de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Zweiundachtzigster Brief

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.

Was mir Ihre Angst leid tut! Sie beweist mir meine Überlegenheit über Sie, – und Sie wollen mich lehren, wie ich mich betragen soll? Ach, mein armer Valmont, was für ein Abstand ist noch zwischen Ihnen und mir! Der ganze Stolz Ihres Geschlechtes genügte nicht, ihn auszufüllen. Weil Sie meine Absichten nicht ausführen könnten, denken Sie sie unausführbar! Wer so hochmütig und so schwach ist, dem steht es wohl an, meine Pläne berechnen, meine Ressourcen beurteilen zu wollen! Wirklich, Vicomte, Ihre guten Ratschläge haben mich sehr amüsiert, ich kann es nicht anders sagen.

Daß Sie, um Ihre unglaubliche Ungeschicklichkeit bei Ihrer Präsidentin zu maskieren, mir es als einen Triumph hinstellen, die schöne Frau, die Sie, wie Sie zugeben, liebt, einen Moment in Verlegenheit gesetzt, von ihr einen Blick erhalten zu haben, einen einzigen Blick, darüber lächle ich nur, und laß es Ihnen hingehen. Und da Sie heimlich doch den geringen Wert Ihres »Triumphes« fühlen, hofften Sie meine Aufmerksamkeit davon abzulenken, indem Sie mir wegen meiner sublimen Kunst schmeicheln, zwei Kinder zueinander zu bringen, die beide danach brennen; welches starke Verlangen sie, nebenbei gesagt, mir allein zu danken haben, und worin ich ihnen auch weiter gut will. Daß Sie sich nun gar dieser außerordentlichen Taten Urheber und Vollender halten, um mir im dozierenden Ton zu sagen, »daß es besser ist, seine Zeit mit der Ausübung seiner Absichten zu verbringen, als damit, sie zu erzählen« – diese Eitelkeit tut mir nicht weh und sei Ihnen verziehen. Aber daß Sie glauben, ich brauchte Ihre Klugheit, glauben, daß ich vom rechten Wege abkäme, befolgte ich nicht Ihre höchst weisen Ermahnungen, daß ich Ihrer Klugheit gar ein Vergnügen, eine Laune opfern sollte – das, Vicomte, das heißt doch gar zu eingebildet sein auf das Vertrauen, das ich ja sonst ganz gern zu Ihnen haben will!

Was haben Sie denn geleistet, was ich nicht tausendmal besser gemacht hätte? Sie haben viele Frauen verführt, meinetwegen sogar zugrunde gerichtet – aber, was für Schwierigkeiten gab es denn da zu überwinden? Welche Hindernisse zu nehmen? Wo ist Ihr wirkliches Verdienst dabei? Eine gute Figur – ein bloßer Zufall; Manieren – lernt man; Geist – ersetzt der geistreiche Jargon nach Bedarf; eine recht lobenswerte Kühnheit – verdanken Sie vielleicht nur der Leichtigkeit Ihrer ersten Erfolge: das sind, wenn ich nicht irre, alle Ihre Talente. Denn, was Ihre Zelebrität betrifft, werden Sie, wie ich glaube, nicht von mir verlangen, daß ich diese Kunst, die Gelegenheit zu einem Skandal zu geben oder eine solche Gelegenheit zu schaffen, nicht besonders hoch einschätze. Was nun Klugheit und Raffinement betrifft, will ich von mir gar nicht sprechen, aber welche Frau hätte nicht mehr davon als Sie? Ihre Präsidentin führt Sie ja wie ein Kind.

Glauben Sie mir, Vicomte, man erwirbt selten die Qualitäten, die man entbehren kann. Da Sie, ohne irgendwas zu riskieren, kämpfen, brauchen Sie auch keine besondere Vorsicht dabei. Für euch Männer ist eine Niederlage nur ein Erfolg weniger. In dieser höchst ungleichen Partie ist es unser Glück, nicht zu verlieren, euer Unglück, nicht zu gewinnen. Wenn ich Ihnen ebensoviel Talent zuerkannte wie uns Frauen, um wie viel würden wir Sie nicht doch noch übertreffen durch die Notwendigkeit, daß wir immer alle unsere Talente gebrauchen müssen!

