Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Das Tag-Theater

Die größte Promenade Genuas ist die von Acquasola, hoch über der Stadt, von der man in die schönen Tiefen und Täler hinabsieht.

Am Anfang dieser Promenade liegt das Tag-Theater, Teatro Diurno, das um viereinhalb Uhr nachmittags beginnt. In einem von großen Gebäuden jeder Art umgebenen Hofe befindet sich ein kleines, in hübschen Verhältnissen errichtetes Haus, welches einem Tempel in einem englischen Garten ähnlich sieht. Dies ist die Bühne. Vor dieser ist ein geebneter Platz mit festgestampftem Kiesboden, von einem Bretterzaune eingeschlossen und mit Leinwand zu überspannen bei ungünstigem Wetter. Innerhalb dieser Umzäunung sitzt das Publikum des ersten Platzes auf Strohsesseln, die man nach Belieben hinstellt, wohin man mag. Hinter dem Zaune sind die sich allmählich erhebenden Tribünen für die Zuschauer des zweiten Ranges. Für den ersten Platz zahlt man etwa fünf Groschen, für den zweiten drei Groschen. Auf dem ersten Platze sah man viel Offiziere, Männer aus den verschiedenen Ständen, wenige Damen und von diesen nur wenige mit Hüten. Die Mehrzahl schien den Mittelständen anzugehören und trug den weißen Musselinschleier und den unerläßlichen Fächer. Auf dem zweiten Platze waren Scharen von Matrosen, Soldaten, Handwerkern und auch hier verhältnismäßig viel mehr Männer als Frauen.

Man gab ein neues Schauspiel von einem jungen Genuesen. Es hieß »Nobili, Cittadini e Plebei« – Edelleute, Bürger und Volk und geißelte die Torheit aller Stände, vornehm, reich, bedeutend scheinen zu wollen und das Glück in Äußerlichkeiten zu suchen. Es war so geschickt gemacht wie die besten französischen Vaudevilles, so recht mit einem kecken Zuge hingeworfen. Das Personal mußte, da alle Stände vertreten waren, natürlich sehr groß sein. Ein alter Graf, dem Charakter nach eigentlich ein edler Mann, ruiniert durch den Glauben an die Pracht und den Aufwand, den er seinem Stande schuldig sei; der Marchese, sein Sohn, ein junger Taugenichts, der auf des Vaters Anraten eine reiche Frau sucht und diese in der Tochter eines Bankkassierers zu finden wähnt, dessen Sohn, ebenfalls ein junger Müßiggänger, der Freund des Marchese ist. Aber die Prachtliebe und die Lust, es dem Adel gleichzutun, von der der Kassierer, sein Sohn und seine Tochter besessen sind, haben ihn in Schulden gestürzt, trotz den Warnungen seiner jungen Gattin, die er nach dem Tode seiner ersten Frau geheiratet hat. Diese junge Frau und ihr früherer Verlobter, dem sie auf Befehl der Eltern entsagen mußte, um den anscheinend reichen Kassierer zu heiraten, sind die edlen Figuren des Stückes, die sich in dem allgemeinen Luxusschwindel frei und sicher in schöner Einfachheit bewegen. Den dritten Stand vertritt die Familie eines Schuhmachers, ebenfalls ein Elternpaar mit Sohn und Tochter. Der Sohn hat sich unter dem Titel eines Marchese Pelle – Fell – den beiden andere jungen Wüstlingen anzuschließen gewußt, die Mutter ist von der Ehre entzückt und hilft mit heimlichen Geldvorschüssen den Luxus bestreiten, der Vater dagegen tadelt den Müßiggänger und ermahnt die Tochter, welche einen elenden Wucherer, elend an Seele und Körper, um seines Reichtums willen heiraten will, einen hübschen, braven Schuhmachergesellen zu nehmen, der sie liebt und den sie eigentlich auch lieber hätte, wenn er nur vornehm genug wäre. Dazu kamen noch verschiedene Kammerjungfern, Domestiken und Nebenpersonen. Die Verwicklung war nicht sehr tief, aber die einzelnen Szenen von großer Naturwahrheit und die Charaktere festgehalten, ohne alle stümperhafte Überladung, wie von einem rechten Künstler.

