Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

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Die platonische Charlotte

Charlotte Iwanowna kannte besser als irgend jemand den Sinn und das Wesen der »platonischen Liebe«. Sie hatte zwar nichts von Plato gelesen, und es ist sogar zweifelhaft, ob sie überhaupt etwas von seiner Existenz wußte; aber so oft sie an Ilja Petrowitsch die Frage richtete: »Wie nennt man eigentlich so ein Verhältnis, wie es zwischen uns besteht?« bekam sie regelmäßig die Antwort: »Das nennt man platonische Liebe«; und umgekehrt, auf die Frage: »Was ist eigentlich platonische Liebe?« pflegte Ilja Petrowitsch zu antworten: »Platonische Liebe? So nennt man ein Verhältnis, wie es zwischen uns besteht, Charlotte Iwanowna.«

Es war ihr also klar, daß platonische Liebe folgendes hieß: Beim Morgengrauen aufstehen, um auf den Markt zum Einkaufen zu gehen; aus der Vorstadt in die Morskaja-Straße rennen, um für Ilja Petrowitsch eine besondere Sorte französisches Weißbrot einzukaufen; mit Ehrfurcht auf ihn schauen, wenn er die Schülerhefte korrigierte; ihm Knöpfe annähen und Socken stopfen und, vor allem, in allen diesen Dingen eine Quelle allerdings wenig abwechslungsreicher, dafür aber unerschöpflicher Genüsse sehen. Die platonische Liebe erforderte natürlich Mut und Verachtung gegen die öffentliche Meinung. Wenn Charlotte Iwanowna dies vorher nicht gewußt hatte, so mußte sie es jetzt einsehen, da alle ihre Verwandten und Bekannten sich von ihr lossagten, nachdem sie zum alleinstehenden Herrn Weniaminow gezogen war. Und die wenigen Bekannten, die Ilja Petrowitsch hatte, behandelten sie wie ein Mittelding zwischen einer Haushälterin und einer Geliebten. Was hatte sie aber von dieser Liebe? Der Vorzug jeder Philosophie, darunter auch der griechischen, liegt eben darin, daß sie auf jede Frage eine Antwort zu geben vermag. Ilja Petrowitsch gab seiner Freundin auch auf diese Frage eine treffende Erklärung. »Die platonische Liebe ist eine Liebe, die nichts verlangt und ihr Glück darin findet, daß der geliebte Gegenstand existiert. Sonst braucht sie nichts.« Ilja Petrowitsch ließ dabei offenbar das französische Weißbrot, das Charlotte Iwanowna für ihn von der Morskaja-Straße holen mußte, außer acht. Jeder, der vom Wesen der platonischen Liebe einigermaßen unterrichtet ist, könnte Herrn Weniaminow gegen eine solche Definition dieses Gefühls manches einwenden; Charlotte Iwanowna vertraute ihm aber blind, und zu dem beglückenden Bewußtsein, daß der geliebte Gegenstand existierte, gesellte sich bei ihr auch ein gewisser Stolz, daß das Ganze einen so schönen und poetischen Namen habe.

