Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Der Papst und eine Funktion in der Sixtinischen Kapelle

Wir standen in der Mitte des Petersplatzes neben dem Obelisken und erfreuten uns an den Sonnenstrahlen, welche sich in den Wassermassen der beiden schäumenden Springbrunnen in den glänzendsten Regenbogenfarben brachen, als plötzlich die gewaltigen Glocken von Sankt Peter zu läuten anfingen.

Ein Stallmeister in reicher Uniform sprengte in gestrecktem Carriere über den Platz nach dem Vatikane zu, hinter ihm ritten langsamer ein Trupp Karabiniere und die Nobelgarden, welche eine rote, sechsspännige Fensterkutsche umgaben, deren Pferde mit Federbüschen geschmückt waren. Drei Diener standen zwischen dem Kutschbock und der Kutsche, drei andere hinter dem Wagen.

Im Fond des Wagens saß ein alter Mann mit großer, roter Nase, der sehr gutmütig aussah. Er trug ein weißes Gewand und den roten Hut der Kardinäle. Es war der Papst Gregor der Sechzehnte. Zwei Geistliche saßen entblößten Hauptes ihm gegenüber.

Die vorüberfahrenden Equipagen hielten stille, Damen, welche sich darin befanden, knieten auf den Sitzen nieder. Auf dem Platze lag das Volk auf Knien. Die Figur in dem roten Wagen rührte sich nicht, machte nicht die leiseste Bewegung.

Eine zweite, vierspännige Kutsche folgte der ersten, es befanden sich Geistliche darin, Karabiniere schlossen den Zug. Die Knienden erhoben sich, die Glocken läuteten immerfort, die Schweizerwache im Vatikan schlug die Trommel, bis der Heilige Vater ausgestiegen war, heimkehrend von einer Spazierfahrt.

Ein paar Tage darauf war der Jahrestag der Thronbesteigung des Papstes und, diesen zu feiern, am Morgen ein Gottesdienst in der Sixtinischen Kapelle. Da man uns für die Zeremonie eine falsche Stunde angegeben hatte, trafen wir zu früh ein und hörten erst noch eine Messe im Sankt Peter, stehend auf dem Steine, auf welchem einst die deutschen Kaiser bei ihrer Krönung knieten. Es ist eine mäßig große Platte von Rosso Antico.

Ein heller Sonnentag beschien die unbeschreibliche Pracht der Peterskirche, von deren schwindelerregenden Höhe und Größe man sich erst allmählich eine Vorstellung zu machen vermag. Der Baldachin über dem Hochaltare hat die Höhe des Berliner Schlosses, dies mag als Maßstab für die Größe der Kirche dienen; während es einen Begriff von der Pracht derselben gibt, wenn man erfährt, daß alle die kolossalen Bilder, welche die Kirche schmücken, nicht Gemälde, sondern nach diesen in Mosaik von Stein ausgeführt sind, um sie unvergänglich zu machen. Die Transfiguration Raffaels, deren Original sich im Vatikane befindet, und alle jene Meisterwerke, welche die Altäre zieren, sind Mosaiken von ganz unschätzbarem Werte.

An der rechten Seite des Schiffes befindet sich eine sitzende, uralte Erzstatue des heiligen Petrus, welche besonders verehrt wird. Ein Kardinal mit seinem Begleiter kam bald nach uns in die Kirche und küßte vorübergehend den Fuß des Heiligen. Kaum war dies geschehen, als ein paar Landmädchen darauf zustürzten und dasselbe taten, mit einer Hast, als hofften sie durch die unmittelbare Nachfolge in diesem Kusse noch eines von dem Kardinale ausgehenden Segens teilhaftig zu werden. Die Diener des Kardinals wischten aber, ehe sie sich zu dieser Devotion entschlossen, erst mit ihren Tüchern vorsichtig den Fuß des heiligen Petrus ab.

Aus der Peterskirche begaben wir uns nach der Sakristei, eine Madonna von Giulio Romano zu sehen; und tolerant und gefällig wie immer gestattete man uns den Eintritt, obgleich sich die Geistlichkeit dort bereits zu der Funktion in der Sixtinischen Kapelle versammelte.

