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Vierundvierzigstes Kapitel

's ist gar zu hart, auf Reisen
Zu bleiben, wenn nichts Neues sie erweisen.
Ist da kein Beduin', kein Kamtschadale –
Kein Pascha mit drei Roßschweif' und drei Weibern,
Kein Russe mit so herbem Namensschwalle,
Daß selbst des Ruhm's Posaun' in Trümmern geht?

Nachschrift.

Beiläufig, habt Ihr letzthin keinen Freund
Gefunden, welcher dieses Ungeheuers
Beschreibung in 's Latein'sche überträgt,
Weil's doch in's Russische nicht gehen will?
Lateinisch wird sich's auch nicht übel machen.

Moore.

Ein paar Morgen nach diesem Gespräch mit seinem Onkel wanderte Newton eben sehr geschäftig durch die Straßen von London, um sich unterschiedliche Erfordernisse für seine Indienfahrt einzukaufen, als er plötzlich seine Hand ergriffen fühlte, noch ehe er Zeit hatte, sich die Züge der Person zu vergegenwärtigen, welche dieselbe mit so augenscheinlicher Wärme schüttelte.

»Mein theuerster Mr. Forster, ich bin ganz entzückt, Euch zu sehen, und schätze mich glücklich, aus Eurem Munde Euer ritterliches Abenteuer mit dem französischen Geschwader zu hören. Mrs. Plausible wird sich sehr freuen, ihren alten Schiffsgefährten wieder zu sehen; sie spricht oft von Euch. Ich muß mich übrigens Eurer versichern,« fuhr der Doktor fort, indem er aus seiner Tasche ein großes Paquet mit Karten hervorlangte und auf die oberste mit dem Bleistift Newton Forsters Namen verzeichnete. »Dies ist eine Einladung auf morgen Abend zu unsrer Conversazione, für die ich mir die Ehre Eurer Gesellschaft erbitte. Wir werden alle Literaten des Tages und auch ein wenig von dem Adel, wo nicht etwas mehr bei uns haben. Nun, Ihr werdet sehen. Darf ich Mrs. Plausible sagen, daß Ihr kommen wollt, oder soll sie sich in ihrer Hoffnung getäuscht finden?«

»Wenn es mir möglich ist, so will ich erscheinen,« versetzte Newton. »Vermuthlich nehmt Ihr's mit der Stunde nicht gar so genau?«

»Oh nein, von neun Uhr bis zwei oder drei; wenn Ihr übrigens hohe Personen zu sehen wünscht, so ist eilf Uhr die rechte Zeit.«

»Wohlan denn,« entgegnete Newton, »die Zeit, welche hohen Personen zusagt, wird auch für mich passend sein. Ich hoffe, Mrs. Plausible befindet sich wohl?«

»Ganz wohl – ich danke Euch. Gott befohlen.«

Und nun eilte Doktor Plausible so hurtig von hinnen, daß Newton daraus Anlaß nahm, ihm nachzusehen, um sich zu überzeugen, was ihn zu solcher Hast bewegen konnte. Da bemerkte er nun, wie Doktor Plausible einem andern Gentleman mit Wärme die Hand drückte, und einige Augenblicke später kam wieder das Kartenpaquet und der Bleistift zum Vorschein.

