de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Achtzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Ich wollte heute morgen auf die Jagd gehen, aber das Wetter ist scheußlich und ich habe nichts zu lesen als einen neuen Roman, der selbst ein Pensionsmädchen langweilen würde. Zum Frühstück sind es noch zwei Stunden, also plaudern wir, trotz meines langen Briefes von gestern ... Ich werde Sie schon nicht langweilen, denn ich will Ihnen vom schönen Prévan erzählen. Wie kommt es, daß Sie von seinem berühmten Abenteuer nicht gehört haben, die Geschichte von der Trennung der Unzertrennlichen? Sie haben sie nur vergessen; aber da Sie es wünschen, so ist hier die Geschichte.

Sie erinnern sich, wie ganz Paris sich mit den drei Frauen beschäftigte, die alle drei gleich hübsch, alle drei gleich talentiert, alle drei mit ihren Prätentionen auf derselben Linie von ihrem Eintritt in die Gesellschaft an so eng liiert blieben, daß man sie die Unzertrennlichen nannte. Erst glaubte man, der Grund davon sei unsichere Schüchternheit; aber bald machte man ihnen reichlich den Hof, was sie graziös hinnahmen; sie lernten ihren Wert kennen und sie blieben trotzdem unzertrennlich wie zuvor: man hätte sagen mögen, der Triumph der einen sei auch der der beiden andern. Man hoffte auf die Liebe, daß die doch einige Rivalität da hineinbringen würde, und ich hätte mich selbst wohl daran beteiligt, wäre mir nicht gerade in dieser Zeit die große Gunst der Gräfin von ** geworden, was mir keine Untreue erlaubte, bevor nicht das Ziel erreicht war.

Es kam der Karneval und unsere drei trafen ihre Wahl. Man hatte sich davon den großen Sturm erwartet, aber er kam nicht nur nicht, sondern die Freundschaft der Unzertrennlichen zeigte sich nur noch auffallender.

Die abgeschlagenen Liebhaber taten sich mit den eifersüchtigen Frauen zusammen, um diese skandalöse Beständigkeit gehörig unter die Leute zu bringen. Die einen wußten, daß das Fundamentalgesetz der Unzertrennlichen die Gütergemeinschaft sei, unter welchem Gesetz auch die Liebe stünde; andere versicherten, daß die drei Liebhaber unter Rivalen gewählt untereinander keine Rivalen wären, ja man sagte sogar, daß die drei Erwählten nur den Titel, aber nicht dessen Funktionen hätten.

Das Gerede hatte, ob wahr oder falsch, nicht den Effekt, den man sich davon versprochen hatte. Die drei Paare fühlten im Gegenteil, daß sie verloren wären, wenn sie sich in diesem Moment trennten, und sie hielten dem Sturme stand. Die Gesellschaft wird schließlich alles müde, so auch der ergebnislosen Scherze über die drei Paare: man beschäftigte sich mit was anderem, und als man wieder darauf zurückkam, geschah es mit dieser der Gesellschaft eigentümlichen Inkonsequenz: wo man früher boshafte Witze gemacht hatte, dort kannte man nun des Lobes kein Ende. Das wurde wie alles Mode und die Begeisterung für die drei wuchs ins Sinnlose. Da unternahm es Prévan, der Sache nachzugehen.

Er suchte also die drei Damen auf, die schon zu Mustern der Vollkommenheit avanciert waren. In ihre Gesellschaft zugelassen zu werden, war nicht schwer, woraus er sich schon manches versprach. Denn er wußte ganz gut, daß glückliche Menschen keine so offene Türe haben, und sah bald, daß dieses über alle Himmel gepriesene Glück der drei nur das Glück der Könige war, mehr beneidet als des Wunsches wert. Er be-* merkte, daß diese angeblichen Unzertrennlichen anfingen, das Vergnügen etwas außerhalb ihres Kreises zu suchen, sich anderswo zu amüsieren, und er schloß daraus, daß die Bande der Freundschaft gelockert oder gar schon zerrissen sein müßten und nur Egoismus und Gewohnheit die Sache noch zusammenhielten.

