Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Durch die Straßen!

Wenn man in den am Meere gelegenen Gasthäusern eine gute Aussicht haben will, so muß man die oberen Stockwerke wählen, da der Basar bis über die erste Etage reicht und die Aussicht raubt. Die Beletage besteht aus den Prachtgemächern dieser ehemaligen Paläste, aus großen Wohnungen, deren Preise sehr teuer sind, während man eine Treppe höher schöne Zimmer für ganz angemessene Preise erhält. Wir wohnten mit einer befreundeten deutschen Familie in verschiedenen Zimmern um einen gemeinschaftlichen Saal und hatten die schönste Aussicht über den ganzen Hafen, aber freilich hundertundvierundzwanzig Stufen hinaufzusteigen. Indes daran muß man sich in Italien, besonders in Rom, gewöhnen, wo klimatischer Rücksichten wegen die oberen Stockwerke die gesuchtesten sind, und auch schon in Genua hat es sein Gutes, weil die Ausdünstung der am Ufer verfaulenden Meerpflanzen in den niederen Etagen empfindlich ist.

Trotz dieser Vorzüge blieb es immer ein Entschluß, in die Wohnung zurückzusteigen, wenn man einmal auf der Straße war, und manche halbe Stunde, die zwischen einer Partie und der anderen unausgefüllt blieb, wurde um deshalb entweder im Café bei Sorbet oder im Umherwandern durch die Straßen zugebracht.

Eines Tages hatten wir unsere Wohnung verlassen, um dem Gottesdienste in der Kathedrale beizuwohnen, der zu Ehren des Geburtstages der Madonna gehalten wurde. Die Kathedrale, eine Kirche von halb gotischer, halb byzantinischer Bauart, ist von innen und außen in breiten Streifen mit weißem und schwarzem Marmor bekleidet, was ebenso auffallend als unschön aussieht und alle Dimensionen verkürzt erscheinen macht. Eine breite, schöne Treppe führt zur Kirche empor und war wie der ganze Platz vor derselben mit Truppen besetzt, die in ihren großen Bärenmützen zwar sehr stattlich aussahen, aber gewiß von der Mittagssonne tüchtig leiden mochten.

Das Innere der Kirche war ganz und gar mit rotem, goldbesetztem Damast überzogen, die Decke natürlich ausgenommen. Zwischen den Pfeilern und an den Altären hingen große Glaskronen mit brennenden Wachslichtern, Blumengewinde zogen sich heiter hindurch. Alle Kirchen Genuas verraten den Einfluß des Orients auf den Geschmack ihrer Erbauer, und so sah die Kathedrale mit diesem Aufputze vollkommen einer maurischen Ballettdekoration ähnlich.

Mitten im Schiffe waren zu beiden Seiten die Garden mit ihren Bärenmützen aufgestellt. Die Geistlichkeit im reichsten, mit Hermelin verbrämten Festornate saß in den Bänken um den Hochaltar und erwartete die Behörden, während der männliche Teil des Publikums plaudernd beisammenstand, die Stühle klappernd umhergetragen wurden und Damen und kleine Mädchen mit einer Rastlosigkeit die Fächer bewegten, die anfangs für mich etwas Qualvolles hatte. Es sieht aus, als ob eine Maschine sie alle in Tätigkeit erhalte oder als ob ein Krampf die Frauen zu diesem Fächerspiel zwinge.

Wir mußten lange warten. Endlich wurde vor dem Portale der Kirche getrommelt, die Geistlichkeit erhob sich und ging unter Vortragung des Kreuzes dem Militärgouverneur entgegen, der mit einem zahlreichen, glänzenden Generalstabe auf den reservierten Plätzen neben dem Klerus sich niedersetzte. Darauf folgten die Zivilbeamten in altertümlichen Kostümen von schwarzem und farbigem Sammet, mit breiten, gefalteten Halskrausen und schweren Goldketten. Dann kamen die Deputierten der Universität, ebenfalls mittelalterlich gekleidet, die Marineoffiziere, alles wie zu einer Cour.

