de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Neunundsechzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an Frau von Tourvel.

Wie soll ich Ihnen auf Ihren letzten Brief antworten, gnädige Frau? Wie kann ich wahr sein, wenn meine Aufrichtigkeit mich Sie verlieren macht? Wenn auch: – es muß sein, und ich habe den Mut dazu. Ich sage mir, und ich wiederhole es mir: – besser ist es, Sie zu verdienen als Sie zu besitzen. Und wenn Sie mir auch immer das Glück versagen, nach dem ich ewig verlangen werde, so muß ich Ihnen wenigstens beweisen, daß mein Herz dieses Glückes mindest würdig ist.

Wie schade, daß ich, wie Sie sagen, »von meinen Verirrungen zurückgekommen bin«. Mit welch seliger Freude hätte ich sonst und nicht »zurückgekommen« diesen selben Brief gelesen, dessen Beantwortung mir heute so schwer wird! Sie sprechen mit »Aufrichtigkeit« darin, Sie schenken mir Ihr »Vertrauen«, Sie bieten mir Ihre Freundschaft an – was Gutes alles, gnädige Frau, und wie traurig, davon nicht profitieren zu können! Warum bin ich nicht mehr derselbe?

Ja, wenn ich der von früher noch wäre, wenn ich für Sie nur diese gewöhnliche Lust empfände, diese leichte Lust, das Kind der Verführung und des Vergnügens, das man heute überall Liebe nennt, ja, dann würde ich mich beeilen, aus all dem meinen Vorteil zu ziehen, zu gewinnen, was ich gewinnen kann. Wenig wählerisch in den Mitteln, wenn sie mir nur den Erfolg sichern, würde ich Ihre Aufrichtigkeit ermutigen, um Ihre Bedürfnisse zu erraten, würde ich Ihr Vertrauen suchen, um es zu verraten, würde ich Ihre Freundschaft annehmen mit der Absicht, sie zu meinem Zweck zu mißbrauchen ... Dies Bild erschreckt Sie, gnädige Frau? Und es wäre doch getreu nach meiner Natur gezeichnet, wenn ich Ihnen sagte, daß ich darauf einginge, nur um nichts sonst als Ihr Freund zu sein.

Ich? Ich sollte darauf eingehen, mit irgendeinem ein Gefühl Ihrer Seele zu teilen? Wenn ich Ihnen das jemals sage, so glauben Sie es nicht; denn in dem Augenblick versuche ich Sie zu, täuschen – ich könnte Sie noch begehren, aber sicherlich würde ich Sie nicht mehr lieben.

Nicht daß herzliche Aufrichtigkeit, gütiges Vertrauen, empfindende Freundschaft für mich ohne Wert wären. Aber die Liebe! Die wirkliche Liebe, die Liebe, die Sie einflößen, vereinigt all diese Empfindungen, doch gibt sie ihnen die Lebendigkeit des Lebens und kann sie sich nicht wie die Freundschaft dieser Ruhe, dieser Kühle der Seele hingeben, die Vergleiche erlaubt und selbst Bevorzugungen duldet. Nein, gnädige Frau, ich werde nicht Ihr Freund sein, ich werde Sie mit der heftigsten Liebe lieben. Diese Liebe können Sie zur Verzweiflung treiben, aber nicht vernichten.

Mit welchem Recht beanspruchen Sie, über ein Herz zu verfügen, dessen Hingabe zu verschmähen? Mit welchem Raffinement der Grausamkeit mißwünschen Sie mir selbst das Glück, Sie zu lieben? Das gehört mir und geht Sie nichts an; ich werde es zu verteidigen wissen. Und ist es die Quelle meiner Leiden, so ist es auch deren Heilung.

Nein und wieder nein. Bleiben Sie in Ihrer Grausamkeit, aber lassen Sie mir meine Liebe. Es gefällt Ihnen, mich unglücklich zu machen – gut, es sei; versuchen Sie es, meinen Mut müde zu machen, ich werde Sie zu zwingen wissen, über mein Los zu entscheiden – vielleicht noch ein paar Tage und Sie werden gerecht gegen mich sein. Nicht daß ich hoffe, Sie je empfänglicher zu machen, aber ohne Überredung werden Sie überzeugt sein – Sie werden sich sagen: ich habe ihn falsch beurteilt.

Sagen wir es besser: Sie tun sich selbst Unrecht. Sie zu kennen, ohne Sie zu lieben, Sie zu lieben, ohne treu zu sein, das sind zwei gleich unmögliche Dinge; und trotz der Bescheidenheit, die Sie ziert, sollte es Ihnen leichter sein, sich über die Gefühle, die Sie einflößen, zu beklagen, als darüber zu erstaunen. Mein einziges Verdienst ist, Ihren Wert erkannt zu haben, und das will ich nicht verlieren. Weit davon was Sie mir anbieten anzunehmen, schwöre ich zu Ihren Füßen aufs neue, Sie ewig zu lieben. V.

Paris, den 10. September 17..


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