de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Dreiundzwanzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Wir blieben bei meiner Rückkehr ins Schloß unterwegs stehen; ich nehme meinen Bericht wieder auf.

Ich hatte gerade noch Zeit, Toilette zu machen und begab mich in den Salon, wo meine Schöne an einer Stickerei saß, während der Pfarrer des Ortes meiner alten Tante die Zeitung vorlas. Ich setzte mich neben den Stickrahmen. Noch sanftere Blicke als gewöhnlich, ja fast zärtliche Blicke ließen mich bald erraten, daß der Diener schon seinen Bericht erstattet hatte. Und wirklich konnte meine süße Neugier nicht länger das Geheimnis halten; und unbekümmert, einen ehrwürdigen Priester zu unterbrechen, dessen Vorlesen mehr eine Predigt war, sagte sie: »Ich habe auch meine Neuigkeit,« und erzählte mein Abenteuer, und mit einer Genauigkeit, die der Intelligenz ihres Berichterstatters alle Ehre macht. Sie können sich denken, wie ich alle meine Bescheidenheit paradieren ließ, – aber kann man eine Frau hindern, die ohne es zu wissen, das Lob dessen singt, den sie liebt? Ich ließ sie also erzählen. Man hätte meinen können, sie trüge das Loblied eines Kirchenheiligen vor. Währenddem beobachtete ich nicht ohne Hoffnung alles, was ihr beredter Blick, ihre bereits freiere Bewegung der Liebe versprachen, und besonders den Tonfall der Stimme, deren leichtes Zittern die Bewegung ihrer Seele verriet. Kaum war sie zu Ende, als Frau von Rosemonde zu mir sagte: »Kommen Sie, mein lieber Neffe, kommen Sie, daß ich Sie umarme.« Ich fühlte gleich, daß die schöne Lobpreiserin sich nicht würde erwehren können, ebenfalls umarmt zu werden. Sie wollte entfliehen, aber bald hatte ich sie in meinen Armen, und sie nicht die Kraft zu widerstehen, – kaum konnte sie sich aufrecht halten. Je mehr ich diese Frau beobachte, desto begehrenswerter erscheint sie mir. Sie beeilte sich wieder an ihren Rahmen zu kommen, und es schien für jedermann, daß sie wieder sticke; ich merkte aber wohl, daß ihre zitternde Hand ihr es nicht möglich machte, die Nadel zu führen.

Nach dem Essen wollten die Damen die Unglücklichen aufsuchen, denen ich in so höchst tugendhafter Weise beigestanden hatte, und ich begleitete sie. Ich erspare Ihnen die Langeweile der Schilderung dieser neuen Szene des Dankes und des Lobes. Ich beschleunigte die Rückkehr ins Schloß, denn mein Herz war von einer entzückenden Erinnerung voll. Unterwegs war meine schöne Präsidentin träumerischer als gewöhnlich und sprach kein Wort. Ganz damit beschäftigt, den Nutzen der Wirkungen aus diesem Ereignis des Tages zu finden, war ich ebenso schweigsam. Nur Frau von Rosemonde sprach und bekam von uns nur seltene und kurze Antworten. Wir dürften sie gelangweilt haben, ich hatte wenigstens diese Absicht, und sie gelang. Denn als wir vom Wagen stiegen, ging sie gleich in ihre Zimmer und ließ uns miteinander allein, meine Schöne und mich, im schwach erleuchteten Salon, einem süßen Dämmerlicht, das schüchterne Liebe kühner macht.

Es wurde mir nicht schwer, das Gespräch dahin zu lenken, wo ich es haben wollte. Der Eifer der liebenswürdigen Tugendreichen half mehr dabei als es meine Geschicklichkeit hätte tun können.

»Wenn man so bereit ist, Gutes zu tun,« sagte sie mit einem sanften Blick auf mich, »wie kommt es, daß man sein Leben in Schlechtigkeit verbringt?« »Ich verdiene,« antwortete ich, »weder dieses Lob noch diesen Tadel, und ich begreife nicht, daß Sie mit all ihrem Geist mich immer noch nicht erkannt haben. Sollte mein Vertrauen zu Ihnen mir auch schaden, Sie sind dessen zu würdig, als daß es mir möglich wäre, es Ihnen zu entziehen. Sie finden den Schlüssel zu meinem Benehmen in meinem unglücklicherweise zu leichtfertigen Charakter. Von sittenlosen Menschen umgeben, habe ich deren Lasterleben nachgeahmt, vielleicht noch mit dem Ehrgeiz, sie darin zu übertreffen. Hier aber verleitete mich wieder das Beispiel der Tugend, und ich habe ohne Hoffnung wenigstens versucht, Ihnen zu folgen. Aber vielleicht würde die Tat, deren Sie mich loben, in Ihren Augen allen Wert verlieren, wenn Sie deren wirkliche Motive kennten. (Sie sehen, meine schöne Freundin, wie nahe ich der Wahrheit war!) Nicht mir verdanken diese Unglücklichen die Hilfe. Wo Sie eine lobenswerte Tat sehen, suchte ich nichts sonst als ein Mittel zu gefallen. Ich war, da ich es schon sagen muß, nur das schwache Werkzeug einer Göttin, die ich anbete. (Hier wollte sie mich unterbrechen, aber ich ließ ihr keine Zeit dazu.) In diesem selben Augenblick sogar entkommt mir mein Geheimnis – aus Schwäche. Ich hatte mir vorgenommen es vor Ihnen zu verschweigen, und ich machte mir mein Glück daraus Ihrer Tugend wie Ihrer Schönheit eine reine Huldigung darzubringen, von der Sie niemals erfahren sollten. Aber, unfähig zu betrügen, wenn ich unter meinen Augen das Beispiel der Unschuld habe, will ich mir auch keine sträfliche Verheimlichung vorzuwerfen haben. Glauben Sie ja nicht, daß ich Sie durch eine sträfliche Hoffnung beleidige. Ich weiß, ich werde unglücklich sein, aber meine Leiden werden mir teuer sein und mir die Stärke meiner Liebe zeigen; vor Ihre Füße, in Ihre Brust werde ich meine Qual legen und werde da neue Kraft zu neuem Leiden schöpfen. Da werde ich barmherzige Güte finden und werde mich getröstet fühlen, weil Sie mich bedauern. Angebetete! Hören Sie mich an, bedauern Sie mich und helfen Sie mir.« Und da lag ich ihr schon zu Füßen und drückte ihre Hände, aber sie riß sich los und rief verzweifelt und in Tränen: Ach, ich Unglückliche! . . . Glücklicherweise hatte auch ich mich so weit fortreißen lassen, daß ich ebenfalls weinte und ihre Hände, die ich wieder hielt, mit meinen Tränen netzte – eine sehr nötige Sache; denn sie war so sehr mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt, daß sie den meinen ohne dieses Mittel meiner Tränen nicht bemerkt hätte. Die Tränen standen ihrem Gesichte herrlich, was mich so mehr noch erregte, daß ich kaum mehr Herr meiner selbst und versucht war, den Augenblick zu nützen.

