de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Siebenundsiebzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Entweder ist Ihr Brief eine Persiflage, die ich nicht verstehe, oder Sie hatten, während Sie schrieben, ein sehr gefährliches Fieber. Kennte ich Sie weniger gut, meine schöne Freundin, so wäre ich wirklich erschreckt, und was Sie auch sagen mögen, Sie wissen, daß ich nicht leicht erschrecke.

Ich mag Ihren Brief wieder und wieder lesen, ich versteh ihn nicht; denn ihn so zu nehmen, wie er da steht, ist unmöglich. Was wollten Sie denn sagen? Nur das, daß es nicht nötig sei, sich so sehr vor einem so wenig gefährlichen Feind zu hüten? In diesem Falle könnten Sie vielleicht doch Unrecht haben. Prévan ist ja wirklich sehr liebenswürdig, und er ist es mehr als Sie glauben. Er besitzt das Talent, viele mit seinen Liebesangelegenheiten zu beschäftigen, da er sehr geschickt in Gesellschaft darüber zu sprechen versteht, und das vor aller Welt – das erste beste Gespräch dient ihm dazu. Es gibt wenig Frauen, die sich vor der Falle hüten: sie gehen auf das Gespräch ein, weil alle an ihre große Schlauheit glauben und keine die Gelegenheit versäumen will, sie zu zeigen. Nun wissen Sie ganz gut, daß eine Frau, die darauf eingeht, von der Liebe zu reden, damit endet, zu lieben oder wenigstens so zu tun. Er gewinnt von der Methode, die er sehr ausgebildet hat, daß er oft die Frauen selbst als Zeugen ihrer Niederlagen anruft; und das sage ich, weil ich es selbst gesehen habe.

Ich weiß von all dem nur durch Hören aus zweiter Hand, denn ich war nie mit Prévan liiert. Einmal waren wir zu sechs: und die Komtesse P**, die sich für sehr schlau und raffiniert hält und auch ganz geschickt über Dinge, zu denen kein Wissen gehört, sprechen kann, erzählte uns mit allen Details, wie sie sich Prévan hingegeben habe und was alles zwischen ihnen passiert sei. Sie erzählte ihre Geschichte mit einer solchen Sicherheit, daß sie nicht einmal unser lautes Auflachen irritieren konnte. Ich werde nie vergessen, wie einer von uns, der, um das Lachen zu entschuldigen, so tat, als zweifelte er an der Wahrheit ihrer Geschiehte oder wenigstens an der Art, wie sie sie erzählte, – wie sie dem ganz ernst erwiderte, daß sie es wohl besser wissen müsse als irgendeiner von uns und wandte sich sogar an Prévan, ob auch nur ein Wort ihrer Geschichte falsch sei.

So konnte ich diesen Mann wohl für gefährlich halten – genügte es bei Ihnen, Marquise, nicht, daß er hübsch, ja sehr hübsch ist, wie Sie selbst sagen? Oder daß er auf Sie eine seiner Attacken machte, die es Ihnen manchmal zu belohnen gefällt, aus keinem andern Grund als weil Sie den Angriff hübsch ausgeführt finden? Oder weil es Ihnen aus irgendeinem Grunde Spaß machte, sich ihm hinzugeben? Aber was weiß ich! Wer kann die tausend Launen erraten, die den Kopf einer Frau regieren und durch die allein Sie noch zu Ihrem Geschlechte gehören? Jetzt, wo Sie vor der Gefahr gewarnt sind, zweifle ich nicht daran, daß Sie sich ihr leicht entziehen werden; aber warnen mußte ich Sie doch. Ich frage also wieder: Was wollten Sie in Ihrem Brief sagen?

Wenn Sie sich nur über Prévan lustig machen wollten und mit so vielen Worten – was soll das für mich? Vor der Welt müssen Sie ihn lächerlich machen – worum ich Sie nochmals bitte.

Ach, nun glaube ich zu verstehen! Ihre Absicht ist, Prévan an Ihre Liebe glauben zu machen und ihn in dem Augenblick zu stürzen, da er meint, auf den Gipfel seines Glücks zu kommen – ja, der Plan ist gut. Aber er verlangt große Vorsicht. Sie wissen so gut wie ich, daß es für die öffentliche Meinung ganz dasselbe ist, ob man einen Mann wirklich hat oder nur sein Kurmachen hinnimmt, vorausgesetzt, dieser Mann ist kein Esel, und das ist Prévan nicht, aber schon gar nicht. Wenn er auch nur den Schein gewinnen kann, so ist das für ihn schon alles, für ihn und für die Welt, denn er versteht es, sehr geschickt zu sprechen. Die Dummen glauben daran, die Boshaften werden so tun, als ob sie's glaubten – was haben Sie dann dabei gewonnen? Sie sehen, ich habe Angst. Nicht, daß ich an Ihrer Geschicklichkeit zweifle, aber es sind gerade die guten Schwimmer, die ertrinken.

