Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Ischia

Wenn die Sonne recht warm im Lenze auf die Erde scheint, dann gucken überall die Frühlingsblumen hervor und drängen sich ans Licht, als müßten sie nun auch ihren Teil von der süßen Wärme haben, als wollten sie sich nun gleich des Daseins erfreun. So tauchen aus dem tiefen Azurblau des Mittelländischen Meeres die einzelnen Inseln empor wie riesige Wasserblüten, in Duft und Farben prangend, daß die Sinne kaum die Fülle üppiger Schönheit zu fassen vermögen.

Es ist einer von den zahllosen Irrtümern, die ein Reisender dem andere nachspricht, man müsse Italien im Winter sehen, Italien habe keinen Frühling, sei im Sommer öde und verbrannt. Es ist wahr, ein italienischer Winter, ein Dezember- oder Januartag in Rom entzücken den Fremden im Vergleich mit der nordischen Heimat; aber es ist doch Winter. Die Kastanien- und Akazienbäume sind kahl, das Weinlaub ist abgefallen, und die Reben sind geschnitten, um als Reisig im Kamine zu dienen, denn man bedarf in Rom des Kaminfeuers drei Monate hindurch. Es ist oft, wenn die Tramontana weht, empfindlich kalt und die Luft sehr scharf und schneidend.

Aber schon der Februar bringt neues Blühen. Die Kastanienbäume schlagen aus, der Rasen färbt sich kräftiger, die Monatsrosen und der Lorbeer, die Akazien, die Orangen und die Serena blühen, die Sonne funkelt glänzender, und der Himmel wird dunkelblau. Keine jener Frühlingsempfindungen entbehrt man, die uns in Deutschland so süß sind; denn die Freude über das Erwachen der Natur ist in Italien ebenso groß, als ob man in Deutschland viele Monate zwischen Schnee und Eis gesessen hätte.

Überraschend sind für den Nordländer die Kraft und Schnelle, mit der sich im Frühling das Pflanzenleben entfaltet. Was bei uns durch Wochen sich langsam entwickelt, das entsteht hier in wenig Tagen in vollster Pracht; und es ist wohl mit die große Mannigfaltigkeit der Pflanzen, Sträucher und Bäume, welche den zauberhaften Eindruck des Südens hervorbringen hilft.

Man muß Neapel verlassen und den Kontinent Italiens, man muß im Sommer auf die Inseln gehen, um zu wissen, was der Süden ist, um eine vollkommen fremde Existenz zu begreifen, in der man fröhlich leben könnte, obschon man fast alle Bequemlichkeit unserer Zivilisation entbehrte.

Da liegen sie nebeneinander: Nisida, das Kap Miseno, Procida, die blaue Capri und das schöne Ischia, Kinder jenes Moments, in dem Erde und Meer sich im glühenden Feuer der Jugend begegneten und die Erde die Flammenströme ihres innersten Lebens in die bewegten Wellen des Meeres ergoß, das sie festhielt und erkalten machte. Und dies Feuerleben ist noch in den Inseln wirksam, es glüht noch in den heißen Quellen, es taucht noch auf in dem rauchenden Erdreich; es reift die feurige Traube, es funkelt in den Augen des eingebornen Volkes und brennt in der Flammenblüte des Kaktus und des Granatbaumes.

Ischia, die größte dieser Inseln, zeigt am meisten Spuren ihres vulkanischen Ursprungs. Wenn man, von Neapel kommend, in dem zunächst gelegenen Städtchen Ischia landet, so hat man vor sich einen bedeutenden Felsen von stumpfer Kegelgestalt, der vereinzelt im Meere ruht und aus reiner Lava besteht. Er wird durch eine Brücke mit dem Lande verbunden; auf seinem Haupte trägt er stolz die Festung Ischia. Unten am Ufer liegt das Städtchen Ischia, darüber der alte Krater, der vor fünfhundert Jahren die Insel so oft verwüstete, daß sie ganz von ihren Bewohnern verlassen und später durch Spanier und Griechen wieder bevölkert werden mußte, welche der König von Neapel durch große Privilegien auf das kleine Flammeneiland lockte.

