Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Der Gettatore

Unter den Gegenständen, welche dem Fremden in Neapel überall zum Kaufe angeboten werden, stehen die Fäustchen und Hörnchen von Korallen an der Spitze. Alle Welt trägt sie, die Männer an der Kette der Uhr, die Damen an der Brosche, das Volk als Ohrgehänge oder an Schnürchen um den Hals, denn sie sind ein Mittel, sich gegen die Einwirkung des bösen Blicks zu schützen.

Der Glaube an den bösen Blick, das malocchio, ist im südlichen Italien ein allgemein verbreiteter, der sich auch in den höhern Ständen zeigt, wo man darüber zu spötteln versucht, wie Furchtsame im Dunkeln singen, um sich Mut zu machen.

Der böse Blick ist nach dem Volksglauben erblich. Die Personen, welche damit behaftet sind, welche den bösen Blick werfen, werden Gettatori genannt. Sie haben nach demselben Volksglauben eine bestimmte Physiognomie. Eine magere Person mit stark ausgeprägten Zügen, gebogener Nase, großen, hervortretenden Augen und einem stechenden Blicke ist so verdächtig, ein Gettatore zu sein, als in Deutschland ein Student mit schwarzrotgoldenem Bande der gefährlichsten Demagogie. Sobald man einem Gettatore begegnet, zieht man den Daumen, den dritten und vierten Finger der Hand in die Handfläche hinein und streckt den Zeigefinger und den kleinen Finger hervor, um die Hörnchen zu bilden, welche allein gegen den bösen Zauber zu bewahren vermögen.

In der vornehmen Welt Neapels steht besonders die Familie des Herzogs V..o im Ruf des bösen Blickes. Der Herzog selbst ist ein freisinniger, geistreicher Mann. Er hat mehrere Dramen geschrieben, welche durch die Schönheit ihrer Diktion berühmt sind und vielfach auf der Bühne gegeben werden. Man sucht und schätzt ihn um seiner trefflichen Eigenschaften willen, man achtet ihn als Mensch, aber man spricht nicht mit ihm, ohne sich gegen seinen bösen Blick zu wahren, denn von allen Mitgliedern seiner Familie besitzt er ihn im höchsten Grade, obgleich sein Äußeres dem Bilde eines Gettatore nicht entspricht. Seine Schwester, Marchesa C..a, eine der schönsten Frauen Neapels, hat ebenfalls den bösen Blick, und nur sein Bruder, der Chevalier del V..e, sieht wie ein Gettatore aus.

Eine geistreiche Fremde, in deren Gesellschaft ich einem der Familienglieder aus dem Hause V... begegnete, von dem sie angeredet wurde, machte gleich die Hörnchen, während sie mit ihm sprach. Ich lachte darüber und fragte sie, ob sie sich nicht schäme, auf diesen Aberglauben einzugehen.

»Freilich!« antwortete sie, »es ist eine Torheit, wenn ich es mir überlege, aber der Zufall spielt zu wunderbar. Diese Familie bringt wirklich Unglück, wohin sie kommt, und trotz der Liebenswürdigkeit der einzelnen Personen haben sie etwas Unheimliches. Es sind viele Beispiele davon zu erzählen.«

»So teilen Sie mir nur eines mit«, bat ich.

»Sehen Sie«, sagte meine Freundin, »im vorigen Jahre, als der russische Hof in Neapel war, veranstaltete man den fremden Herrschaften zu Ehren ein Fest im Hause des Fürsten X... Ein neues Ameublement war dazu aus Paris verschrieben, das kostbarste Stück desselben ein großer Kronleuchter. Als man in Gegenwart des Hausherrn damit beschäftigt ist, ihn an die Decke zu befestigen, wird der Herzog von V..o gemeldet. Der Fürst befiehlt, ihn in sein Arbeitskabinett zu führen, aber noch ehe der meldende Diener sich entfernt hat, tritt der Herzog in das Zimmer und ruft: ›Welch prächtiger Kronleuchter, lieber Freund!‹, und – in demselben Augenblick löst sich der Haken aus der Decke, und der Kronleuchter fällt zerschmettert auf den Marmor des Fußbodens nieder.«