Ach über unsere Schwäche! Und wie groß die Macht der Umstände, wenn selbst ich meine Pläne vergessend, in die Gefahr komme, durch einen verfrühten Sieg den Reiz eines langen Kampfes und die Details einer mühsamen Eroberung zu verlieren, wenn ich wie ein von der Sehnsucht genarrter Jüngling dem Sieger über Frau von Tourvel als Preis seiner Arbeit nichts sonst als diese Banalität gegeben hätte, eine Frau mehr besessen zu haben! Ja, sie soll sich ergeben, aber sie soll dagegen kämpfen; ohne die Kraft des Siegens zu besitzen, muß sie doch die des Widerstandes haben; sie soll reichlich das Gefühl ihrer Schwäche genießen und selbst ihre Niederlage gestehen. Der gemeine Wilddieb soll den überraschten Hirsch aus der Sicherheit des Hinterhaltes töten, aber der wahre Jäger muß ihn forcieren. Der Plan ist groß gedacht, nicht wahr? Aber ich würde jetzt vielleicht bedauern können, ihm nicht gefolgt zu sein, ohne den Zufall, der meiner Vorsicht zu Hilfe kam. Wir hörten ein Geräusch. Jemand trat in den Salon. Erschreckt erhob sich Frau von Tourvel, nahm einen Leuchter und ging hinaus. Ich mußte es geschehen lassen. Es war nur ein Diener gewesen. Sobald ich dessen gewiß war, folgte ich ihr. Kaum hatte ich einige Schritte gemacht, als sie, weil sie mich erkannte oder aus einem unbestimmten Gefühl des Schreckens, ihre Schritte beschleunigte und mehr laufend als gehend in ihr Zimmer stürzte, dessen Türe sie ins Schloß fallen ließ. Der Schlüssel steckte von innen. Ich hütete mich wohl zu klopfen, womit ich ihr die Gelegenheit eines allzu leichten Widerstandes gegeben hätte. Es kam mir die ebenso einfache als glückliche Idee, durchs Schlüsselloch zu schauen, und ich sah tatsächlich diese entzückende Frau auf den Knien liegen, in Tränen aufgelöst inbrünstig beten. Zu welchem Gott wohl? Gibt es einen stark genug gegen die Liebe? Umsonst suchte sie fremde Hilfe; denn ich bin es jetzt, der ihr Schicksal bestimmt.

Ich glaubte, es sei genug für einen Tag und zog mich in meine Zimmer zurück, um Ihnen zu schreiben. Ich hoffte, Frau von Tourvel beim Abendessen zu treffen, aber sie ließ sagen, daß sie sich nicht wohl fühle und daß sie zu Bett gegangen sei.

Frau von Rosemonde wollte zu ihr hinauf, aber die maliziöse Kranke schützte Kopfschmerzen vor, die ihr nicht erlaubten, jemanden zu sehen. Sie können sich denken, daß der Abend kurz war, und daß ich auch meine Kopfschmerzen vorgab. Ich schrieb ihr einen langen Brief, in dem ich mich über ihre Grausamkeit beklagte, und legte mich schlafen mit dem Vorsatz, ihr den Brief morgen früh zu geben. Ich habe schlecht geschlafen, wie Sie aus dem Datum des Briefes sehen. Früh las ich den Brief noch einmal durch und fand ihn schlecht: mehr Leidenschaft darin als Liebe, mehr üble Laune als Traurigkeit. Ich werde ihn noch einmal schreiben müssen, aber mit mehr Ruhe.

Ich merke, daß es Tag wird, ich hoffe von der Frische des Morgens den Schlaf. Ich will wieder zu Bett gehen, und wie groß auch immer die Macht, die diese Frau über mich hat, sein möge, ich verspreche Ihnen, mich nicht so ganz mit ihr zu beschäftigen, als daß mir nicht Zeit übrig bliebe, viel an Sie zu denken.

Adieu, meine schöne Freundin.

Schloß . . ., den 21. August 17.., 4 Uhr früh.


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