Egon Erwin Kisch
Zaren, Popen, Bolschewiken
Egon Erwin Kisch

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Seltsames Gehaben eines türkischen Bademeisters

Der nackte Türke, nichts als ein Lendenschurz umgürtet ihn, übergießt dich, dieweil du nackt auf marmornem Diwan liegst, mit einigen Scheffeln des heißen Wassers, das im steilen Bogen in die Wanne strömt. An den süßlichen Geruch des Schwefels, der an faule Eier und ähnliche Düfte erinnert, ohne unangenehm zu sein, hast du dich allmählich gewöhnt. Du spürtest ihn von weitem, als du den Schaitan-Maidan emporklommst, den Teufelsmarkt, gegen die Perserfestung zu, die zerfallen ist, aber immer noch schwer zu erfassen: mit unbewaffnetem Auge kann man nicht sehen, wo die Zitadelle beginnt und wo der kahle Felsen aufhört. Hier hat der georgische Zar Wachtang Girgaslan die wohltätigen Quellen entdeckt, immer sind es ja die Kaiser, die so etwas entdecken, ein gewöhnlicher Sterblicher kommt gar nicht dazu – Karlsbad und Aachen haben die gleiche Geschichte. Zar Wachtang Girgaslan befand sich also mit seiner Lieblingsfrau auf der Jagd, der Wind riß der Zarewna den Schleier fort, Hunde nahmen die Verfolgung auf. Plötzlich schlugen die Rüden an – man kennt das aus dem Lesebuch – Schwefel. Jedenfalls, der Schwefel ist nun einmal da und inmitten der verfallenen Häuser mit den morschen Holzbalkonen stehen kleine Bäder und große, die Moscheen gleichen, das Wasser fließt aus dem Felsen in warmem, dickem Strahl und unten hocken Frauen, Röcke und Hemden hoch aufgeschürzt und mit gegrätschten Beinen – hat man je so etwas gesehen – nur der Mund ist keusch verschleiert – sie waschen ihre Wäsche und ihre Teppiche in dem natürlich-heißen Wasser, das seinen Weg durch eine Wanne genommen hat. 208 Wir sprachen aber von dir und dem nackten Türken mit dem Lendenschurz, der dir eben einige Scheffel des heißen Wassers über den Leib gegossen hat und seine hohle Hand auf deinen Körper klatscht, daß es in den gewölbten Räumen wie Donner widerhallt. Nachdem du dich auf den Bauch gelegt hast, entlockt er deinem Rücken die gleichen dröhnenden Wirkungen, aber ehe du darob staunen kannst, hat sich der Moslem auf dich gestellt, als wärest du eine Gebetmatte, dreht sich oben in rhythmischen Bewegungen, dreht sich auf seinen Fersen, fühlt sich sauwohl auf deinem Rückgrat und hüpft vergnügt von einem Bein aufs andere. Du möchtest ihn aufmerksam machen: hallo, das ist meine Wirbelsäule!, jedoch er würde dich nicht hören, denn der Kerl singt, bei Allah, er singt, Schreibtafel her, ich muß es niederschreiben, daß einer dem andern die Wirbelsäule zertrampeln und dabei singen kann. Endlich verläßt er deinen Revers, aber nur um mit seiner Ferse in deine Kniekehle ein Loch zu bohren. »Wollen Sie sich nicht doch lieber wieder auf mein Rückgrat begeben?« will man ausrufen, zum Glück steigt er von selbst ab, prügelt deine Waden, tritt dich in die Schienbeingegend, genug, genug! du bist bereit, den gewünschten Mord einzugestehen, gewiß, ich habe das Kind geschlachtet – jetzt will er deine Knöchel, die du zeitlebens am richtigen Orte glaubtest, dorthin drehen, wo sich der Rist deines Fußes befindet; ach, ich habe das Kind nicht nur getötet, ich habe es auch vorher gemartert – und nun ist er an deiner Fußsohle, knetet und kitzelt sie, au, au! ich gestehe alles, ich habe nicht nur das gewünschte Kind getötet, sondern auch alle andern Kinder unserer Stadt, ich habe sie aufgegessen, hör' nur auf mit dieser Bastonade, edler Sohn Mohammeds, (beiseite!) verfluchter Hurensohn!

