Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

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III.

Ein Zufall verschaffte mir Gelegenheit, Herrn Bruck früher, als ich es erwartet hatte, zu sprechen. Mein Gespräch mit Madame Garnier, der listige Ausdruck, der einen Augenblick lang in ihren Zügen lag, ihr sonst so stolzes Wesen, die romantische und traurige Geschichte, deren Einzelheiten ich mir in den glühendsten Farben ausmalte – all das regte mich auf und erhitzte meine Phantasie.

Ich ging eine abgelegene Straße entlang, wo ich nur Bauern aus den Nachbardörfern begegnen konnte; die Fremden waren ja entweder leidend oder viel zu vornehm, um ihre Spaziergänge über den Kurpark hinaus auszudehnen, obwohl die Gegend idyllisch schön, wenn auch ebenso süßlich wie die meisten deutschen Landschaften war.

Die Straße ging langsam bergauf, an einem niedlichen Bach entlang. Unten auf der Wiese bimmelten ab und zu Kuhglocken. Ein Regenbogen überspannte den ganzen Himmel, und darunter drehten kleine Windmühlen ihre Flügel. Bauernweiber mit aufgesteckten Röcken gingen barfuß und trugen ihre Schuhe in der Hand.

Ich bemerkte Bruck erst, als ich ganz dicht vor ihm stand. Er saß auf einem Steine am Straßenrande und schrieb etwas in sein Taschenbuch, den Blick ab und zu auf die Landschaft richtend. Ich glaubte, daß er Verse schrieb, und er tat mir etwas leid. Erst als er sein Buch in die Tasche gesteckt hatte, sprach ich ihn an.

»Herr Bruck, ich muß Ihnen sagen, daß Madame Garnier Ihre Besuche höchst unangenehm findet.«

Der junge Mann sah mich mit einigem Erstaunen an und sagte so einfach und sachlich, wie sonst Verliebte niemals sprechen:

»Meine Zudringlichkeit ist mir selbst unangenehm, doch ich weiß wirklich nicht, was ich mit der Dame anfangen soll.«

»Sie sollen sie in Ruhe lassen!«

»Das wäre gegen meine Interessen.«

»Wie können Sie an Ihre Interessen denken? Läßt sich denn ein echtes und tiefes Gefühl mit irgendwelchen Interessen vereinbaren?«

Bruck schwieg eine Weile und sagte:

»Nein, ich will trotzdem noch den Versuch machen, Madame Garnier zu sprechen.«

»Sie werden den Versuch nicht machen; und selbst wenn Sie ihn machen, werden Sie doch nichts erreichen.«

»Wer kann das wissen?«

»Ich versichere Ihnen, alle Ihre Schritte werden zu nichts führen.«

In den Augen des jungen Mannes leuchtete etwas wie Hoffnung auf, als er mich fragte:

»Sind Sie mit Madame Garnier verwandt?«

»Nein,« antwortete ich, wobei ich, ich weiß nicht warum, errötete. »Doch ich spreche mit Ihnen mit ihrem Wissen.«

»Hat sie Sie vielleicht beauftragt, mir noch etwas zu sagen?«

»Nein, nur daß sie Sie nicht mehr zu sehen wünscht. Ich kann Ihre Erbitterung wohl begreifen, glaube aber nicht, daß Sie irgend etwas ertrotzen können. Sie wissen ja, niemand hat Gewalt über ein Frauenherz.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz. Ich verlange von ihr ja nur das, worauf ich ein Recht habe.«

»Derartige Rechte werden stets aus freien Stücken gewährt und zurückgenommen.«

»Gewiß, ich habe ja auch wirklich keinerlei juristische Rechte.«

»Nun sehen Sie es selbst ein. Und was würden Sie tun, wenn Sie der Gatte der Dame wären?«

»Dann würde ich sie natürlich in Ruhe lassen.«

»Ihr Standpunkt ist recht originell!«

»Wieso?«

»Ihre Denkweise gefällt mir beinahe, und doch muß ich Sie ersuchen, entweder diese Stadt zu verlassen, oder keine weiteren Versuche zu machen, eine Begegnung mit Madame Garnier herbeizuführen.«

»Das kann ich Ihnen nicht versprechen.«

»Schön. In diesem Falle nehme aber ich die Sache in die Hand, und Sie können versichert sein, daß ich Ihnen nicht gestatten werde, der Dame auch nur auf drei Schritte nahe zu kommen.«

Bruck zuckte die Achseln.

»Jedermann verteidigt doch seine Interessen.«

»Ja, aber niemand darf dabei fremde Interessen verletzen.«

»Ich glaube, Sie verstehen mich nicht ganz.«

»Ich verstehe Sie sogar sehr gut!«

»Ich will einfach . . .«

»Es ist mir ganz egal, was Sie wollen. Ich sagte Ihnen schon, was Madame Garnier will, und betrachte die Frage als erledigt.«

»Ganz wie es Ihnen beliebt.«

Wie dumm doch so ein zurückgewiesener Liebhaber sein kann, besonders wenn er noch trotzig wird: der Mensch verliert in solchem Falle den letzten Funken von Verstand! So war es jetzt auch mit diesem Bruck. Er sah ja gar nicht so dumm aus, benahm sich aber wie ein vollkommener Idiot!


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