Als die Behörden an ihren Plätzen waren, spielte man auf der Orgel mit Akkompagnement eines Orchesters in schnellstem Tempo und sehr schlecht die Ouvertüre zur »Zauberflöte«. Darauf folgte die Messe, ebenfalls in so lebhaftem Tempo und von so heiterer Melodie, daß man danach hätte walzen können, und draußen wurden dazu hundert Kanonenschüsse abgefeuert. Es war eine ganz gewöhnliche Geburtstagscour für eine unsichtbare Fürstin; von Gottesdienst im protestantischen Sinne war gar nicht die Rede.

Nach dem Ende der Messe verließen alle Behörden die Kirche, und es war eine Art Parade vor derselben, der wir beiwohnten. Schöneres Militär glaube ich nicht gesehen zu haben, sowohl was die Menschen als die Uniformen betrifft. Die dunkeln, ausdrucksvollen Gesichter, die kühnen Augen des Volkes geben den Truppen einen edeln, kriegerischen Anstrich, der hier aus der Persönlichkeit entspringt, durch die steife Dressur unseres Militärs keineswegs ersetzt wird und dem selbst die gesuchte Zierlichkeit der Uniformen keinen Abbruch tut.

Den ganzen Tag war es dem Feste zu Ehren ziemlich still in der Stadt, denn die Läden waren geschlossen, und Handel und Gewerbe ruhten. Die Straßen am Hafen bis fast hinauf zu den neueren Stadtteilen sind so eng, wie wir es im Norden nicht kennen. In Straßen, die kaum fünf Schritte breit sind, erblickt man die prächtigen Portale alter Paläste und durch diese Portale das Innere von Höfen, in denen aus marmorgeschmückten Bassins zwischen Statuen und Wappen sich zierliche Springbrunnen in die Luft erheben und plätschernd herniederfallen. Die Häuser sind so hoch, daß fast kein Sonnenstrahl in die Straße hineindringt, und grade deshalb hat man sie wohl so enge zusammengebaut; es ist eine Bauart, die durch das Klima und das helle Licht des Südens gefordert wird. Für uns aber, denen der Gedanke an lange, trübe Herbstwochen in der Seele lebt, hat der Anblick dieser sonneberaubten Stadtteile etwas sehr Beklemmendes, sosehr diese Enge uns auch hier zustatten kommen mochte.

Um den Feiertag im Freien zu genießen, gingen wir nach der Villa Pallavicini. In einem Wäldchen von ernsten, dunkelgrünen Zypressen liegt der fast orangegelb angestrichene Palast auf einem Hügel über der Stadt, von dem man das Meer in voller Freiheit überschaut. Prächtige Pinien mit ihrem breiten Dache, immergrüne Eichen und Olivenbäume ziehen sich vom Fuße des Hügels bis zu dem Zypressenwalde hinan, Oleander und Granaten blühen darunter hervor und mischen ihre farbenglühenden Blumen mit den weißen, duftenden Blüten der Orangen und des katalonischen Jasmins. Mit allen Sinnen atmete man den Süden ein; und nachdem wir eine Weile im Genusse dieser Schönheit geschwelgt hatten, bot man jeder Dame beim Scheiden einen der schönen Blumensträuße, die man in Italien so plastisch zu ordnen weiß, indem man um eine große Blume, welche das Zentrum bildet, die andern so eng und fest zusammenreiht, daß sie auf einem festen Stengel die Form flacher, kleiner Kuppeln gewinnen. Es sieht gut aus, und die Blumen erhalten sich länger frisch als die unseren, deren tief heruntergehende Stengel gleich verderben, wenn man sie ins Wasser setzt.