Es wird nöthig sein, einen kleinen Rückschritt zu machen, um dem Leser mitzutheilen, was sich seit der Annahme von Doktor Plausibles Werbung an Bord des Bombay-Castle zugetragen hat. Bei der Ankunft des Schiffes zu Madras hatte Miß Tavistocks früheste und theuerste Freundin, welche in dem Hochland wohnte, eine Bekannte beauftragt, Miß Tavistock zu empfangen, bis die Vorbereitungen zur Reise in's Innere getroffen werden könnten. Miß Tavistock wurde von dieser Bekannten auf's Freundschaftlichste bewillkommt und in ihr Haus aufgenommen; aber die Aussichten der jungen Dame hatten sich jetzt geändert, und ein Gleiches war auch mit ihrer innigen Anhänglichkeit gegen die Freundin ihrer früheren Jahre der Fall. Sie schrieb derselben die beabsichtigte Veränderung ihrer Lage und bedauerte, daß Doktor Plausible's Verhältnisse, welchen dessen alsbaldige Rückkehr nach England forderten, sie des Vergnügens beraubten, eine Freundin zu umarmen, die so tiefen Sitz in ihrem Herzen gefaßt habe. Der Brief war aber demungeachtet sehr kalt, und Miß Tavistock ärgerte sich sehr über ihre theuerste Freundin, welche, in ihrer Erwartung getäuscht, sie nicht einmal einer Antwort würdigte. Eine Woche später war Miß Tavistock mit Doktor Plausible ehelich verbunden, und vierzehn Tage später befanden sich beide auf der Heimfahrt. Doktor Plausible fand, daß die Angabe seiner Gattin über ihre Verhältnisse richtig war, folglich er die Mittel hatte, Equipage zu halten und mit Maaß Gesellschaft zu sehen. Kurz nach ihrer Rückkehr miethete Doktor Plausible ein Haus in einer ziemlich fashionablen Straße und suchte, da er nicht müssig bleiben mochte, sich als Geburtshelfer eine Praxis zu verschaffen; denn obgleich das Vermögen seiner Gattin beträchtlich war, sah er sich doch, um in London Equipage zu halten, genöthigt, »näher an den Wind zu segeln«, und zwar in andern Strichen, als ihm gerade angenehm waren; außerdem besaß er auch Ehrgeiz. Eine Nachtglocke, die mit großen Buchstaben als »Nachtglocke« bezeichnet war, damit die Leute am hellen Tag sehen mochten, daß es eine Nachtglocke war, weil dies natürlich in der Dunkelheit nicht anging – befand sich an der einen Seite seiner Hausthüre. Sie tönte so laut, wie eine Sturmglocke, und war in der Straße, wo Doktor Plausible wohnte, von Nr. 12 bis zu Nr. 44 zu hören.

Jedes Handwerk hat seine kleinen Geheimnisse, und das der Heilkunst besteht darin, sich Praxis zu verschaffen – eine Aufgabe, die dadurch erzielt wird, daß man die Leute glauben macht, man habe viel zu thun. Hat man es nur erst so weit gebracht, so folgt die Praxis von selbst, und Doktor Plausible wußte dies. Wenn er ausfahren wollte, ließ er den Wagen hin und wieder eine Zeitlang stehen, bis er endlich erschien und einstieg. Dann machte er eine ungefähr drei Stunden lange Runde durch alle fashionabeln Stadttheile, wobei er sich hübsch nach vorn setzte, damit ihn Jedermann sehen möge, wie er sein Visitenbuch musterte. Bisweilen hielt er, wenn er zwei oder drei Wagen vor sich hatte, an der Thüre irgend einer vornehmen Person, stieg aus, und stellte einige gleichgültige Fragen an den Pförtner. Ein anderer Kunstgriff bestand darin, daß er an irgend einem vornehmen Hause anklopfte und, gleichsam aus Versehen, nach einer andern mit schönen Titeln versehenen Person fragte. So entschwand der Morgen, und Doktor Plausible kehrte nach Hause zurück. Während des ersten Monats mußte der Nachtwächter, der für seine Mühe belohnt wurde, zwei- oder dreimal wöchentlich an der Nachtglocke läuten; später aber steigerten sich seine Funktionen, und er hatte sie jede Nacht einmal, wo nicht gar zweimal in Bewegung zu setzen, so daß die aufgestörten Nachbarn Doktor Plausible und seine ausgedehnte Praxis zum Teufel wünschten. Auch rasselte der Wagen nun hastig an der Thüre an, und man sah Doktor Plausible mit seinem Instrumentfutteral einsteigen und mit aller Hast von hinnen fahren; dies geschah hin und wieder zweimal des Tags. Mittlerweile spielte auch Mrs. Plausible ihre Rolle, indem sie ihre Bekanntschaft mit den Nachbarn immer weiter ausdehnte. Sie beklagte sich ohne Unterlaß über die Noth, wenn man einen Arzt zum Gatten habe; erklärte, daß Doktor Plausible nie zu Hause sei, und meinte, es sei ganz unmöglich, zu sagen, zu welcher Stunde man an's Essen komme. Die Tische waren mit Karten von großen und vornehmen Personen bestreut: Doktor Plausible hatte sie nämlich sich von dem Ladendiener eines im Rufe stehenden Kupferstechers, dem er für seine Gefälligkeit ein Geschenk machte, in Abwesenheit des Herrn zu verschaffen gewußt. Endlich wurden Doktor Plausibles Instrumente in gutem Ernste gebraucht, und obgleich man in der fashionablen Welt nichts von ihm wußte, wurde er doch von den Möchtegern-Fashionabeln berufen, weil sie meinten, daß er wirklich das Vertrauen der vornehmen Welt besitze.