Vier Städtchen liegen an der nordöstlichen Seite der Insel: Ischia, Casamicciola, Lacco und Forio. Ein breiter Weg, der einzige regelmäßige der Insel, der gebahnt über die Höhen und durch die Täler führt, verbindet sie. Hier auf den Inseln tritt die Eigentümlichkeit Italiens, keine Dörfer zu haben, recht auffallend hervor. Wo in Italien sich mehrere Familien nebeneinander angesiedelt haben, ist ein Städtchen – paese – gegründet, das seinen Marktplatz in der Mitte hat, seine Kirche, sein Kloster und hier am Meere seinen Hafen, die Marina. Ein Kaffeehaus, die Apotheke und ein paar Krämer, der Doktor und ein Chirurgus fehlen nie. An der Türe des letztern prangt ein Schild mit einem Manne, dem aus den Arm- und Fußadern das Blut wie aus einer Fontäne hervorspritzt, denn ein Aderlaß ist für den Italiener ein Vergnügen, eine Erleichterung, die er sich während der warmen Jahreszeit fast allmonatlich verschafft.

Die Städtchen sind durchweg mit Quadern gepflastert, die Häuser massiv, mit flachen Dächern. Sie haben Fenster, die, bis zum Boden gehend, auf kleine, eisengegitterte Balkons münden. Auf jedem Marktplatze findet man den Acquajolo mit seiner kleinen, buntaufgeputzten Boutique, aus der er Eiswasser und Limonade verkauft. Um diese versammeln sich die Männer der arbeitenden Klasse, während im Café die wohlhabenden Bürger und bei dem Speziale – dem Apotheker – die Geistlichen sich plaudernd zusammenfinden.

Auf den Inseln fühlt man es recht, wie die verschiedenen Sitten der Nationen Bedingnis der klimatischen und örtlichen Verhältnisse sind. In Ischia gibt es nur einen einzigen Wagen, der dem reichsten Bewohner Forios gehört. Es ist ein zweirädriges, einspänniges Kabriolett; und sooft man eine Spur von Rädern erblickt, weiß man, daß Don Antonio seinen Triumphzug durch die Insel gehalten hat. Zu Fuße vorwärts zu kommen ist bei den sehr steilen Bergmassen, bei der großen Hitze nicht leicht; und man bedient sich daher allgemein der Esel, denen für die Frauen ein kleiner Sessel – la sedia spagnola – aufgelegt wird.

So herrscht eine große Stille in diesen Gegenden; selbst nicht der Ton von Herden läßt sich hören. Wie nur ein Wagen auf Ischia existierte, so gab es auch nur eine Kuh. Butter ißt das Volk nicht; und bedarf man der Milch, so läßt man sich mit Ziegenmilch genügen. Kein Brüllen der Herden, kein Pferdegewieher, denn auch Pferde sind, weil nicht so sicher als die Esel, äußerst selten; kein Wagengerassel berührt das Ohr. In tiefem Schweigen liegen die Städtchen da und zwischen ihnen zerstreut die einzelnen Villen, aus denen dann und wann eine kleine, weiße Kirche hervorsieht. Jede Villa ist von ihren Weingärten umgeben, jeder Weingarten, mit hohen Mauern eingeschlossen, ein für sich bestehendes Ganze.

Ernst und hoch sieht der einst flammende Epomeo, dessen zackiger Felsrücken die Insel durchschneidet, herab auf das träumerische Stilleben zu seinen Füßen; und gewiß, hier in dieser kleinen Welt könnte man den Wunsch begreifen, in einfachstem Naturgenuß, fern von allen Zerwürfnissen der großen Welt und der Gesellschaft, sich selbst zu leben in träumerischer Ruhe; sich selbst und seinen Erinnerungen.