Nehmen Sie an, Sie wendeten ebensoviel Geschicklichkeit darauf, uns zu besiegen, als wir, uns zu verteidigen oder besiegen zu lassen, so werden Sie doch zugeben, daß Ihnen diese Geschicklichkeit nach dem Erfolg unnütz wird. Ganz mit Ihrer neuen Eroberung beschäftigt, ergeben Sie sich ihr ohne Furcht, ohne Rückhalt: die Dauer kümmert Sie nicht.

Gewiß: diese Fesseln –um im gewöhnlichen Liebesjargon zu reden –diese Fesseln gegenseitig gegeben und genommen, Sie allein können sie nach Lust und Laune fester machen oder brechen –ein Glück, wenn Sie Ihrem Leichtsinn entsprechend das Schweigen dem Skandal vorziehen und Sie sich mit dem demütigenden Verlassen begnügen, und nicht das Idol des einen Tages am nächsten als Opfer schlachten!

Wenn aber eine Frau das Unglück hat, als erste das Gewicht ihrer Kette zu fühlen, was riskiert sie nicht alles, wenn sie es wagt, sie zu zerbrechen oder bloß sie ein bißchen zu lockern! Nur mit Zittern versucht sie den Mann von sich fern zu halten, den ihr Herz mit aller Kraft von sich stößt. Ist er hartnäckig und bleibt, so muß sie das, was sie früher der Liebe gewährte, nun der Furcht hingeben. Die Arme öffnen sich noch, wenn das Herz bereits geschlossen ist. Die weibliche Schlauheit muß nun dieselben Fesseln mit Geschicklichkeit lösen, die Sie brutal zerrissen hätten. Der Gnade ihres Feindes ausgeliefert, ist sie hilflos, wenn er Großmut nicht kennt. Wie soll man aber die von ihm erwarten, wenn man ihn wohl manchmal lobt, wenn er Großmut zeigt, niemals aber tadelt, wenn sie ihm fehlt?

Sie werden wohl diese Wahrheiten nicht leugnen, deren Evidenz sie schon trivial gemacht hat. Wenn Sie mich aber gesehen haben, wie ich über Ereignisse und Meinungen disponiere, diese so sehr gefürchteten Männer zum Spielzeug meiner Launen mache, dem einen den Willen, dem andern die Macht, mir zu schaden, nehme, wie ich sie mir einen nach dem andern und nach meinem wechselnden Geschmack erobere oder fernhalte, und doch inmitten dieser fortwährenden Revolutionen mein guter Ruf sich rein erhalten hat – haben Sie daraus nicht geschlossen, daß ich geboren bin, um mein Geschlecht zu rächen und das Eure zu beherrschen, und daß ich mir dazu Mittel schuf, unbekannt bis auf mich?

Heben Sie Ihre Ratschläge und Ihre Ängste für die bewußtlos wollüstigen Frauen auf und für die andern, die mit den »Gefühlen«, deren exaltierte Phantasie glauben macht, die Natur habe ihnen die Sinne im Kopfe angebracht, die niemals dachten und deshalb immer die Liebe mit dem Geliebten verwechseln, die in ihrer verrückten Illusion glauben, daß der allein, mit dem sie das Vergnügen suchten, der einzige Besitzer desselben wäre und abergläubig für den Priester Glauben und Respekt haben, die nur der Gottheit gebühren!

Fürchten Sie auch für die Frauen, die mehr stolz als klug nicht wissen, wann sie einwilligen sollen, daß man sie verläßt.