Dies ganze große Personal spielte durchweg vortrefflich, mit Ausnahme der albernen Kammerjungfer, die von der Bühne herunter mit den Offizieren im Publikum kokettierte und darüber, wie das bei uns so vielfach geschieht, nichts weiter vergaß als ihre Mitspielenden. Die Kostüme, die Gebärden, die Sprechweise selbst der als Karikaturen geschilderten Schuhmachersfrau und ihrer Kinder waren naturwahr und ohne jene geschmacklose Übertreibung, welche jeden Glauben unmöglich macht. Die Frau des Kassierers, Signor Adolfo und der alte Graf waren meisterhaft, und wir Deutschen gestanden uns, daß wir von Deutschen ein solches Zusammenspielen nie gesehen hatten.

Was den Franzosen und Italienern auf der Bühne zustatten kommt, ist ihre größere Lebhaftigkeit und die Gewohnheit der südlichen Völker, das Gespräch immer durch Mienenspiel und Gestikulation zu begleiten. Ein Deutscher, dem trotz seines angebotenen Phlegmas von Jugend auf als Erziehungsgrundsatz die dumme Lehre gegeben wird: »Halte dich hübsch ruhig und sprich nicht mit den Händen«, glaubt immer, wenn nun bei dem Spiele eine Art von Bewegung nötig wird, jetzt müsse er etwas ganz Außerordentliches leisten, und dann kommt das telegraphenhafte Agieren und das ganze geschmacklose Übertreiben zum Vorschein, das bei uns jede Freude am Theater verdirbt.

Hier sprachen sie, wie die Franzosen es tun, Gleichgültiges gleichgültig, und niemand forderte nach deutscher Schauspieler Weise ein Glas Wasser mit Pathos und Emphase. Sie sitzen, gehen, stehen natürlich. Sie lachen unbefangen. Aber man mußte sehen und hören, mit welcher Todesangst die Frau des Kassierers auf einem Balle in ihrem Hause von ihrem Manne erfährt, daß er ruiniert sei und seine Kasse bestohlen habe! Sie stand ganz still, und nur in der immer schneller, immer dringender werdenden Frage »Eh ben?« lag eine Seelenangst, die uns alle zittern machte.

Dann folgte eine Szene, in welcher die schlecht erzogenen, in Luxus verwöhnten Kinder die Schande des Vaters entdecken und sich mit Ausrufen des Vorwurfs von ihm abwenden, weil er auch ihr mütterliches Erbe verschleudert hat. Und nun das Entsetzen der jungen Frau über dies Verbrechen der Stiefkinder! Die volle, versöhnende Hingebung, mit der sie dem Manne, den sie nur gezwungen geheiratet, der aber doch ihr Mann ist und dem sie Treue gelobt hat, um den Hals fällt und ihm ihre Mitgift anbietet! Ihr Schreck, da auch diese vergeudet ist und sie zitternd, nach Fassung ringend, sehr mild sagte: »Oh, ich traure nicht, ich erschrecke nicht um des Geldes willen, ich traure nur, daß ich nun nicht zu helfen weiß!« – das war in edelster Weise ergreifend und wahr.

Eine dritte Szene war nicht minder vortrefflich, in der Adolfo die Stieftochter der einst und noch von ihm geliebten Frau zum Weibe begehrt, um sie gegen die Verleumdung zu schützen, welche die Besuche des Marchese hervorgerufen haben, und der Mutter wenigstens diese neue Schmach zu ersparen. Er mahnte mich an St. Aubin vom Französischen Theater in Berlin, wenn er in Seribes »Calomnie« seiner Mündel die Worte zuruft: »Cécile, veux-tu m'épouser?« Es war derselbe zugeknöpfte Rock, dieselbe in sich zusammengefaßte, innerlich vornehme Haltung, durchaus einfach und schön.

Waren diese Figuren bedeutend, so war die Schusterfamilie als Marchese Pelle auf dem Balle höchst ergötzlich und doch in ihrer komischen Gravität nie so übertrieben, daß diese unmöglich geschienen hätte.

Der letzte Akt ging schon im Halblichte vor sich. Inzwischen war auch ein wenig Regen gefallen, und man hatte unter Schirmen dagesessen, wenn man welche hatte; denn zum Aufspannen der Zelte war der Regen zu unbedeutend. Das Publikum folgte mit großer Teilnahme und applaudierte verständig das Lobenswerte. Alle Schauspieler und der Autor, ein angenehmer, junger Mann, wurden hervorgerufen. Für den nächsten Tag meldete der Regisseur das Trauerspiel »Elektra« an. Ich war behindert, es zu sehen, aber ein Bekannter, gewöhnt an die Musterleistungen des Düsseldorfer Theaters unter Immermanns Leitung, der hingegangen war, versicherte mich, die Aufführung dieser Tragödie sei ebenso gelungen gewesen als die des Lustspiels und hätte kaum etwas zu wünschen übriggelassen.


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