Das Volk auf Ischia ist schön, mit maurischem oder spanischem Typus der Gesichtsbildung. Am schönsten erschien mir der Menschenschlag in Forio, wo in der südlich feurigen Physiognomie, bei dem dunkeln Teint und dem rabenschwarzen Haar, die hellblauen Augen dem Volke einen besondern Reiz verleihen. Wie alle Italiener haben die Insulaner eine angeborne Höflichkeit und Feinheit im Umgange untereinander und mit Fremden. Sie sind selbst in den untersten Volksklassen rücksichtsvoll für die Frauen; und nirgend habe ich Männer so zärtlich besorgt für Kinder, so heiter mit ihnen spielend gesehen als hier. Es ist nicht wahr, daß der Italiener träge und müßig sei; er arbeitet den ganzen Tag mit Anstrengung, und das will viel sagen in einem Klima, in dem durch drei Monate das Thermometer selbst nachts nicht unter 25 bis 26 Grad zu fallen pflegt.

Die Hauptindustrie auf Ischia ist die Bereitung der irdenen Krüge, welche zum Wasserholen gebraucht werden, und jener Fliesen, mit denen man hier im Süden die Fußböden der Zimmer belegt. Der Ton, aus dem man sie fabriziert, ist vulkanisch und wird auf dem Epomeo in der Nähe eines alten Kraters, denn es sind deren mehrere, gewonnen. Von hier holen sie ihn herab, teils in weiten, aus Stroh geflochtenen Säcken, die über einen Esel gehängt werden, teils in großen Körben, die sie auf den Köpfen tragen. Wenn der Tag lang ist und der Arbeiter rüstig, so kann er dreimal den Weg hinauf und herab machen und gewinnt mit dieser sehr schweren Arbeit, die durch Einstürzen der Grabestellen oft gefährlich wird, zwei Karlin, etwa sieben Groschen preußisch. Keuchend, in Schweiß gebadet, kommen die Leute mit der Schnelligkeit einer Gemse von den steilen Höhen herunter; wechseln die Wäsche, um sich vor der ohne diese Vorsicht unausbleiblichen Erkältung zu schützen, und steigen gleich wieder den Berg hinan. Die Transpiration, welcher der Arbeiter in Italien unterliegt und die ihn zwingt, mehrmals im Tage sich frisch zu kleiden, macht es, daß die Männer aus dem Volke viel saubrer bei der Arbeit aussehen, als es bei uns der Fall ist. Auch die Frauen sind im ganzen nicht so unreinlich, als man oftmals behauptet; nur auf das Haar verwenden sie wenig Sorgfalt, und es ist eine Eigentümlichkeit der Italienerinnen, daß das ärmste Weib es nicht liebt, sich ihr starkes Haar selbst zu ordnen. Überall, in Rom wie in Neapel und auf den Inseln, sieht man abends die Frauen vor den Türen ihrer Häuser sitzen, beschäftigt, einander das Haar zu kämmen und einzuflechten. Da aber dies Geschäft gewöhnlich nur in den Feierstunden des Abends vorgenommen wird, denen dann die Nacht folgt, so ist am Tage wenig mehr von der Mühe zu spüren, die man darauf verwendete, und man ist recht zufrieden, wenn auf den Inseln ein großes, buntes oder weißes Tuch, turbanartig geknüpft, die verwirrten Flechten dem Auge entzieht.

Außer dem Industriezweig des Fliesenbrennens, dessen ich vorher erwähnte, ist es hauptsächlich der Weinbau, der die Ischianer und die andern Inselbewohner ernährt. Alle diese Inseln sind mit Weingärten bedeckt; in den Felsen befinden sich große Keller, und unablässig sieht man die Esel, mit kleinen Fässern beladen, von den Kellern herabziehen zu der Marina, wo der Wein nach Civitavecchia in kleinen Schiffen verladen wird. Die beiden Produkte, der Ton und der Wein, bedingen die Beschäftigung der Insulaner. Sie sind Töpfer und von diesen beschäftigte Arbeiter, Weinbauern und Weinhändler, Schiffer und Eseltreiber (Marinari und Ciuciari). Die Frauen spinnen mit der antiken Spindel Hanf, Seide und Baumwolle, weben die Stoffe für den eigenen Bedarf, und selbst die kleinsten Mädchen habe ich selten ohne Spindel gesehen.