Nun traf sich's, daß in derselben Straße ein anderer Arzt wohnte, der fast ein Gegenstück zu Doktor Plausible, nur nicht ganz so wohlhabend war. Er hieß Feasible, hatte keine ausgedehnte Praxis, und war noch obendrein mit einem Weibe und einer großen Familie belästigt. Natürlich wünschte er auch seine Kundschaft und seinen Ruf zu erweitern, zu welchem Ende er alles Mögliche versuchte, bis er endlich auf einen Plan kam, von dem er sich Erfolg versprach.

»Meine Liebe,« sagte er eines Morgens zu seinem Weibe, »ich habe im Sinne, eine Conversazione zu eröffnen.«

»Eine Conversazione, mein Theurer? – Ei, ist das nicht sehr kostspielig?«

»Nicht gerade; aber wenn es mir Praxis einbringt, wird das Geld gut angelegt sein.«

»Ja, mein Lieber, wenn es ginge, und wir das Geld auszulegen hätten.«

»Etwas muß geschehen; ich habe ja kaum noch einen einzigen Patienten. Ich denke übrigens, es wird gelingen. Geh, meine Liebe, besorge dieses Rezept und laß es durch den Knaben zu Mrs. Bluestone tragen. Wollte Gott, ich hätte ein paar Dutzend Patienten, wie sie. Ich schreibe mein Rezept, nehme das Honorar und erbiete mich, um gewiß zu sein, daß es richtig gemacht werde, es selbst in die Apotheke zu tragen.«

»Was fehlt denn der Mrs. Bluestone, mein Lieber?«

»Nichts; sie überißt sich – das ist Alles. Abernethy würde sie in vierundzwanzig Stunden kuriren.«

»Aber was ist's mit dieser Conversazione?«

»Geh und besorge das Rezept, meine Theure; wir wollen die Sache nachher besprechen.«

Dies geschah. Eine Liste der Personen, welche eingeladen werden sollten, wurden aufgesetzt, der Aufwand berechnet und die Angelegenheit in's Reine gebracht.

Der erste Punkt, welcher in Erwägung gezogen werden mußte, war die Größe der Karten.

»Diese, mein Lieber,« sagte Mrs. Feasible, welche, den Hut noch auf dem Kopfe, nach einem langen Ausgang in das Zimmer trat – »diese kosten drei Schillinge und sechs Pence das Hundert – für die größeren werden vier Schillinge und sechs Pence gefordert. Welche sollen wir nehmen?«

»In der That, meine Liebe, wenn man so viele ausschickt, sehe ich nicht ein, warum wir einen unnöthigen Aufwand machen sollten. Die für drei Schillinge und sechs Pence sind groß genug.«

»Das Graviren macht vierzehn Schillinge.«

»Nun, das ist nur der erste Aufwand. Conversazione in Altenglisch natürlich.«

»Und hier, mein Theurer, sind die Bänder für die Schärpen und Hauben der Mägde; ich kaufte sie zu Waterloo-House – sie sind sehr wohlfeil und machen sich beim Kerzenlicht sehr gut.«

»Hast du auch wegen ihrer Kleider mit ihnen gesprochen?«

»Ja, mein Lieber; Sally und Peggy haben weiße Kleider, und Betty kann ich mein eigenes borgen.«

Der Unterschied zwischen einer Conversazione und einem Rout besteht einfach darin, daß man in erstem erwartet, man werde nur sprechen oder zuhören, jedenfalls aber zu ätherisch sein, um etwas zu essen; in letzterem ist man in Haufen zusammengedrängt und speist Eis u. s. w., um sich zu erkälten. Eine Conversazione hat daher einen großen Vorzug vor dem Rout, sofern der Beutel dabei in Betracht kömmt, denn es ist viel wohlfeiler für den Geist, als für den Körper Nahrung beizuschaffen. Es hat fast den Anschein, als ob der Thee ein ebenso geeignetes Getränk für die modernen Literaten sei, als der Nektar vormals für die Götter war. Das Athenäum gibt Thee, und ich las kürzlich in einer Zeitung, daß auch die geographische Gesellschaft zu Lord G.'s Thee eingeladen wurde. Hätten Seine Gnaden gewußt, daß es ein auf der See erfundenes Getränk gebe, das sich weit besser für die wissenschaftliche Versammlung, über welche er den Vorsitz führte, qualifiziren dürfte, als der Thee, so würde er ohne Zweifel dieses substituirt haben; ich benütze daher gegenwärtige Gelegenheit, um ihm mitzutheilen, daß die Matrosen längst von einem Gemische Gebrauch machen, welches von ihnen Geo-graffy genannt wird: natürlich ist dies nur eine kleine Verketzerung des Namens der Wissenschaft, welche von ihrer Gewohnheit, den Accent auf die vorletzte Sylbe zu legen, herrührt. Ich will auch dem gnädigen Herrn das Rezept geben, da es sehr einfach ist.

