine Kerze dicht vor die Lider hielt, um sich zu überzeugen, ob der vorgenommene Aderlaß die beabsichtigte Wirkung einer Wiederbelebung geübt habe. Newton versuchte sich zu erinnern, wo er war und was vorgefallen sei; diese Anstrengung war jedoch zu groß, und er sank wieder in einen Zustand von Betäubung. Endlich erwachte er wie aus einem Todestraume, blickte umher und fand, daß er aus dem Decke eines Kutters lag, während eine Frauensperson seine Stirne bähte.

»Wo bin ich?« rief Newton.

»Müßt Ihr das gleich zuerst wissen? Meint Ihr nicht, Ihr seid am Bord eines rührigen Kutters und zwischen den Decken desselben, wobei Ihr eine so liebevolle Pflege habt, wie die meinige ist, mein Schätzchen?«

»Und wer seid Ihr?«

»Wer ich bin? Wenn nicht etwa Jemand anders, so bin ich Judy Malony, das Weib des Hochbootsmannsmaten und eine gesetzlich kopulirte Frau.«

»Wie kam ich hieher?« fuhr Newton fort, sich auf seinen Ellenbogen aufrichtend.

»Ihr seid gar nicht gekommen, mein Schätzchen, sondern wurdet hieher gebracht.«

»Und wer brachte mich her?«

»Wer Euch herbrachte? Es war entweder das Gig oder das Jollenboot. Ich war übrigens damals nicht auf dem Deck, und so kann ich Euch beim Eid keine genaue Auskunft geben.«

»Dann bitte ich, könnt Ihr mir nicht sagen, weshalb ich mich hier befinde?« versetzte Newton.

»Schätz' wohl, vorausgesetzt daß Ihr's nicht bereits selber wißt. Ihr sollt Eurem Könige und Eurem Lande dienen, als ein braver Freiwilliger.«

»Dann bin ich also gepreßt?«

»Ihr könnt die Bibel darauf küssen, mein Schätzchen, und braucht nicht zu fürchten, einen Meineid zu begehen. Es war übrigens ein harter Schlag, den Ihr erhieltet – freilich ein Wink, daß man Euch brauchte; aber so Gott will, daß Ihr am Leben bleibt und wieder aufkommt, so wird es nicht gegen das sein, was noch gelegentlich kommen wird – Alles für die Ehre und den Ruhm von Altengland!«

Newton, der während dieser Bemerkungen über die Lage seines Vaters, welcher seiner Beihülfe so sehr bedurfte, und über den Zustand seiner armen Mutter nachdachte, sank wieder auf das Deck zurück.

»Na, da ist er wieder weg!« murmelte Judy Malony. »Zu meinen Landsleuten gehört er nicht, das ist so klar wie der Schlamm in dem Shannon, sonst würde er nicht so viel Wesens über einen Schlag mit dem Shillelah machen.«

Und damit hob Judy zuerst ihr Unterröckchen auf, half sich auf die Beine und ging dann nach dem Vorderschiffe.

Newton verblieb bis zu Tagesanbruch in einem Zustande unruhigen Schlummers, um welche Zeit er durch das Geräusch anlangender Boote und durch lautes Reden auf dem Decke geweckt wurde. Er konnte sich nicht sogleich alles Vorgefallene vergegenwärtigen, obschon ihn der Verband seines Arms, das filzige Haar und das von geronnenem Blute starre Gesicht bald Judy Malony's Mittheilung, daß er gepreßt sei, in die Erinnerung riefen. Die Zwischendecke des Kutters schienen verlassen zu sein, wenn nicht etwa in den Hängematten über seinem Kopfe Leute lagen, und Newton, der begierig war, weitere Auskunft zu erhalten, kletterte unter letzteren nach der Treppe hin, um auf das Deck zu steigen.

Etwa zwanzig wohlbewaffnete Matrosen waren damit beschäftigt, aus den Booten mehrere Leute, welche auf den Befehl des kommandirenden Offiziers nach dem Hinterschiffe gebracht werden sollten, an Bord zu schaffen. Newton bemerkte, daß die meisten davon keine bessere Behandlung erlitten hatten, als er selbst am vorhergehenden Abende, denn einige waren furchtbar entstellt und bluteten noch immer heftig.

