Fanny Lewald
Italienisches Bilderbuch
Fanny Lewald

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Die Oktoberfeste

Von dem italienischen Volksleben, von den Tänzen und Kostümen, welche Dichter und Maler uns schildern, bekommt der Fremde, der nur einen kurzen Aufenthalt in Rom macht, wenig oder gar nichts zu sehen. Nur in den kleinen Städten der Albaner- und Sabinerberge erblickt man noch das weiße, befranste Kopftuch, den farbigen, steifen busto – Brustlatz – über dem buntseidenen Rock und die silberne Nadel im Haare, die, spada – Schwert – genannt, für viel weniger vornehm gilt als der spicciatoro, der breite, goldene Kamm der Römerinnen, weil dieser es unmöglich macht, die Krüge und andere Dinge auf dem Kopfe zu tragen, und also nur Wohlhabendere sich seiner bedienen können.

Jedoch im Karneval und auch schon in den Oktoberfesten taucht die Volkstracht und Volkslust auf, und jeder Donnerstag und Sonntag bietet dem Fremden den Anblick der Feste, welche der sehr beliebte Fürst Borghese in seiner Villa für das Volk veranstaltet, sowie derjenigen, die das Volk sich selbst in den Osterien vor den Toren aus dem Stegreife bereitet.

Die Villa Borghese ist ein großer englischer Park, in dessen Mitte sich das schöne, kleine Palais befindet, welches eine der bedeutendsten Kunstsammlungen enthält. Die Villa liegt dicht vor der Porta del Popolo und ist, beständig dem Publikum geöffnet, nächst der Passeggiata der beliebteste Spazierort der Römer. Zu allen Tageszeiten findet man Besucher dort, die zu Wagen und zu Roß die großen schattigen Wege durchstreifen, in den Lorbeerhecken umherwandeln oder einsam sich in der Nähe der zahlreichen Fontänen, wo es frisch und kühl ist, niederlassen, um ihren Betrachtungen nachzuhängen.

Hier im Bezirk des Parkes befindet sich unter hohen Pinien die Villa des Raffael, in der er mit der Fornarina lebte. Die Fresken, welche er dort gemalt, hat man aus der Wand herausgeschnitten und im Palaste der Familie Borghese in der Stadt bewahrt. Sie stellen den Kampf des Menschen mit den Leidenschaften und antike Hochzeitsfeierlichkeiten vor.

Mitten in der Villa ist ein großer Rasenplatz von Steinsitzen amphitheatralisch umgeben, den mehrere Reihen der schönsten Pinien umschließen. Dort versammelt sich das Volk um zwei Uhr am Nachmittag. Alle Sitzreihen sind schnell gefüllt; soweit das Auge schaut, wogt es von Menschen. Männer und Frauen heben die Kinder auf ihre Schultern, flinke Burschen erklettern die Bäume, und selbst die Damen in den außerhalb der Schranken haltenden Wagen verschmähen es nicht, auf die Sitze zu steigen, um dem Schauspiele zuzusehen, das sich hier darbietet. Gewöhnlich macht eine Art von Karussell den Anfang. Die Reiter sind in verschiedene Trachten maskiert und schießen im Vorbeijagen nach den aufgestellten Zielen, die zugleich oftmals noch irgendeine Überraschung enthalten. Aus einem getroffenen Blumentopfe, der zerplatzt, fliegen tödlich erschrocken ein paar arme weiße Täubchen hervor, die, zusammengebunden, in ihrer Angst sich hierhin und dorthin zerren und in dem Bestreben, schnell zu entfliehen, nicht von der Stelle kommen. Der riesige Wanst eines Policinel verbirgt einen mit Gas gefüllten großen Karpfen, der hoch über die Pinien emporfliegt; und entzückt und freudig ruft das nachblickende Volk ein jubelndes »Che maraviglia un carpione nell'aria!« (Welch ein Wunder! Ein Karpfen in der Luft!). Raketen und Leuchtkugeln blitzen aus Türkenköpfen hervor, und bei jedem getroffenen Ziele begrüßen Freudengeschrei der Menge und Fanfaren der aufgestellten Musikchöre das glückliche Ereignis.

Kletterbäume mit Preisen aller Art, mit Würsten und seidenen Tüchern, folgen darauf; und hierzu drängen sich die Jünglinge der niederen Stände in Massen. Die Lebhaftigkeit der teilnehmenden Zuschauer, das Rufen des Tadels, die Bravi und die Ratschläge von allen Seiten, welche keiner der Kletternden in der Entfernung verstehen kann, die aber doch als lauter Schall das Ohr berühren, haben etwas sehr Belebendes. Unbeschreiblichen Jubel erregte einmal ein Junge, der, als Weib maskiert, mit seinem bunten Kleide und dem verblichenen Putzhut rüstig an der Stange emporkletterte und endlich nach häufigem Herabgleiten, sehr gehindert durch seine Kleidung, dennoch das Ziel erreichte und den ersten Preis davontrug. »Che brava ragazza!« (Welch tapferes Mädchen!) rief es von allen Seiten. Weiber aus Trastevere, die sich vor Ungeduld in den Zirkus gedrängt hatten, was man gestattet, wenn keine Pferde darin sind und also keine Gefahr zu fürchten, liefen ihm entgegen, als er blitzschnell herabglitt. Sie umarmten ihn, setzten ihm seinen Hut zurecht, klopften ihm liebkosend Wange und Schultern und führten ihn lachend und seelenfroh wie im Triumphe zurück, als eine neue Belustigung begann.