Von der Villa kehrten wir in die Straße zurück, welche sich zunächst dem Meere zum Thomastore hinzieht und in der wegen der Nähe des Hafens immer ein großes Treiben und Leben zu finden ist. Hier staunt man, welch prächtige und verschiedene Nahrungsmittel dem Volke zu Gebote stehen. Große Kuchen von Reis, geröstete Seefische aller Art, Schnecken, Tomaten (unsere Liebesäpfel), die gebacken und mit einer Farce von Käse und Fleisch gefüllt werden, Makkaroni, geröstetes Fleisch von den verschiedensten Sorten und eine reiche Auswahl herrlicher Früchte. Da alles auf eisernen Öfen in den Läden und auf der nicht mehr als zehn Schritte breiten Straße zubereitet wird, sieht man das Material und kann sich überzeugen, daß nicht verdorbene und unsaubere Dinge dazu verwendet werden.

In jedem dieser Läden brennt eine antike dreiarmige Messinglampe. Käse von riesiger Größe sind hoch aufgestapelt zwischen Melonen, Schinken, Würsten, Weintrauben, Tabak, Seife und Lichten. Hinten an der Wand prangt als Beschützerin der Viktualien ein kleines Madonnen- oder Heiligenbild, vor dem eine Lampe brennt. Soldaten, Matrosen von allen Nationen, Frauen mit ihren weißen Musselinschleiern auf dem glänzend schwarzen Haare, Geistliche, Mönche, Arbeiter, Kinder, das alles wogt bunt durcheinander.

Hier stehen Knaben, die in der engen Straße mit einer Art lederner Tambourins sich einen Ball zuwerfen; dort kniet ein Mädchen und läßt sich die frischgebratenen Koteletts auf ein Stück Papier legen; ein dritter kauft für zwei Sous ein großes Glas Wasser mit Zuckersirup und einer grünen Zitrone, welche er hineinpreßt. Männer stehen an der Ecke und singen für Geld dem Volke Geschichten vor, Geistliche plaudern mit hübschen Frauen, Mönche ziehen bettelnd umher, ihre kleine, hölzerne Tabaksdose diesem und jenem Bekannten präsentierend. Dazwischen klingen die Glocken der Maultiere, die, eines hinter das andere gebunden, mit Holz oder kleinen Öl- und Weinfässern beladen, langsam und vorsichtig die schmale Straße durchschreiten. Man kann sich kein fröhlicheres Treiben denken, man begreift nicht, wie es in dem schmalen Gäßchen Raum findet. Es schwirrt und summt wie in einem Bienenstocke, aber man wird nicht gestoßen, nicht belästigt; ich habe niemals Zankende oder Betrunkene gesehen. Als wir mitten in der langen Straße waren, kam noch ein Trupp Soldaten mit schöner Musik hindurch. Da mußte freilich alles in die Häuser flüchten, und das Gedränge wurde übermäßig, aber dennoch blieben die Leute höflich und achtsam. Eine von uns hatte eine weiße Mantille um, die in dem Gewühle, in welchem fast jeder saftige Früchte oder fette Speisen trug, gefährdet schien, aber alle, die in ihre Nähe kamen, sagten ein freundliches »Guarda, Signora!« (Nehmen Sie sich in acht!) und taten das mögliche, eine schädliche Berührung zu vermeiden.

Ein Dritteil der Männer waren wohl Geistliche, und wenn die alle wirklich im Zölibate lebten und nur noch einige folgende Generationen ebensoviel Priester brauchten, die wieder ehelos blieben, so müßten in Italien die Menschen allmählich selten werden wie in unseren ostpreußischen Wäldern das Elentier. Überall sind Geistliche, und sie sind alles. In allen Häusern Erzieher, in den vornehmen Familien Hauskapläne. Alle wohltätigen Stiftungen verwalten sie, alle Schulen sind in ihren Händen. Sie sind Bibliothekare und Kustoden aller öffentlichen Bibliotheken und Anstalten, sie sind eben alles, was einträglich und bequem ist – und außerdem noch Mönche in den zahllosen Klöstern, was das allerbequemste ist.

