Michaïl Kusmín
Die grüne Nachtigall und andere Novellen
Michaïl Kusmín

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II.

Ländliche Zurückgezogenheit gleicht einem Vergrößerungsglase, indem sie jede Bagatelle in einem vergrößerten Maßstabe erscheinen läßt.

Die Schlägerei unter den Kindern und einige verdrießliche Worte waren schon ein hinreichender Grund zu Auseinandersetzungen.

Der Tag war regnerisch, und alle versammelten sich im Eßzimmer. Beide Väter, wie der Zivilist so auch der Militär, schämten sich ein wenig der übertriebenen Empfindlichkeit ihrer Frauen. Alle drei Kinder steckten die Köpfe zum gleichen Fenster in den Regen hinaus, wetteten, auf wessen Gesicht und auf welchen Teil des Gesichts der nächste Tropfen fallen würde, und tauschten feindselige Bemerkungen aus. Shenitschka saß mit den Erwachsenen am Tische und blickte fortwährend ins anstoßende Zimmer, wo ab und zu Shenjas grüngestreiftes Kleid vorüberhuschte. Jeden Augenblick knarrte die Türe, und das Dienstmädchen kam und ging. Die beiden Hunde bellten die Katze an, die auf die Kredenz gesprungen war und auf sie mit gesträubtem Fell, doch schweigend, herabsah. Der Zeisig schmetterte drauf los, Dorfweiber boten durchs offene Fenster Erdbeeren an, die Kinderfrau zog die Wanduhr auf, und wenn für einen Augenblick alles still wurde, so hörte man draußen durch das Rauschen des Regens hindurch Bauern schimpfen und Heuwagenräder quietschen.

Veronika Platonowna Bosketkin hielt Anna lwowna Poluklassow eine Tasse Milch hin und wartete anscheinend, daß die Dame endlich wenn nicht mit einer Entschuldigung, so doch wenigstens mit einer Erklärung herausrücke. Anna Lwowna hatte die gleiche lila Haube auf, die gestern so plötzlich auf der Glaskugel erschienen war, ohne sich viel darum zu kümmern, daß Lila ebensowenig zu Grün paßte, wie die Gegenwart zweier Mütter zu dem Stelldichein. Aber Anna Lwowna schwieg, und die Hausfrau begann nun selbst, indem sie auf die Seite blickte und sich Mühe gab, möglichst objektiv zu erscheinen:

»Kinder sind eben Kinder, und man kann, ja man soll ihren Worten keine Beachtung schenken. Wenn sie aber zu ihren Streichen von Erwachsenen angestiftet sind« (Anna Lwowna machte runde Augen und bekam plötzlich auffallende Ähnlichkeit mit ihrem Sohn, der sich in diesem Augenblick verlegen das Knie kratzte), »wenn sie nur die Worte der Erwachsenen nachsprechen und solche Ausdrücke gebrauchen . . .«

»Ja, was ist das für eine Redensart: Zivilbagage? Was bedeutet Zivilbagage?« fiel plötzlich Herr Bosketkin ein, während sich sein von einer hellen Weste umspannter Bauch wie ein Segel im Winde blähte.

Niemand gab darauf Antwort; draußen brüllte eine Kuh, der Zeisig zwitscherte, die Uhr schlug elf, und die Kinderfrau sprang mit den Pantoffeln schlappend vom Taburett und erklärte: »Jetzt ist sie in Ordnung!«

»Du kannst gehen! Was fällt dir plötzlich ein, dieses Altertum aufzuziehen?« bemerkte Dmitrij Petrowitsch und wiederholte darauf seine Frage, doch mit viel weniger Effekt:

»Ich frage, was heißt Zivilbagage?«

Die Kinderköpfe im Regen platzten beinahe vor Lachen. Die Erwachsenen schwiegen empört. Maschuk, die die tapferste war, gellte:

»Jetzt hat es dem Saschuk auf die Nase getropft!«

»Teufel!« brummte Dorimedont mit seiner Baßstimme.

»Entsetzlich ungezogene Kinder!« bemerkte Frau Poluklassow, sich von ihrem Platze erhebend.

»Es sind auch die Ihrigen dabei«, entgegnete Frau Bosketkin und gab ihrem Mann einen Wink. Dieser zog seinen Bauch etwas ein und sagte mit noch viel weniger Effekt:

»Marsch in den Garten! Es regnet nicht mehr.«

Die Hunde faßten diese Worte wie ein Kommando »Rührt euch« auf und begannen zu bellen. Die Kinder schienen dagegen taub zu sein. Shenitschka packte seine Schwester von rückwärts und zog sie vom Fenster fort. Maschuk schrie wie am Spieß und strampelte mit den Beinen, die in karierten Strümpfen steckten und bis über die Knie hinauf sichtbar wurden; worüber sich die Jungens unbändig freuten. Jemand schlug heftig die Türe zu, der Wandteller fiel herab (es war ein ganz gewöhnlicher Teller mit einer blauen Windmühle, den die Bosketkins, man weiß nicht warum, an die Wand gehängt hatten), die Hunde sprangen endgültig hinaus, und Anna Lwowna nahm ihre lila Haube ab und sagte:

»Es ist so furchtbar schwül!«

Die hinausgeworfene Maschuk schrie bereits im nassen Grase, Saschuk schmiß die Tellerscherben umher, Dorimedont schämte sich, die Hunde bemühten sich, Herrn Poluklassow die Nase zu lecken, und dieser letztere, einem verbogenen Holzspan aus einer Kuchenschachtel nicht unähnlich, beteuerte, daß er, obwohl er selbst bei der Kavallerie gedient habe, auch die Verdienste eines Zivilbeamten zu würdigen wisse. Veronika Platonowna erwartete noch immer im allgemeinen Stimmengewirr, daß Anna Lwowna sich endlich entschuldige.

»Nehmen Sie vielleicht noch eine Tasse Milch?«

»Sie entschuldigen: es ist zu schwül.«

Die Hausfrau blickte zerstreut zum Fenster hinaus, wo unter einer schwarzen Regenwolke die Wiese in den Strahlen der neuerschienenen Sonne in giftigem Grün leuchtete.

»Wollen wir ein wenig spazieren gehen?«

»Shenitschka, wir gehen!«

»Sofort, Mama! Geht nur voraus! Ich suche meine Pfeife!«

Viel grüner als die Wiese war das gestreifte Kleid, das ins Zimmer huschte, sobald die Haustüre ins Schloß fiel.

»Deine Pfeife, deine Pfeife! Du Scheusal! So suchst du deine Pfeife?«

Sie standen beide an der Schwelle und küßten sich lachend nach jedem Worte. Die Uhr schlug zwölf, eins, zwei!

»Kinderfrau! (Kuß) Kinderfrau! (wieder) Was hast du . . . (drei Küsse) mit dieser Uhr gemacht . . .« (der süßeste!).


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