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IV.

Birmingham, Ansprache des Bischofs.


Auch Birmingham war in Aufregung und auf den Beinen, seit jenem verhängnisvollen Sonntagmorgen.

Gerade vor Schluß des Nachmittagsgottesdienstes waren die letzten Extrablätter vor den Hauptkirchen und -kapellen angekommen. Und jedesmal ward dem Prediger eine Notiz in die Hand gesteckt, so auch in der Kathedrale, wo der bejahrte Bischof predigte. Die Versammlung, ohnehin schon voll Besorgnis und Angst, bemerkte den Zwischenfall und wartete auf irgendeine Ankündigung.

Ehe der Bischof den Segen des Herrn sprach, sagte er, auf den Kanzelstufen stehend:

»Ich habe in diesem Augenblick eine kaum glaubliche Nachricht erhalten. Aber sie kommt mit dem ganzen Gewicht des Herausgebers der Daily Post und würde sicherlich nicht hierhergesandt sein, wenn sie nicht auf das sorgfältigste nachgeprüft worden wäre.«

Einen Augenblick hielt der ehrwürdige Prälat inne. Die Schwäche des Alters und der Ernst der ihm anvertrauten Botschaft schienen ihn zu überwältigen, seine Lippen regten sich wie im Gebete. Mit der christlichen Tapferkeit, die ihn durch die mancherlei Wirrnisse seines Episkopats getragen hatte, erhob er dann sein Haupt und blickte der gewaltigen Versammlung fest ins Angesicht. Unter gespanntem Schweigen und mit leiser, aber fester Stimme fuhr er fort:

»Es sind jetzt viele Jahrhunderte, daß eine Kunde gleich der, die ich jetzt mitzuteilen habe, dem englischen Volke zu Ohren gekommen ist. Gott ist gnädig gegen unser geliebtes Land gewesen, Er hat uns ein Gedeihen gegeben, um das andere Nationen uns beneiden. Seit Jahrhunderten haben wir in stets wachsendem Maße die Segnungen der Freiheit und einer rechtfertigen Regierung genossen. Unser Reich hat sich ausgedehnt, und zugleich damit der Friede seinen Bereich erweitert. Unser Volk hat zugenommen an Kenntnissen und Geschicklichkeit, und trotz der Befürchtungen, die beim Beginn des jetzigen Jahrhunderts obwalteten, sind Religion und Frömmigkeit unter uns gewachsen. Gebe Gott, daß dieses Eiland, dieses köstliche von der silbernen See eingefaßte Kleinod, niemals – wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr – den harten Fuß eines übermütigen Eroberers fühlen möge!«

Die sich gleichbleibende Ruhe dieser vertrauten Stimme, die Beredtheit seiner Einleitung verfehlte ihre Wirkung auf die Versammlung nicht. Ihr Bangen – denn die Hörer hatten jedenfalls schon etwas von dem, was kommen sollte, munkeln hören – wich für den Augenblick dem sänftigenden Einfluß, den schon so manchesmal bei Prüfungen und Heimsuchungen diese schwachen, aber festen Laute ausgeübt hatten. Der Bischof fuhr fort:

»Wenn aber, so glaube ich nicht, daß es für immer sein würde. Das würde für die Gesittung ein Unheil sein. Die Besitzergreifung könnte nur von kurzer Dauer sein, denn aus jedem Teile der Welt würden Britanniens Söhne zum Entsatz herbeieilen; ihre Liebe zum Mutterlande, ihre unerschrockene Tapferkeit würden unwiderstehlich sein.

Klüglich oder nicht, ich habe es unternommen, euch auf die kurze, aber schreckliche Nachricht vorzubereiten, die man mich gebeten hat euch mitzuteilen; ihr werdet sie aufnehmen, ich weiß es, als Christen und als Engländer. ›Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht.‹ Die Botschaft, die ich empfangen habe, besagt, daß eine deutsche Streitmacht, wie schon heute das Gerücht ging, wirklich an unseren Küsten gelandet ist. Nur soviel ist bis jetzt bekannt, aber dies wenige ist amtlich bestätigt worden. Soweit man versichern darf, braucht man einen unmittelbaren Vormarsch auf das Herz des Landes nicht zu besorgen. Es ist augenblicklich kein Anlaß zur Panik. Die Gefahr mag noch abgewendet werden. Wie weit unsere Volkskraft vorbereitet ist, diesem gänzlich unvorhergesehenen Angriffe zu begegnen, ist nicht an mir, zu sagen.