Sie erinnerte sich noch gut an jenen Tag, an dem sie Ilja Petrowitsch zum erstenmal erblickt hatte. Sie war zu Weniaminow als Stenotypistin gekommen und hatte gar nicht erwartet, daß dieser Posten sich von jedem andern irgendwie unterscheiden würde. Selbst als sie Ilja Petrowitsch zum erstenmal sah, kam ihr diese Möglichkeit gar nicht in den Sinn. Sein Äußeres war ja recht sympathisch, aber auch nicht mehr als sympathisch: er hatte einen kurzen, lockigen Vollbart, trug eine goldene Brille und war recht groß gewachsen, obwohl etwas korpulent. Sie weiß selbst nicht, wie das geschah. Vielleicht war es das abgemessene, geschäftige und einsame Leben dieses Menschen, den sie für sehr klug hielt, was auf sie Eindruck machte. Außerdem war er ja sozusagen Literat, denn er schrieb manchmal Fachaufsätze für die »Monatshefte des Unterrichtsministeriums«. Ilja Petrowitsch behandelte sie mit jener zu nichts verpflichtenden Freundlichkeit, mit der er alle Menschen zu behandeln pflegte. Manchmal kamen zu ihm seine älteren Schüler, die sich ihm gegenüber sehr schüchtern und ehrerbietig benahmen, und Herr Weniaminow kam ihr in solchen Augenblicken als ein sehr gelehrter Professor, beinahe als der Goethesche Faust vor. Und was war sie, Charlotte Iwanowna in diesem Falle? Das blonde Gretchen? Bei diesem Gedanken wurde sie rot wie eine Kirsche; sie vertippte sich jeden Augenblick und hörte kaum, was Ilja Petrowitsch mit seiner freundlichen und belehrenden Stimme sagte. Es kam ihr als ein unerhörtes Glück vor, an diesem abgemessenen, erhabenen und schönen Leben teilnehmen zu können. Sie wagte natürlich nicht, daran auch nur zu denken, daß sie am geistigen Leben ihres Faust hätte teilnehmen dürfen; sie könnte aber besser als irgend jemand anderer sein Alltagsleben so gestalten, daß jenes andere Leben gleichmäßiger und freier dahinflösse. Es kam plötzlich und ganz von selbst. Eines Tages, als Charlotte Iwanowna vor der Maschine saß und etwas abschrieb, brachte das Dienstmädchen einen Pack Wäsche ins Zimmer, die soeben von der Wäscherin gekommen war. Charlotte Iwanowna hielt für einen Augenblick im Schreiben inne und warf einen flüchtigen Hausfrauenblick auf den weißen Haufen, auf dem zuoberst einige farbige Kleinigkeiten lagen; dann stand sie auf, sah sich jedes Stück einzeln an und setzte sich wieder an die Maschine.

»Ilja Petrowitsch, wer versorgt Ihre Wäsche?«

»Was meinen Sie, Charlotte Iwanowna?«

»Ich fragte: wer versorgt Ihre Wäsche?« wiederholte Charlotte Iwanowna, indem sie sich tiefer über die Maschine beugte.

»Wieso kommt es Ihnen in den Sinn? Ich weiß nicht, wahrscheinlich das Dienstmädchen.«

»Sie paßt schlecht auf. Das geht ja wirklich nicht: Sie haben so hübsche hellblaue Socken, und die hat sie Ihnen mit dicker, schwarzer Baumwolle gestopft!«

Charlotte Iwanowna mußte sich plötzlich schämen: es war ihr, als ob die Kenntnis von seinen hellblauen Socken ihn ihr näher gebracht hätte. Es ist unbekannt, ob auch Ilja Petrowitsch das gleiche Gefühl einer schamhaften Annäherung empfand, aber er antwortete mit einem Lächeln:

»Was kann ich tun? Es ist noch gut, daß sie sie überhaupt stopft. Was darf so ein alter Junggeselle wie ich verlangen?«

Er antwortete ihr ganz, wie es sich gehört: wie ein Mann, der zugleich schamhaft und streng ist, der nur aus Überfluß an Zärtlichkeit so trocken und kühn spricht und der sich schämt, nicht nur, daß er Socken, und dazu noch hellblaue Socken besitzt, sondern daß er überhaupt Füße hat.

Wie gut konnte ihn Charlotte Iwanowna verstehen!

Vor dem Weggehen sagte sie sehr schüchtern:

»Ich habe eine Bitte an Sie, Ilja Petrowitsch: gestatten Sie mir, daß ich Ihre Wäschestücke, die nicht in Ordnung sind, nach Hause mitnehme und flicke?«

»Das geht wirklich nicht, Charlotte Iwanowna! Warum sollen Sie sich mit meiner Wäsche abgeben?«

»Ich bin doch wirklich keine Prinzessin! Ich bin ja eine Deutsche, eine gut bürgerliche Deutsche und kann keine Unordnung sehen.«

Ilja Petrowitsch antwortete lächelnd:

»Ich glaube, Charlotte Iwanowna, daß Sie sich selbst verleumden, und daß in Ihrem Angebot Ihre deutsche Abstammung keine entscheidende Rolle spielt.«

»Nun ja, gewiß! Für jeden beliebigen Menschen würde ich es natürlich nicht tun. Sie verehre ich aber und kann Sie unmöglich so vernachlässigt sehen.«

Ilja Petrowitsch drückte ihr die Hand und sagte:

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, wirklich sehr dankbar . . . Und doch glaube ich, daß es nicht geht . . .«

»Warum denn?«

»Schon aus dem Grunde, weil es bei Ihren Angehörigen Anstoß erregen kann.«

»Die werden sich darüber keine Gedanken machen; und wenn sie sich etwas denken, so ist es auch recht: ich habe mein eigenes Zimmer und werde die Arbeit nachts, wenn alle schlafen, machen.«

»Warum sollen Sie meinetwegen nachts aufbleiben?«

»Erlauben Sie es mir, Ilja Petrowitsch! Das wird so lustig sein! Ich werde unsere Katze zu mir ins Zimmer nehmen, und wenn alle schlafen, wird die Katze schnurren, und ich werde die Wäsche flicken und an Sie denken.«

Dieses Gespräch besiegelte das Schicksal Charlotte Iwanownas. Nach der Wäsche kam der Kaffee an die Reihe, der bei Ilja Petrowitsch schlecht zubereitet wurde; dann zeigte sie Interesse für seine Küche; wenn sie mit der Schreibarbeit fertig war, blieb sie noch einige Zeit da, um nach der Wirtschaft zu sehen; dann begann sie auch vor der festgesetzten Stunde zu kommen, wenn Ilja Petrowitsch noch schlief. Schließlich wurde es ganz klar: da sie sowieso den ganzen Tag bei Weniaminow steckte, so wäre es viel einfacher, wenn sie ganz zu ihm übersiedelte; ihre Eltern würde sie dann täglich besuchen. Diesem Plan setzten ihre Angehörigen einen ganz unerwarteten Widerstand entgegen. Charlotte Iwanowna verfügte aber nicht nur über echt deutsche Hausfrauentugenden, sondern auch über eine echt deutsche Energie. Außerdem ist es längst bekannt und erwiesen, daß gerade die ideellsten und abstraktesten Gefühle und Überzeugungen erstarken, wenn sie auf Verfolgungen und Schwierigkeiten stoßen.

Einige stürmische Szenen hatten zur Folge, daß Charlotte Iwanowna sich endgültig auf ihren Entschluß versteifte und sich zugleich als ein Opfer und als eine Heldin betrachtete.

»Schau nur, Tochter, du betrittst einen schlüpfrigen Pfad«, sagte der Vater, indem er sie in Hemdsärmeln zur Türe geleitete. Die Mutter, die als Frau etwas empfindsamer war, umarmte Charlotte und sagte: »Ich sehe, Lottchen, daß du ihn sehr gerne hast; nimm dich aber immerhin in acht!« Und Charlotte Iwanowna lief zu Herrn Weniaminow mit solcher Windeseile, als ob ihrer dort außer den geflickten Socken und dem verbesserten Kaffee eine Befreiung harrte.

 

Die Übersiedlung Charlottes änderte fast gar nichts an ihrer Lage, aber sie sanktionierte den bereits bestehenden Zustand. Nun erfuhr sie zum erstenmal, was platonische Liebe bedeutet und wie man solch ein Verhältnis, wie es zwischen ihr und Ilja Petrowitsch bestand, nennt. Ihre Eltern besuchte sie nicht so oft, wie sie ursprünglich beabsichtigt hatte; sie kam auch sonst fast mit niemand zusammen, so daß ihr Leben sich in einem sehr engen Kreise zwischen dem Kaffee und den Socken des Herrn Weniaminow und ihren schwärmerischen Gedanken an ihr schönes und erhabenes Los bewegte.

