Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Physiognomie der Stadt

Im allgemeinen könnte man die Schar der Reisenden in zwei Klassen teilen, die streng voneinander geschieden sind: in diejenigen Menschen, welche reisen, um recht viel zu sehen, und diejenigen, welche reisen, um zu genießen. Dies letztere schließt das »recht viel sehen« entschieden aus. Es gibt nichts Qualvolleres, als immerfort und obenein in Eile eine Menge fremder Eindrücke in sich aufzunehmen, und grade darum sind gewöhnlich die ersten Tage in einer fremden Stadt wenig genußreich, ja unangenehm.

Erst wenn man den Haupteindruck des Ganzen erfaßt, bewältigt hat, wenn man das einzelne selbständig darin unterscheiden und sondern kann, beginnt der Reiz des ruhigen Genießens. Indes ist der erste Eindruck von Florenz kein so ungemein überraschender, verwirrender als der von Genua. Teils ist man, von Genua kommend, schon einigermaßen an das lautere, italienische Volksleben gewöhnt, teils fehlt dies in Florenz, das viel eleganter, reinlicher, modern-zivilisierter ist als Genua. Bei aller zierlichen Pracht von Florenz vermißt man aber sehnsüchtig das blaue Meer von Genua, und trotz der schöngeputzten Menschenmenge, welche auf dem Corso degli Adimari umherwanderte, fehlte mir das fröhliche Treiben am Porto Franco und die Teerjacken der Matrosen und die brodelnden Bratöfen auf offener Straße.

Florenz kam mir zu physiognomielos vor, zuwenig italienisch, als ich es zum ersten Male sah, und dieser Eindruck wiederholte sich in höherm Grade, als ich ein Jahr nachher von Rom dorthin zurückkehrte. Die Zivilisation, die allgemeine Bildung. haben im Volksleben das Gepräge der Nationalität verwischt. Der Italiener im übrigen Italien ist vornehm, wenn er ruht, und hastig lärmend, wenn er arbeitet, tätig ist. Die Florentiner sind wie die Deutschen nicht nur tätig, sondern fleißig, das heißt arbeitsam mit ruhiger Überlegung.

Die Stadt, mit ihrem Pflaster aus großen, schönen Quadern, ist ungemein sauber. Sie erschien mir dies doppelt, als ich von Rom zurückkam; volklos und still gegen Neapel, trotz dem ameisenhaften Gewühle in den Straßen. Alle Menschen in Florenz gehen nach der Mode ordentlich gekleidet, es sind viel weniger Geistliche als in den andern Städten sichtbar, man könnte sich mitunter in Deutschland wähnen. Da gibt es keine Matrosen und Orientalen wie in Genua, keine Pifferari wie in Rom; keine ausgeflaggten Schiffe, keine Brunnen, aus denen Esel die reiche Mahlzeit grüner Kohlblätter herausfischen, während die rüstigen Carrettieri mit schmutzigen Mönchen und stolzen, wasserschöpfenden Frauen schwatzen wie in Rom.

Florenz ist eine moderne Stadt ihrem Totaleindrucke nach, aus dem dann freilich allmählich das kampfgerüstete, italienische Mittelalter hervorsieht, wenn man die alten Paläste erblickt, die wie unbesiegbare Riesen, wie alte Rolandsbilder auf die Häuser umher hinabschauen.

Der Palazzo Vecchio, der Palazzo Strozzi sind Ritterburgen mitten in der Ebene einer Stadt. Man sieht, diese Mauern sind zu Schutz und Trutz erbaut, und findet es sehr begreiflich, daß einst ihre Eigentümer sich darin so souverän und unantastbar fühlten als irgendein deutscher Raugraf in seinem Schlosse auf hohem Berge. Noch sind die kleinen Schießscharten offen in den obern Stockwerken, noch hängen die schweren Türen mit den kolossalen, eisernen Riegeln davor in denselben Angeln, die sie einst vor den feindlichen Nachbarn verschlossen; noch sind die eisernen Ringe da, an die man vor den Häusern die Pferde festband, und die Behälter, in die man die Pechfackeln steckte, ein Vorrecht adliger Häuser.