Warum schaukelt er deine Arme nicht in vernünftigem Auf und Ab, wie es sonst Masseure tun, auch die in den Schwefelbädern von Tiflis-Schönau oder Trencsin-Tiflis, warum bringt der vermaledeite Kümmeltürke das Muskelwerk aus seiner gewohnten Federung, was hat die Muskularis bei der Axillaris zu suchen? Was haben ihm die unschuldigen Brustwarzen getan, was der Nabel, was der Bauch, was . . . ach, womit ihr sündigtet, 209 damit werdet ihr bestrafet werden . . . Schon umklammert er deinen Hals, du bist gefaßt. Es sei! Besser, als länger diese Qual zu dulden, stumm willst du sterben. Er aber ist es, der schreit, er schreit wie ein Berserker, während er dich beklemmend umhalst. Warum brüllt er? Erst nach und nach begreifst du, daß er über alle Korridore hinweg einem andern Folterknecht eine Botschaft zurufen will, die türkisch ist und daher für die Ohren eines Giaur nicht verständlich. Der Nacken wird malträtiert und die Schultern, indes die Ohren Geschrei zu erleiden haben.

Wer hat diese Prozedur erdacht? Schreibt Alkoran sie vor, sind es fünfzig Suren, deren jede eine andere Pose angibt, ähnlich den Sonetten Aretinos, oder ist sie ein überlieferter Ritus flagellantischer Priester oder der Rest eines Gemeinschaftstanzes, muß sich jeder Muselmann solcher Marter unterziehen, hoch und nieder, Kaiser und Knecht – ich möchte nicht der Sultan sein!

Jetzt kommt etwas ganz Wunderbares. Der nackte Türke mit dem Lendenschurz war eigentlich nicht ganz nackt: er hatte über die rechte Hand ein Säckchen (»mein Reibsackel«, sagt der Wiener) geschnallt, und holt nun einen zweiten Sack herbei, einen großen, den er mit heißem Wasser füllt, bis er prall ist, und schüttelt ihn und schwenkt ihn hin und her und schlägt dir plötzlich den Inhalt gegen den Leib. Aber siehe da, es tut nicht weh, es ist Seifenschaum, riesige Knollen, sie bedecken dich vom Scheitel bis zur Sohle, du erkennst dich selbst nicht in diesem Kostüm von irisierenden Kugeln, die einander den Platz streitig machen, gegeneinander anrennen, platzen oder einander verdrängen, daß von deinen Füßen aus ein dicker, weißvioletter Teppich von Blasen den ganzen Raum erfüllt. In der Mitte stehst du: ein schaumgeborener Venus. Unbarmherzig tappt der Türke in das opalene Gas, unbarmherzig zerschlägt er es an deinem Körper und in deinem Haar, an den Schläfen, am Schädel und in den Achselhöhlen und verreibt die Reste. So. Nun darfst du in das Bassin, das daraufhin überfließt, damit die hochgeschürzten Weiber da unten Wasser für ihre Felsbettwäsche haben; du mußt dich genau unter den Strahl setzen, der heiß und straff aus den Rohren strömt, du mußt – oh, wie schmerzt die Bastonade – 210 deine Fußsohlen darunterhalten, den Kopf, die Schulterblätter, alles je fünf Minuten, die Haut rötet sich, weh tun die Poren, der Sultan ist ein armer Mann, lebt er nach seinem Alkoran . . . Gerne bliebest du noch ein Weilchen in der Wanne, jedoch das darfst du nicht, der Türke hat Eile, er wickelt dich in ein Tuch und trocknet dich ab – nicht anders, als die Bediensteten aller andern Dampfbäder den Gast »abzutrocknen« pflegen: ein Klatsch auf den Bauch, ein Klatsch auf den Steiß, fertig! Der Rest ist dir überlassen, der nackte Bademeister packt seinen Sack mit Seifenschaum zusammen, hält dir die linke Hand hin, über die kein Reibsack gespannt ist, fünfundsiebzig Kopeken hat er zu kriegen; du gibst ihm einen Rubel, da murrt er und gestikuliert, bis du noch zehn Kopeken zugelegt hast. Früher hättest du ihm gern mehr gegeben, daß er aufhöre. Er gürtet das Tuch fester um seine Lenden, neigt sich dreimal bis auf die Erde und geht, um andere zu beglücken.

Du aber, endlich allein, vollendest die Abtrocknung, schiebst das Handtuch zwischen die Zehen, hinter die Ohren, in die Nase, in alle Öffnungen – es bleibt rein wie es war, so sauber, Freund, warst du noch nie. Mit diesem Gefühl legst du dich auf den zweiten marmornen Diwan, den trockenen, steckst dir eine Zigarette an, süßliche Schwefeldämpfe umspielen dich, und im angenehmen Halbschlummer wünschst du: ich möchte doch der Sultan sein. Siehste woll!

 


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