»Nun, das war eben ein Zufall!«

»Aber was soll man denken, wenn diese Zufälle sich regelmäßig wiederholen?« fragte die Erzählende. »Einmal trifft Graf N. den Herzog auf der Straße. Sie plaudern, der Herzog erkundigt sich nach dem Sohne des Grafen. ›Oh!‹ antwortet dieser, ›er ist gesund wie immer!‹ Als er nach Hause kommt, findet er ihn im Bette und krank. Der junge Mann habe einen plötzlichen Schwindelanfall erlitten, sagt man dem Vater, und sei zur Erde gefallen, wobei er seine Uhr zerbrochen habe. Der Graf läßt sich die Uhr bringen, sie zeigt genau die Stunde, in der er den Gettatore gesprochen hatte. – Ein ähnlicher Fall ereignete sich mit der schönen Schwester des Herzogs. Diese besuchte ihre Nichte, welche die Geburt ihres ersten Kindes erwartete und sich vollkommen wohl befand. Kaum hat die Marchesa C..a die junge Frau verlassen, als eine unzeitige Niederkunft die Hoffnungen derselben zerstörte und ihr Leben in Gefahr brachte. Sooft sich die Marchesa nach der Gesundheit eines Menschen erkundigt, wird er krank, das steht fest, das habe ich selbst erlebt.«

Ich neckte die Dame mit ihrer lebhaften Phantasie, aber sie sagte ernsthaft: »Es ist ein Rätsel, eine unheimliche Tatsache, es verlacht sie anfangs ein jeder, aber zuletzt gewinnt sie dennoch Einfluß selbst auf die vorurteilsfreisten Männer. Der ... Botschafter hatte immer die Erzählungen verspottet, selbst das Eintreffen ungünstiger Ereignisse in der Anwesenheit des Herzogs abgeleugnet. Da erscheint an einem Empfangsabende im Hause des Botschafters der Herzog als der erste Gast. Wie er den Botschafter gewahr wird, ruft er ihm entgegen: ›Wo haben Sie denn Ihre Orden? Warum sind Sie ohne jede Dekoration?‹ Der Botschafter, welcher sie sonst niemals anzulegen vergaß, fährt überrascht mit der Hand nach seiner Brust, und – in dem Augenblick fällt ihm die Tabaksdose zur Erde, welche er seit fünfzehn Jahren getragen hatte. Sie war dem Vater des Gesandten von Napoleon verehrt, des Kaisers Bildnis befand sich darauf, es war zerbrochen.«

Ein paar Italienerinnen, welche dazukamen, stimmten aus vollster Überzeugung in alle diese Berichte ein und begriffen nicht, wie ich diese Tatsachen bezweifeln könne. Ich verlangte zu wissen, ob es kein Mittel gäbe, durch welches ein Gettatore sich von dem auf ihm ruhenden Fluche befreien könne, ob die Kirche keinen Exorzismus dagegen habe. Man verneinte es. Hatte ich anfangs diese Erzählungen nur belustigend gefunden, so fingen sie mir allmählich an ein Grauen einzuflößen vor dem Aberglauben, der in wahnsinniger Verblendung schuldlose Menschen zu unfreiwilligen Übeltätern, zu fliehenswürdigen Dämonen stempelt.

Dieses Grauen sollte indessen noch wachsen, als ich später sah, wie verderblich sich der Aberglauben in den untern Volksmassen offenbart, wo er aus der phantastischen Welt ungewisser Befürchtungen in die werktätige Praxis übergeht.

Wenn ich in Castellammare meine Wohnung an der Marine verließ, um mich zu Bekannten zu verfügen, welche auf dem Berge bei Quisisana wohnten, bedurfte ich eines Esels zum Hinaufreiten, und mehrmals hatte sich mir ein Ciuciare mit einem hübschen, wohlgesattelten Esel angeboten. Jedesmal aber sagte mein Diener: »Nehmen Sie den nicht, ich werde einen andern holen, Signora.« Der Ciuciare ging dann schweigend davon. Es war ein Mann von dreißig Jahren, blatternarbig, einäugig, aber mit solch gutmütigem und traurigem Ausdruck des Gesichtes, daß er mich dauerte. Da ich auf eine persönliche Feindschaft zwischen ihm und dem Diener schloß, sagte ich diesem, ich wüßte nicht, was er gegen den Eseltreiber hätte, seine Privatzwiste kümmerten mich nicht und ich würde, da Antonio – so hieß der Ciuciare – immer vor unserm Hause halte, mich künftig seines Esels bedienen, wenn Antonio sonst ein ehrlicher Bursche sei.

