Egon Erwin Kisch
Zaren, Popen, Bolschewiken
Egon Erwin Kisch

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Republik Grusien – ein Maskenball

Der Dekoration kann man uneingeschränktes Lob spenden, die zur Verfügung stehenden Räume (sie erwiesen sich übrigens als viel zu klein) konnten nicht stilvoller zu einem Karnevalsfest unter der Devise »An der Grenze Asiens und Europas« adaptiert werden. Die Prospekte des Hintergrundes: wildester Orient. Droben auf dem schroffen Steine raucht in Trümmern eine verfallene Perserfestung, parallel zu ihren Wällen lagert kahler Basalt; dachlose Häuser mit geflochtenen Balkonen versuchen hinaufzuklettern, die Fronten kaum auf Breite einer Elle einander gegenüber; fast senkrecht und mit schlechten Stufen versehen sind diese Gäßchen, Armenierklöster mit Pyramidenkuppeln und das Filigranwerk von Minaretts richten sich empor zwischen den Häusern vom Fels ins Tal, bis an einen romantisch gemalten, Wassermühlen treibenden Strom hinab, der die Sehne des Hügelbogens bildet, und über ihn hinaus aufs andere Ufer. Das Diorama des Zentrums hingegen, die Räume, auf denen sich das Fest abspielen sollte: ganz europäisch, mit gepflasterten breiten Straßen und Plätzen, mit Denkmälern von Puschkin, von Rosa Luxemburg und dem Revolutionär »Kamo«, recte Petrusiansk, der einst Bomben gegen einen Geldtransport geschleudert hat und den Raub für politische Zwecke verwendet, und mit einer runden Garnisonkirche, deren jetzige Bestimmung als Klub der Jungkommunisten durch den roten Drudenfuß auf dem Turmknauf manifestiert wird; die Aufschriften der Geschäfte und Ämter in der seltsam ornamentalisierten Runenschrift der Grusier oder in den Lettern der russischen Azbuka.

Das Vergnügungsprogramm: reichhaltig und streng im Stile 298 eines Treibens, das sich an der Grenze Europas und Asiens entfaltet. Auf etwas erhöhter Pflasterung reihten sich offene Buden mit seltsamen Waren, breite Portale türkischer Bäder lockten zum Eintritt, für Spazierfahrten durch den bunten Trubel waren offene Straßenbahnwaggons vorbereitet, und eine Drahtseilbahn führte auf den höchsten Punkt, den Davidsberg, wo Partner und Partnerin allein sein konnten oder das Gewoge des Festes betrachten.

Masken und Kostüme: so exzentrisch man sie auch finden mag – keiner darf ihnen die Anerkennung versagen, daß sie echt waren bis zum i-Tüpfelchen. Nicht von jenen Gästen sei gesprochen, die, humorlos genug, im Straßenanzug kamen und sich damit begnügten, durch Gebrauch der russischen Sprache sozusagen das große Vaterland zu verkörpern. (Trotzdem hatten selbst sie als Maske nicht die breiten, slawischen Profile der autochthonen Russen gewählt, sondern die von Armeniern, brünette, schärfere Züge, breite, oft schwulstige Lippen und geradezu negroiden Teint.)

Eine sehr, wenn auch unfreiwillig komische Gruppe bildeten die Imeretier und Mingrelier, auf dem Golowinski-Prospekt stolzierten sie geschniegelt und gebügelt in tscherkessischer Tracht umher, mit dem braunen oder bordeauxroten, auf Taille gearbeiteten, geschweiften Rock, mit dem niedrigen Stehkragen und den zur Aufnahme von Patronen plissierten Brusttaschen, den blauen, anliegenden, knopflosen Reithosen in hohen, über Ledersocken angezogenen Stiefeln ohne Sohle; aus dem Stiefelschaft schaute des Dolches Horngriff hervor, den Säbel mit oxydierter Scheide hielt ein dünner Ledergürtel, von dem glatte, silberne Anhängsel baumelten; tief in die Stirn dieser Kosakenmasken gedrückt war ein nach unten zu abgestutzter Kegel aus Pelz; Schnurrbart und Stiefel, vielleicht mit der gleichen Pasta?, tadellos gewichst.