Und fürchten Sie ganz besonders für jene in Müßigkeit tätigen Frauen, die Sie die Sensiblen nennen, und über welche die Liebe so leicht und mit solcher Macht kommt; die das Bedürfnis haben, sich auch dann noch mit der Liebe zu beschäftigen, wenn sie sie nicht mehr unmittelbar genießen, die sich ganz den Erregtheiten ihrer Phantasie hingeben und damit zärtliche Briefe füllen, die zu schreiben so gefährlich ist, und die sich nicht davor fürchten, diese Zeichen ihrer Schwäche dem Geliebten zu zeigen, der davon Ursache ist. Das sind unkluge Frauen, die in ihrem gegenwärtigen Geliebten nicht den zukünftigen Feind erkennen.

Aber was habe ich mit solchen unüberlegten Frauen zu schaffen? Wann haben Sie gesehen, daß ich von den Regeln abweiche, die ich mir vorgeschrieben habe, und daß ich meine Prinzipien verleugne? Ich sage meine Prinzipien, und ich sage es so mit Absicht, – denn sie sind nicht wie jene anderer Frauen aus dem Zufall geworden, ohne Prüfung hingenommen und aus Gewohnheit befolgt; sie sind Ergebnisse meines letzten Denkens; ich habe sie geschaffen und kann sagen, daß ich mein eigenes Werk bin.

Als ich in die Welt trat, war ich noch ein Mädchen und dadurch zur Untätigkeit und zum Schweigen verurteilt, was ich dafür zu nutzen verstand, daß ich beobachtete und nachdachte. Man hielt mich für zerstreut und gedankenlos und wenig achtsam auf die schönen Reden und Lehren, die man mir gab, aber ich hörte aufmerksam auf die Reden und Lehren, die man mir zu verbergen suchte.

Diese nutzbringende Neugierde war mein Unterricht und lehrte mich auch rechten Ortes zu schweigen; oft war ich gezwungen, den Gegenstand meiner Aufmerksamkeit den Augen meiner Umgebung zu verbergen, und so versuchte ich, meine Augen nach meinem Gefallen zu leiten; da lernte ich diesen scheinbar zerstreuten wie abwesenden Blick, den Sie so oft an mir bewunderten. Der erste Erfolg gab mir Mut, und ich versuchte den Ausdruck meines Gesichts in meine Gewalt zu bekommen.

War es mir schlecht zumute, so bemühte ich mich um den Ausdruck der Zufriedenheit, ja selbst großer Freude –ich ging im Eifer so weit, mir absichtlich Schmerzen zu bereiten, um während dieser Zeit den Ausdruck der Freude zu studieren. Und mit derselben Sorgfalt habe ich an mir gearbeitet, den Ausdruck der Überraschung über eine unerwartete Freude zu bekämpfen. Ich war noch sehr jung und ziemlich uninteressiert – aber mein Denken hatte ich und ganz für mich, und alles sträubte sich in mir dagegen, daß man mir es nehmen könnte oder mich gegen meinen Willen dabei überraschen. Ich versuchte diese ersten Waffen zu gebrauchen: mich nicht durchschauen zu lassen, war mir zu wenig, und so belustigte ich mich damit, mich unter verschiedenen Masken zu zeigen. Meiner Bewegungen war ich sicher, so studierte ich meine Worte: ich änderte und veränderte das eine, das andere – je nach den Umständen, oder auch je nach meiner Xraune: meine Art zu denken gehörte mir allein und ließ nicht mehr davon sehen, als was mir gerade nützlich war.

Diese Arbeit an mir selber lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Ausdruck und den Charakter der Physiognomie, und ich gewann dabei diesen Scharfblick, von dem mich die Erfahrung wohl lehrte, sich nicht ganz darauf zu verlassen, der mich aber doch selten täuschte.

