de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Neunundfünfzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an Frau von Tourvel.

Wodurch, gnädige Frau, habe ich Ihre Vorwürfe und Ihren Unwillen verdient? Meine leidenschaftliche und doch verehrende Liebe, meine Ergebung in den geringsten Ihrer Wünsche – das ist in zwei Worten, was ich fühle und tue. Von den Leiden einer unglücklichen Liebe übermannt, wußte ich mir keinen anderen Trost als den, Sie zu sehen –Sie haben befohlen, daß ich mich dieses Trostes beraube, und ich gehorchte ohne Widerrede. Als Belohnung für dieses mein Opfer haben Sie mir erlaubt, Ihnen zu schreiben, und heute wollen Sie mir diese einzige Freude nehmen. Soll ich mir das entreißen lassen, ohne eine Verteidigung zu versuchen? Es ist das einzige, was mir bleibt, und ich habe es von Ihnen.

Sie sagen, ich schriebe Ihnen zu oft. Ich bitte Sie, zehn Tage dauert meine Verbannung, kein Augenblick war ohne Gedanken an Sie, und doch haben Sie nur zwei Briefe von mir bekommen. Sie sagen, ich spräche zu Ihnen von nichts sonst als von meiner Liebe! Ach, was sonst soll ich sagen als das, woran ich immer denke? Alles, was ich da tun könnte, wäre, meine Worte zu mäßigen –aber Sie können es mir glauben, ich habe Sie nur sehen lassen, was zu verbergen über meine Kraft ging. Sie drohen, mir nicht mehr zu antworten. So streng behandeln Sie also den Mann, der Sie über alles liebt und der Sie noch höher schätzt als er Sie liebt. Und so streng zu sein ist Ihnen nicht genug –Sie wollen mich auch noch verachten! Und warum denn diese Drohungen, diesen Zorn? Wozu brauchen Sie denn das? Sind Sie denn nicht sicher, daß ich selbst Ihren ungerechtesten Befehlen gehorche? Ist es mir denn möglich, einem einzigen Ihrer Wünsche nicht zu folgen? Habe ich das nicht schon bewiesen? Aber Sie wollen diese Herrschaft, die Sie über mich haben, mißbrauchen. Sie haben mich unglücklich gemacht, Sie behandeln mich ungerecht, kann es Ihnen denn da leicht werden, diese Ruhe zu genießen, die Ihnen, wie Sie sagen, so nötig ist? Sagen Sie es sich doch einmal: dieser Mann macht aus mir die Herrin über sein Geschick, und ich mache ihn unglücklich, dieser Mann bittet mich um meine Hilfe, und ich sehe ihn ohne Mitleid leiden. Aber Sie wissen nicht, wohin mich meine Verzweiflung führen kann!

Daß Sie meinen Schmerz kennten, dazu müßten Sie wissen, wie sehr ich Sie liebe; und Sie kennen mein Herz nicht.

Wem opfern Sie mich? Eingebildeten Ängsten. Und wer gibt die Ihnen? Ein Mann, der Sie anbetet, ein Mann, über den Sie eine ewige Herrschaft haben werden. Was befürchten Sie also, was können Sie von einem Gefühl befürchten, dessen Herrin Sie sind und das Sie nach Gutdünken und Laune lenken können? Aber Ihre Phantasie hat sich da Ungeheuer geschaffen, und die Angst, die sie Ihnen machen, sagen Sie, käme von der Liebe. Haben Sie nur ein wenig Vertrauen, und diese Phantome verschwinden.

Ein Weiser sagte, um die Furcht zu vertreiben, genüge es fast immer, ihre Ursache zu ergründen. Nirgends ist diese Wahrheit wahrer als in der Liebe. Lieben Sie, und was Ihnen Angst macht, wird verschwinden. Wo Sie etwas erschreckte, dort werden Sie ein berauschendes Gefühl finden, einen zärtlichen und ergebenen Geliebten, und alle Ihre Tage, die das Glück zeichnet, werden Ihnen keine andere Reue hinterlassen als die um jene Tage, die Sie ohne dieses Glück verloren haben. Ich selbst lebe seit der Stunde, da ich aus meinen Irrungen und Wirrungen erwachte, für nichts sonst als für die Liebe und bedaure eine Zeit, von der ich glaubte, daß ich sie dem Vergnügen hingegeben. Nun fühle ich, daß Sie allein mich glücklich machen können. Aber ich bitte Sie um dieses eine: daß Sie mir die Freude, Ihnen zu schreiben, nicht mit der Furcht, Ihnen damit zu mißfallen, trüben möchten. Ich will Ihnen gehorchen – aber ich bitte Sie auf den Knien, lassen Sie mir dieses mein einziges Glück, hören Sie, ich schreie es laut, mein einziges Glück ...! Und sehen Sie meine Tränen ... Stoßen Sie mich nicht von sich!

Den 7. September 17...


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