Aber weil der Italiener abends nach vollbrachter Arbeit sich nicht wie unser Arbeiter in der Kneipe aufhält oder in das Bett legt, sondern plaudernd auf dem Markte oder an der Marina verweilt; weil die Italienerin mit ihrer Spindel bequem schwatzend umhergehen kann, weil man das Volk an den Feiertagen in ganz vornehmer Haltung das süße Nichtstun genießen sieht, bildet man sich ein, der Italiener sei müßig. Er ist ein fleißiger Mensch, bereit, sein Brot zu erwerben im Schweiße des Angesichts, jedoch mit dem Bewußtsein, daß er arbeite, um zu genießen.

Von jener dumpfen Trägheit des nordischen Bauern, von der Unbehilflichkeit, mit der er seine Glieder kaum anders als zur gewohnten Arbeit zu brauchen weiß und knechtisch verlegen jedem Wohlgekleideten gegenübersteht, hat der Italiener gar nichts. Der ärmste Marinaro, der kleinste Ciuciare gehen frei und aufrechten Hauptes einher, brauchen schickliche Redeformen und dienen selbst da, wo sie bezahlt werden, mit jener freundlichen Vornehmheit, mit der man einen Dienst leistet, weil man eben Lust dazu hat.

Immerfort habe ich von Reisenden über die Habsucht des Volkes sprechen hören und habe sie doch nicht größer gefunden als an andern Orten. Der Italiener hat ein besonderes Talent, die Bedürfnisse des Reisenden zu erraten, ihm das Leben bequem zu machen. Bald bietet er dem Durstenden eine saftige Frucht, bald reicht ein Mädchen, das am Brunnen Wasser schöpfte, dem Vorüberreitenden ihre frisch gefüllte Conca dar. Der eine pflückt blühende Myrten und Kapern zum Strauß, der andre bringt einen Sessel dar, wenn eine Dame vom Esel herabzusteigen wünscht. Will man diese kleinen Dienste nicht annehmen, so kann man die Dienstwilligen von sich weisen; tut man es aber nicht, das heißt, bedarf man der Erfrischung oder hat man Freude an der Blume, die für uns gepflückt ist, so ist es wohl billig, daß man ein paar Pfennige, denn damit begnügt sich jeder, dafür opfert. Ich weiß kein zivilisiertes Land in der Welt, in dem man den Fremden unentgeltlich, etwa um Gottes willen, bedient, und gar viele Gegenden, wo man selbst für Geld lange nicht die wohltuende, anständige Bereitwilligkeit findet wie hier.

Auffallend ist, je weiter man sich dem Süden Italiens nähert, die zunehmende Ungeniertheit, mit der ein jeder das Betteln als ein ganz natürliches Recht in Anspruch nimmt. Sobald man ein hübsches Mädchen, ein schönes, kleines Kind freundlich ansieht, so streckt das eine und das andre die Hand aus und sagt: »Date mi qualchecosa!« In Genua verhüllen sich bettelnde Frauen das Gesicht, sie haben das instinktmäßige Gefühl der Erniedrigung, indem sie Gaben von Fremden verlangen; in Rom sind es großenteils elende Krüppel und hinfällige Alte, die in kläglichstem Tone von dem forestiere ein Almosen erflehen; aber in Ischia, mehr als in Procida und Capri, hält es offenbar jeder für ganz natürlich, daß der Fremde, der soviel Geld zum Reisen hat, ein klein wenig davon dem armen Insulaner abgebe, auf dessen Insel er Vergnügen und Gesundheit sucht.

Ein Schneider, der mit mehreren Gehilfen vor seiner Türe arbeitete, stand einmal auf, näherte sich unserer Gesellschaft und sagte ganz zutraulich: »Signori, date mi qualchecosa!« Eine wohlgekleidete Frau, die mit andern plauderte und mich auf den Balkon hinauskommen sah, grüßte freundlich, hielt die Schürze auf und rief mir die gewohnte Phrase zu. Bekommen sie nichts, so geben sie sich bald zufrieden, und weit davon entfernt, das schmachvoll und lästig zu finden, hat es mir nur einen wunderlichen und komischen Eindruck gemacht. Das Volk arbeitet, soviel es kann, und betrachtet das Betteln wie einen unschuldigen Nebenerwerb, den es in seinen Mußestunden versucht.