Nimm eine zinnerne Kanne, geh nach dem Luckenfaß (vorausgesetzt, daß du vom Halbdeck aus Erlaubniß erhalten hast), und laß dir eine halbe Pinte sehr anstößig schmeckenden Wassers ab. Diesem füge eine Viertelspinte Weinessig und eine Portion zerbröckelten Schiffszwiebacks bei. Das Gemische rühre wohl mit dem Zeigefinger unter einander, knete dann die Zwiebacksbrocken gut zwischen Finger und Daumen, und iß sie mit beliebiger Geschwindigkeit, dann gieße die Flüssigkeit nach, um Alles hinunter zu waschen.

Dies wäre nun ganz eine Komposition, um in einer geographischen Gesellschaft herumgeboten zu werden, da sie nicht ohne Grund den Namen Geo-graffy trägt; der Weinessig und das Wasser repräsentiren die grüne See, während die Zwiebacksstücke, die darin schwimmen, die von dem Meere bespülten Kontinente und Inseln darstellen.

Nun, Mylord, wißt Ihr mir keinen Dank für diese Mittheilung?

Wir müssen jedoch zu dem Conversazione von Doktor und Mrs. Feasible zurückkehren.

Die Gesellschaft langte an – ein Pochen um's andere. Die ganze Straße wurde betäubt durch den Lärm der Miethkutschenräder und das Niederrasseln der eisernen Tritte. Doktor Feasible hatte einige Druckschriften beigeschafft – etliche indianische Götzen aus einem Laden in Warthur-Street, die gebührend mit Zetteln versehen und getauft waren – dazu noch einige andere Siebensachen – Alles nur um Unterhaltungsstoff zu liefern. Die Gesellschaft bestand aus mehreren Aerzten und ihren Gattinnen, dem großen Mr. B. und dem witzigen Mr. C. Dann waren auch noch zehn oder zwölf Schriftsteller oder Gentlemen, die der Autorschaft verdächtig schienen, vierzehn oder fünfzehn Apotheker (natürlich lauter wissenschaftliche Leute), ein Obrist, ein halb Dutzend Kapitäne, und um das Ganze zu krönen, ein Cityritter und seine Gattin zugegen, die übrige unwissenschaftliche und nicht fachmäßige Bekanntschaft nicht mit eingerechnet. Für den Anfang war dies recht gut, und die Gesellschaft entfernte sich mit hungrigen Magen, aber dennoch hoch entzückt von ihrer Abendunterhaltung.

»Was mag dieser Lärm zu bedeuten haben?« fragte Mrs. Plausible ihren Gatten, welcher mit ihr in dem Besuchszimmer saß und das Lancet las, während sie häkelte, oder vielmehr nicht häkelte.

»Das kann ich dir in der That nicht sagen, liebe Frau.«

»Da schon wieder? Wahrhaftig, ich habe in einem Zeitraum von einer Viertelstunde doch auch gewiß dreißigmal an die Thüre pochen hören. Ich muß wissen, was es da gibt,« fuhr Mrs. Plausible fort, indem sie aufstand und die Klingel zog.

»Thomas, wißt Ihr nicht, was dieser Lärm zu bedeuten hat?« fragte Mrs. Plausible den Diener, welcher auf den Wink der Klingel erschien.

»Nein, Ma'am.«

»Nun, so geht und seht nach.«

»Ja, Ma'am.«

Mrs. Plausibles Ungeduld wurde während der Abwesenheit ihres Dieners durch das stets sich wiederholende Klopfen noch erhöht.

»Nun, Thomas?« sagte sie, als er wieder eintrat.

