de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Einundsiebzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen, meine liebe Freundin. Ich soupierte gestern, wie Sie wissen, bei der Marschallin von B**. Man sprach da von Ihnen, ich sagte nicht alles Gute, das ich darüber denke, aber alles, was ich nicht darüber denke. Alle Welt schien meiner Meinung zu sein, und die Konversation zog sich so hin, wie immer, wenn man nur Gutes von jemandem spricht, – bis ein Gegner auftrat, nämlich Prévan.

Gott bewahre mich, fing er an, an der Klugheit der Frau von Merteuil etwa zu zweifeln! Aber ich möchte glauben, daß sie diese Klugheit mehr ihrem leichten Sinn verdankt als ihren Grundsätzen. Es ist vielleicht schwerer, ihr zu folgen, als ihr zu gefallen, und wenn man einer Frau nachfolgt, trifft man gewöhnlich auch andere auf diesem Wege, und da alles in allem diese andern ebenso viel wert sein können oder auch mehr als die Dame selbst, so bekommen die einen einen andern Geschmack, die andern bleiben stehen aus Müdigkeit: sie ist vielleicht die Pariserin, die sich am wenigsten zu verteidigen hat. Was mich betrifft (das Lächeln einiger Damen ermutigte den Redner), so glaube ich an die Tugend von Frau von Merteuil erst, wenn ich für sie sechs Pferde zuschanden geritten habe.

Dieser schlechte Scherz hatte Erfolg wie alle witzigen Verleumdungen. Man lachte und sprach von was anderem. Aber die beiden Komtessen von B**, bei denen der witzige Prévan saß, fingen mit ihm eine Privatunterhaltung über das Thema an, die ich glücklicherweise hörte.

Dieser Prévan, den Sie nicht kennen, ist sehr liebenswürdig und höchst chick. Wenn Sie mich manchmal das Gegenteil davon sagen hörten, so war das nur, weil ich ihn nicht leiden mag, weil ich gerne seinen Erfolgen entgegenarbeite, und weil ich ganz genau weiß, von welcher Bedeutung mein Urteil bei ungefähr dreißig Damen ist, die momentan in der Mode sind. Ich habe es ihm tatsächlich durch dieses Mittel lange unmöglich gemacht, in der Gesellschaft – was wir unsere Gesellschaft nennen – aufzukommen; er verrichtete einfach Wunderdinge, gewann aber nicht den geringsten Ruf davon. Nun zog er mit dem Eklat seines dreifachen Abenteuers die Augen auf sich, und das gab ihm erst das Selbstbewußtsein, das ihm bis jetzt fehlte, und das ihn nun gefährlich macht. Er ist heute vielleicht der einzige Mann, den ich auf meinem Weg zu begegnen fürchte. Abgesehen von dem Interesse, das Sie selbst dabei haben, würden Sie mir einen wirklichen Dienst erweisen, wenn Sie den Menschen so nebenbei etwas lächerlich machen könnten. Bei Ihnen lasse ich ihn in guten Händen – hoffentlich ist er, wenn ich wieder zurück bin, ein toter Mann.

Als Gegenleistung verspreche ich Ihnen, bei Ihrer Schülerin mein Bestes zu tun und mich um sie ebensosehr zu kümmern wie um meine schöne keusche Dame, die mir einen Vorschlag zur Kapitulation geschickt hat. In dem ganzen Briefe verlangt sie betrogen zu werden – kein bequemeres und verbrauchteres Mittel als das. Sie will, ich soll »ihr Freund sein!« Aber ich liebe die neuen und schwierigen Methoden und will die Gute nicht so billig haben. Ich habe mir doch wahrhaftig nicht so viel Mühe gemacht, um mit einer gewöhnlichen Verführung zu schließen.

Ich will vielmehr, daß sie den Wert und die Tragweite jedes Opfers, das sie mir bringt, fühlt und ordentlich fühlt. Ich will sie nicht so schnell mit mir nehmen, daß die Reue ihr nicht nachfolgen kann. Ich will ihre Tugend in einer langen Agonie sterben lassen, und ihren Blick immer auf dieses trostlose Schauspiel fixiert halten. Und will ihr das Glück, mich in ihren Armen zu halten, nur dann gewähren, wenn ich sie so weit habe, daß sie ihr Verlangen danach nicht mehr verbirgt. Da wäre ich bei Gott wenig wert, wenn ich nicht die Mühe wert bin, begehrt zu werden! Kann ich mich weniger an einer stolzen Frau rächen, die sicher rot wird, wenn sie ein Liebesgeständnis macht?

Ich habe also diese kostbare Freundschaft abgelehnt und hielt mich an Titel und Würde des Liebhabers. Da ich mir aber nicht verschweige, daß dieser Titel, der erst nichts mehr als ein Spiel mit Worten scheint, doch von sehr realer Wichtigkeit ist, so habe ich in meiner Antwort viel Sorgfalt darauf verwendet, so sinnlos und willkürlich als möglich zu reden, denn das allein macht den Eindruck des tief Gefühlten. Also: mein Brief ist voller Unsinn, Satz für Satz, – denn ohne Unsinn keine Zärtlichkeit. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb die Frauen uns so überlegen sind in ihren Liebesbriefen.

Ich schloß meinen Liebesbrief mit einem Schmeichelwort. Auch das ist eine meiner tiefen Beobachtungen: Wenn man das Herz einer Frau einige Zeit hindurch aufgeregt hat, ist es ruhebedürftig; und ich habe beobachtet, daß eine Schmeichelei das weichste Ruhekissen ist, das man den erregten Frauenherzen bieten kann.

Adieu, meine schöne Freundin. Ich reise morgen ab. Wenn Sie an die Gräfin ** etwas auszurichten haben, so will ich mich wenigstens über Mittag bei ihr aufhalten. Es tut mir leid abzureisen, ohne Sie zu sehen. Lassen Sie mir Ihre Instruktionen zukommen, und helfen Sie mir im entscheidenden Augenblick mit Ihrem weisen Rat.

Und dies noch: hüten Sie sich vor Prévan. Adieu!

V.

den 11. September 17..


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