Die Sakristei von Sankt Peter ist nicht ein einzelnes Zimmer wie bei andern Kirchen, sondern dem Dome angemessen eine ganze Reihe von Gemächern mit einem großen Mittelsaale, mit Nebenzimmern und mit zwei schönen Kapellen, groß genug, um an jedem andern Platze für selbständige Kirchen zu gelten.

In dem Hauptsaale war ein Treiben wie in einer Antichambre. Geistliche von verschiedenen Graden spazierten lachend umher, plauderten mit vornehmen Männern aus dem Laienstande, schrieben, siegelten Briefe, neckten sich mit den Chorknaben, lorgnierten uns und legten die Ornate für die Funktion an. Dazwischen kamen dreimal Priester aus Sankt Peter zurück, welche das Abendmahl erteilt hatten und den Kelch trugen. Wenn sonst ein Geistlicher in der Kirche oder auf den Straßen mit dem Kelche erscheint, kniet alles nieder. Hier achtete man nicht darauf, man war unter Bekannten und brauchte sich nicht zu genieren.

Mitten aus diesem bunten Gewühle kamen wir in eine der Kapellen und blieben betroffen stehen. Nur zwei Priester waren darin. Der eine, ein hoher, ehrwürdiger Greis, saß außerhalb des Beichtstuhles auf einem hölzernen Sessel. Vor ihm lag ein junger, schöner Geistlicher auf Knien; sein Gesicht war glühend rot, Tränen überströmten seine Wangen. Wir hörten den letzten Laut seiner Beichte und traten zurück. Es bildete einen ergreifenden Gegensatz zu dem Bilde leichtsinniger Hierarchie, wie es sich in der Sakristei offenbarte, wenn man die Gewalt erblickte, welche die Kirche selbst über die Seelen ihrer Jünger ausübt, denen doch ein großer Teil ihrer unheiligen Geheimnisse klar sein muß.

Indessen war die Stunde der Funktion gekommen, und wir stiegen die schöne Treppe des Vatikan empor, welche nach der Sixtinischen Kapelle führt. Diese hat meinen Erwartungen gar nicht entsprochen. Es ist ein großer Raum mit gewölbter Decke, allerdings in schönen Verhältnissen erbaut, aber ohne Säulen. ohne architektonischen Schmuck.

Der untere Teil der Wände ist mit einer Brokattapete bekleidet, der obere von alten Florentiner Künstlern in Fresko gemalt. Dem Eingange gegenüber, an der hintern Wand der Kapelle, ist Michelangelos berühmtes Jüngstes Gericht, an dessen Schönheit ich glauben muß, ohne sie zu empfinden. Michelangelos Malereien und Skulpturen sind mit wenigen Ausnahmen, wie der Moses und die wunderschöne Büste des Heilandes in Santa Agnese fuori le mura, zu gewaltig für das Erfassungsvermögen meiner Seele. Jeder Heilige ist riesig und wild wie ein rasender Herkules, vor seinen Verdammten fühle ich eine beklemmende Furcht. Mit diesen Empfindungen kann man aber keine Freude an einer Schöpfung haben, und es geht gewiß vielen Frauen wie mir, daß sie Michelangelo nicht verstehen können.

Die Kapelle ist durch ein Gitter von vergoldetem Holze in zwei Teile geschieden. In der vordern, kleinern Hälfte befindet sich eine prächtige Tribüne für gekrönte Häupter. Don Miguel, welcher seit Jahren auf einer Villa in der Campagna von den Wohltaten des Papstes lebt, hatte darauf Platz genommen. Außerdem sind in der Vorkapelle die Bänke für die Frauen, welche hier vorschriftmäßig schwarze Kleider und Schleier tragen müssen wie die Männer den schwarzen Frack. In der zweiten, größern Hälfte ist der Hochaltar; der Thron des Papstes von rotem Sammet mit einem großen Baldachin; ein Chor für die Sänger, die Sitze der Kardinäle und Plätze für Männer.