Den Schluß machen gewöhnlich Wettkämpfe zu Wagen. Sechs Wagenlenker erscheinen in der Kleidung römischer Triumphatoren, wie man sie in Reiterbuden dargestellt sieht, jeder auf seinem mit zwei Pferden bespannten Triumphwagen, und das Rennen beginnt. Sie machen sechsmal den Weg um den Zirkus. Dies Unternehmen setzt schon eine längere Übung und eine namhafte Geschicklichkeit voraus. Die Wagenlenker sind meistens schöne Männer, und die Teilnahme des Volkes ist so lebhaft, daß sie in schweigende Spannung übergeht, bis der Sieger sein Ziel erreicht hat und nun der Beifall und die Freude der Zuschauer sich in donnernden Begrüßungen Luft machen. Bisweilen folgt dann noch ein Feuerwerk oder ein Luftballon; und man muß gestehen, daß diese Feste, von einem Privatmanne veranstaltet, etwas durchaus Großartiges haben. Schön ist es auch, daß man nicht einzelne Bevorzugte daran teilnehmen läßt; daß man keiner Eintrittskarten bedarf; sondern daß ein reicher Mann es einmal für seine Pflicht hält, dem Unbemittelten mehr als ein kärglich Stück Brot, eine Freude zu verschaffen, wenn er Lust hat, sie zu genießen.

Ständen diese Feste als vereinzelte Tatsache da, so verdiente der Fürst Borghese vielleicht weniger das Lob eines wohlwollenden Mannes, das ihm von allen Seiten gezollt wird, und Böswillige könnten ihm Eitelkeit und Prunksucht zur Last legen; aber er gilt auch außerdem für wohltätig mit weiser Überlegung. Er hat Sparkassen eingerichtet; wo Not zu lindern ist, fehlt er nie, und namentlich soll seine verstorbene Gemahlin ein solches Muster der Güte gewesen sein, daß das römische Volk ihren Tod wie ein allgemeines Landesunglück betrauerte und ihrem Leichenzuge Ehrenbezeigungen bewies, als ob eine souveräne Herrscherin zu Grabe getragen würde.

Sosehr öffentliches Volksleben in Rom seit Jahrhunderten unterdrückt wird, so ist doch die Gewohnheit öffentlicher Willens- und Meinungsäußerungen dermaßen festgewurzelt in den Römern, daß sie sich überall kundgibt. Als während meines Aufenthaltes in Rom die Mutter des Fürsten Piombino gestorben und auf prächtigem Katafalk in Santa Maria Maggiore ausgestellt war, hielt das Volk ein wahrhaft ägyptisches Totengericht an ihrem Sarge. Man warf ihr ihre Habsucht, ihre Hartherzigkeit gegen Arme, ihren Geiz ganz laut und ungehindert vor; man sagte, sie habe nur für ihre Eitelkeit verschwendet, solange sie jung gewesen sei, und dann später den Armen an Hilfe entzogen, was sie vergeudet hätte. Es muß für die Familie, wenn Mitglieder derselben zugegen waren, sehr peinlich gewesen sein; und doch liegt eine Art von Berechtigung in diesem Lob und Tadel des Volkes gegen diejenigen, welche so hochgestellt sind, daß sie allen sichtbar werden. Die Römer sind dies von alters gewohnt und verlangen mit Recht, daß man ihnen außer dem nötigen Brot dann und wann auch Spiele bereite, wenn man sich selbst täglich Feste zu schaffen vermag.

Ganz etwas anderes als die Volksbelustigungen, welche der Prinz Borghese veranstaltet, ist die Volkslust vor den Toren. Durch die letzte Hälfte des Oktobers erblickt man nachmittags Wagen, die offnen Omnibussen gleichen, voll Männer oder Frauen des Volkes, die singend und das Tamburin schlagend durch die Straßen fahren. Die Geschlechter sind immer geschieden, und man sieht viel mehr Frauen als Männer. Größtenteils sind es die Bewohner des jenseits der Tiber gelegenen Teils von Rom, Trasteveriner. Die Frauen tragen bei diesen Fahrten einen farbigen Rock, einen kleinen, sehr knappen, vorn weit geöffneten Spenzer von schwarzem Sammet, kleine, spitze Männerhüte von schwarzem Filz, mit bunten Bändern und großen Sträußen geschmückt, und Hals und Ohren mit dem reichen Goldgeschmeide geziert, das die Römerinnen so sehr lieben und nie durch unechten Flitter ersetzen. In dieser Kleidung erscheint die prächtige Büste und der schöne Arm der Italienerin auf das vorteilhafteste. Die erhobene Linke schwingt das Tamburin, dessen Schellenklang die rechte Hand hervorruft, während die flammenden Augen blitzend umherschauen und die roten, heißen Lippen sich öffnen zu fröhlichem Gesang.

