Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

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IV.

Am Dienstag, den die Räuber bestimmt hatten, erwartete ganz Barssukowska schon in den frühesten Morgenstunden den angekündigten Besuch. Um seine Verachtung für die ungebetenen Gäste zu zeigen, zog Pjotr Trifonowitsch seinen ältesten Schlafrock an; dann ließ er sich alle Schlüssel geben, setzte sich in den runden Saal und vertiefte sich in die Lektüre des Almanachs auf das Jahr 1811, während Ilja Petrowitsch im »Emile« blätterte. Maschenjka blieb eingesperrt und schien an der allgemeinen Aufregung keinen Anteil zu haben. Gegen elf Uhr kam plötzlich Kusjka mit funkelnden Augen hereingestürzt und meldete, trotz des Ernstes des Augenblicks, sehr ehrerbietig:

»Sie kommen schon! Bei den Scheunen sieht man sie fahren!«

»Sind ihrer viele?«

»Vier Wagen voll. An die dreißig Mann. Lauter Dreigespanne.«

»Ist eine Kanone dabei?«

»Zu Befehl, ja!«

Es verging noch eine halbe Stunde in Schweigen. Endlich führte der gleiche Kusjka fünf Männer in den Saal. Sie waren als Bauern verkleidet, zum Teil mit Bärten und zum Teil bartlos, hatten alle Pistolen in der Hand und Larven vor dem Gesicht. Pjotr Trifonowitsch übergab das Tablett mit den Schlüsseln schweigend einem jungen, schlanken Mann, der die Hauptperson zu sein schien. Dieser verbeugte sich und sagte mit offenbar verstellter Baßstimme:

»Wir werden sie bald sämtlich zurückbringen.«

»Daß dich der Teufel!« entgegenete Barssukow. Ilja Petrowitsch legte seinen Zeigefinger als Lesezeichen in das Buch und hob seine kurzsichtigen Augen: er erwartete einen Streit. Der Mann sagte aber nichts, nahm alle Schlüssel zu sich und begab sich in die inneren Gemächer des Hauses, nachdem er an der Türe zwei Wachtposten mit geladenen Pistolen, deren Hähne gespannt waren, aufgestellt hatte.

Als die ungebetenen Gäste sich entfernt hatten, herrschte im runden Saale tiefes Schweigen; der hünenhafte Pjotr Trifonowitsch, der rote Flecken im Gesicht bekommen hatte und noch immer im gleichen Almanach auf das Jahr 1811 las, und der schmächtige Philosoph, der den »Emile« studierte, während über ihren Köpfen schwere Schritte dröhnten und vor der Türe bärtige Kerle mit Dolchmessern im Gürtel, geladenen Pistolen in der Hand und Larven vor den unbekannten Gesichtern Wache hielten, boten einen höchst seltsamen Anblick.

Man darf dem Barssukowschen Hausgesinde keine Vorwürfe machen, daß es sich so gleichgültig und sogar mit einer gewissen Sympathie für die unbekannten Räuber der Gefahr gegenüber verhielt, die nicht das Leben, sondern nur die Habe der Herrschaft bedrohte. Einige Greise, die zu nichts anderem taugten, machten sich zwar erbötig, ihr altersschwaches Blut für das herrschaftliche Hab und Gut zu verspritzen; aber die jüngeren waren mehr auf der Seite der kühnen Eindringlinge; weniger aus Haß gegen das Sklavenjoch, als aus purer Frechheit und in der Hoffnung, wenn auch nicht direkt von der Sache zu profitieren, so doch wenigstens von ihren Brüdern, für die sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Räuber halten durften, anständig mit Schnaps traktiert zu werden. Die unvermeidliche Strafe erschien ihnen in so weiter Ferne, daß diese Aussicht den Genuß des seltenen Schauspieles und selbst die Gefahr, die ihnen im Falle eines bewaffneten Zusammenstoßes drohte, nicht zu überwiegen vermochte.

Nach einiger Zeit, als drei Dreigespanne bereits den Hof verlassen hatten, erschien im runden Saal ein anderer Mann, der etwas kleiner gewachsen war und einen Bart hatte; er überreichte Pjotr Trifonowitsch das Tablett mit den Schlüsseln und sagte mit hoher Tenorstimme:

»Belieben der Herr nachzuzählen.«

Dieser zählte die Schlüssel ohne Übereilung nach und sagte: »Daß dich der Teufel!« als ob er alle anderen kräftigeren Ausdrücke verlernt hätte. Der Bauer winkte mit der Hand und ging, von den Leuten, die Wache gehalten hatten, gefolgt, hinaus. Bald darauf hörte man den letzten Wagen davonfahren. Jetzt gewann Pjotr Trifonowitseh seine Sprache wieder und machte seinem Zorn in einem Schwalle gewähltester Kraftausdrücke Luft. Dann ging er hinaus, um sich den Schaden zu besehen. Zu seinem größten Erstaunen hatten die Leute fast gar nichts angerührt und nur so wenige und wertlose Gegenstände mitgenommen, daß es überhaupt nicht der Rede wert war. Alle waren über die Dummheit der Räuber erstaunt. Als aber die Stunde des Abendessens kam und man dem Fräulein ihr Essen brachte, stellte es sich heraus, daß ihre Kammer leer war. Man meldete dies dem alten Herrn, worauf er in grenzenlose Wut geriet; er schlug sich mit der Faust auf die kahle Stirne und rief:

»Ich bin doch wirklich eine Vogelscheuche! Mit meinen eigenen Händen habe ich diesem Schurken und Freimaurer Iljitschewskij die Schlüssel ausgeliefert!«

Er ließ den bereits angeschnittenen Hammelrücken stehen und übernahm in eigener Person die Verfolgung, obwohl ihm IIja Petrowitsch zu beweisen suchte, daß man in den fünf Stunden, die zwischen dem Überfalle und dem Abendessen vergangen waren, so weit kommen könnte, daß jede Verfolgung völlig aussichtslos sei.


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