Grusier waren anwesend mit Sturmkappen, im roten oder weißen Baschlik aus Kamelhaar, dessen Zipfel nach vorn über die Brust fielen – die Kartaliner hatten runde Filzkäppchen auf das Schädeldach gepreßt, und Hosen, flatternd breit – Kachetiner, aus der Gegend des guten Weins, steckten in Röcken, 299 bis an die Knie reichend und mit einer dichten Allee von Knöpfen bepflanzt, und auf dem Kopf trugen sie Pyramidenmützen aus Schaffell, aus deren eingeknicktem Scheitelpunkt sie im Bedarfsfalle die Geldbörse hervorholten – wild erschienen die Kurden auf dem Plan, dunkel das Gesicht, als wären sie Hindus, offen die Brust, grelle Schärpen um den Leib – tatarische Frauen, alte und junge, und Kinder, alle mit gefärbten Haaren (schade, daß nicht Tataren aus Aserbeidschan dabei waren, die auch ihre Pferde und Esel färben, so daß man auf den Straßen Bakus Tieren mit roten und grünen Mähnen begegnen kann!). Von den Persern, die seit den Feldzügen der Khane in Georgien bei keiner Revue der Völker fehlen dürfen, hatten sogar die Männer rot gefärbtes Haar und waren eingehüllt in dunkle Kaftane – ältere grusinische Damen kamen in grauem Seidentuch und Schleier und hielten einen schweren Stock, nicht um sich zu stützen, sondern um ihre Würde als Herrin zu zeigen – Türkenfrauen, ein wenig verschleiert oder vom Kopf bis zur Sohle in Leinentücher gewickelt – Griechen und Jesiden setzten die allerbuntesten Flecken in das wahrlich bunte Trachtengewoge: Frauen in roten Pluderhosen, kanarienvogelgelben, seitlich offenen Böcken (oder Schürzen), als Hut einen rot umkleideten Zylinder aus Pappe, auf dem Münzen aus Gold hingen, Spielmarken und Glasperlen oder ein orangerotes Jeton mit dem Monogramm »C. Z.«, Casino Zoppot, wie mag das wohl nach Tiflis kommen? – Derwische in langen Mänteln und struppigen Bärten – Bergjuden aus Kutais, hochgewachsen, mit breiten, eher auf- als abwärts gekrümmten Nasen, wer weiß, sie können die einzigen Arier dieser europäisch-asiatischen Bezirke sein! Die Sensation aber bildeten sicherlich die Kewsuren und die Pschawen, im Kettenpanzer über den ganzen Körper und das halbe Gesicht; sie sind in der Stadt zu sehen, wenn sie einen Grenzstreit bei den Behörden auszufechten haben, oder beim Umzug am 1. Mai, da stehen sie im Harnisch stolz auf ihrem Traktor und versinnbildlichen Mittelalter und allerneueste Zeit, Wildnis und Kultur. – Der Berichterstatter war nicht imstande festzustellen, welche Volksstämme die übrigen Masken repräsentierten, ob Assyrer (richtiggehende Nachkommen der alten ehrlichen 300 Assyrer, die während des Krieges hierher flüchteten), Adscharen, Abchasen, Ossetiner, swarische, kirinische oder darginische Lesghier aus Daghestan, Tschetschenzen, Kisten und Inguschen aus der autonomen Republik Nachkraj, Tuschen, Swaneter, Tscherkessen, Kirgisen, Kalmücken, Baschkiren, Kartolli oder gar Polen und Württemberger Schwaben – und was sonst noch alles an exotischen Namen in der Präsenzliste eingetragen war.

Natürlich stellten die Gruppen nicht bloß Nationen dar, sondern auch markante Berufe. Man bemerkte u. a. viele Muschahs, die, mit dem teppichbedeckten Stützpolster auf dem Rücken, Aufträge suchten, eine Last zu schleppen; Hirten in perückenartigen Ziegenfellmützen, deren lange Zotteln ihnen über die Schulter fielen; Daghestaner Gebirgsbauern in der »Berka«, einer unendlich weiten ärmellosen Umnahme aus hausgemachtem Preßfilz, in der man reitet, in die eingewickelt man auf bloßem Erdboden nächtigt, oder die man als Zelt aufstellt (hierbei vor Schlangenbissen gefeit, weil Schlangen über Filz nicht kriegen können). Treiber mit weinschlauchbeladenen Eseln machten ihre derben Scherze, die knabenhaften Lenker der Milchkarren tuteten, die Kinto balancierten Riesenteller mit Früchten und Fischen auf dem Kopf durch das Gestoße und Geschiebe, Bäcker und Trakteure ließen ihre Werke entstehen, Händler priesen an, Derwische, barfüßig, in langen Mänteln drängten Amulette auf, und Bettler wimmelten umher, uralte und blutjunge, mehr als man je im afrikanischen oder asiatischen Orient zu Gesicht bekam.

Durch keinen Zwischenfall wurde die Festesfreude gestört, wie denn überhaupt das seit einigen Jahren wirkende Komitee alle zwischen den einzelnen Gruppen früher ununterbrochen vorgekommenen Reibereien vollständig aus der Welt geschafft hat.

 


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