Uns bleibt für den Augenblick nichts als die Hoffnung und das Vertrauen, die aus der Zuversicht zu einem stärkeren Arm als dem unseren entspringen, daß göttliche Gnade, deren unser Land sich solange zu erfreuen gehabt hat, uns noch weiter zuteil werden möge, und daß die Heimsuchung, obschon sie schwer sein mag, ja, sicherlich sein wird, in nicht sehr ferner Zukunft von uns weichen und unser Volk so rein und klar zurücklassen werde, wie Gold aus der Esse des Läuterers. Birmingham wird in dieser Krisis, gleichwie seine ganze Geschichte hindurch, seine Pflicht tun, was auch immer geschehen möge. Für heute aber ist Ruhe unsere erste Pflicht. Vielen, vielleicht allen in dieser Stadt wird die heutige Nacht ein angstvolles Wachen sein. So laßt sie denn sein eine Nacht des Gebetes. Hier, in dem Hause des Gottes, auf den wir bauen, wollen wir uns Ihm anvertrauen. Lasset uns beten.«

Vor dem Altare niederkniend, sprach der Bischof:

»Gib uns Frieden zu unserer Zeit, o Herr,« und die Versammlung erwiderte in Tönen, die gegen das Ende des Spruches stark wurden:

»Denn es ist kein anderer, der für uns streitet, als du allein, o Gott.«

Nachdem der Bischof das Altargebet um Frieden, die Fürbitte für den König und die königliche Familie und das Gebet »für alle menschlichen Umstände« gesprochen hatte, sang die Gemeinde einen Vers des großen Lutherliedes – in dieser Zeit eine seltsame Zusammenstellung! – und empfing kniend und mit nie vorher empfundener Andacht den bischöflichen Segen; dann blieb sie noch zwei oder drei Minuten zu stillem Gebet vereinigt, in einer jener gemeinsamen Inspirationen, die in solchen Zeiten alle Herzen zusammenknüpfen.

Von Zeit zu Zeit hatten Töne, die von dem Tumult in den Straßen erzählten, die andächtige Stille des Gotteshauses unterbrochen. Dennoch hatte der Zauber, den der Bischof selbst in der Schwäche des äußersten Greisenalters auf seine Hörer auszuüben vermochte, keinen einzigen Augenblick nachgelassen. – Es war der stärkste von den vielen starken Beweisen der Kraft eines heiligen Lebens und eines von oben eingeflößten Mutes ...

Wie der Bischof vorausgesagt hatte, gab es diese Nacht wenig Schlaf in Birmingham. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln ihrer Eltern erfuhren es die Kinder, daß etwas Schreckliches sich ereignet habe, und weinten sich in Schlaf. Die Erwachsenen unterhielten sich bis zum Tagesgrauen, zu Hause oder auf den Straßen, über die Möglichkeiten der Invasion. Viele und leidenschaftliche Verwünschungen wurden gegen die Regierung ausgestoßen, die sich hatte überrumpeln lassen und, wie man glaubte, trotz all der wiederholten Warnungen das Land einem solchen Feinde wehrlos preisgegeben hatte.

Der Montag dämmerte herauf. Nach einem gewöhnlichen Arbeitstage sah der Tag nicht aus, und obwohl die Straßen gedrängt voll waren wie an Feiertagen, daß es fast an Krönungsfestlichkeiten erinnerte, so war doch von Feststimmung nirgends etwas zu spüren.

Die Dampfsirenen der Fabriken heulten um sechs Uhr, wie immer, aber umsonst. Und auch um die Frühstückszeit, als wiederum diese heiseren Mahnungen erschollen, kamen die Arbeiter nicht, denn scharenweise waren sie nach dem Mittelpunkte der Stadt geströmt. Schon vor neun Uhr war der Viktoriaplatz vollgestopft, und die jungen Leute beiderlei Geschlechts durchzogen Kriegslieder singend die Straßen; »Tommy Atkins« war das populärste dieser Lieder.

Die Schulen waren fast leer. Die meisten Schüler durchwanderten in ihren Kinderuniformen die Straßen und marschierten und manövrierten, daß man sehen konnte, der militärische Drill, der neuerdings in den Schulen mehr geübt worden war, hatte schon zu wirken angefangen – leider eine Generation zu spät ...


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