Die Frauen behielten untereinander noch den Anschein der alten Intimität, aber die größere Freiheit der Männer fand wieder Pflichten, die zu erfüllen, oder Geschäfte, denen nachzugehen; sie taten wohl so, als ob sie darüber klagten, doch dispensierten sie sich weder von Geschäft noch Pflicht, und selten waren die Abende komplett. Dem sehr eifrigen Prévan, der immer Zeit hatte, war das sehr angenehm, denn ihm fiel es natürlicherweise zu, die jeweils Verlassene des Tages zu trösten. Das wußte er, daß er unter den Dreien nicht wählen dürfe, ohne alle drei zu verlieren, daß die falsche Scham, die erste Ungetreue zu sein, die Bevorzugte scheu machen würde, und daß die verletzte Eitelkeit der beiden andern sie zu Feindinnen des neuen Geliebten machen müßte, und er dann die ganze Strenge der großen Prinzipien zu spüren bekäme; und schließlich war es sicher, daß die Eifersucht dert einen Rivalen warm machen und ihn zurückbringen würde. Mit einer anzufangen, da wäre alles Hindernis geworden – mit allen dreien war die Sache ein Kinderspiel. Denn dann ist jede der drei Frauen nachsichtig, weil sie selbst beteiligt ist, und jeder Mann, weil er glaubt, er sei es nicht. Prévan hatte damals nur eine Frau, der er opferte und war glücklich, etwas zu ihrem Ruhme zu tun, der schon nicht klein war; denn als Fremde und nach einem refüsierten Prinzen war sie bei Hof und in der Stadt in ziemlichem Ansehen. Prévan teilte die Ehre und profitierte davon bei seinen drei neuen Geliebten. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, diese drei Intriguen gleichzeitig zu führen, wodurch das Tempo naturgemäß ein sehr langsames sein mußte. Ich habe es von einem seiner Intimen, daß das Allerschwerste darin bestand, die eine von den Dreien aufzuhalten, die aus dem Ei kriechen wollte vierzehn Tage vor den andern.

Endlich kam der große Tag. Prévan hatte die drei Zusagen erhalten und traf seine Bestimmungen. Von den drei Eheherren war der eine verreist, der andere wollte früh den nächsten Tag verreisen, und der dritte war in der Stadt. Die Unzertrennlichen sollten bei der zukünftigen Strohwitwe zu Abend essen, aber der neue Herr hatte es nicht erlaubt, daß die alten Diener dort zugezogen würden. Am selben Morgen machte er aus den Briefen seiner aufgegebenen Geliebten drei Pakete: in eines legte er das Miniaturporträt, das er von ihr bekommen hatte, in das zweite ein verliebtes Monogramm, das sie selbst gezeichnet hatte und in das dritte eine Locke von ihrem Haar. Jede der drei erhielt dieses Drittel des Opfers und willigte dafür ein, dem in Ungnade gefallenen Liebhaber einen deutlichen Absagebrief zu schreiben.

Das war viel, doch nicht genug. Die, deren Gatte in der Stadt war, konnte nur über den Tag verfügen; es wurde daher ausgemacht, daß sie, ein Unwohlsein vorschützend, sich vor dem Diner bei der Freundin dispensieren und diese Zeit Prévan gehören sollte –; die Nacht bewilligte die, deren Mann verreist war, und den Morgen, wo der dritte Gatte abreisen sollte, bestimmte die Dritte für ihre Schäferstunde.

Prévan, der an alles denkt, läuft zu seiner schönen Fremden und provoziert dort einen Streit, der ihm vierundzwanzig Stunden absolute Freiheit gibt. Nachdem er seine Dispositionen getroffen hat, geht er nach Hause und will ein paar Stunden schlafen, aber da erwarten ihn schon neue Geschäfte. Mit den Abschiedsbriefen war den verabschiedeten Liebhabern ein Licht aufgegangen: jedem war es klar, daß er Prévan geopfert wurde. Der Ärger, zum Narren gehalten zu sein und diese Demütigung, die in einer Verabschiedung liegt, ließen die drei in Gnaden Entlassenen gleichzeitig alle unabhängig voneinander zu dem Entschluß kommen, Prévan zur Rechenschaft zu ziehen.

Der fand also bei sich zu Hause die drei Schriftstücke und erledigte sie völlig korrekt. Aber da er das Vergnügen und den Eklat des Abenteuers nicht entbehren wollte, setzte er das Rendezvous auf den nächsten Vormittag an und bestellte alle drei an denselben Ort und zur selben Stunde an eines der Tore des Bois de Boulogne.

