de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Dreiundfünfzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an Frau von Tourvel.

Sie verbieten mir, gnädige Frau, Ihnen von meiner Liebe zu sprechen – wo aber soll ich den Mut finden, Ihnen zu gehorchen? Nur diesem Gefühle hingegeben, das so süß sein sollte, und das Sie mir so grausam erwidern, mich langweilend in der Verbannung, zu der Sie mich verurteilten, lebe ich nur von Entbehrungen und Klagen, eine Beute um so schmerzlicherer Qualen, da sie mich an Ihre fühllose Gleichgültigkeit erinnern. Soll ich da noch den einzigen Trost verlieren, der mir blieb? Und kann ich einen andern finden, als Ihnen manchmal mein Herz zu öffnen, das Sie mit Unruhe und Bitterkeit erfüllen? Werden Sie Ihre Augen abwenden, um die Tränen nicht zu sehen, die Sie vergießen machen? Wollen Sie die Opfer zurückweisen, die Sie so verlangen? Wäre es Ihrer und Ihres gütigen und vornehmen Herzens nicht würdiger, einen Unglücklichen zu bedauern, der es nur durch Sie ist, als seine Qualen noch durch eine ebenso ungerechte wie strenge Abwehr zu vermehren?

Sie tun, als ob Sie die Liebe fürchteten, und Sie wollen nicht sehen, daß Sie allein die Leiden verursachen, die Sie der Liebe vorwerfen. Ach wohl: sie ist ein schlimmes Gefühl, wenn der Gegenstand, der sie einflößt, sie nicht teilt. Wo aber das Glück finden, das ohne gegenseitige Liebe wäre? Die zärtliche Freundschaft, das volle hingebende Vertrauen, die versüßten Schmerzen, die erhöhten Freuden, die entzückende Hoffnung, die köstlichen Erinnerungen – wo sie anders finden als in der Liebe? Sie verleumden die Liebe, Sie, die Sie, um alles Glück, das sie bietet, zu genießen, nichts brauchten, als sich ihr nicht mehr zu verweigern – und ich vergesse die Schmerzen, die ich empfinde, da ich die Liebe verteidige. Aber Sie zwingen mich auch, mich selbst zu verteidigen; denn während ich mein Leben Ihrer Anbetung weihe, verwenden Sie das Ihre dazu, mir weh zu tun. Schon nennen Sie mich leichtsinnig und flatterhaft, indem Sie Irrungen, die ich Ihnen selbst gestand, gegen mich mißbrauchen und sich darin gefallen, mich heute noch so sein zu lassen, wie ich einmal war. Sie sind nicht zufrieden damit, mich aus Ihrer Nähe verbannt zu haben, Sie fügen zu all dem noch diese grausame Persiflage, da sie von meinen Pariser Amüsements sprechen, wo Sie doch genau wissen, wie unempfindlich Sie mich gegen diese Amüsements gemacht haben. Sie glauben weder an meine Versprechungen noch an meine Schwüre – gut; es bleibt mir so nur eines übrig, das Sie nicht verdächtigen können: Sie selbst. Ich verlange nur, daß Sie sich ehrlich selbst befragen. Wenn Sie an meine Liebe nicht glauben, wenn Sie einen Moment daran zweifeln, daß Sie allem über mich herrschen, wenn Sie nicht davon überzeugt sind, dieses Herz festzuhalten, das bis jetzt nur allzu leicht war – dann willige ich ein, den Schmerz dieses Irrtums zu tragen; ich werde darunter stöhnen, aber ich werde mich fügen. Wenn wir aber gerecht gegeneinander sind, dann sind Sie von sich selber aus zu der Überzeugung gezwungen, daß Sie keine Rivalin haben und nie eine haben werden, und dann lassen Sie mich nicht mehr, ich bitte Sie, gegen Phantome kämpfen, und lassen Sie mir wenigstens diesen Trost, daß Sie nicht mehr an meiner Liebe zweifeln, die nur mit meinem Leben enden kann. Erlauben Sie mir, gnädige Frau, Sie um bestimmteste Antwort auf dieses Entweder-Oder meines Briefes zu bitten.

Wenn ich jedoch dieses mein leichtsinniges Leben aufgebe, das mir so sehr bei Ihnen zu schaden scheint, so ist es nicht deshalb, weil mir es zu erklären die Gründe fehlen.

Was tat ich denn mehr, als daß ich dem Strudel, in den ich geworfen worden war, nicht widerstand? Ich bin jung und ohne Erfahrung in die Welt getreten, bin da sozusagen von Hand zu Hand gegangen, durch die Hände einer Menge von Frauen, die sich alle beeilen, durch die Leichtigkeit, mit der sie zu haben sind, einer Überlegung zuvorzukommen, von der sie fühlen, daß sie ihnen nicht günstig sein möchte. Wäre es denn da an mir gewesen, das Beispiel des Widerstandes zu geben, den man mir nicht entgegenbrachte? Oder sollte ich mich für den Augenblick eines Irrtums bestrafen, den man oft provoziert hatte, bestrafen mit einer Beständigkeit und Treue, die so sicher unnötig war, und die man nur lächerlich gefunden hätte? Was für ein anderes Mittel aber als rascher Bruch konnte den Irrtum einer schändlichen Wahl wieder gut machen?

Das aber kann ich sagen: diese Trunkenheit der Sinne, meinetwegen sogar dieses Delirium einer lächerlichen Eitelkeit, hat mein Herz nie erreicht. Zur Liebe geboren konnten mich Liebschaften wohl zerstreuen, aber ich konnte nie völlig darin aufgehen; umgeben von den tollsten und gemeinsten Liebesintriguen kam doch nichts davon bis an meine Seele. Man gab mir Vergnügungen, wo ich Tugend suchte, und ich selbst hielt mich für unbeständig, weil ich reinlich und empfindlich war.

Erst als ich Sie sah, wurde ich mir völlig klar. Ich erkannte, daß der Reiz der Liebe mit der Seele verbunden ist, ja daß die Seele die Liebe erst zum Höchsten steigert und rechtfertigt. Da fühlte ich, daß es mir ebenso unmöglich wäre, Sie nicht zu lieben, als eine andere als Sie zu lieben.

Hier, gnädige Frau, ist das Herz, dem sich hinzugeben Sie so Angst haben, und über dessen Schicksal Sie den Spruch sagen sollen. Aber wie der auch immer ausfallen möge, er wird nichts an den Gefühlen ändern, die mich an Sie binden; denn sie sind unänderbar wie die Tugenden, durch die sie zum Leben kamen.

Paris, den 3. September 17..


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