Das Erdgeschoß dieser Paläste ist nach den Straßen ganz ohne Fenster; und fast wie bei den alten etruskischen Bauwerken, die als Vorbilder gedient haben mögen, sind große Felsstücke übereinandergehäuft, welche man nur so weit behauen, als es für die Gestalt des Palastes nötig war. Diese Blöcke sind von verschiedener Form und Größe und so dick, daß ich zum Beispiel zwischen die Fugen der Steine am großherzoglichen Schlosse, dem schönen Palast Pitti, meinen Sonnenschirm bis über die Hälfte seiner Länge, also wohl anderthalb Fuß tief, hineinstecken konnte.

Der Palast Pitti liegt in der kleineren Hälfte von Florenz, das durch den Arno in zwei ungleiche Teile geteilt wird, welche die parallellaufenden Brücken Ponte alla Carraia, Ponte della Trinita, Ponte Vecchio und Ponte Rubaconte wieder miteinander verbinden. Zu beiden Seiten ziehen sich herrliche Kais den Fluß entlang, von denen besonders der Teil, welchen man Lungarno nennt, am Abend als Spaziergang benutzt wird, wenn am Sonntag und Donnerstag nach Ave-Maria die Militärmusik sich dort gratis hören läßt.

Die drei schönsten unter den zahlreichen großen Plätzen der Stadt sind der Platz vor dem großherzoglichen Palaste, hinter dem der schöne Giardino di Boboli sich mit seinen Taxus- und Lorbeerhecken ausdehnt, aus deren dunkelm Grün die weißen Marmorstatuen hervorschauen, die Piazza del Gran Duca und, von diesem durch die neugebaute Straße, den Corso degli Adimari, getrennt, der Domplatz.

Das eigentliche alte Florenz erscheint nirgend stattlicher und schöner als auf der Piazza del Gran Duca, wo der ernste, finstere Palazzo Vecchio (der alte Palast) mit seinem Turme, den krenelierte Zinnen schmücken, wie ein Symbol des Mittelalters dasteht. Ein bedeckter Gang führt aus diesem Palaste durch den anstoßenden Palast der Uffizien straßenweit über Häuser und Brücken fort bis zum Palazzo Pitti, den Herrschern die Flucht möglich zu machen, wenn das Volk sie angriff und sie in ihren Schlössern belagerte. Im Palazzo Vecchio zeigt man noch heute das Fenster, durch das sich einer der Mediceer auf den Platz herabließ, als man sie aus Florenz verbannte und ihr Leben durch die Eifersucht der anderen Geschlechter bedroht ward. Aber nicht nur die kriegerische Seite des Mittelalters offenbart sich auf diesem Platze, in diesem festungsartigen Palast, auch der Kunstsinn, der im Frieden erblühte, gibt sich hier darum so erfreulich kund, weil die Kunstwerke nicht in Kabinetten aufgespeichert sind, wo man sie selten anzusehen vermag, sondern frei und offen dastehen auf den Plätzen, in den offenen Hallen, dem Blick des Volkes zugänglich und wirksam auf seinen Geschmack.

Vor dem Palaste selbst stehen zwei Kolosse aus Marmor: Bandinellis Herkules, welcher den Cacus tötet, und der David Michelangelos, der trotz seiner Schönheit in seiner starren, kolossalen Körperlichkeit doch keinen erfreulichen Eindruck macht. Auch ist er unbiblisch gedacht. Der Knabe David zog aus, den Goliath zu töten, stark durch Gottvertrauen, durch die geistige Kraft, in der er sich für den von Gott Erwählten hielt. Dieser David aber sieht nicht wie ein Knabe, sondern wie ein Herkules aus und hätte nicht nur mit Gottvertrauen und der Schleuder, sondern in ganz ehrlichem Kampfe es mit dem Riesengegner wagen dürfen.

Zur linken Seite des Palastes wird ein kolossaler Neptun in einem Springbrunnen von vier mächtigen Seepferden gezogen, den Tritonen umringen. Ein wenig mehr nach der Mitte des Platzes, in dessen Ecke der Palazzo Vecchio liegt, steht die Reiterstatue Cosmus des Ersten von Johann von Bologna – und hier, zwischen dem schönen Springbrunnen und dem Standbilde des Cosmus, ward der Scheiterhaufen geschichtet, in dessen Flammen Savonarola, der Mönch, der mutige Kämpfer auf dem Gebiete religiöser Wahrheit, sein Leben endete.