Der Abend kam und er lief seine dreifache Bahn mit gleichbleibendem Erfolg – jedenfalls hat er sich später gerühmt, daß jede seiner drei Damen dreimal Wort und Pfand der Liebe erhielt. Hier fehlen, wie Sie sehen, die Beweise für die Geschichte, und alles, was der unparteiische Historiograph tun kann, ist: dem ungläubigen Leser zu bedenken geben, daß Eitelkeit und exaltierte Phantasie Wunderdinge verrichten können, und dieses noch, daß der Morgen, der dieser außerordentlichen Nacht folgen sollte, in Zukunft von aller solcher Mühe dispensierte. Sei das wie immer – was folgt, ist historisch.

Prévan war pünktlich beim Rendezvous, und fand da seine drei Rivalen, die ein wenig überrascht über ihr Zusammentreffen waren und vielleicht jeder auch schon ein bißchen getröstet, da er Leidensgenossen fand.

Prévan begrüßte sie sehr höflich und ganz Kavalier und hielt ihnen folgende mir wörtlich hinterbrachte Rede:

»Meine Herren, da Sie sich alle drei hier versammelt finden, haben Sie wohl ohne Zweifel erraten, daß Sie alle drei denselben Grund haben, sich über mich zu beklagen. Ich bin bereit, Ihnen jede Genugtuung zu geben, und es soll das Los entscheiden, wer von Ihnen zuerst mich seine Rache fühlen läßt, zu der Sie alle ein gleiches Recht haben. Ich habe weder Sekundanten noch Zeugen mitgenommen – ich hatte keine für die Beleidigung, ich verlange keine für die Genugtuung. Ich weiß, man gewinnt selten siebenmal den Satz; aber welches Los mich auch erwartet, man hat immer genug gelebt, wenn man Zeit gehabt hat, die Liebe der Frauen und die Achtung der Männer zu erwerben.«

Während sich seine Gegner erstaunt und schweigend ansahen und sich ihr Zartgefühl vielleicht ausrechnete, daß dieser dreifache Kampf eine etwas ungleiche Sache sei, nahm Prévan wieder das Wort: »Ich verhehle Ihnen nicht, daß mich die letzte Nacht ziemlich müde gemacht hat. Es wäre liebenswürdig von Ihnen, wenn Sie mir gestatteten, meinen Kräften etwas aufzuhelfen. Ich habe ein Frühstück angeordnet – ich bitte Sie um die Ehre, meine Einladung dazu anzunehmen. Frühstücken wir gemeinsam und frühstücken wir insbesondere lustig. Man kann sich um solche Bagatellen wohl schlagen, aber um unsere gute Laune sollen sie uns, glaube ich, nicht bringen dürfen.«

Die Einladung wurde angenommen. Man sagt, Prévan sei nie liebenswürdiger gewesen. Er war so höflich, keinen seiner Gegner die etwas lächerliche Situation spüren zu lassen und überzeugte sie, daß alle drei mit derselben Leichtigkeit das Gleiche hätten tun können, und daß keiner von ihnen eine ähnliche Gelegenheit hätte vorübergehen lassen. Man gab das allseits zu, und nun ging das übrige ganz von selbst. Das Frühstück war noch nicht zu Ende und man hatte sich schon zehnmal die Versicherung gegeben, solche Frauen wären es nicht wert, daß man sich für sie schlage. Das gab eine angenehme Eintracht, wobei der Wein das seine tat, und es dauerte nicht lange, und man schwor sich ewige Freundschaft. Vom Duell war keine Rede mehr.

Prévan, dem diese Lösung ebenso angenehm war wie den andern, wollte jedoch nichts von seinem Ruhme verlieren, und so machte er einen geschickt auf die Umstände eingerichteten Vorschlag: »Tatsächlich haben Sie sich nicht an mir, sondern an Ihren untreuen Geliebten zu rächen, und ich will Ihnen Gelegenheit dazu geben. Ich weiß jetzt schon, daß ich mich selber bald mit Ihnen in die Beleidigung werde teilen können, die Ihnen widerfahren ist; denn da es keinem von Ihnen gelang, eine einzige festzuhalten, wie sollte es mir da mit dreien gelingen? Also Ihre Sache wird auch die meine. Kommen Sie heute abend auf ein kleines Souper zu mir in meine Petite Maison – ich hoffe, daß Sie da Ihre Rache haben werden.« Man wollte etwas Bestimmtes wissen, aber Prévan bemerkte mit dem überlegenen Ton, den ihm die Umstände erlaubten: »Ich glaube Ihnen, meine Herren, bewiesen zu haben, daß es mir an Geist, solche Dinge ganz gut einzurichten, nicht fehlt, also verlassen Sie sich auf mich.« Man war einverstanden, die neuen Freunde umarmten einander und man trennte sich bis zum Abend.