»Oh! Eccellenza! ehrlich wohl!« rief der Diener. »Ein sehr braver Bursche ist der Antonio, und ich habe keinen Streit mit ihm gehabt; aber da Eccellenza mir immer die Sorge für den sichern Gang und das Sattelzeug des Esels auftragen, so darf ich Sie nicht mit Antonio reiten lassen. Eccellenza würden Unglück haben, denn Antonio ist ein Gettatore, Sie sehen es wohl!«

Ich erklärte, daß ich sehr schöne Hörnchen hätte, mich zu schützen, daß ich auch außerdem gar nicht daran glaubte, und nahm trotz alles Kopfschüttelns des Dieners Antonio für die ganze übrige Zeit meines Aufenthaltes in Castellammare in meinen Dienst, der mir mit aller Anhänglichkeit und Pünktlichkeit eines gut behandelten Italieners aufwartete. Immer willig, klug, vorsorglich und gefällig, war Antonio gradezu unschätzbar, und ich vererbte ihn bei meiner Abreise einer Bekannten, die ebensowohl mit ihm zufrieden war.

Eines Tages, als wir einen Ritt von Castellammare nach Gragnano machten, fragte ich ihn, ob er denn wisse, daß man ihn für einen Gettatore halte, und ob er darunter zu leiden hätte.

»Gewiß!« antwortete er mir. »Ich war zu arm, einen Esel zu kaufen, und der Padrone, welcher hier die Esel hält und an die Ciuciaren vermietet, wollte mir allein keinen geben, weil er behauptete, das Tier würde unter meiner Pflege sterben. Endlich überließ er mir den schlechtesten von all seinen Eseln, ein eigensinniges Vieh, und ich mußte obendrein versprechen, dem Ciucio (so nennen sie die Esel) in den Stirnschleifen Hörnchen anzuhängen. Aber das eigensinnige Tier bockte gleich am ersten Tage und warf einen langbeinigen Engländer zur Erde. Es hatte bei einem andern Führer im vorigen Jahre Gott und die Heiligen hingeworfen, niemand hatte sich beschwert. Nun aber schrien gleich alle Kameraden: ›Das ist das malocchio! das macht der Gettatore!‹, und Sie haben es gesehen, Signora, ich hatte keinen Verdienst. Der Padrone nahm mir den Esel wieder fort, weil ich nichts damit erwerben konnte. Da habe ich mich an die Fürstin G. gewendet, die hier alle Sommer zubringt, die hat mir Geld zu einem Esel geborgt, einen Sattel habe ich gemietet, und nun Sie mich in Dienst genommen und empfohlen haben, werde ich meine Schuld bezahlen können.«

»Aber Antonio!« fragte ich, »wie ist man dazu gekommen, Euch das malocchio anzudichten?«

»Ich soll es von meiner Mutter haben, sagen sie, der es wohl auch ein Feind nachgesagt hat. Es ist Lüge, Eccellenza! Ja! könnte man die Leute verderben, die uns zuschanden machen, so ließe man sich's gefallen, ein Gettatore zu sein; aber all die Schurken laufen auf gesunden Füßen umher, und armen, schuldlosen Kindern und Fremden soll man Unglück bringen! Das ist ein Unsinn, Eccellenza! Glauben Sie nicht daran.«

Als er mich nach vierwöchentlichen Diensten zum letztenmal in Castellammare zum Bahnhof führte und Abschied von mir nahm, sagte er noch zuletzt: »Ich danke Ihnen, Eccellenza, daß Sie nicht an den Unsinn geglaubt haben, es ist Ihnen ja auch kein Unglück begegnet auf meinem Esel. Ich heiße Antonio Vitelli, empfehlen Sie mich den Fremden, und sagen Sie, ein armer Gettatore mit einem Auge könne niemand Schaden tun.«


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