de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Neunundsiebzigster Brief

Frau von Tourvel an den Vicomte von Valmont.

Mein Herr! Sie scheinen über mein Benehmen erstaunt, und es fehlt nicht viel, daß Sie von mir Rechenschaft darüber verlangen, als ob Sie das Recht hätten, mir Vorschriften zu machen. Ich muß sagen, daß ich mich für berechtigter hielt als Sie, erstaunt zu sein und mich zu beklagen. Aber seit der Weigerung in Ihrem letzten Brief habe ich mich entschlossen, gleichgültig zu sein und so weder Bemerkungen noch Vorwürfen Raum zu geben. Da Sie mich aber um Aufklärungen bitten, und Gott sei Dank nichts in mir ist, was mich hinderte, sie Ihnen zu geben, so will ich mich also noch einmal in Erklärungen mit Ihnen einlassen.

Wer Ihre Briefe läse, würde meinen, ich sei ungerecht oder bizarr. Ich glaube es aber wohl zu verdienen, daß niemand eine solche Meinung von mir hat und Sie am allerwenigsten. Ohne Zweifel haben Sie, als Sie von mir meine Rechtfertigung verlangten, gedacht, Sie würden mich damit zwingen, auf alles das zurückzukommen, was zwischen uns vorgefallen ist, und Sie glaubten, bei dieser Nachprüfung sicher zu gewinnen. Wie ich nun meinerseits nicht glaube, dabei zu verlieren – wenigstens nicht in Ihren Augen – so fürchte ich mich auch nicht vor dieser Nachprüfung. Vielleicht ist es auch tatsächlich das einzige Mittel, herauszubekommen, wer von uns beiden Recht hat, sich über den andern zu beklagen.

Um mit dem Tag Ihrer Ankunft auf dem Schloß anzufangen: Sie werden wohl zugeben, daß mich Ihr Ruf zu einiger Reserviertheit gegen Sie berechtigte, und daß ich es, ohne für prüde gehalten zu werden, mit einer kühlen Höflichkeit hätte genug sein lassen können. Sie selbst würden mich mit Nachsicht behandelt und es ganz natürlich gefunden haben, daß eine so einfache und gar nicht raffinierte Frau nicht einmal diesen notwendigen Vorzug besitzt, Ihre Vorzüge anzuerkennen. Das war Vorsicht, der zu folgen mich um so weniger Mühe gekostet hat, als ich, wie ich Ihnen nicht verhehle, mich meiner Freundschaft für Frau von Rosemonde und der ihren für mich erinnern mußte, um ihr, als man Ihre Ankunft meldete, nicht zu zeigen, wie sehr peinlich mir diese Nachricht war.

Ich gebe gerne zu, daß Sie sich zuerst von einer besseren Seite zeigten, als ich mir ein Bild gemacht hatte. Aber Sie werden zugeben müssen, daß das bloß sehr kurz dauerte, und daß Sie des Zwanges sehr bald müde wurden, da Sie sich dafür offenbar nicht genügend entschädigt fühlten durch die gute Meinung, die ich über Sie bekommen hatte.

Da haben Sie dann meinen naiven Glauben, meine Sicherheit mißbraucht und haben sich nicht gescheut, mir von einem Gefühle zu sprechen, von dem Sie nicht im Zweifel waren, daß es mich beleidigen mußte. Und während Sie nur darauf aus waren, diese Beleidigung zu verstärken und zu erschweren, suchte ich nach einem Mittel, die Beleidigung zu vergessen, indem ich Ihnen Gelegenheit bot, es wieder gut zu machen oder wenigstens zum Teil. Mein Verlangen war so durchaus recht, daß Sie selber nicht glaubten, sich ihm widersetzen zu dürfen. Aber Sie machten sich aus meiner Nachsicht ein Recht, das Sie dazu benutzten, von mir eine Erlaubnis zu verlangen, die ich jedenfalls nicht hätte geben sollen und die Sie trotzdem erreichten. Von den Bedingungen, die daran geknüpft waren, haben Sie keine gehalten, und Ihre Briefe waren so, daß jeder von ihnen es mir zur Pflicht machte, nicht mehr darauf zu antworten. Als mich Ihre Hartnäckigkeit zwang, Sie aus meiner Umgebung zu entfernen, versuchte ich in beklagenswertem Nachgeben das einzige mir erlaubte Mittel, in Beziehung mit Ihnen zu bleiben – aber welchen Wert hat in Ihren Augen ein anständiges Gefühl? Sie verachten die Freundschaft, und in Ihrer sinnlosen Leidenschaft sind Ihnen Unglück und Schande nichts, und Sie suchen Vergnügen und Opfer.

Ebenso leichtsinnig in Ihrem Tun als inkonsequent in Ihren Vorwürfen vergessen Sie Ihre Versprechungen, oder Sie machen sich vielmehr einen Spaß daraus, sie nicht zu halten. Sie waren damit einverstanden, von hier fortzugehen, und nun kommen Sie zurück und ohne daß jemand Sie gerufen hätte, nachsichtslos gegen mein Bitten, gegen meine Gründe, ja selbst ohne mich davon zu benachrichtigen. Sie haben sich nicht gescheut, mich einer Überraschung auszusetzen, dessen Effekt, obschon er nicht besonders war, doch von meiner Umgebung ungünstig für mich hätte ausgelegt werden können. Sie sahen meine Verlegenheit und halfen mir nicht darüber hinweg, ja Sie schienen Ihre ganze Sorgfalt darauf zu wenden, sie noch zu vermehren. Bei Tisch setzten Sie sich gerade neben mich; ein leichtes Unwohlsein zwingt mich, vor den andern hinauszugehen; statt mein Alleinseinwollen zu respektieren, fordern Sie noch die andern auf, mich zu stören. Bei jedem Schritt, den ich tue, finde ich Sie an meiner Seite, frage ich etwas, sind immer Sie es, der mir antwortet. Das gewöhnlichste Wort dient Ihnen als Vorwand zu einem Gespräch, das ich nicht anhören will, das mich sogar kompromittieren kann, denn so geschickt Sie das auch immer machen – was ich verstehe, das, glaube ich, könnten die andern auch verstehen.

Sie zwingen mich, mich nicht zu rühren und zu schweigen, und trotzdem hören Sie nicht auf, mich zu verfolgen; ich kann die Augen nicht aufschlagen, ohne den Ihrigen zu begegnen. Ich bin immerfort gezwungen, wegzusehen, und durch eine unverständliche Inkonsequenz fixieren Sie die Blicke der Gesellschaft gerade immer dann auf mich, wo ich mich immer am liebsten vor meinen eigenen Blicken möchte verbergen können.

Und Sie beklagen sich über mich! Und Sie wundern sich über meine Eile, Sie zu fliehen! Werfen Sie mir lieber zu große Nachsicht vor und wundern Sie sich darüber, daß ich nicht im Moment, als Sie ankamen, abgereist bin. Das hätte ich vielleicht tun sollen, und Sie werden mich zu diesem auffallenden aber nötigen Schritt treiben, wenn Sie Ihre beleidigenden Nachstellungen nicht aufgeben. Nein, ich vergesse nicht und werde nie vergessen, was ich mir schuldig bin, was ich dem Bunde schuldig bin, den ich eingegangen und den ich hochhalte. Das können Sie mir glauben: wenn ich mich jemals vor diese traurige Wahl gestellt sähe, meine Ehre zu opfern oder mich selber, ich würde keinen Augenblick schwanken. Leben Sie wohl.

den 16. September 17..


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