Außer ihrem Hang zu Schwärmereien, der sie übrigens durchaus nicht hinderte, eine klug erwägende und sogar sparsame Hausfrau zu sein, hatte Charlotte Iwanowna noch einen Fehler; sie lief leidenschaftlich gern Schlittschuhe. Sie stieß sich nicht daran, daß diesem Sport vorwiegend Backfische von durchschnittlich fünfzehn Jahren huldigten, und begab sich an jedem freien Vormittag, wenn Ilja Petrowitsch noch nicht nach Hause gekommen war, mit ihren blinkenden Schlittschuhen in der Hand ganz allein in den Taurischen Park. Es tat ihr sehr leid, daß sie keine Karte für die reservierte Abteilung der Schlittschuhbahn bekommen konnte, wo glückliche Auserwählte, elegante Offiziere und junge Mädchen, die von englischen Gouvernanten begleitet waren, laufen durften, und von wo aus man die Häuser der fernsten Straßen und das nebelige Abendrot hinter den Bäumen sehen konnte. Während Charlotte Iwanowna ihre schnellen Kreise auf dem Eise beschrieb, wurde sie immer kühner, und diese Kühnheit ging so weit, daß sie einmal die Bekanntschaft eines Studenten machte. Er war klein, hatte eine rosige Hautfarbe, einen flaumigen rötlichen Backenbart und ein spitzes Näschen. Er trug einen wattierten Mantel mit Pelzkragen und hieß Kolja. Charlotte Iwanowna erinnerte sich nicht mehr, wie sie seine Bekanntschaft gemacht hatte und wie es geschah, daß er sie jeden Tag, mit zwei Paar klirrenden Schlittschuhen in der Hand, nach Hause begleitete. Er war für sie völlig eins mit dem Begriff der Eisbahn, und sie merkte erst dann, daß er weder ein Wärmofen noch ein Zaun, noch das winterliche Abendrot war, als er ihr plötzlich, nachdem er sie bis vor die Haustür begleitet hatte, sagte:

»Ich wollte Ihnen schon längst sagen, Charlotte Iwanowna, daß ich Sie liebe.«

»Nein, nein, das dürfen Sie nicht!« unterbrach ihn Charlotte, ganz außer sich.

»Warum darf ich das nicht?«

»Weil ich einen anderen liebe!« antwortete Charlotte Iwanowna, während ihr Herz in einem seltsamen freudigen und stolzen Gefühl wie der Himmel im Abendrot erglühte. Sie merkte fast gar nicht, daß Kolja sein Näschen rümpfte, mit den Augen zwinkerte und etwas sehr schnell stammelte. Endlich verstand sie, was er sprach:

»Sie dürfen mir nicht verbieten, an Sie zu denken und geduldig zu warten . . . Ich werde Sie platonisch lieben!«

»Nein, das dürfen Sie nicht!« rief Charlotte aus, indem sie die Haustüre hinter sich zuschlug.

Nun mied sie an die zehn Tage die Eisbahn; nicht weil sie Kolja zürnte, sondern weil sie sich in ihren vier Wänden am neuentbrannten und neuerblühten Bewußtsein ihrer herrlichen Liebe ergötzte. Sie erzählte Ilja Petrowitsch zunächst gar nichts von diesem Erlebnis, lief aber von nun an mit noch größerem Eifer in die Morskaja, um das bewußte Weißbrot einzukaufen. Um das beseligende Gefühl noch vollständiger zu durchkosten, mußte sie ihm schließlich doch von ihrer Freude erzählen. Sie fürchtete nur, daß dies als Prahlerei oder als ein Versuch, ihre Verdienste in den Vordergrund zu rücken, aufgefaßt werden könnte. Schließlich wählte sie einen Abend, an dem Ilja Petrowitsch besonders gutmütig aufgelegt war, und erzählte ihm von ihrem bescheidenen Roman. Herr Weniaminow faßte die Geschichte etwas gar zu scherzhaft auf.

»Ich gratuliere Ihnen, Charlotte Iwanowna, zu Ihrer Eroberung: ich weiß es natürlich wohl zu schätzen, daß Sie an mich denken; ich würde Ihnen aber dennoch raten, diesen jungen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren.«

»Was brauche ich ihn? Sie wissen ja selbst, Ilja Petrowitsch, daß ich außer den Beziehungen, wie sie zwischen uns bestehen, gar nichts brauche.«

»Gewiß, ich weiß es und bin Ihnen sehr dankbar. Es war nur ein Scherz.«

»Sie sollten sich schämen, darüber zu scherzen!«

»Verzeihen Sie es mir, bitte. Um mein Vergehen gut zu machen, will ich Ihnen, wenn Sie es wünschen, zwei Neuigkeiten mitteilen.«

»Ich bitte Sie darum . . .«

Ilja Petrowitsch ging einigemal durchs Zimmer, als ob er sich überlegte, welche Neuigkeit er zuerst auftischen sollte. Schließlich blieb er dicht vor Charlotte Iwanowna stehen und sagte:

»Erstens habe ich die Beförderung, die ich schon längst erwartete, bekommen.«

»Konnte es denn anders sein? Wenn man Ihren Geist und Ihre Verdienste mehr berücksichtigte, müßten Sie schon längst Professor sein.«

»Das ist Ihre Ansicht, meine liebe Charlotte Iwanowna. Andere Leute sind aber anderer Meinung. Mit einem Worte, ich habe die Beförderung und somit auch die Möglichkeit, ernsthaft ans Heiraten zu denken.«

»Nein, sprechen Sie nicht davon, ich vertraue Ihnen auch so!«

»Also gut, ich will davon nicht sprechen, obwohl ich unmöglich begreifen kann, warum Sie sich darüber so aufregen. Unsere Beziehungen werden ja die gleichen bleiben.«

»Nein, sprechen Sie jetzt bitte nicht davon. Ich bin zu glücklich.«

Ilja Petrowitsch sah sie erstaunt an und begab sich in sein Arbeitszimmer.

Am folgenden Nachmittag sagte Ilja Petrowitsch, gleichsam an das gestrige Gespräch anknüpfend:

»Nun, Charlotte Iwanowna, haben Sie jenen Studenten von der Eisbahn noch nicht wieder gesehen?«

»Nein. Wozu sollte ich ihn wiedersehen?«

»Das ist natürlich Ihre Sache, ich gewann aber aus Ihrer Erzählung den Eindruck, daß dieser junge Mann . . . wie heißt er noch? . . . Kolja, höchstwahrscheinlich ernste Absichten hat, und daß es von Ihnen vielleicht nicht ganz vernünftig ist, ihn abzuweisen. Ich schätze außerordentlich Ihre Anhänglichkeit und Ihre Hingebung, habe aber nicht die Absicht, Ihrem Glücke im Wege zu sein.«

»Mein Glück ist, immer in Ihrer Nähe zu sein! Ich brauche keinen Studenten. Und wenn ich Sie gestern bat, das Gespräch nicht mehr fortzusetzen, so nur darum, weil ich mich auch so grenzenlos glücklich fühle.«

Ilja Petrowitsch drückte Charlotte die Hand und fuhr etwas unruhiger fort:

»Offen gestanden, kann ich noch immer nicht verstehen, warum Sie sich darüber so aufregen. Alles wird beim alten bleiben, und ich bin überzeugt, daß meine zukünftige Gattin nichts dagegen haben wird, daß Sie bei uns wohnen bleiben. Ich habe schon mit ihr darüber gesprochen. Sie hat sogar den Wunsch, Sie kennen zu lernen.«

Charlotte Iwanowna schwieg.

»Ich glaube, daß diese Veränderung sogar zu Ihrem Besten ist: Sie haben soviel für mich getan, und der lächerliche Lohn, den ich Ihnen bisher zu zahlen imstande war, stand in gar keinem Verhältnis zu Ihrem Eifer und Fleiß. Nun bekomme ich eine Gehaltszulage, außerdem ist meine zukünftige Gattin nicht unbemittelt; wir werden also die Möglichkeit haben, unsere Erkenntlichkeit in vollerem Maße zu zeigen.«

Charlotte schwieg noch immer.

»Sehen Sie, ich bin so sehr um Sie besorgt, und mein Verhältnis zu Ihnen ist so selbstlos, daß ich Sie noch einmal an jenen jungen Mann erinnere: man soll sein Glück nicht so leichtsinnig verscherzen.«

Ilja Petrowitsch sah nach der Uhr.

»Ich freue mich sehr, daß Sie sich jetzt einigermaßen beruhigt haben. Unsere Beziehungen, die mir so teuer sind, werden dieselben bleiben. Zwischen uns besteht ja eine platonische Liebe, die nichts verlangt und ihr Glück darin findet, daß der geliebte Gegenstand existiert. Nicht wahr?«

Ilja Petrowitsch drückte Charlotte Iwanowna, die noch immer schwieg, freundschaftlich die Hand und verließ das Zimmer, ohne sich umzuwenden und ohne zu merken, daß seine platonische Freundin noch immer regungslos dasaß, den Blick auf ihre im Schoße gefalteten Hände gerichtet, ohne mit den Wimpern zu zucken und selbst ohne zu weinen.

 


 


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