»Mit Verlaub, Ma'am, Mr. Feasible hält eine Conwersazion – das ist das Ganze.«

»Hält was?«

»Er meint eine Conversazione, meine Liebe. Es ist doch wahrhaftig sehr sonderbar, daß sich Doktor Feasible etwas der Art herausnimmt!«

»Ich bin auch der Ansicht,« versetzte die Dame.

»Er hält keine Equipage. Was mag ihn wohl dazu veranlassen?«

»Ich bemerke,« erwiederte Doktor Plausible, »er möchte Praxis kriegen. Verlaß dich darauf, das ist sein Plan – er wirft eine Wurst nach der Speckseite!«

Herr und Frau verstummten, wieder auf's Neue ihre Beschäftigungen aufnehmend; aber das Lancet wurde nicht gelesen, und in der Arbeit der Dame gab es lauter Knoten, denn Beide waren in ein tiefes Brüten versunken. Endlich begann Mrs. Plausible:

»Ich sehe in der That nicht ein, warum wir nicht eben so gut eine Conversazione geben könnten, als Doktor Feasible?«

»Ich dachte eben, daß wir noch weit besser in der Lage sind; unsere Bekanntschaft ist jetzt schon sehr zahlreich.«

»Und sehr achtbar,« versetzte die Dame. »Wir werden dadurch mehr in der Welt bekannt.«

»Und erweitern meine Praxis. Den Doktor Feasible will ich bald aus dem Felde geschlagen haben.«

Das Resultat dieser Konversation war eine Conversazione, welche jedenfalls in einem weit bessern Maßstabe eingeleitet und auch weit mehr besucht war, als diejenige, welche Doktor Feasible bei sich versammelt hatte. Doktor Plausible hatte über den Erfolg seines Nebenbuhlers bei einem gemeinschaftlichen Bekannten Erkundigungen eingezogen und sein Werk mit großer Emsigkeit betrieben.

Er ließ seinen Wagen vorfahren und machte zwei oder drei Tage vor der anberaumten Abendgesellschaft die Runde bei allen seinen Freunden, welche fremde oder einheimische Raritäten besaßen; er bewunderte dieselben, sprach gelehrt darüber und drückte den Wunsch aus, sie mehreren Gentlemen von Talent bei seiner nächsten Conversazione zu zeigen, worauf er eine Einladungskarte herauszog und so, mit allerlei Monstrositäten und Merkwürdigkeiten beladen, wieder nach Hause zurückkehrte.

In dem Erfrischungszimmer waren außer dem Thee auch Glühwein und Kirschengeist aufgestellt, so daß die Coversazione des Doktor Plausible von denen, welche zu beiden eingeladen gewesen waren, für weit vorzüglicher erklärt wurde, als die des Doktor Feasible. Ein wohlmeinender Freund besuchte Doktor und Mrs. Feasible, um ihnen die Kunde mitzutheilen. Sie thaten zwar sehr gleichgültig, bissen sich aber in die Lippen, um ihren Aerger zu verbergen. Sobald der Freund sich entfernt halte, begann Mrs. Feasible: –

»Nun, mein Lieber, was hältst du davon? 's ist gar nicht schön von Doktor Plausible. Ich habe diesen Morgen gehört, daß mehrere unserer Bekannten den Wunsch äußerten, bei ihm eingeführt zu werden.«

»Wir dürfen die Sache nicht aufgeben, meine Liebe. Doktor Plausible macht vielleicht einmal Eclat, aber ich vermuthe, seine Pferde fressen ihn aus Haus und Hof, und seine Handwerksleute werden es zu büßen haben. Wir halten keine Equipage und können es besser erschwingen; aber freilich ist's sehr ärgerlich, da dies unsern Aufwand vergrößert.«

»Allerdings sehr ärgerlich,« entgegnete die Dame. »Sieh' nur seine Karte an, mein Lieber – sie ist fast zweimal so groß, als die unsrige. Ich habe Mr. Tomkins darum gebeten, um eine Vergleichung anstellen zu können.«

»Gut, meine Liebe; wir müssen andere bestellen, und sorge dafür, daß sie etwa um einen Zoll größer werden, als die seinigen. Ich bin entschlossen, daß er sich's etwas kosten lassen muß, ehe er mit uns fertig wird.«

»Du hast gehört, was Mr. Smithson sagte? Sie gaben Glühwein und Kirschengeist.«

»Das müssen wir auch – ich habe große Lust, noch außerdem Eis zu geben.«

»Aber mein Theurer, bedenke nur die Unkosten.«

»Ganz recht, aber wir können unsern Glühwein und unsern Kirschengeist mit Eis kühlen. Das Pfund rohen Eises kostet, glaube ich, nur zwei Pence.«

»Nun, 's ist wenigstens eine Verbesserung.«

»Und es soll zu noch mehr führen, und wenn ich darüber zum Gantmann werden sollte,« entgegnete der Doktor in seinem Zorne.