Da es für das Theater noch zu früh war, gingen wir in das größte Kaffeehaus Genuas, Le Grand Cairo, zunächst der Börse. Ich hatte immer gemeint, daß ein Handelsvolk wie diese Genueser auch für eine prächtige Börse gesorgt haben müßten, und fand mich sehr enttäuscht, als ich dies Gebäude zuerst erblickte. Es liegt mitten in dem ältesten Stadtteile an einem engen Platze unweit vom Hafen. Zwei Seiten sind an andere Häuser gelehnt, die beiden anderen sind frei. Die Börse ist eine große Halle mit Glasfenstern von oben bis unten, die ihr ein laternenhaftes, treibhausartiges Ansehen geben, obgleich man die Konstruktion des Dachstuhls, der aus Schiffsmasten besteht, sehr bewundert. Das Gebäude ist von innen und außen schmucklos; eine Reihe Bänke ziehen sich an den Wänden hin, einige schwere alte Tische stehen davor. Nachts hing eine brennende Lampe von der Decke herab. Sooft ich am Tage vorbeikam, zu den verschiedensten Stunden, sah ich Menschen darin, aber dennoch scheint das eigentliche Geschäftstreiben mehr auf der schmalen Straße vor sich zu gehen, die von der Börse hinabführt nach dem Freihafen und in der sich Figuren, Gruppen und Szenen darboten, welche es sichtlich machen, daß man sich in einer Handelsstadt befindet. Ernste, gewichtige, fundamentale Kaufleute bilden die Mittelpunkte; geschäftige, schwatzende Makler laufen zwischen ihnen umher; heitere Schiffskapitäne geben ihren Handschlag dem Kaufmann, der sie für seine Ladung engagiert, und Befehle dem wartenden Matrosen. Jeder hofft auf Gewinn, jeder spekuliert, und der Vorteil des einzelnen kommt allen zugute.

Durch schmale Gäßchen kommt man von der Börse auf einen sehr kleinen, schlecht beleuchteten Platz und ist überrascht, sich mitten in einem wahren Lichtmeere zu befinden, wenn die mit Vorhängen verhüllten Türen des Grand Cairo sich öffnen und aus seinen Spiegelwänden die zahlreiche Gesellschaft von Männern und Frauen verzehnfacht sich unserem Auge darbietet. Man trinkt Kaffee, Schokolade und Limonade, man ißt Eis und Granito, halbgefrorenes Eis, das noch nicht zu einer kompakten Masse geworden ist, sondern sich auf der körnigen Übergangsstufe vom Wasser zum Eise befindet.

Eis und eisgekühltes Wasser ist in diesem Klima ein dringendes Bedürfnis, und dennoch ist Eis und Schnee in Sardinien und Neapel Regal der Regierung, und niemand darf sie, selbst von seinem eigenen Grund und Boden, sammeln. Dabei kommt das Trinkwasser für Genua durch eine vier Meilen lange Wasserleitung, in Bleiröhren, die der Sonne ausgesetzt sind, lauwarm und fade in die Behälter der verschiedenen Häuser und ist, wenn es nicht mit Schnee erfrischt ist, kaum zu genießen und gewiß sehr ungesund.

Der Schnee ist unentbehrlich, und das Volk läßt es sich ruhig gefallen, daß man ihm den Schnee, der vom Himmel herabfällt, fortschaufelt von seinem Boden, und kauft ihn nachher für Geld, das es im Schweiße seines Angesichtes verdient. Ich war erschrocken, als ich es hörte, es kam mir beispiellos hart vor, bis ich mich besann, daß wir in Salz- und Wildsteuern ähnliche Härten aufzuweisen haben. Manchmal begreife ich recht wohl, wie die Monarchen dahin kommen, die Völker zu mißachten bei dieser bis jetzt unzerstörbaren Geduld. Indes es kommt wohl der Tag, wo diese endet, wo jeder seinen Anteil an dem Schnee des Himmels, dem Wild der Wälder unverkümmert begehren wird, und dann werden die Könige die Achtung vor den Völkern gewinnen und manche Privilegien verlieren.


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