Allmählich kamen die Kardinäle zusammen, es mochten etwa zwanzig derselben anwesend sein. Jeder hatte einen Ehrenkavalier, einen Kaplan und einen Schleppträger, der den Hermelinmantel vor dem Nachschleifen bewahrte. Man nannte uns den Prinzen Barberini; den ehemaligen Finanzminister Kardinal Tosti, der wegen schlechter Verwaltung zwar sein Amt, aber nicht seinen Rang eingebüßt hatte; den gelehrten Mezzofanti, einen hübschen, freundlichen Greis; den stattlichen Engländer Kardinal Akton; die Kardinäle Piccolomini, Gazzola, Macchi. Ganz zuletzt kam der greise Kardinal Micara, vormaliger General der Kapuziner, einer der wohltätigsten Männer Italiens. Er lebt ohne Luxus, ohne alle Bequemlichkeit nach wie vor in mönchischer Strenge und verwendet fast sein ganzes Einkommen für die Armen. Im Laufe der letzten Zeit hatte er den Vorschlag gemacht, sämtliche Kardinäle sollten für zehn Jahre die Hälfte ihres Einkommens verpfänden und diese Summe zur Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe hergeben, auf denen man dann Arme mit kleinem Landbesitz ansiedeln könnte. Er war aber mit seinen Ansichten nicht durchgedrungen. Man liebt ihn außerordentlich und findet selbst in der wilden Heftigkeit seines Charakters einen Reiz mehr, ihm zugetan zu sein. Mehrmals erzählten mir Leute der niedern Stände mit Lachen, wie fast kein Bittender zu Micara komme, ohne zur Türe hinausgeworfen und reich beschenkt zu werden. Solch originelle Erscheinungen gewinnen sehr leicht die Sympathie des Volkes, die sich denn auch später bei der neuen Papstwahl dadurch kundgab, daß die Bewohner Trasteveres den Kardinal Micara zum Papste verlangten.

Nachdem an jenem Thronbesteigungstage Gregors des Sechzehnten die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle versammelt waren, trat aus dem Innern des Vatikans der Weihbischof mit Gefolge ein; dann kamen die Nobelgarden, welche sich in der innern Kapelle aufstellten, während die Schweizer in der äußern Wache hielten, und endlich erschien der Papst, rüstigen Schrittes, mit Scharen von Geistlichen umgeben. Er hatte über dem weißen Gewande einen roten Sammetmantel und die weiße, goldgesäumte Bischofsmütze auf dem Haupte, unter der er ein weißes Käppchen trug. Vier Ehrenkavaliere stellten sich zur Rechten des Thrones auf, Geistliche zur Linken, und nun begann die Zeremonie damit, daß jeder der Kardinäle mit seinem Gefolge zum Throne trat, hinanstieg und die Hand des Papstes küßte, dem zwei Priester den Mantel hielten, damit die Hand nicht verdeckt werde.

Nach dieser Zeremonie, welche recht lange währte, folgte die Messe. Der Papst selbst intonierte einzelne Partien mit schöner, kräftiger Stimme. Ohne ein bedeutendes Äußere zu haben, machte er doch einen ehrfurchtgebietenden Eindruck sowohl durch Alter und Güte wie durch seine edeln Bewegungen. Die Art, mit der er den Segen erteilte, und ein sich zweimal wiederholender Akt, bei dem er die Arme weit – wie die ganze Menschheit umarmend – ausbreitete, waren würdig und schön.

Trotzdem hat mir aber weder hier noch jemals der katholische Ritus einen erhebenden Eindruck zu machen vermocht. Einzelne Momente, zum Beispiel der Augenblick tiefer Stille mitten in dem Lärm des Gottesdienstes während der Wandlung der Hostie und des Weines in Fleisch und Blut, sind von poetischer Kraft und Wirksamkeit. Dahin rechne ich auch das allmähliche Verlöschen der Kerzen, wenn am Karfreitage in der Sixtinischen Kapelle die schönen Lamentationen gesungen werden. Indes sobald man sich einmal ganz von dem Glauben an kirchliche Dogmen losgelöst hat, sobald man von der symbolischen Anschauung der Mysterien zu der rationellen Erkenntnis gekommen ist, daß in der Werdekraft des Alls das höchste Mysterium verborgen liegt, für das jedes Geschöpf ein Symbol ist, so kann jene kirchlich gemachte Symbolik nicht mehr die Seele zur Andacht erheben, die gewohnt ward, sich in sich selbst zurückzuziehen, um sich zu der höchsten Andacht zu steigern, deren sie fähig ist.