Für die nächste Conversazione wurden von Doktor Feasible größere Karten ausgegeben. Auch die Gesellschaft war umfangreicher, denn er hatte einen Provinz-Baronet überredet, sich einzufinden, sich die Gönnerschaft zweier Damen von Rang (mit einem kleinen, leichten Flecken in ihrem Wappenschilde) gesichert und unter Anderen einen französischen Grafen (oder Aventurier), einen schnurrbärtigen Baron, zwei deutsche Studenten in ihrem Kostüm und langen Haaren, dergleichen eine Schauspielerin von einigem Rufe gesammelt. Die Sehenswürdigkeiten bestanden aus dem Kopfe eines neuseeländischen Häuptlings, aus rothem Schnee (oder vielmehr rothem Wasser, da er geschmolzen war), welchen der Kapitän Roß mitgebracht hatte, einem Stück Granit von dem Crokergebirge, einem Kätzchen in Weingeist mit zwei Köpfen und zwölf Beinen, ferner einem halben Dutzend Embryonen aus der Klasse der Vögel und Amphibien. Alles lief herrlich ab. Die zwei letzten Honorare wurden darauf verwendet, die Partie in der Morgenpost zu celebriren, und Doktor Feasible's Triumph war vollständig.

Die Freude sollte jedoch nicht lange dauern. Zehn Tage später theilte Doktor Plausible wieder Karten aus, die weit größer waren, als Doktor Feasible's, und außerdem eine schöne Randverzierung von Lilien und Rosen hatten. Männliche Bedienung, Thee und Kaffee, Eis und Liqueure wurden vorbereitet – und Doktor Feasible verging fast, als er die Pastetenbäcker mit ihren Platten ein- und ausgehen sah. Doktor Plausible hatte in seiner Liste bereits fünf gefeierte Blaue, vier vornehme Damen von besserem Rufe, als Doktor Feasible's, sieben oder acht Baronete und Ritter, einen Bischof von Fernando-Po, drei oder vier Generäle und ein Dutzend französische und deutsche Gäste eingereiht, die nicht nur Titel hatten, sondern auch Orden in ihren Knopflöchern trugen. So weit war er gekommen, als er Newton Forster begegnete und ihn der Zahl der Geladenen beifügte. Nach ungefähr zwei Stunden kehrte er strahlend vor Lächeln zu seiner Gattin zurück.

»Meine Liebe, was meinst du wohl, wer uns morgen Abend zu kommen versprochen hat?«

»Wer, mein Lieber?«

»Prinz Fizzybelli!«

»Du wirst doch klug sein?« rief die Dame in hohem Entzücken.

»Ja, er hat's ganz ausdrücklich zugesagt.«

»Was werden die Feasibles sagen!« rief Mrs. Plausible. »Aber – ist er auch ein wirklicher Prinz?«

»Ein wirklicher Prinz? Ei freilich – in der Tartarei aller Welt bekannt.«

»Nun, lieber Mann, auch ich habe gute Neuigkeiten für dich. Da ist das Antwortschreiben des Mr. H., welcher verspricht, dir die Wachsfigur aus Deutschland zu borgen – ein Frauenzimmer in dem ersten Stadium der Par – Partu – ich kann das Wort nicht herausbringen.«

»Vortrefflich! ganz vortrefflich!« rief der Doktor, seine Hände reibend; »jetzt wird's gehen.«

Newton, welcher neugierig war, eine Conversazione zu sehen, da er nie von etwas der Art gehört hatte, verfehlte nicht, sich zur bezeichneten Stunde einzufinden. Er wurde die Treppe hinauf in das Besuchzimmer gewiesen, an dessen Thüre ihn Mr. Plausible in einem blauen, mit Silber gestickten Kleide empfing. Die nicht sehr großen Gemächer waren außerordentlich überfüllt, und Newton fand sich im nächsten Augenblick gegen eine Rarität geklemmt, während er in einem andern den Leuten auf die Zehen trat, die seine Entschuldigungen mit einem Dolchblicke und einem knurrenden »hat nichts zu sagen« entgegen nahmen.