Ich halte mich nicht für dümmer als ein anderer. Mittel, eine Frau zu verführen, habe ich hundert, habe ich tausend gefunden; wenn ich aber darüber nachdachte, wie sich eine Frau vor der Verführung retten könnte, kam ich immer vor die Unmöglichkeit. Sie selbst arbeiten ganz meisterhaft, und doch habe ich fast immer mehr an Ihr Glück geglaubt als an Ihr gutes Spiel.

Aber vielleicht suche ich einen Grund für etwas, das keinen hat. Ich wundere mich selbst, wie ich seit einer Stunde ganz ernsthaft behandle, was sicher nichts weiter als ein Scherz von Ihnen ist. Und Sie werden mich auslachen. Lachen Sie schnell und sprechen wir von was anderem. Von was anderem! Als wäre es nicht immer dasselbe: von den Frauen, die man besitzen oder die man verderben will, und oft beides in einem.

Ich habe hier, wie Sie ganz richtig bemerkt haben, Gelegenheit, mich in beiden Arten zu üben, aber nicht ganz gleich leicht. Ich sehe schon jetzt, daß das Werk der Rache rascher gelingen wird als das der Liebe. Die kleine Volanges ist gemacht, dafür stehe ich. Zum letzten fehlt nur noch die Gelegenheit, aber für die will ich schon sorgen. So weit bin ich mit Frau von Tourvel noch lange nicht. Diese Frau bringt mich zum Verzweifeln, denn ich versteh sie nicht. Ich habe hundert Beweise ihrer Liebe, aber tausend von ihrem Widerstand, und ich fürchte fast, daß sie mir auskommt.

Der erste Eindruck, den meine Rückkunft machte, ließ mich mehr erwarten. Sie können sich denken, daß ich den Effekt unmittelbar erleben wollte und so ließ ich mich durch niemanden anmelden und hatte meine Reise so eingerichtet, daß ich gerade zur Tischzeit ankam. So fiel ich aus den Wolken wie ein Operngott, der den Konflikt löst. Um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, war ich beim Eintreten etwas geräuschvoll und bemerkte gleichzeitig die Freude meiner alten Tante, den Ärger der Frau von Volanges und die freudige Überraschung der Tochter. Die Präsidentin saß mit dem Rücken gegen die Türe und war mit ihrem Teller beschäftigt. Sie wandte nicht einmal den Kopf herum. Als sie aber beim ersten Wort, das ich an meine Tante richtete, meine Stimme erkannte, entschlüpfte ihr ein Schrei, und in dem war mehr Liebe als Überraschung oder gar Schrecken. Ich trat etwas vor, um ihr Gesicht zu sehen, auf dem sich der tumultuöse Zustand ihrer Seele höchst mannigfach ausdrückte. Ich setzte mich an den Tisch neben sie, und sie wußte nicht was tun noch was sagen. Sie versuchte weiter zu essen, und es war ihr nicht möglich; nach nicht weniger als einer Viertelstunde wurden endlich ihre Verlegenheit und ihre Freude stärker als sie, und da erfand sie nichts Besseres als um die Erlaubnis zu bitten, die Tafel verlassen zu dürfen; sie ging in den Park: sie bedürfe frischer Luft. Frau von Volanges wollte sie begleiten, sie erlaubte es nicht, ohne Zweifel glücklich, einen Vorwand zu haben, allein zu sein und ungestört sich ihren angenehmen Emotionen hinzugeben.

Ich beeilte mich sehr mit dem Diner. Kaum war das Dessert erledigt, als die perfide Volanges, offenbar um mir einen Tort anzutun, aufstand, um der luftbedürftigen Kranken nachzugehen; aber ich hatte das vorausgesehen und kam zuvor. Ich tat so, als ob es das Zeichen zur Aufhebung der Tafel wäre und stand ebenfalls auf, welchem Beispiel auch die kleine Volanges und der Pfarrer des Ortes folgten, so daß Frau von Rosemonde mit dem alten Kommandanten von T** allein übrig blieb. So gingen wir also alle zusammen die Geliebte aufsuchen, die wir in einer Laube ganz nahe beim Schloß fanden; und da sie nach Einsamkeit und nicht nach einem Spaziergang Lust hatte, zog sie es vor, lieber mit uns ins Schloß zu gehen, als uns bei sich zu behalten.