Sie können sich denken, daß ich wie alle jungen Mädchen hinter die Geheimnisse der Liebe und ihrer Freuden zu kommen suchte. Aber da ich nie im Kloster war, auch keine gute Freundin hatte, und mich eine wohlaufmerkende Mutter überwachte, hatte ich nur ganz vage Vorstellungen von der Sache, und selbst die Natur, über die ich mich seitdem nur höchst lobend aussprechen kann, gab mir noch keinen Schlüssel zu der verschlossenen Tür. Man hätte sagen können, daß sie im stillen an der Vollendung ihres Werkes arbeitete. Nur mein Kopf war tätig: ich wollte nicht genießen, ich wollte wissen, und der Wunsch, mich zu unterrichten, gab mir auch die Mittel dazu.

Ich dachte, der einzige Mensch, mit dem ich über diese Sache sprechen konnte, ohne mich bloßzustellen, wäre mein Beichtvater. So faßte ich meinen Entschluß. Ich überwandt meine kleine Scheu und indem ich mich einer Sünde rühmte, die ich gar nicht begangen hatte, beichtete ich, das getan zu haben, was die Frauen machen! – Das waren meine Worte. Als ich sie sagte, wußte ich wirklich nicht, was ich gesagt hatte. Meine Hoffnung ward nicht ganz enttäuscht, und doch auch nicht ganz erfüllt; die Angst, mich zu verraten, hinderte mich, mich besser auszudrücken, aber der gute Priester machte aus dieser Sünde eine so große Sache, daß ich daraus schloß, das Vergnügen müsse ganz außerordentlich sein, – dem Wunsche, es kennen zu lernen, folgte die Begierde, davon zu kosten.

Ich weiß nicht, wohin mich diese Begierde geführt hätte, und ohne jede Erfahrung, wie ich war, wer weiß, ob ich nicht die erste beste Gelegenheit vielleicht töricht benutzt hätte. Glücklicherweise teilte mir meine Mutter wenige Tage nachher mit, daß ich mich verheiraten würde, und sofort wurde meine Neugier vor dieser Aussicht gestillt, und ich kam jungfräulich in die Arme des Herrn von Merteuil.

Ich erwartete ruhig den Moment, der mich instruieren sollte, und ich brauchte alle meine Kunst, um mich verwirrt und ängstlich zu zeigen. Die erste Nacht, von der man sich gewöhnlich eine so grausame oder so angenehme Vorstellung macht, gab mir nur die Gelegenheit einer Erfahrung: Schmerz und Lust, ich studierte beides, und sah in diesen verschiedenen Sensationen nur Tatsachen, mit denen zu rechnen ist.

Dieses Studium machte mir bald viel Vergnügen. Aber meinen Prinzipien treu und vielleicht aus Instinkt, daß keiner meinem Vertrauen ferner stehen sollte als mein Mann, beschloß ich, gerade weil ich wollüstig war, mich vor ihm unempfindlich und kalt zu zeigen. Und diese scheinbare Kälte hätte zur Folge, daß er mir blind vertraute. Dazu fügte ich noch so etwas wie kindliche Unbesonnenheit, die mir meine Jugend ganz gut erlaubte, und der gute Merteuil fand mich nie kindlicher, als gerade dann, wo ich mit der größten Frechheit Komödie spielte. Das war ja nicht gleich von Anfang an so, wie ich bekennen muß. In der ersten Zeit ließ ich mich von dem Trubel der Welt fortreißen und vergaß mich ganz darin. Aber als mich nach einigen Monaten Herr von Merteuil auf sein trauriges Landgut führte, da brachte mich die Langeweile wieder zu mir selbst zurück. Da ich mich hier nur von Leuten umgeben sah, deren Stellung so tief unter der meinen war, daß kein Verdacht an mich heran konnte, so profitierte ich davon, indem ich meinen Experimenten ein weiteres Feld gab. Es war gerade hier auf dem Lande, wo ich die Gewißheit bekam, daß die Liebe, die man uns als Quelle unserer Freuden preist, nichts weiter als ein Vorwand ist.

Die Krankheit Herrn von Merteuils unterbrach mich in meinen angenehmen Studien – er mußte wieder in die Stadt, zu den Ärzten. Er starb, wie Sie wissen, bald darauf, und obschon ich mich im großen ganzen über ihn nicht beklagen konnte, fühlte ich doch die Freiheit, die mir mein Witwentum gab, nicht unangenehm, und ich nahm mir vor, davon zu profitieren.

