Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

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III.

Am nächsten Morgen begab ich mich zu Signora Scolastica Ridi. Diese Dame wohnte fast außerhalb der Stadt, in einem Hause, das mitten in einem großen schattigen Garten stand. Der Eingang wurde von keinem Torhüter bewacht, und die Gartenpforte war unversperrt. Ich trat in den Garten und begab mich aufs Geratewohl zu einer Terrasse, die weiß zwischen den Bäumen schimmerte. Überall waren Spuren eines verkommenen und vernachlässigten Prunkes zu sehen. Einige Statuen waren in den Gartenteich gestürzt, aus dem ihre vom Schlamm grün angelaufenen Beine herausragten; andere Statuen waren wiederum so sehr von Vögeln verunreinigt, daß es ein Jammer war, sie anzuschauen. Aus dem Hause klangen Gitarrentöne, und ich ließ mich von ihnen aus der einen Allee in die andere leiten. Auf der Terrasse saß eine reich gekleidete Dame mit gepudertem Gesicht und sonnenverbranntem Hals in Gesellschaft zweier jungen Männer in Livreen. Gerade als ich mich der Terrasse näherte, begann die Dame mit einer etwas heiseren, doch nicht unangenehmen Stimme ein Lied zu singen, dessen Worte mir bekannt waren:

Ach lieber Dudelsackpfeifer,
Komm bitte näher ran,
Daß ich mir deinen Dudelsack
Genauer anschaun kann!

Da der Text des Liedes ziemlich anstößig war, mußte ich staunen, daß diese anständige und elegante Dame ein solches Lied sang. Die Gesellschaft hatte vor sich Kaffeegeschirr und Likörflaschen stehen, das Tischtuch war voller Flecken, und auf dem Boden lagen Orangenschalen umher. Die Dame warf die Gitarre weg, die einer der beiden Kavaliere sehr geschickt im Fluge auffing, knöpfte sich das Mieder auf und sagte: »Ach, heut hab ich mich ordentlich sattgegessen! Ihr doch hoffentlich auch?«

In diesem Augenblick bemerkte sie mich und winkte mich sofort zum Tische heran. Die beiden jungen Männer waren im ersten Augenblick aufgesprungen, nahmen dann aber gleich wieder Platz, ohne sich mir vorzustellen. »Setzt Euch, seid unser Gast!« sagte die Dame, sich mit ihrem ganzen Körper vorbeugend, wobei ihre Büste, die aus dem tiefen Halsausschnitte herausquoll, ganz unnatürlich erzitterte. Ihre Haut war vom Halse abwärts weder geschminkt noch gepudert, und es sah aus, als ob man einem Rumpf aus Bernstein einen Alabasterkopf angesetzt hätte. Trotzdem war die Dame berückend schön; die Kavaliere sahen weniger vornehm aus. Obwohl mir die ganze Situation höchst sonderbar vorkam, zog ich höflich den Hut und fragte, ob ich das Vergnügen hätte, Signora Ridi in eigener Person zu sprechen. Die Signora lachte laut auf, machte dann ein ernstes Gesicht und antwortete mit einer Baßstimme:

»Ja, das ist sie selbst, daß sie der Teufel!«

Ich wollte die Rede auf meine Muster bringen; sie winkte mir aber ab und sagte sehr ernst: »Von Geschäften sprechen wir später; setz dich jetzt her und trink mit. Beppo, noch einen Kaffee!« Der eine der beiden Kavaliere stand auf und brachte mir eine Tasse und ein Likörglas; der andere kicherte ununterbrochen vor sich hin.

»Was hast du?« fragte sie ihn.

»Ich lache über diesen Sonderling, der seine Muster unter dem Arm herumträgt.«

»Jeder hat eben seine Angewohnheiten«, entgegnete Scolastica sehr ernst, worauf beide Herren in schallendes Gelächter ausbrachen.

»Nun ist's genug! Er gefällt mir, und wenn ihr ihn beleidigt, kriegt ihr von mir Ohrfeigen.«

Darauf wandte sich Signora Ridi zu mir und sagte sehr freundlich:

»Achte nicht auf sie. Sie sind Dummköpfe und verstehen nichts. Laß dir einen Kuß geben.«

Sie roch nach Puder, Wein und Kaffee und neigte sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite, wobei ihre Büste immer zitterte. Man brachte noch zwei Flaschen herbei. Ich wurde etwas kühner und umarmte die Dame, damit sie nicht so wackele. Die Kavaliere holten Spielkarten hervor und begannen sie zu mischen, als aus dem Gebüsch plötzlich ein etwa zehnjähriges Mädchen heraussprang und flüsternd meldete: »Sie ist gekommen!« Die Signora sprang auf, setzte sich wieder hin und sprang wieder auf, wobei sie in höchster Aufregung stotterte:

»Räumt alles weg! Versteckt die Gitarre! Daß euch alle der Teufel!«

Schließlich sammelte sie das ganze Geschirr: Gläser, Tassen und Löffel in ihren Rockschoß und ging ins Haus. Im rechten Strumpfe hatte sie ein großes Loch. Die Signora stolperte auf den Stufen und fiel hin; es gelang ihr nicht, sich wieder auf die Beine zu erheben, und sie kroch auf allen Vieren, den Rockschoß mit dem Geschirr immer noch mit der Hand festhaltend, zur Türe hinaus. Die beiden jungen Männer waren längst verschwunden. Ich wußte gar nicht, was das Ganze zu bedeuten hatte, und saß, in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, vor dem schmutzigen Tischtuch.

Aus dem Garten kam durch die gleiche Allee, durch die ich gekommen war, eine schlanke junge Dame in hellem Kleide mit einem sehr blassen, leicht angeschwollenen Gesicht, in Begleitung eines etwa fünfzehnjährigen Knaben. Erst als sie die Terrasse betrat, bemerkte sie mich. Sie erwiderte meine Verbeugung, schickte den Knaben fort und wartete stumm, daß ich ihr etwas sage. Endlich hob sie ihre grauen Augen und fragte mich zögernd:

»Euch hat doch Signore Valerio Procacci hergeschickt? Was will er von mir eigentlich?«

Ich antwortete darauf, daß ich keinen Valerio kenne. Die Dame murmelte vor sich hin:

»Seltsam. In diesem Falle weiß ich wohl, wer Euch hergeschickt hat! Ihr hättet aber nicht heute, sondern morgen kommen sollen. Ich begrüße Euch, herzliebster Bruder.«

Sie stand schweigend vor dem Tisch. Ich glaubte, daß sie die Kaffee- und Likörflecken betrachtete; ich merkte aber bald, daß sie überhaupt nicht hinsah und Gott weiß woran dachte. Endlich richtete sie ihren Blick wieder auf mich und schien erstaunt, daß ich noch immer da sei. Mit schwacher Stimme sagte sie:

»Also ich erwarte Euch morgen. Richtet meine Grüße aus. Der Herr helfe Euch.«

Der Bengel, mit dem sie gekommen war, hatte offenbar irgendwo in der Nähe gelauert; er erschien in diesem Augenblick, ohne gerufen zu sein, um mich hinauszugeleiten. Ich versuchte von ihm zu erfahren, was das Ganze zu bedeuten habe und wer die erste Dame gewesen sei; der Junge war aber entweder taub oder blöd, denn auf alle meine Fragen lächelte er nur, ohne auch nur ein Wort zu sagen.


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