Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

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III.

Nach einigen Tagen erhielt Viktor ein Billett von Jelisaweta Petrowna, in dem sie ihr Bedauern darüber ausdrückte, daß sie mit ihrer Familie so plötzlich hat abreisen müssen, daß sie von ihm nicht einmal Abschied nehmen konnte; im Postskriptum hieß es: »Wegen des versprochenen Ausfluges brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen; glauben Sie nur nicht, daß ich Sie angeführt habe. Ich werde nächstens für etwa drei Tage in die Stadt kommen und bei dieser Gelegenheit mein Versprechen einlösen, wenn Sie es noch nicht vergessen haben.«

Wie konnte er es auch vergessen haben! Er dachte ja an nichts anderes. Und dann dieses Glück: er war eben im Begriff, an allem zu verzweifeln, und plötzlich dieser unerwartete Erfolg! Es hätte allerdings noch viel schöner sein können: denn Jelisaweta Petrowna kam gerade an einem solchen Tag, wo der Himmel bewölkt war und es regnete.

Eine Dampferfahrt die Newa hinauf wäre bei solchem Wetter gar zu trist; außerdem hatte sie keine Zeit für einen so umständlichen Ausflug. Viktor ließ aber seinen Mut nicht sinken. Statt der Newafahrt schlug er einen Ausflug nach Sjestorezk vor, wohin sie sich, statt in einer schwankenden Kajüte, in einem rüttelnden Eisenbahnwagen begaben. Durch die Fenster des Speisewagens sahen sie die Regentropfen auf das bleiche Meer fallen, das viel heller als der Himmel erschien; aber im Herzen Viktors war der gleiche freudige Wind und das gleiche Beben, wie an jenem glücklichen Tage. Er suchte sogar nach künstlichen Analogien, um alle diese äußeren Erscheinungen im günstigsten Sinne zu deuten. Er sagte:

»Dieser Regen ist wie ein Frühlingsschauer: er läßt alles erblühen und zu einem neuen Leben auferstehen: die Blätter, die Blumen und das Gras!«

»Sie sind ein unverbesserlicher Träumer, Viktor! Woher wissen Sie, daß es gerade ein solcher Regen ist, wie er Ihnen paßt? Vielleicht ist es ein Landregen, nach dem nur Fliegenschwämme wachsen.«

Viktor wurde etwas verlegen, wollte aber nicht nachgeben.

»Nein, es ist ein guter Regen, und Sie sind schlecht, Jelisaweta Petrowna; jetzt reden Sie gar von Fliegenschwämmen.«

»Von nichts rede ich! Sie reden da von einem Frühlingsschauer, und ich meine, der Regen ist ein ganz gewöhnlicher Landregen.«

Der Augenblick schien für eine Liebeserklärung ungünstig; Viktor gab daher alle allegorischen Andeutungen auf und sprach mit ihr weiter so einfach und natürlich wie mit einem Freund.

In Sjestorezk hatten sie eigentlich nichts zu suchen. Darum kehrten sie bald in die Stadt zurück, um den Abend in irgendeinem Sommertheater zu verbringen. Sie gingen noch zu Jelisaweta Petrowna hinauf, und, während sie sich fürs Theater umkleidete, saß Viktor im Salon und spielte auf dem Klavier, das nach Formalin roch, einen Walzer nach dem andern.

»So, jetzt bin ich fertig!«

Noch niemals war ihm Jelisaweta Petrowna so schön und begehrenswert erschienen.

»Warten Sie, habe ich meinen Hausschlüssel mitgenommen?« sagte sie, nachdem sie die Wohnungstüre hinter sich zugeschlagen hatte. Es stellte sich heraus, daß sie wie den Hausschlüssel, so auch ihre Geldbörse vergessen hatte. Der Portier schickte den Hausmeister die Dienerschaftstreppe hinauf, um die Wohnung von innen aufzusperren und die Herrschaften hereinzulassen.

»Ich weiß gar nicht, warum ich heute so zerstreut bin«, sagte Jelisaweta Petrowna, als sie in Erwartung des Hausmeisters auf einer Fensterbank im Treppenhause saßen.

»Vielleicht sind Sie eben darum so hübsch, weil Sie zerstreut sind. Sie sind mir noch niemals so hübsch und so lieb vorgekommen!«

»Wenn sie mir Komplimente machen wollen, so muß ich bemerken, daß Sie dazu den ungeeignetsten Augenblick gewählt haben.«

»Ich will Ihnen gar keine Komplimente machen, ich will nur sagen, daß ich Sie ernsthaft und aufrichtig liebe.«

»Ja, das weiß ich, ich habe Sie ja auch recht gern.«

»Ich meine es nicht so. Ich sage, daß ich Sie liebe, Jelisaweta Petrowna!«

»Sie wollen sagen, daß Sie in mich verliebt sind?«

»Das würde mein Gefühl nur ungenau wiedergeben. Was ich Ihnen gegenüber empfinde, ist viel tiefer und für mich bedeutsamer.«

»Sie machen mir also eine Liebeserklärung?«

»Ja!«

»Ich glaube, es kommt irgendwo bei Tschechow vor, daß jemand eine Liebeserklärung auf der Treppe macht. Das mag ja recht romantisch sein, aber ich finde, daß der Ort für eine solche Aussprache wenig geeignet ist.«

»Ich weiß nicht, ob es bei Tschechow oder nicht bei Tschechow vorkommt, aber ich liebe Sie und warte auf Ihre Antwort.«

»Wollen wir hinaufgehen, gerade wird die Tür aufgemacht.«

Als sie wieder in der Wohnung waren und Jelisaweta Petrowna den Schlüssel und die Geldbörse gefunden hatte, sagte sie ganz unerwartet:

»Wissen Sie was, Viktor? Nehmen Sie es mir nicht übel, ich will nicht ins Theater gehen. Ich bin furchtbar müde, muß morgen noch vieles erledigen und habe obendrein Kopfweh.«

»Ist unser Gespräch daran schuld, daß Sie Kopfweh haben?«

»Nein, nein. Ich bin einfach müde und habe zu viel Wein getrunken.«

»In diesem Falle darf ich wohl noch ein wenig bei Ihnen bleiben?«

»Sie sind wirklich komisch: ich werde ja gleich zu Bett gehen. Morgen um drei werden wir uns wiedersehen.«

»Und welche Antwort wollen Sie mir geben?«

»Ich will Sie nur bitten, es mir nicht übel zu nehmen und nicht zu glauben, daß ich über Sie lachen könnte. Ich danke Ihnen für alles, was Sie mir gesagt haben.«


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