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Erstes Kapitel

Und was ist denn an diesem neuen Buche, von dem die Welt so viel Wesens macht? – Oh! es ist ganz aus dem Lothe, gnädiger Herr – ein durchaus unregelmäßiges Ding – keiner von den Winkeln an den vier Ecken ein rechter. Ich habe mein Lineal und meinen Zirkel in der Tasche, gnädiger Herr. – Vortreffliche Kritik!
Gib mir Geduld, gerechter Himmel! Von allem Gesalbadern in dieser salbadernden Welt ist vielleicht das Salbadern der Heuchler das schlimmste, das des Kritikers aber das peinlichste.

Sterne.

Was die Autoren im Allgemeinen bei der Sache fühlen mögen, weiß ich nicht, aber als ich so vorschnell zu meiner Feder griff, habe ich die Entdeckung gemacht, daß es in einer Novelle drei Theile gibt, in denen man es nur mit großer Schwierigkeit einem ekeln Publikum recht machen kann.

Der erste ist der Anfang, der zweite die Mitte und der dritte das Ende.

Jener Maler des Alterthums, der seine Leinwand der öffentlichen Kritik preisgab und zu seinem tiefen Schmerze finden mußte, daß in seinem ganzen Gemälde auch nicht ein Pinselstrich war, der nicht von dem einen oder andern Asterkritikus für mangelhaft erklärt wurde, erstand keine schwerere Pein, als mir durch die ungebetenen Bemerkungen meiner – möge sie der Henker holen – »wohlmeinenden Freunde bereitet wurde«.

»Ihr erster und zweiter Band gefällt mir,« sagt eine lange, kurzsichtige Blaustrümpflerin mit spitzigem Kinn und in Gelb gekleidet, die mir in's Gesicht sieht, als ob ihre Augen Mikroskope wären und sie allein den wahren Gesichtsfokus hätte; »aber im letzten, wo Alles von dem garstigen Linienschiffe handelt, schlagen Sie um.«

»Die Schürzung und Entwicklung Ihres Knotens will mir gar nicht gefallen, Sir,« ruft die Stentorstimme eines ältlichen Herrn – »nein, will mir gar nicht gefallen,« wiederholt er mit einer Autoritätsmiene, die er sich schon lang angeeignet hat, weil er aus dem Umstande, daß Niemand es für der Mühe Werth hält, seinen Ansichten zu widersprechen, den Schluß zieht, daß sie unumstößlich seien. »Es ist nichts da, als Tod.«

»Tod, mein theurer Sir?« versetzte ich in einem Tone, als ob ich den Ausluger auf dem Stengenkopfe anriefe, hoffend, ihn durch diese absichtliche Eisenfresserei einzuschüchtern: »ist nicht der Tod ein treues Bild des menschlichen Lebens, Sir?«

»Ei, ja,« knurrte er, entweder nicht hörend, oder nicht capirend; »es ist Alles ganz recht, aber – es wird zuviel umgebracht darin.«

»Sie werden wahrscheinlich zugeben, Sir, daß das Umbringen in einer Novelle kein Mord ist, und müssen natürlich auch dem professionellen Gefühle etwas zu gut halten. Nach fünfundzwanzig Jahren beständiger Uebung ist die Macht der Gewohnheit, mag ich nun das Schwerdt oder die Feder führen –«

»Nein, 's geht nicht, Sir,« unterbrach er mich; »das Publikum hat keinen Gefallen daran. Im Uebrigen,« fuhr der Hyperkritikus etwas milder fort, »finde ich einige recht unterhaltliche Kapitel darin, und ich kann im Allgemeinen so ziemlich sagen – daß es – nicht unangenehm geschrieben ist.«

»Ich finde Ihren ersten und dritten Theil recht hübsch, nicht aber Ihren zweiten,« quiekste ein Etwas, das ein Frauenzimmer sein sollte, mit sehr stark entwickelten Schulterblättern und Schlüsselbeinen, wie sich De Ville ausdrücken würde.

»Ach nein, ich bin nicht ganz mit Ihnen einverstanden, meine theure Miß Peego. Mir scheinen der erste und der dritte Theil bei Weitem die lesbarsten,« rief ein anderes Ding, das auf einem Stuhle saß und die Beine aus dem halben Wege zwischen Sitz und Teppich baumeln ließ.