»Wie viel habt Ihr im Ganzen, Mr. Vincent?« sagte der Lieutenant zu einem stämmigen Schiffsmeistersmaten mit einem furchtbaren Seitenbarte, der über dem losen Halstuch unter dem Kinne zusammenlief.

»Siebenzehn, Sir.«

»Und wie viele hatten wir zuvor? – Sechs und zwanzig, glaube ich.«

»Sieben und zwanzig, Sir, wenn man den jungen Burschen dazu zählt, den ich gestern Abend an Bord schickte.«

»Gut, so wird's gehen; es ist gerade genug, als wir unterstauen oder versorgen können. Sperrt alle in den Raum des Vorderschiffs hinunter, zieht die Treppe auf und legt das Gitter vor, bis wir aus dem Hafen sind. Sobald das Jollenboot an Bord ist, wollen wir Anker lichten.«

»Es wird sogleich nachkommen, Sir; ich hieß es auf Thompson und Merton warten, die nicht mit uns herunterkamen.«

»Ihr glaubt doch nicht, daß sie Reißaus genommen haben?«

»Denke nicht, Sir. Da stößt die Jolle eben ab.«

»Gut; in den Vorderraum hinunter mit den Leuten und die Luke gut verschlossen!« versetzte der Lieutenant. »Werft die Bootsfallen über und setzt den Haspel in Gang.«

Newton hielt dies für eine gute Gelegenheit, seine Einwendung vorzubringen, daß er Schiffsmeister und als solcher gegen den Preßgang geschützt sei; er näherte sich daher dem Lieutenant und redete ihn folgendermaßen an:

»Ich bitte um Verzeihung, Sir.«

»Wer seid Ihr?« unterbrach ihn der Lieutenant grämlich.

»Ich wurde gestern Abend gepreßt, Sir. Kann ich mit Euch sprechen?«

»Nein, Sir, Ihr könnt nicht.«

»Es dürfte Euch dadurch eine Ungelegenheit erspart werden, Sir –«

»Ich will mir selbst weitere Ungelegenheiten ersparen, indem ich Euch in den Raum hinunterschicke. Mr. Vincent, schafft diesen Mann nach vorn; warum ist er noch frei?«

»Er ist, glaube ich, unter den Händen des Doktors, Sir. Na, kommt mit, mein Herzchen – rührt Eure Spazierhölzer!«

Newton wollte Vorstellungen machen, wurde aber von zweien des Preßgangs sehr unceremoniös nach der Luke fortgerissen. Die Matrosen nahmen den Deckel ab und ließen ihn unter das Deck hinunter, wo er sich mit mehr als vierzig Andern, die vor Mangel an Luft und Raum fast erstickten, eingekäfigt fand. Die Unterhaltung (wenn sie so genannt werden konnte) bestand aus nichts, als einer fortlaufenden Kette von Flüchen, Verwünschungen und Angelöbnissen theurer Rache.

Das Jollenboot kehrte, nur von zwei Mann gerudert, zurück; alle übrigen Matrosen, darunter Thomson und Merten, hatten die Gelegenheit ersehen, aus ihrem erzwungenen Dienste zu entweichen. Mit einigen kräftigen Flüchen auf die Köpfe der Flüchtlinge und einem theuren Schwure, daß auch keine Spur von Dankbarkeit in einem Matrosen zu finden sei, ließ der Befehlshaber des Kutters die Anker lichten und stach in die See.

Die Aufträge des Lieutenants, wenn auch nicht speciell ausgeführt, faßten den Zweck in sich, eine lebendige Ladung zurückzubringen; sobald daher Sr. Majestät Kutter »der Lively« wieder in der See war, wurden die Lukengitter abgenommen, und die Gepreßten erhielten Erlaubniß, ihrer halben Anzahl nach abwechselnd auf das Deck zu kommen, obgleich zwei Matrosen mit gezogenen Stutzsäbeln an den Lukengeländern stehen blieben, um die Unzufriedenen zu Paaren zu treiben, welche eine derartige gesetzliche Autorität zu bestreiten sich erdreisten sollten.