Sobald ich mich versichert hatte, daß Frau von Volanges keine Gelegenheit fände, mit der Tourvel allein zu sprechen, dachte ich an Ihre Befehle und beschäftigte mich mit Ihrer Schülerin. Gleich nach dem Kaffee ging ich auf mein Zimmer und sah mir auch die anderen Räume an, um das Terrain zu studieren. Ich traf meine Dispositionen, um die Korrespondenz mit der Kleinen zu sichern und schrieb ihr ein Billett, um sie davon zu benachrichtigen und sie um ihr Vertrauen zu bitten; den Brief Dancenys legte ich bei. Ich ging wieder in den Salon, und da fand ich meine Schöne auf einem Liegestuhl in einer entzückenden Verträumtheit.

Dieser Anblick weckte meine Begier und gab meinem Blick, was ich brauchte. Der erste Effekt war, daß sie die Augen niederschlug. Eine Zeit versenkte ich mich in dieses engelskeusche Gesicht, dann glitt mein Blick ihren Körper hinab und es amüsierte mich, sie mit meinen Augen zu entkleiden bis auf die Füße. Ich fühlte ihren Blick, sah auf und sofort neigten sich wieder ihre Augen. Ich sah weg, um es ihr leichter zu machen, mich anzusehen. So spann sich zwischen uns diese wortlose Unterhaltung, das erste Kapitel schüchterner Liebe: die Augen, die sich schauend vermeiden, in der Erwartung einander zu treffen.

Da ich überzeugt war, daß meine Geliebte ganz in dieser neuen Lust aufging, kümmerte ich mich um die Sicherheit dieses unseres Gespräches; die übrige Gesellschaft unterhielt sich lebhaft genug, um uns nicht sonderlich zu beachten; so wollte ich ihre Augen zwingen, die Wahrheit zu sagen. Ich überraschte einen Blick, aber mit so viel Reserve, daß nichts davon zu fürchten war, und um es der schüchternen Person leichter zu machen, stellte ich mich ebenso verlegen wie sie es tatsächlich war. Nach und nach gewöhnten sich unsere Augen daran, einander zu begegnen, verweilten länger und jetzt verließen sie sich nicht mehr – in ihrem Blick war dieses schmachtende Verlangen, dieses glückverheißende Zeichen der Liebe und der Sehnsucht, aber nur für einen Moment: kaum war sie wieder bei sich selbst, als sie nicht ohne etwas Scham Haltung und Blick änderte.

Es lag mir daran, sie nicht wissen zu lassen, daß ich, was in ihr vorgegangen war, bemerkt hatte; ich sprang deshalb schnell auf und fragte ganz erschrocken, ob sie sich nicht wohl fühlte. Natürlich liefen alle sofort herbei bis auf die kleine Volanges, die an einem Fenster über einer Stickerei saß und von ihrem Rahmen nicht gleich. loskommen konnte; ich benutzte den günstigen Moment, ihr den Brief von Danceny zu geben.

Ich war nicht nahe genug und mußte ihr die Epistel in den Schoß werfen. Und die Kleine wußte wirklich nicht, was damit anfangen. Zu komisch war dieses überraschte und verlegene Gesicht; aber ich blieb ernst, denn eine Ungeschicktheit konnte uns verraten. Ein Blick und eine sehr deutliche Bewegung machten ihr endlich klar, daß sie das Paket in die Tasche stecken solle.

Der Rest des Tages brachte nichts Besonderes. Was inzwischen vorging, wird vielleicht auswirken, womit Sie zufrieden sein werden, wenigstens in bezug auf Ihre Schülerin. Aber die Zeit ist besser damit verbracht, etwas zu tun, als Geschehenes zu erzählen – und ich schreibe schon an der achten Seite und bin müde, also adieu!

Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß die Kleine Danceny geantwortet hat. Auch ich bekam von meiner schwierigen Frau eine Antwort auf einen Brief, den ich ihr am nächsten Tag nach meiner Ankunft geschrieben hatte. Ich schicke Ihnen beide Briefe. Sie können sie lesen oder auch nicht, denn dieses ewige Gequatsch, das mich schon nicht amüsiert, muß erst recht öde für jemanden sein, den das Ganze nichts angeht.

Also adieu. Ich liebe Sie so sehr wie immer. Aber wenn Sie wieder von Prévan schreiben, muß ich Sie schon bitten so, daß ich Sie verstehe.

Schloß . . ., den 17. September 17..


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