Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Muster des guten Tommaso

I.

Obwohl sich die Tuchwalkerei meines Patrons in der Nähe von Pistoja befand, war ich noch niemals in Florenz gewesen. Als ich siebzehn Jahre alt wurde, gab mir mein Patron eine Gehaltszulage und ließ mich die Kunden bedienen. Eines Tages berief er mich zu sich ins Obergeschoß, wo er fast immer über Rechnungsbüchern, Fakturen und Quittungen saß, blickte mich über seine Brille an und teilte mir mit, daß ich am nächsten Morgen mit einer Partie Tuchmuster nach Florenz reisen müsse, um eine Reihe von Kunden, deren Adressen er mir noch geben werde, zu besuchen und von ihnen Aufträge entgegenzunehmen. Ich dankte dem Patron für das Vertrauen und konnte die ganze Nacht nicht einschlafen, in der Vorahnung des Genusses, die große Stadt zu sehen, von der ich so Vieles und Wunderbares von Leuten, die dort schon gewesen, gehört hatte. Der Patron händigte mir die Adressen ein, an die ich die Muster bringen sollte, riet mir, im Gasthause zur »Alten Jungfrau« abzusteigen und gab mir noch verschiedene andere nützliche Ratschläge mit auf den Weg. Er ließ mich noch vor dem Ave Maria zu Bett gehen, damit ich ordentlich ausschlafe und beim ersten Morgengrauen das Haus verlasse, das mir, da ich meine Eltern früh verloren hatte, wie ein Elternhaus lieb war.

Die Reise ging ganz ohne Zwischenfälle von statten. Übrigens war ich während der Fahrt so sehr mit den Gedanken an Florenz beschäftigt, daß ich keine Augen dafür hatte, was mir unterwegs begegnete. Ich begnügte mich natürlich nicht mit den Ratschlägen des Patrons, sondern unterließ auch nicht, seinen ältesten Gehilfen auszufragen, der mir noch manche andere Dinge von der großen Stadt Florenz erzählte, wo meiner offenbar nicht nur die Besuche bei den Kunden, sondern auch neue Bekanntschaften, Kaffeehäuser, Wirtschaften, Theater und Damen, die denen von Pistoja sicher überlegen waren, harrten. Die Gedanken an alle diese mir noch unbekannten Genüsse nahmen mich so völlig in Anspruch, daß ich kaum darauf achtete, wo ich meine isabellfarbene Stute nach Angaben des Patrons nach rechts und wo nach links lenken sollte.

Das mir empfohlene Gasthaus befand sich hinter dem S. Croce, so daß ich, um dorthin zu gelangen, fast die ganze Stadt durchqueren mußte. Mein Gott, diese Herrlichkeit! Es war wohl die Stunde des Korso, denn alle Straßen waren mit Equipagen, Reitern und eleganten Fußgängern überfüllt. Die Lorgnons der Herren funkelten nur so, die Bänder und Schleier der Damen flatterten im Winde, die Hunde rannten zwischen den Beinen der Spazierenden umher, die Peitschen knallten, die Deckel der Tabatieren knipsten, der Staub duftete nach Parfüms und frisch gemähtem Gras, Schwalben jagten wie besessen dicht über den Köpfen der Menschen, und hoch oben auf dem Hügel läuteten Kirchglocken. An einer Straßenkreuzung hielt plötzlich mein Wägelchen: mein Pferd scheute vor einem offenen rosafarbenen Sonnenschirm und blieb, statt, wie ich es erwartete, durchzugehen, wie Bileams Eselin stehen; es wollte, ungeachtet meiner Zurufe, weder nach rechts noch nach links, weder vorwärts noch zurück. Ich selbst war nicht weniger bestürzt als meine Stute und hieb auf sie mit aller Kraft ein, ohne irgend etwas außer ihrer isabellfarbenen Kruppe und ihrem Schwanz zu sehen, den sie bei jedem Hieb emporwarf. Einige Zeit lang achtete ich auf nichts anderes und hörte weder das Schimpfen noch das Lachen der Zuschauer, bis mich plötzlich eine zarte Frauenstimme wieder zur Besinnung rief; die Stimme sagte: »Ihr werdet Euer Tier totschlagen; es bringt wahrlich keine große Ehre ein, mit einer Stute im Eigensinn zu wetteifern.«

Dieses sagte eben jene Dame, vor deren Sonnenschirm mein Pferd gescheut hatte. Ich murmelte etwas wie eine Entschuldigung und war bereit, mit meinem Wägelchen in die Erde zu versinken: so sehr schämte ich mich meiner Kleidung und des Benehmens und der Mucken meines Tieres. Die Dame mit dem rosa Sonnenschirm schien gar nicht so sehr aufgebracht, worauf ich übrigens auch aus ihrer spöttischen, doch keineswegs zornigen Stimme hätte schließen können. Auch war sie in ihrem hohen, schifförmigen Hut und mit dem Schönheitspflästerchen über der linken Braue ganz ungewöhnlich hübsch. Ich zog vor ihr, ich weiß nicht warum, den Hut und blickte sofort weg. An der anderen Seite meines Wägelchens stand ein junger Mann, der mich so ansah, als ob er mich ansprechen wollte. Er tat das auch im gleichen Augenblick.

»Ihr kommt vom Lande?« fragt er mich lächelnd, auf meine Stute weisend.

»Ja, gewiß. Ich weiß nicht, was plötzlich mit ihr ist. Solche Mucken hat sie noch niemals gehabt.«

»Es macht nichts, sie wird sich schon beruhigen! Ihr erlaubt?« Und ehe ich ihm die Erlaubnis geben konnte, sprang er geschickt in meine Equipage und nahm mir die Zügel aus der Hand. Die Stute begann plötzlich wirklich zu laufen, und wir setzten den Weg zusammen fort. Unterwegs erfuhr ich, daß mein Begleiter Giacomo Castagno hieß, daß er Florentiner und Junggeselle war und bei seiner Mutter wohnte. Ich erzählte ihm meinerseits, daß ich Tommaso Guberti heiße, ein Tuchmacher aus der Gegend von Pistoja sei, Tuchmuster nach Florenz gebracht habe und im Gasthause zur »Alten Jungfrau« hinter S. Croce abzusteigen gedenke. Er hörte alle diese Mitteilungen mit ziemlicher Gleichgültigkeit an und sagte:

»Das ist ja alles sehr schön, aber abends treffen wir uns in jedem Falle im ›Phönix‹ neben dem Dom. Wir wollen ein wenig beisammensitzen und plaudern; sonst nichts. Nur um unsere Freundschaft zu besiegeln. Ihr müßt ja in dieser Stadt einen Freund haben.«

Vor dem Gasthause nahm er von mir Abschied, und ich mußte ihm versprechen, abends in den »Phönix« zu kommen.

Auf dem Aushängeschilde meiner neuen Wohnung war eine ziemlich wohlbeleibte Dame in altertümlicher Kleidung dargestellt, die mit dem Finger auf eine Inschrift deutete:

»Wo kehr ich ein«, willst du wohl fragen?
Die »Alte Jungfrau« kann's dir sagen:
»Oh kehre, Fremdling, bei mir ein,
Hier findest du den besten Wein,
Ein Essen billig, gut und fett,
Und ohne Flöhe ist das Bett . . .

Das Gedicht war ziemlich lang, ich hatte aber nicht Zeit, es zu Ende zu lesen, da der Wirt bereits das Tor öffnete und aus einem Fenster im Obergeschoß eine wohlbeleibte Frau, offenbar die Wirtin, mit dem Kopfe nickte.


 << zurück weiter >>