Dies Kommen und Gehen des Papstes; die Priester, welche ihm die Mütze zehnmal abnehmen, zehnmal wieder aufsetzen und dabei das weiße Unterkäppchen ängstlich festhalten, es vor dem Herunterfallen zu hüten; das Schwenken der Weihrauchbecken, die prächtigen Umzüge in Sankt Peter, bei denen der Papst wie ein indischer Gott in einem Baldachin umhergetragen wird; die sämtlichen Zeremonien der Osterwoche sind für mich gar nichts andres gewesen als die Festzüge in einer Oper oder in einem Ballett; und wenn sie lange dauerten, haben sie mich ebenso gelangweilt als diese.

Die Fußwaschung, die Osterprozessionen sind ohne alles Interesse, tödlich ermüdend. Besonders traurig aber mußten die letztem Gregor dem Sechzehnten erscheinen, denn das Umhertragen verursachte ihm Schwindel, und er schloß während desselben immer die Augen. Er glich dann vollkommen einer leblosen Puppe, und vor einer solchen das Volk niederstürzen zu sehen, das ist ein so peinliches Bild, daß ich nicht begreife, wie in unserer Zeit noch jemand Poesie darin zu erblicken vermag.

Selbst die Benediktion, welche der Papst am Ostermorgen von Sankt Peter herab dem Volke erteilt, wobei er drei Ablaßzettel herunterwirft, läßt ziemlich kalt, weil man sieht und hört, wie zerstreut und glaubenslos die Masse dabei ist. Man sprach rund um uns her – wir hatten den Wagen verlassen – von Frauen, Osterien, Geldangelegenheiten, Diners bei Bertini. Niemand schien daran zu denken, daß hier eine religiöse Feier vor sich gehen solle; und selbst der Zauber fehlte, den bei andere Volksfesten das Gefühl gewährt, eine große Menschenzahl von demselben begeisternden Gedanken elektrisiert zu sehen.

Darum ist mir auch der Papst nicht als Herrscher, denn als solcher hat er so gut als jeder andere Fürst die Möglichkeit, groß und segensreich zu sein, sondern in seiner Würde als Papst wie ein ganz besonders Unglücklicher erschienen. Er muß es wissen, welch ein Gebäude des Aberglaubens die Kirche über das Ideal wahren Christentums aufgebaut hat, denn er kennt die Künste und ehrfurchtbegehrenden Sophismen der Priesterschaft aller dogmatischen Religionen, deren letztes Ziel Herrschaft und geistige Knechtschaft sind. Sich herzugeben als das Symbol für alle diese Täuschungen, für alle diese Versündigungen an der Vernunft; durch seine Person, durch sein Leben den Aberglauben zu sanktionieren, das muß ein furchtbar trauriges Los sein, wenn man die Menschen liebt.

Es kann leichtsinnig scheinen, den Katholizismus, in dem Millionen Menschen Beruhigung fanden und noch finden, einen Aberglauben, ein Truggebäude zu nennen; und doch kann ich nicht anders. Wer in Italien das Walten der Geistlichkeit und den ganzen auf Äußerlichkeiten gerichteten Kultus gesehen hat, wird wie ich empfunden haben, daß dieser Kultus der Heiligen, dies Papsttum der Vielgötterei und deren Priestertum nur zu nahe verwandt sind. Ich kann damit kein Urteil für das Allgemeine geben wollen, sondern nur den Eindruck, den es auf mich persönlich hervorgebracht hat.

Wenn ich so den freundlichen Gregor auf seinem Baldachin umherschaukeln sah, wenn ich die Throne im Vatikan und Quirinal erblickte, unter denen er einsam, so fordert es das Zeremoniell, seine Mahlzeiten verzehrte, und mir seine ganze traurige Existenz bedachte, so gönnte ich dem Greise recht die Erlösung vom Leben, die ihm wenig Monate später zuteil ward.

An jenem Morgen in der Sixtinischen Kapelle hörte er nach Beendigung der Messe eine lange lateinische Predigt an und zog sich dann in den Vatikan zurück.

Später sah ich ihn noch öfters und zuletzt einmal in den Gärten des Vatikans, als er sich in den Pavillon begab, einigen Damen eine Audienz zu erteilen, da er im Vatikane selbst keine Frauen empfangen darf. Es ist dies eine Ehre, deren man unschwer teilhaft wird und zu welcher sich auch zahlreich protestantische Frauen drängen.

In solchen Dingen Glück und Freude zu finden, muß man aber einen angeborenen Beruf haben, den nicht jeder besitzt.


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