Meine Mutter meinte allerdings, ich würde nun ins Kloster gehen, oder wenigstens wieder bei ihr wohnen. Ich tat weder das eine noch das andere, und alles, was ich des Dekorum wegen tat, war, daß ich wieder aufs Land ging, wo ich noch einiges zu studieren hatte.

Ich half mir dabei mit Lektüre, – aber glauben Sie ja nicht, daß sie alle von der Art war, die Sie meinen. Ich studierte, was wir tun in den Romanen, was wir meinen bei den Philosophen, ich suchte sogar bei den ganz strengen Moralisten, was sie von uns verlangen, und so unterrichtete ich mich genau darüber, was man tun kann, was man denken soll, und was scheinen. Bloß machte das in der Praxis einige Schwierigkeiten, die rustikalen Freuden begannen mich zu langweilen, – es war da zu wenig Abwechslung für meine lebhafte Aktivität. Ich empfand das Bedürfnis nach Koketterie, die mich zu der Liebe wieder in ein gutes Verhältnis bringen sollte – nicht um sie selber zu erleben, sondern um sie einzuflößen, um sie zu mimen. Was man mir da gesagt und was ich da gelesen hatte, daß man die Liebe nicht mimen könne, das glaubte ich nicht. Ich sah, daß es dazu nur nötig sei, den Esprit eines Autors mit dem Talent eines Schauspielers geschickt zu verbinden. Ich übte mich in beidem und vielleicht mit einigem Erfolg. Aber ich suchte nicht den Applaus des Theaters damit, es lag mir daran, das in den Dienst meines Glückes zu stellen, was andere dem Wahn opfern.

Damit verging ein Jahr. Die Trauerzeit war vorüber und ich ging nach Paris zurück, mit all meinen großen Plänen. Die erste Schwierigkeit, auf die ich stieß, erwartete ich allerdings nicht.

Die lange Einsamkeit und Zurückgezogenheit hatte mich mit einer Prüderie patiniert, die unsere nettesten jungen Leute so erschreckte, daß sie sich von mir fern hielten, und mich einer Gesellschaft höchst langweiliger Leute überließen, die mich alle heiraten wollten. Die Schwierigkeit war nicht, die angetragenen Hände zu refüsieren, aber einige dieser Körbe mißfielen meiner Familie, und ich verlor mit diesen Umständlichkeiten viel Zeit, von der ich mir einen angenehmern Gebrauch versprochen hatte. So war ich gezwungen, um die einen zu mir zu bringen, die andern von mir zu entfernen, einige Dummheiten zu machen und dafür zu sorgen, meinem Ruf etwas zu schaden, wo ich so viel Sorge darauf verwandt hatte, ihn mir gut zu erhalten. Aber, da keine Leidenschaft mit mir dabei durchging, tat ich nur, was ich für notwendig hielt, und dosierte meine kleinen Streiche sehr vorsichtig.

Nachdem ich meinen Zweck erreicht hatte, kam ich wieder auf meinen rechten Weg und gab einigen jener Frauen die Ehre meines Amendements, die sich auf Würde und Tugend werfen, – weil ihnen das andere versagt ist. Dieser Verkehr nützte mir mehr als ich dachte. Die dankbaren Duennas wurden zu Verkünderinnen meiner Tugend und ihr blinder Eifer für das, was sie ihr Werk nannten, ging so weit, daß sie beim geringsten Wort, das man gegen mich sagte, sofort über Infamie und Beleidigung schrien. Das gleiche Mittel nützte mir auch bei den andern Frauen, jenen mit dem nicht ganz guten Ruf. Die waren überzeugt, daß meine Karriere nicht die ihre sei, und so sangen sie mein Lob in allen Tonarten immer dann, wenn sie zeigen wollten, daß sie nicht bloß Médisancen zu sagen wüßten.