Newton Forster fühlte sich glücklich, wieder auf das Deck zu kommen, denn er hatte während der paar Stunden Gefangenschaft so viel gelitten, daß er auch für diese Erlaubniß dankbar war. Der Himmel war klar, und der Kutter schoß, mit einer Geschwindigkeit von sieben oder acht Meilen in der Stunde, zwei Striche frei mit dem Winde an der Küste hin. Er war nach der Ausdrucksweise der Matrosen ein sogenanntes nasses Fahrzeug, und die kurzen Wellen der See brachen ohne Unterlaß über seine Buge und Scheerbalken herein, so daß man nicht nöthig hatte, zu seiner Reinigung Wasser zu schöpfen.

Newton wusch sich Gesicht und Kopf und fühlte sich neu belebt, als er die frische Kühle einathmete und während der Fahrt die Vorsprünge der Küste betrachtete. Seine ganze Umgebung bestand aus Fremden, die durchaus nicht zur Mitteilsamkeit geneigt schienen, denn selbst die Gleichgültigsten und Gelassensten drückten ihre Gedanken bloß in abgerissenen Sätzen aus; sie fühlten Alle nur zu sehr, daß ihre Plane und Entwürfe durch eine Gefangenschaft, die so ganz im Widerspruche stand mit ihren gerühmten angeborenen Rechten, über den Haufen geworfen worden seien.

»Wohin gehen wir?« fragte Newton einen Mann, der neben ihm stand und schweigend den Schaum vor dem Kiele des rasch dahin segelnden Schiffes bewachte.

»Zur Hölle, hoffe ich, mit denen, die uns hieher gebracht haben!« versetzte der Mann, mit seinen Zähnen knirschend, während das Düster der Rachsucht sein Gesicht überflog.

In diesem Augenblicke klatschte Judy Malony auf dem nassen Decke einher, um ein Netz voll Kartoffelschalen über Bord zu werfen. Newton erkannte sie und dankte ihr für ihre Freundlichkeit.

»Na, wahrhaftig, Ihr seid doch ein feiner Junge, nun Ihr manierlich und reinlich seid,« versetzte Judy. »Zum Henker mit dem Landstreicher, der Euch einen so derben Schlag versetzte! Ich fragte meinen Mann, wer es gethan habe; aber er schwört bei seiner Seele Seeligkeit, daß es Niemand anders gewesen sein könne, als Tim O'Connor, das rohe Best!«

»Wohin gehen wir?« fragte Newton.

»Schätz wohl nach ein paar Minuten zum Mittagessen.«

»Ich meine, was der Kutter für eine Bestimmung hat?«

»Oh! den Kutter meint Ihr? Wenn er seinen Weg finden kann, so geht's nach Plymouth – man wartet dort auf euch.«

»Wer wartet auf uns?«

»Je nun, drei schöne Fregatten, die nicht ohne Matrosen in die See stechen können. Ihr habt doch nie von einem Schiffe gehört, das ohne Leute ausgefahren ist? Die armen stummen Kreaturen können nichts von selber thun.«

»Wißt Ihr nicht, wohin die Fregatten gehen?«

»In die See, darauf setze ich mein Leben zum Pfande,« erwiederte Judy, welche nun nach dem Vorderschiffe ging und so der Unterhaltung ein Ziel steckte.

Am andern Morgen lief der Kutter in Hamoaze ein, und die Boote wurden an Bord geschickt, um die gepreßte Mannschaft auf dem Wachschiffe abzugeben. Hier mußte Newton zu seinem großen Aerger und Leidwesen finden, daß er mit den Andern in strenger Haft gehalten wurde. Am nämlichen Nachmittag kam von Osten her ein Schiff mit einem Haufen Uebelthäter, die wegen unterschiedlicher Verbrechen verurtheilt worden waren, an Bord eines Kriegsschiffes zu dienen. Man warf Alle ohne Unterschied bunt durch einander und behandelte sie in der gleichen Weise, bis sie endlich auf das Halbdeck berufen und ihre Namen aufgezeichnet wurden, damit sie auf die verschiedenen Kriegsschiffe vertheilt werden könnten. Jedes erhielt seine Quote von Matrosen und Taschendieben in gebührender Proportion; die Leute wurden in die Boote hinunterbeordert, und in weniger als einer Stunde befand sich Newton an Bord einer schönen Fregatte, die mit gelösten Fockmarssegeln im Sunde lag – ein Zeichen ihrer alsbaldigen Abreise.


 << zurück weiter >>