Das erscheint doppelt betrübend an dieser Stelle. Wenn man die Kraft des Menschengeistes in der schönen Wirksamkeit betrachtet, in der er selbstschöpferisch dem toten Stein ein göttliches Leben einzuhauchen vermag; wenn man sich vor den Seelen beugt, die diese Kunstwerke erschufen, so mag man ungern daran erinnert werden, wie aus der Liebeslehre des göttlichsten Menschen das Gift geschöpft ward, mit dem man seit fast zweitausend Jahren die Seelen verpestet zu Haß und Fluch und Mord.

Zur Rechten, im Vorgrund des Palazzo Vecchio, ist eine offene Halle, die Loggia dei Lanzi. Wie schlanke Blütenstengel steigen die Säulen empor und tragen leicht die zierlich gewölbte Decke, unter deren Schutze die schönsten Statuen vor dem Wechsel der Witterung geborgen sind. Da stehen, der Straße zunächst, in den vorderen Bogen der Halle Donatellos Judith, der Perseus des Benvenuto Cellini, siegreich das blutende Haupt der Meduse in der erhobenen Hand, neben dem Raub der Sabinerinnen von Johann von Bologna. Dahinter sieht man Werke der Römer und Griechen, und hier, in diesem durch die Kunst geweihten Raume, war es, wo die Volksredner zur Zeit der Republik zum Volke sprachen.

Auf wunderbare Weise wechseln die Erinnerungen an Krieg und Frieden miteinander ab, die sich mit den alten Bauwerken von Florenz verweben. Folgt man dem Wege von der Piazza del Gran Duca nach dem Dome, so stehen gleich zu beiden Seiten des Corso zwei alte, mächtige Kirchen sich gegenüber, mit den ernsten, schmucklosen Fassaden ohne Säulen, ohne Portikus. Es liegt etwas starr Republikanisches in diesem florentinischen Stil; die praktische Gesinnung eines Menschenverbandes, der, für das Notwendige bedacht, den Schmuck verschmähte.

Die größere und schönere der beiden Kirchen, zur linken Seite des Corso, heißt Or San Michele – die Scheune des heiligen Michael –, weil das Gebäude ursprünglich im dreizehnten Jahrhundert ein großes Kornmagazin gewesen ist. Dann ward es ein Archiv. In den Kämpfen der adligen Geschlechter benutzte man es als Festung, in welcher der Herzog von Brienne sich verschanzte, und jetzt prangt Or San Michele im Schmucke schöner Erzstatuen als stilles, friedliches Gotteshaus mitten in dem heiteren Leben des Corso.

Or San Michele gegenüber biegt man in eine schmale Seitenstraße, an die sich eng ineinander verschlungen eine Menge kleinster Gäßchen schließen, deren schmale, düstere, halbverfallene Häuserchen gar traurig aussehen neben den Palästen des Mittelalters und den heitern, luftigen Wohnungen der Jetztzeit auf dem Corso. Vor einem jener alten Häuser aber weilt der Fuß des Fremden, und mit ehrerbietigem Schweigen blickt man das Gebäude an. Es hat nur zwei Fenster Breite, es ist nur wenig Stockwerke hoch, ein schlichtes, spitzes Giebeldach legt sich unschön darüber, und die niedrige, enge Haustür sieht sehr ärmlich aus. So schmal ist die Straße, daß kaum an den schönsten Sommertagen ein Lichter Sonnenstrahl in jene Fenster dringen mag, daß kaum ein Sternbild sichtbar wird zwischen diesem traurigen Gemäuer. Und doch ist ein strahlender Stern hervorgegangen aus dem düstern Hause, ein Stern, der noch heute hell herüberleuchtet aus dem Dunkel der Vergangenheit.

Über der engen Tür ist, in Sandstein gemeißelt, ein halb zerstörtes Wappen sichtbar, und darunter liest der Fremde auf einer Marmortafel: »In questa casa degli Alighieri nacque il divino poeta«, in diesem Hause der Alighieri ward der göttliche Dichter geboren.