So brachte meine geschickte Lebensführung die Liebhaber wieder hübsch zu mir zurück, und um mich zwischen ihnen und meinen tugendsamen Beschützerinnen einzurichten, gab ich mich für eine zwar zugängliche, aber schwierige Frau, die in einer übertriebenen Delikatesse Waffen gegen die Liebe findet.

Nun zeigte ich meine mir erworbenen Talente auf der großen Bühne. Vor allem lag mir daran, in den Ruf der Unbesiegbarkeit zu kommen, und ich machte das so: Mit den Männern, die mir gar nicht gefielen, tat ich so, als ob sie etwas von mir erwarten könnten, was sie natürlich nie bekamen – so hatte ich in ihnen die lautesten Verkünder meiner Uneinnehmbarkeit, während ich mich sorglos meinem erwählten Geliebten hingab. Den aber hatte ich mit meiner vorgeblichen Ängstlichkeit so weit gebrächt, daß er sich nie in der Gesellschaft, in der ich verkehrte, oder in meiner zeigen durfte, und so sahen und kannten alle nur den schmachtenden, unglücklichen Verehrer.

Sie wissen, daß ich mich immer rasch entscheide, und dies, weil ich beobachtet habe, daß die lang vorbereitenden Mühen fast immer die Frau verraten. Was man auch tun mag, der Ton vor und nach dem Erfolg ist nicht der gleiche. Und der Unterschied entgeht einem aufmerksamen Beobachter nie. Ich habe es weniger gefährlich gefunden, mich in der Wahl zu irren, als das irgendwie durchblicken zu lassen. Ich gewinne dabei auch noch, Ähnlichkeiten zu vermeiden, auf welche hin allein man uns beurteilen kann.

Diese und die andere Vorsicht, nie einen Brief zu schreiben, nie den kleinsten Beweis einer Niederlage zu geben, könnte man für übertrieben halten und doch schienen sie mir noch nie genügend. Ich studierte mich und damit die andern. Ich sah, daß es keinen Menschen gibt, der nicht ein Geheimnis hat, an dem ihm liegt, daß er es für sich bewahrt. Das wußte man in den alten Zeiten besser, wofür die Geschichte von Simson wohl ein geniales Symbol ist. Eine neue Dalila, habe ich, wie die der Bibel meine ganze Macht in diesen Dienst gestellt, auf dieses eine Geheimnis eines jeden zu kommen. Von wie vielen unserer Simsone halte ich nicht das Haar unter meiner Schere! Und die habe ich zu fürchten aufgehört und sie sind die einzigen, die ich mir manchmal zu demütigen erlaubte. Mit den andern war ich gütiger, übte die Kunst, sie mir untreu zu machen, wenn ich genug von ihnen hatte, und daß sie mich nicht unbeständig nennen, spielte die Freundin, affektierte tiefes Vertrauen, machte gnädige Zugeständnisse, gab jedem die schmeichelnde Meinung, er sei mein einziger Geliebter gewesen – mit all dem verpflichtete ich sie mir zur Diskretion. Und wenn diese Mittel versagten und ich den Bruch voraussah, so kam ich dem schlimmen Reden dieser gefährlichen Herren damit zuvor, daß ich sie lächerlich machte oder verleumdete.