Nun aber erscholl ein donnerndes Klopfen an der Thüre, welchem die Ankündigung von Sr. Hoheit, dem Prinzen Fizzybelli folgte. Prinz Fizzybelli ist drunten – Prinz Fizzibelli kommt herauf – (Prinz Fizzybelli tritt ein).

Wäre es angegangen, so würde Doktor Plausible seinen Gast mit Trompetengeschmetter empfangen haben, wie es gewöhnlich bei großen Männern auf der Bühne der Fall ist, da man heutzutage ohne eine derartige Auszeichnung einen großen Mann von einem kleinen nicht unterschoben kann. Die gemietheten Diener thaten jedoch ihre Pflicht, und der Name Fizzybelli zischte durch alle Ecken und Winkel des Zimmers. Doktor Plausible trat auf die Hühneraugen der alten Lady G., brachte Miß Periwinkle aus dem Gleichgewichte und rannte beinahe einen französischen Gelehrten über den Haufen, um seinen geehrten Gast an der Thüre zu empfangen. Dieser machte eine Verbeugung, betrachtete sich das Gedränge, blickte nach dem Kronleuchter, sah auf die Uhr, machte fünf Minuten lang ein sehr schläfriges Gesicht, ließ dann seinen Wagen wieder vorfahren, und entfernte sich.

Newton, der sich mehrere Raritäten, welche auf dem Tische umherlagen, betrachtet hatte, brach sich endlich nach dem Vorzimmer Bahn, wo das Gedränge dichter war, als sonst irgendwo. In der Voraussetzung, daß hier etwas besonders Interessantes zu sehen sei, blieb er, bis er sich in den Mittelpunkt gezwängt hatte, wo er zu seinem Erstaunen in einem langen Glaskasten die Gestalt eines in Wachs bossirten Weibes von sehr schönen Verhältnissen bemerkte. Die Figur war in Lebensgröße und im Zustande vollkommener Nacktheit. Sie lag aufrecht da und ließ alle Muskeln unterscheiden; außerdem konnte jeder Theil des Bildes entfernt werden und bot so dem neugierigen Blicke alle Organe des menschlichen Körpers in sorgfältig gearbeiteter Modelirung sammt der natürlichen Färbung dar. Newton war wie aus den Wolken gefallen. Er hatte schon in dem andern Zimmer mehrere Gegenstände gesehen, die ihm weit mehr für einen naturwissenschaftlichen Hörsaal, als für ein Besuchzimmer zu passen schienen; aber dies war in der That eine Neuigkeit, und als er noch obendrein gewisse halbreife Persönlein sah, welche meinten, der Mangel an Scham sei heutzutage eben so gut ein Beweis für Wissenschaftlichkeit, als er bei unsern ersten Eltern den Stand der Unschuld bekundete – Geschöpfchen, die fast noch Kinder waren und die Figur betrachteten, ohne sich abzuwenden oder zu erröthen – da verließ er mit Abscheu das Gemach und kehrte nach Hause zurück, sich mit dieser einzigen Conversazione für immer begnügend. Ich bin kein Freund der Blauen, denn im Allgemeinen greifen die Damen nur dann zu den Wissenschaften, wenn sie finden, daß die Männer nicht nach ihnen greifen wollen. Damen von Ruf sind oft merkwürdig häßlich. Allerdings gibt es auch oft Ausnahmen – Ausnahmen, auf die eine Nation stolz sein darf, Frauen, welche ihre Pflicht gegen Gatte und Kinder, gegen Gott und ihre Nebenmenschen treu erfüllen, obgleich sie mit einem Geiste begabt sind, wie ihn unter Zehntausenden kaum ein Mann besitzt. Dies sind himmlische Blaue, und unter den Wenigen leuchtet keine herrlicher hervor, als meine theure Mrs. S...e.

Mochte sich übrigens Newton befriedigt finden oder nicht, diese Conversazione machte Doktor Feasible den Garaus, der allen weiteren Kampf aufgab. Doktor Plausible trug nicht nur die Palme, sondern auch – was noch schlimmer war, die Praxis davon.


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