Wie licht und prächtig steht dagegen das Haus Alfieris am Lungarno da, das ebenfalls eine Marmortafel als die Wohnung des Dichters bezeichnet. Die Inschrift lautet: »Hier dichtete der große Tragöde Alfieri zur Ehre und Erhebung Italiens, und hier starb er.«

Ein Freund, wohlbewandert in der Geschichte von Florenz, seiner zweiten Heimat, erzählte mir, es habe ursprünglich geheißen: »Für den Ruhm und die Freiheit Italiens.« Indes dies habe der österreichischen Regierung nicht gefallen, und auf ihr desfallsiges Begehren habe man die Änderung vorgenommen.

Geht man von dem Hause Alfieris weiter, den Lungarno entlang, so erreicht man den Ponte Vecchio, eine Brücke, mit Arkaden überbaut, auf denen der früher erwähnte Verbindungsgang zwischen dem Palazzo Pitti und Palazzo Vecchio sich hinzieht. Unter diesen Arkaden und auch auf der andern Seite der Brücke liegen die Buden der Goldarbeiter. Laden reiht sich an Laden, doch werden hier nicht die reichen Erzeugnisse des Luxus für die höhern Stände, sondern mehr der einfachere Schmuck für das Volk, die Geräte für Kirche und Altar und die Zieraten für die Heiligen feilgeboten.

In einer dieser Buden auf der rechten Seite der Brücke arbeitete Benvenuto Cellini, und drei Buden weiter erfand Thomas Finiguerra die Kunst, in Kupfer zu stechen.

Mitten aus diesen Erinnerungen an eine vergangene Zeit riß uns, als wir zum ersten Male die Brücke betraten, der Anblick einer Prozession, die langsam und feierlich von der Seite der Stadt daherzog, während vom Palazzo Pitti ein Bataillon Truppen mit klingendem Spiele herankam. Wunderbar mischten sich die feierlichen Töne der Kirchenmusik mit dem hellen Jubel der kriegerischen Fanfaren. Aber diese verstummten urplötzlich. Ein lauter Trommelwirbel erscholl, das Heilige begrüßend. Die Fahne ward gesenkt, die Soldaten entblößten das Haupt und knieten nieder. Die Offiziere verbeugten sich, als wollten sie hinknien, die Degen zur Erde neigend; und mit stolz gehobenem Haupte und siegendem Blick das kniende Volk betrachtend, schritten die demütigen Diener der Kirche in ihren reichen, goldgestickten Gewändern vorüber. Der näselnde Gesang der Menge, die der Prozession folgte, klang mit dem Kommando der Offiziere zusammen und mischte sich in den Ausruf der unzähligen Hausierer, welche Eßwaren, Kleiderstoffe, Eisen- und Tongeräte, alte und neue Bücher auf flachen Karren umherfahren. Zwischen all dem Treiben drängen sich schlanke, leichtfüßige Blumenmädchen rührig hindurch, den Männern mit freundlichem Wort und flammendem Blicke ihre Sträuße von Rosen, Verbena und Heliotropen und die weißen Tuberosenbuketts anzubieten, aus deren Mitte die dunkelroten Nelken so poetisch hervorglühen.

Aber schönere Blumen, schönere Sträuße als in Florenz mag es kaum geben. Keine zierliche Frau erblickt man ohne einen Strauß, kaum einen jungen Mann ohne eine Blume im Knopfloch. Es sind die Orden, welche der schöne König Sommer hier, wo er so lange residiert, freigebig verteilt, und sie erregen nicht Haß, nicht Neid, nicht brennenden Ehrgeiz, noch ränkevolle Intrigen. Ein jeder labt sich daran, und als freundlicher Gruß, als Liebeszeichen wandern die Sträuße von Hand zu Hand. Man bindet sie leichter, freier als in dem übrigen Italien und doch wieder plastischer als bei uns. Hier fühlt man wohl, wie Goethe seinen »Neuen Pausias« dichten lernte, und freut sich des lebenskräftigen Genius, dem jeder Moment des Lebens sich so zum schönen, geistigen Bilde gestaltete.


 << zurück weiter >>