Was ich Ihnen hier sage, praktiziere ich seit Jahren – und Sie zweifeln an meiner Weisheit? Erinnern Sie sich doch der Zeit, da Sie mir zuerst den Hof machten – es war sehr schmeichelhaft für mich, denn meine Lust stand nach Ihnen, schon bevor ich Sie sah. Ihr Ruf lockte mich, und es kam mir vor, als fehlten Sie meiner Glorie. Es verlangte mich, Brust an Brust mit Ihnen zu ringen, und dies war das einzige Mal, daß für einen Augenblick die Begierde Herrschaft über mich bekam. Aber, um mich zu bekommen, was hätten Sie getan? Sie hätten geredet, leere Worte ohne Spur und Folge, Worte, die Ihr Ruf schon verdächtig gemacht hätte, und hätten unwahrscheinliche Geschichten erzählt, deren aufrichtige Erzählung wie ein schlechter Roman geklungen hätte. Inzwischen habe ich Ihnen nun allerdings alle meine Geheimnisse verraten – aber Sie wissen, was uns verbindet, und ob von uns beiden ich es bin, der man Unvorsichtigkeit vorwerfen kann. Da ich dabei bin, Ihnen Rechenschaft abzulegen, will ich es genau nehmen. Ich höre Sie von hier aus sagen, daß ich der Gnade meines Kammermädchens ausgeliefert bin, und es ist wahr, wenn sie auch nicht das Geheimnis meiner Gedanken besitzt, so doch das meiner Handlungen. Als Sie mir seinerzeit davon sprachen, sagte ich Ihnen bloß, daß ich ihrer sicher sei; und die Probe dafür, daß diese Probe Ihrer Ruhe genügen könnte, war, daß Sie dem Mädchen inzwischen auf Ihre eigene Rechnung und Gefahr ziemlich gefährliche Geheimnisse anvertraut haben. Aber, da nun Prévan seinen Schatten auf Sie wirft, und Ihnen davon der Kopf nicht ganz klar ist, bin ich gar nicht im Zweifel, daß Sie mir auf mein bloßes Wort nicht mehr glauben. Also ausführlicher.

Einmal ist dieses Mädchen meine Milchschwester, das bedeutet uns natürlich nichts, aber noch viel Leuten ihres Standes. Ich weiß das Geheimnis des Mädchens und habe noch besseres: sie ist das Opfer einer Liebestorheit und wäre ohne meine Hilfe verloren gewesen. Ihre Familie, totanständige Leute, mit Ehrgefühlen nur so gespickt, wollte nichts Geringeres als sie einsperren lassen. Sie wandten sich an mich, und mir war sofort klar, daß mir hier etwas sehr gut zustatten kommen konnte. Ich half den Eltern, rief die Behörden an, und der Befehl erging, das Mädchen festzusetzen. Da schlug ich mich auf die Seite der milden Güte, wozu ich auch die Eltern bewog. Ich profitierte von meinen Beziehungen zum alten Minister, und ließ mir den Haftbefehl geben und mit Zustimmung aller Beteiligten das Recht, ihn vollstrecken oder aufhalten zu lassen, je nach dem Betragen des Mädchens, das ich so völlig in der Hand habe, was sie weiß. Und hilft auch das nicht, – was mir kaum möglich scheint – so nimmt doch die authentische Bestrafung und deren Ursache ihrem Worte jede Glaubwürdigkeit. Zu all diesen Vorsichtsmaßregeln, die ich fundamentale nennen möchte, kommen noch tausend andere, örtliche oder gelegentliche, die Überlegung und Gewohnheit finden, wenn es nötig ist, die vielleicht an sich kleinlich, in der Praxis aber oft sehr wichtig sind. Die aber zu suchen, müssen Sie sich schon die Mühe nehmen – das Ganze meines Lebens zu studieren, wenn Sie auf diese Kenntnis Wert legen.

Aber, daß ich mir alle die Mühe gemacht haben soll, um keine Früchte davon zu genießen, daß ich nun, nachdem ich mich so über die andern Frauen hinausgearbeitet habe, einwilligen sollte, so wie sie auf meinem Wege zwischen Unvorsichtigkeit und Schüchternheit hin und her zu stolpern, daß ich mich endlich vor einem Manne so fürchten sollte, daß ich nur mehr in der Flucht mein Heil finden könnte, nein, Vicomte, das niemals, das können Sie nicht von mir verlangen. Für mich heißt es: Siegen oder untergehen. Was Prévan betrifft, so will ich ihn eben haben, und ich werde ihn haben; er will es sagen, und er wird es nicht sagen – das ist in zwei Worten unser Roman. Adieu!

Paris, den 20. September 17...


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