»Wenn mir meine lange Dienstzeit ein Urtheil erlaubt, Kapitän –« sagte ein pomphafter Generalbeamter, dessen Rücken das Aussehen hatte, als sei er mit dem Küchenschüreisen durchsucht worden – »und wenn ich es wagen dürfte, Ihnen einen Rath zu ertheilen,« fuhr er fort, mich väterlich am Arm ein wenig bei Seite führend, »so würde dieser darin bestehen, nicht wieder einen Versuch zur Verteidigung des Schmuggelns zu machen. Ich bin der Ansicht, Sir, daß Sie sich als ein Offizier in Seiner Majestät Dienst eine befremdliche Blöße gegeben haben.«

»Ich werfe mich nicht zum Vertheidiger auf, Sir, sondern führe bloß die Gründe eines Schmugglers an.«

»Sie haben das Buch geschrieben, Sir,« versetzte er scharf; »und ich kann Ihnen versichern, daß es mich nicht überraschen würde, wenn die Admiralität Notiz davon nähme.«

»Meinen Sie, Sir?« entgegnete ich, mich erschrocken anstellend.

Die Antwort bestand nur in einem sehr bedeutsamen Kopfnicken, worauf sich der Herr Beamte weiter begab.

Aber das Aergste habe ich noch nicht erwähnt, und dies machte mich fast geneigt, mit dem sterbenden Löwen in der Fabel auszurufen – –

Ein Midshipman, ja, Leser – ein Midshipman – der früher zu meinem Schiffe gehört und vor meinem Stirnrunzeln gezittert hat, legte sich an meine Seite und bemerkte mit superkluger Miene –

»Ich habe Ihr Buch gelesen und – es sind ein paar gute Sachen darin.«

Hörts, ihr Admiräle und Kapitäne auf Halbsold! Hörts ihr Hafenadmiräle und Kapitäne bei der Flotte! Man sagte mir oft, daß der Dienst immer schlechter werde und zum Teufel gehe, aber ich konnte mich früher nie zu dieser Ansicht bekehren.

»Barmherziger Himmel! Welch' ein rachsüchtiges Gefühl liegt nicht in dem Ausrufe: »Oh, daß mein Feind ein Buch geschrieben hätte!« In dieser Weise angekläfft und angebellt zu werden von Leuten, welche Fehler zu finden meinten, während doch ihr Verstand nicht zureicht, um sie in die Lage zu setzen, etwas zu beurtheilen! Schriftsteller, folgt meinem Rathe und zeigt euer Gesicht nie, bis euer Werk die Feuerprobe der kritischen Journale durchlaufen hat – hütet euer Zimmer einen ganzen Monat lang nach der Erscheinung eurer literarischen Arbeit. Die Reviews sind wie die jesuitischen Beichtväter; sie leiten die Ansichten der Menge, und diese hält sich blindlings an die Winke derjenigen, welchen sie ihr literarisches Gewissen anvertraut hat. Und selbst wenn eure Schrift verdammt ist, so werdet ihr doch im Vortheile sein; denn ist es nicht besser, durch einen Streich von der Tatze des Tigers mit einemmale aller Leiden enthoben zu sein, als zollweise zu Tode gequält zu werden von Kreaturen, welche zwar alle den Willen, nicht aber die Kraft haben, den Gnadenstoß zu ertheilen.

Der Verfasser des Cloudesley bemerkt in seiner Aufzählung der für einen Dichter nöthigen Eigenschaften: »Wenn er dem Publikum seine idealen Personen vorführt, so muß er zuvor wohl erwogen haben, welche Qualitäten zu ihrem Wesen gehören, welche moralische Grundsätze er ihren Handlungen unterstellen kann, welche Folgen sich mit innerer Notwendigkeit daraus ableiten lassen, u. s. w. u. s. w.« Ich will nicht in Abrede ziehen, daß eine derartige Vorbereitung recht wohl am Ort ist; wenn ich es aber versuchen müßte, mich an solche Regeln zu halten, so würde das Publikum nie durch eine meiner Produktionen behelligt werden. Mein störrischer Sinn hätte dabei eine zu langweilige Reise in Aussicht, und wenn ich beim Einspannen meiner Pferde schon die Stationen berechnen müßte, so wollte ich lieber den Versuch ganz aufgeben und ruhig zu Hause bleiben. Ich mag keinen so methodischen Weg machen, sondern liebe es, Hand in Hand mit der Phantasie, mit einem leichten Herzen und einem noch leichteren Gepäcke umherzustreifen. Wenn ich aufbreche, besteht der ganze Vorrath meines Felleisens in einer einzigen Idee – aber Ideen sind hermaphroditischer Natur und die Geschöpfe des Gehirns sehr fruchtbar. Um mich verständlicher auszudrücken – bei dem Beginne der Arbeit habe ich nie einen Entwurf gemacht und oft ein Kapitel zu Ende gebracht, ohne auch nur im Geringsten zu wissen, aus welchen Materialien das nächste bestehen soll. Bisweilen hatte ich die Sache so satt, daß ich in der Verzweiflung die Feder wegwarf; aber bald nahm ich sie wieder auf, und sie schien wie ein pigmäischer Antäus neue Kraft aus dem Umstände gewonnen zu haben, daß sie den Boden berührte.