Von den Wagen der Männer herab ertönen oft Mandolinen- und Flötenklänge zwischen den Liedern, und unter Lachen und Lärmen fahren sie hinaus, an der Engelsburg und Sankt Peter vorüber nach den Osterien vor der Porta Angelica.

Die Gegend ist dort ganz flach. Durch grüne Wiesen fließt träge das trübe, gelbe Wasser der Tiber; eine breite, mit Baumalleen besetzte Straße beginnt gleich außerhalb des Tores, Osterie reiht sich an Osterie. Dorthin gelangt, macht ein solcher Wagen voll Trasteverinerinnen halt. Junge Burschen springen herzu, ihnen vom Wagen zu helfen, die Türen der Gärten werden geöffnet, und augenblicks beginnt der Tanz. Frauen und Männer tanzen teils miteinander, teils gesondert. Bald stellen sich zwei junge Weiber, bald zwei Jünglinge zum Saltarello; das Tamburin erklingt; ohne weitere Musik, nur nach dem Rhythmus desselben, bewegen sich die Tänzer mit einer Lebhaftigkeit, die sich von Minute zu Minute steigert und nicht eher endet, bis das Paar ganz erschöpft zurücktritt, neuen Tänzern Platz zu machen. Ist nur einer der Tanzenden ermüdet, so tritt ein anderer für ihn ein. Alle Nichttanzenden stehen im Kreise umher um die einzelnen Paare der Tänzer, deren es immer mehrere zugleich in jeder Osterie gibt; die Schönheit der Männer und Frauen wird enthusiastisch gelobt, der Beifall regt die Tänzer zu immer erhöhten Anstrengungen an, die Lust ist allgemein.

Zwischen den Tanzenden und Zuschauenden sitzen Familien beim Weine; Brot, Orangen, gesalzene Oliven werden feilgeboten; man erfrischt sich unter dem Schatten der weinumrankten Verandas, man sitzt auf dem Rande eines Brunnens, steigt auf Stühle und Bänke, um irgendeine bekannte Schönheit tanzen zu sehen, bis die Gesellschaft eines solchen Wagens sich genuggetan hat und die Osterie verläßt, um nach wenig Minuten den Tanz in einem andere Garten fortzusetzen.

Immer rascher, je länger dies Umherziehen dauert, wird der Rhythmus des Saltarello, immer glühender das Auge und die Wange der Tänzer. Endlich tritt mit einem der Mädchen ein schlanker Bursche hervor, und nun beginnt ein Tanz, von dessen wildem, leidenschaftlichem Feuer wir im Norden uns gar keine Vorstellung machen können. Es ist, also ob sie ein elektrisches Fluidum ausströmten, das sie zueinander zieht mit namenlosem Verlangen, während unsichtbare Gewalten sie von der Vereinigung zurückhalten wollen. Die Augen, die Arme suchen sich; wie süße Liebesworte, wie Seufzer flammender Sehnsuchtsqual fliegen die Blicke hin und wider; das Mädchen nähert sich bang und zagend, schon streckt der Jüngling den Arm aus, sie zu erhaschen, noch ein Schritt und – da klingt dumpf das Tamburin mit seinen schrillenden Schellen, die Tänzerin fliegt empor, eine neue Wendung, und sie ist dem Sehnsüchtigen ferner als je. Alles lacht, man ruft »Brava!«, und wieder beginnt das wilde, süße Spiel, bis es zuletzt in der beiderseitigen Erschöpfung ein Ende findet und die Tanzenden sich nach verschiedenen Seiten zurückziehen.

Es liegt etwas wahrhaft Bacchantisches in diesem Tanze, das mir fremd und deshalb unheimlich vorkam; und doch ward auch hier nicht die Grenze des Anstandes noch die des Schönen überschritten. Kein Zank ward laut, keine Unmäßigkeit sichtbar, kein wüstes, rohes Schreien traf das Ohr mitten in Festen, die offenbar noch von den Bacchusfesten nach der Weinlese herstammen, mitten unter einer heißblütigen, ausgelassen fröhlichen Jugend. Ein Zug von Gesittung geht durch das ganze Volk und offenbart sich bemerkenswert im äußern Verhalten der Geschlechter gegeneinander.

So von Osterie zu Osterie zieht man fort bis lange nach Sonnenuntergang. Als wir bei sinkendem Tage in die Stadt zurückkehrten, tanzte das Volk auf den Wiesen, in den Straßen, und noch spät in der Nacht erklangen die schwirrenden Töne der Mandolinen, mit den Klängen der Flöte gemischt, neben Tamburin und Kastagnette hinauf zu meinen Fenstern und zu denen der armen, eingesperrten Schüler der Propaganda, welche mein Gegenüber waren.


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