Und wie gern gönnt man ihm die wenigen Gran, wenn man denkt, daß es sich damit seine fröhlichen Feste bereitet. Oh! solch ein Kirchenfest am Ufer des Meeres in Ischia, in Casamicciola, in Lacco oder Forio ist das fröhlichste Ding von der Welt. Da erstehen in wenig Stunden Altäre und Kapellen im Freien, an denen die Prozessionen vorüberziehen und halten, um sich segnen zu lassen. Wo die Prozession erscheint, knallen Freudenschüsse durch die helle Luft. Säulengänge, mit blühenden Myrten umflochten, ziehen sich am Meere hin, von bunten Papierlämpchen durchflimmert. An allen Häusern flammen Lichtchen auf; Lichtchen schaukeln sich auf den Barken, deren altes lateinisches Segel sich schwankend in dem Abendwinde bewegt.

Und der schlanke Marinaro in weißem Hemd und weißer Hose, die vielfarbige Schärpe um die Hüfte geschlungen, den schwarzbebänderten Strohhut auf dem Ohr, wie stolz geht er umher mit Frau und Kind in der selbstgeschaffenen Herrlichkeit! Da tanzen flinke Eseltreiber mit ihren roten Hängemützen die kecke Tarantella nach dem Klange des Tamburin. Das Lampenlicht funkelt durch das hellgrüne Weinlaub der Loggien, auf denen die Insulanerinnen sitzen; die ältern in vornehmer Ruhe, in der sichere Würde, welche die wertvollen, goldenen Ohrringe, die reichen Halsketten ihnen verleihen; die jüngern im fröhlichen Plauderscherz, bis das Tamburin näher und näher ertönt und mit seinem wirbelnden, schwirrenden Schalle auch sie fortreißt in den unwiderstehlichen Rhythmus der prächtigen Tarantella.

Wie fliegen die Blicke, wie keck naht sich der schöne Marinaro der schlanken und doch üppigen Frauengestalt! Wie weiß sie ihm auszuweichen, obgleich sie ihn zu fesseln versucht; wie zuckt Leben und Freude und Liebeslust in jeder Bewegung; wie stimmt die üppige Natur und das zauberische Licht wundervoll zusammen mit dem feurigen Tanze dieser schönen Menschen! Selbst die ältesten Frauen widerstehen ihm nicht, sie begleiten mit rhythmischem Gesange den einfachen Klang des Tamburin, bis endlich die Ermüdung dem Jubel ein Ende macht und sie heimkehren in die Häuser, schwatzend und singend.

Wohin man hört, ertönen dann auf allen Straßen, aus allen Tälern und von allen Höhen die beiden Lieblingslieder, die »Luisella« und das »Ti voglio ben assai!«, bis auch sie verklingen und sanfte Ruhe sich über die Insel lagert.

Aus den Lorbeerbüschen tauchen hell die Glühwürmchen auf, und mit weichem Flügelschlag schweben Nachtschmetterlinge und Zikaden durch die Nacht, die bald dem jungen Morgen weichen muß.

Dann ist es schön, auf der Höhe zu stehen, die hinabschaut nach Forio, dem weißen Städtchen, das heute noch die viereckigen, zinnengekrönten Warttürme der Sarazenenenzeit beschützen. Hoch auf den Lavabergen sind sie erbaut, weit hinauszuschauen in das Meer. Um sie her die schauerliche Verheerung jener Zeit, in der die Flammenströme der Erde sich auf ihre Oberfläche ergossen und sich festsetzten in wunderlichster, abenteuerlicher Gestalt. Kein Anbau gedeiht, keine Saat reift in der Verwüstung. Nur die stachlige indische Feige drängt sich zwischen den Spalten hervor und bringt ihre unzähligen, gelben Blüten und Früchte dar, die Nahrung des Volkes.