Prévan verliert keine Zeit, geht nach Paris zurück und lädt seine drei Damen für denselben Abend zu einem intimen Souper in seine Petite Maison. Zwei von ihnen machten wohl einige Schwierigkeiten – aber was läßt sich abschlagen »am Tag nachher?« Er bestimmte das Rendezvous in Abständen von je einer Stunde, wie er es für seinen Plan brauchte. Er traf alle Vorbereitungen, benachrichtigte seine Mitverschworenen und zu viert zogen sie in bester Stimmung hinaus, die Opfer zu erwarten.

Es kommt die erste. Prévan zeigt sich allein, und voll Eifer führt er sie gleich ins Allerheiligste, als dessen Gottheit sie sich fühlt. Hierauf verschwindet er unter irgendeinem Vorwand und läßt sich durch den beleidigten Liebhaber ersetzen.

Sie begreifen, daß die Bestürzung einer Frau, die noch keine Übung in Abenteuern hat, den Triumph leicht und billig macht – jeder gar nicht geäußerte Vorwurf zählte als eine Gnade, und die entflohene Sklavin war ihrem alten Herrn wieder ausgeliefert, nur zu glücklich, Verzeihung zu erhoffen, indem sie ihre Kette wieder aufnahm. Der Friedensschluß wurde an einem etwas einsameren Ort unterzeichnet, und auf die leer gewordene Bühne traten jetzt der Reihe nach die übrigen Akteure – mit demselben Stück und der gleichen Lösung des Konflikts, ohne daß eine der Frauen darum wußte, denn jede glaubte sich allein im Spiel.

So war ihre Verblüffung und ihre Verlegenheit nicht gering, als sich die drei Paare zum Souper trafen. Aber die Überraschung erreichte ihre Höhe, als Prévan jetzt mitten unter den drei Paaren erschien und die Grausamkeit hatte, die drei ungetreuen Damen um Entschuldigung zu bitten, was ihr Geheimnis preisgab, und sie so wissen ließ, wie arg ihnen mitgespielt worden war.

Man setzte sich zu Tisch und bald kam wieder etwas Haltung in die Gesellschaft: die Herren wurden vertraulich, die Damen schwach. Alle hatten sie wohl den Haß im Herzen, aber was man sich sagte, war voll zärtlichster Gefühle. Ausgelassenheit weckte die Begierde, die wieder zu neuen Reizen half. Diese sonderbare Orgie dauerte bis in den Morgen, und als man sich trennte, konnten die Frauen glauben, es wäre ihnen verziehen – aber die Männer hatten ihr Ressentiment bewahrt und brachen schon am nächsten Tage das Verhältnis gründlich. Sie begnügten sich nicht einmal damit, ihre leichtsinnigen Geliebten bloß aufzugeben: sie erzählten ihr Abenteuer auch jedem, der es hören wollte. Da kam die eine der drei ins Kloster und die beiden andern langweilen sich in der Provinzverbannung auf ihren Gütern.

Das ist die Geschichte Prévans. Es ist Ihre Sache, ob Sie seiner Glorie noch etwas beifügen und sich vor seinen Triumphwagen spannen wollen. Ihr Brief hat mich wirklich unruhig gemacht, und ich warte mit Ungeduld auf eine etwas klügere und deutlichere Antwort als die letzte war.

Adieu, meine schöne Freundin. Hüten Sie sich vor den allzu lustigen oder bizarren Einfällen, denen Sie so leicht unterliegen. Bedenken Sie, daß in dem Leben, das Sie führen, der Geist nicht genügt, und daß eine einzige Unvorsichtigkeit ein Übel nicht mehr gut machen wird. Erlauben Sie es, daß Sie eine weise Freundschaft hie und da leitet. Leben Sie wohl. Ich liebe Sie trotzdem, als ob Sie vernünftig wären.

Schloß . . ., den 18. September 17...


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