Ich erinnere mich, daß ich nach Beendigung des »Königseigen« so froh war, wie ein Fußgänger, der tausend Meilen in tausend Stunden zurückgelegt hat. Meine freiwillige Sklaverei war vorüber und ich fühlte mich emancipirt. Wo war ich doch damals? Ja, ich entsinne mich – ich kreuzte zwei Tage, um einen Felsen in dem atlantischen Meer zu entdecken, der nie existirte, als vielleicht in dem erschreckten oder betrunkenen Duselkopf irgend eines Kauffahrteischiffers. Es war ungefähr halb sechs Uhr Abends, und ich saß allein – ganz allein – in meiner Hinterkajüte – wie es der Kapitän eines Kriegsschiffes sogar in der Gegenwart seiner Schiffsmannschaft sein muß. Wenn Offiziere und Mannschaft ihr Ausgesendetwerden als eine Art Deportation bezeichnen, so kann man von dem Kapitäne recht wohl sagen, daß er zu einsamer Haft verurtheilt sei.

Ich konnte noch Niemand schicken, um ihm die Kunde mitzuteilen – ich hatte Niemand, von dem ich Sympathie erwarten oder vor dem ich die Ueberfülle meiner Freude ausgießen konnte; denn das wäre gegen die Dienstregel gewesen. Was konnte ich thun? Nun, ich konnte ja tanzen – und so sprang ich von meinem Stuhle auf, die Tour einer Quadrille beginnend und dazu vor mich hinträllernd.

»Glock drei, Sir,« rief der erste Lieutenant, der, ohne daß ich's bemerkte, meine Thüre geöffnet hatte und ein augenscheinliches Erstaunen über meine Bewegungen an den Tag legte. »Sollen wir zum Antreten trommeln lassen?«

»Allerdings, Mr. B.« versetzte ich; und er verschwand.

Diese Unterbrechung hatte mich nur für den Augenblick gestört. Ich war eben in der Höhe des Cavalier seul, als der erste Lieutenant seinen Kopf wieder in die Kajüte steckte.

»Alles anwesend und nüchtern, Sir,« rapportirte er mit einem gesetzten Lächeln.

»Den Kapitän ausgenommen, denken Sie vermuthlich?« entgegnete ich.

»Oh! nicht doch, Sir. Ich bemerke übrigens, daß Sie sehr heiter sind.«

»Das bin ich auch, Mr. B.; aber nicht vom Weine. Meine Trunkenheit ist eine intellektuelle, die mit den Kriegsartikeln nichts zu thun hat.«

»Wie meinen Sie, Sir?«

»Oh! ich meinte etwas, wovon Sie nie berauscht werden, da Sie nie in ein Buch hineinsehen – lassen Sie Retrait schlagen.«

»Sehr wohl, Sir,« versetzte der erste Lieutenant und verschwand.

Und auch ich schlug Retrait nach meinem Sopha. Ich warf mich darauf nieder und legte in meinem Innern das Gelübde ab, daß ich wenigstens zwei Monate keine Feder mehr aufnehmen wolle. Wir machen selten ein Angelöbniß, das nicht in Wirklichkeit gebrochen wird, und der Grund ist augenfällig; denn wenn wir es ablegen, haben wir uns zu einem Excesse verleiten lassen und sind unruhig über die Herrschaft, welche unsere andere Natur über uns gewonnen hat. Eine Zeitlang bleiben wir unserem Entschlusse treu, aber sie macht allmählig ihre frühere Kraft geltend, bis sie auf's Neue wieder hervorbricht und wir ihrem überwiegenden Einfluß nachgeben. Einige Tage später machte ich's wie der Matrose, der sich für seine Enthaltsamkeit belohnte, indem ich eifriger als je schrieb.

Du magst hieraus entnehmen, mein geneigter Leser, daß ich, zu schreiben fortfahre – wie Toni Lumpkin sagt, nicht meinen wohlmeinenden Freunden zu Gefallen, sondern weil es mir unausstehlich ist, mich selbst um eine Freude zu betrügen; denn was ich als Unterhaltung begann und als Plackerei fortführte, hat damit geendigt, daß er zu einer festgewurzelten Gewohnheit wurde.

Soviel als Prolog. Ziehen wir jetzt den Vorhang auf, damit unsere Schachspieler die Sühne betreten können.


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