Und ganz nahe dabei, wo der Boden milder ist, da ziehen sich vom Fuße des Epomeo bis zum Meere herab die einzelnen Villen hin. Weinranken, wohin das Auge blickt; in üppigem Grün hängt die reifende Traube. Über dem hohen, schwankenden Schilfrohr der Canna sehen dunkelgrüne Johannisbrotbäume und Ölbäume mit ihren silberweißen Spitzen hervor. Flammende Granaten und schneeweiße Myrten lehnen sich um das Haus; wie ein hoher Freiheitsbaum ragt aus den scharfen, starken Blättern der mächtige Stamm der Aloe empor, seine große Blüte der Sonne entgegentragend. Glänzender Efeu umschlingt die Mauern und Bäume; schwankend und zart nickt die schöne, weiße Kapernblüte mit ihrem Violettgeäder von den Wänden herab, und die Klematis schlingt ihre Ranken, mit der Rose von Pästum vermischt, hinunter zu den roten und weißen Blumen der Oleandergebüsche.

Ach! diese Erde ist so unsäglich schön! Er muß ja alltäglich wiederkommen, der Sonnengott, wenn er sie einmal gesehen hat. Er kann nicht von ihr lassen; und weil sie so schön ist, liebt er sie und belebt sie mit seinen erwärmenden Strahlen. Schon taucht er empor hinter dem Rücken des alten Wächters der Insel, des starren Epomeo, der selbst erglüht unter dem Scheine des jungen Tages. Und alle Blüten bringen ihm ihre süßesten Düfte dar, alle Vögel flattern ihm entgegen, alles begrüßt den Tag. Nur der Mensch ruht noch und träumt in heiligem Schlummer.

Wie müßte es sich so süß träumen lassen in der Stille dieser kleinen Welt, wenn man das Ziel seines Strebens in derselben erreicht hätte, wenn nicht Wünsche und Gedanken hinausflatterten in die weite, weite Ferne.

Es soll Frieden sein in der Welt, so will es Gott; und der Friede ist da, aber wir verstehen ihn nicht zu fesseln und zu genießen; denn der Friede ist die harmonische Einheit alles Erschaffenen, und wir Menschen sind uneins geworden in uns selbst; wie sollten wir in Einklang und in Frieden sein mit andern und mit der Natur?

Weit vorspringend in das Meer, das Städtchen Forio beschützend, liegt die Felsenspitze des Monte Imperatore, dessen weiße, mit maurischer Kuppel gezierte Kirche hinausschaut von der Punta auf das Meer. Ganz vereinzelt liegt sie da. Nichts hemmt auf der Punta den Blick über das weite Element; und wenn sich die Seele gesehnt nach Ruhe und Begrenzung im Anschauen des stillen, traumwebenden Morgens, der jugendlich schön die Welt betritt, dann erweitert sie sich hier im Hinblick auf das Meer, dessen blendend weiße Segel von fremden Ländern und von fernen Städten sprechen, zu neuen Wünschen, zu ungemeßner Sehnsucht.

Aber Freude und Ruhe, die wir in der süßen Begrenzung ländlicher Stille für uns nicht mehr finden, wir suchen sie vergebens von Pol zu Pol, in Ost und West. Wie Zugvögel fliegen wir heimatlos über die Erde, erfreuen uns an dieser Blüte und an jener Frucht, rasten bald auf schattiger Matte, bald auf starrem Boden, finden manche Freude, manchen Genuß und suchen ewig das ewig Unerreichbare, das Glück.

Wie kam man nur darauf, ein Wort zu erfinden für etwas, was doch niemand kennt, niemand erreicht und, weil man das Wort gefunden hat, doch nun ein jeder erstrebt? Das Glück besitzen wollen, das ist so gefährlich, als den Stein der Weisen suchen. Es hat uns Ruhe und Frieden genommen, es treibt uns rastlos durchs Leben, und wir genießen das Leben nicht.

Jenseits der Wolken, sagen die Priester, da wohne das Glück; und lebensmüde, gebrochenen Herzens richtet das sterbende Auge dorthin den letzten Blick, die letzte irdische Hoffnung, und dort?


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