Egon Erwin Kisch
Zaren, Popen, Bolschewiken
Egon Erwin Kisch

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Petruschka und Wanjka-Wstanjka

Petruschka, Petruschka, wenn ich zur Gruppe der linksrevolutionären Literaten gehörte, die mit der Laterne bei schneehellem Tage nach Kleinbürgern suchen, Petruschka, Petruschka, dann ginge es dir schlecht! Dann schleuderte ich zweiundzwanzig Thesen gegen dich und eröffnete eine jener Debatten, die so lange währen, bis alle Diskussionsredner tot sind, und manchmal auch der, über den man diskutiert. Dann wärest du also mausetot, Petruschka, Petruschka, und könntest nicht einmal sagen, daß du unverdient gestorben seiest. Denn du bist ein Gegenrevolutionär, Petruschka, nichts mehr und nichts minder.

Nicht etwa, weil du dich, gleich da der Vorhang hochgeht, als ein Parasit entpuppst, der, faul wie der selige Oblomow imperialistischer Ära, sich im Bett wälzt, ja, von einem Neger in Livree bedient wird (obwohl schon das in einem Staatswesen der Werktätigen unzulässig ist). Auch nicht, weil du einen ausgesprochen individualistischen Schriftsteller, den Fabeldichter I. A. Krylow, einen großen dicken Herren mit hellblauem Biedermeierrock und Ratsherrenstock, als Patron des Hauses vorstellst und das Publikum veranlassest, ihn aus vielen hundert Stimmchen mit »Sdrawstwujte, Iwan Andrejewitsch« zu begrüßen. Nein, nicht deshalb, sondern – – –

Was ist das überhaupt für eine monarchistische Angelegenheit, die Fabel von der Erbsenprinzessin, he, Petruschka? Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, und selbiger Sohn verliebte sich in ein fremdes Mädchen, das aus einem fernen, fernen Reich namens Deutschland gekommen war und angab, des dortigen Königs Tochter zu sein. Des verliebten Königssohnes Mutter aber hat noch nie etwas von einem Reich namens Deutschland gehört, glaubt auch nicht an die Geschichte von der hohen Herkunft, 250 und um die präsumptive Schwiegertochter der Lüge zu überführen, der unverwöhnten Jugend und rauhen, empfindungslosen Haut, legt sie eine Erbse auf das Bettgestell, darüber eine himmelblaue Matratze, darüber eine damastweiße Matratze, darüber eine rosenrote Matratze, darüber eine smaragdgrüne Matratze, darüber eine dunkelviolette Matratze und hoch hinauf eine goldene Matratze. Und nun wird es dunkel, mit einer brennenden Kerze kommt die junge Dame in ihr Schlafzimmer, entzündet die sechs Lichter des Kronleuchters und löst ihre blonden Zöpfe, dabei in deutscher Sprache das Lied von der »Loreley« anstimmend, woraus die Königinmutter die deutsche Abstammung des Mädchens erkennen könnte, wenn sie bei diesem Coucher anwesend wäre. Solches aber ist nicht der Fall, ganz schwiegermutterseelenallein verlöscht die Königsbraut alle Kerzen und legt sich auf die sechs Matratzen – um entsetzt aufzuschreien, denn etwas drückte ihr süßes Popotscherl: eine Erbse am Grunde der Matratzengruft! Da erkennen alle, daß sie eine Fürstentochter ist von reinstem Geblüte, die mißtrauische Schwiegermama gibt ihren Segen, Prinz und Prinzessin heiraten, und wenn sie nicht gestorben sind, so gehören sie alle auf den Galgen, bevor sie um die Fürstenabfindung einkommen. Petruschka, Petruschka, willst du dich um deinen Hals spielen?!

Oder soll ich gar den Inhalt des Gespräches wiedergeben, das der Schoßhund mit dem Wächterhund führte? Wie sich der rauhe Köter mit dem Riesenschwanz darüber beklagt, daß er in Frost und Nacht das Haus beschützen muß, während der Pinscher im silbernen Fell behaglich auf dem Diwan ruht? Und die Antwort des Pinschers (geradezu eine Apologie des arbeitslosen Einkommens): Auch Schönheit habe ihren Wert und müsse belohnt werden. Nein, nein, darüber wollen wir erst gar nicht sprechen, sonst geht's dir schlimm, Petruschka, Petruschka, G. P. U. sind die Anfangsbuchstaben von Gospodin pomiluj usobschich, »Herr, erbarme dich der Toten!«

Was könntest du zu deiner Verteidigung sagen? Daß dein Publikum Kinder sind, die nicht verstehen, was ein Prinz und ein Schoßhündchen und ein Lakai sind? Nein, nein, Petruschka, du hast auch eine Gemeinde von Erwachsenen, Zuhörer aus der 251 Zeit der Prinzen, Schoßhündchen und Lakaien. Ich sah dich einmal im Haus der Vegetarier spielen, vor alten Herren mit abendfüllenden Umhängebärten und mit apostolisch gescheitelter Mähne, bereit zur Aufnahme des Glorienscheines, Heilige und Narren, die da glauben, durch Grasfressen und Gottergebenheit könne man Tyrannei, Ausbeutung, Massenmord und Not aus der Welt schaffen, und dir begeistert Beifall klatschten, Petruschka, Petruschka!

Die Ausrede, daß du in einem dreiaktigen Spiel auch zwei Zarengenerale verspottest, die sich auf einer Insel nicht zu helfen wissen und schließlich durch einen Bauer vom Hungertode errettet werden, diese Ausrede würde dir nichts nützen, denn die harmlose Satire stammt aus der kaiserlichen, der schrecklichen Zeit, von dem bürgerlichen Dichter Saltikow-Stschedrin.

Aber ich weiß, was dir helfen würde, und ich glaube, du weißt es selbst, Petruschka, Petruschka: es würde dir helfen und hat dir geholfen, daß dein Theaterchen das entzückendste und reizendste von ganz Moskau ist, trotz Stanislawski, trotz Meyerhold und trotz Gabima! Der Bildhauer Jefimow hat dich und dein Ensemble so wunderbar aus Holz geschnitzt, und die Malerin Simowa dich und dein Ensemble so herzig und witzig bekleidet und bemalt, und beide wissen mit euch so prachtvoll zu agieren, daß man dir nicht böse sein kann, Petruschka, Petruschka. Voll von Einfällen ist die Regie! Zum erstenmal erblickt man zum Beispiel einen lebenden Menschen auf der Puppenbühne, eigentlich steht er nicht auf der Bühne, sondern dahinter, und nur der Oberkörper ist sichtbar: es ist Gulliver im Lande der Zwerge. Männlein kribbeln auf ihm herum. Nicht sie sind klein, sondern er ist übermenschlich groß; so ungeheuer wirkt er auf das Publikum, wie er auf die Zwerge wirkt, und die Relativitätstheorie des Puppentheaters, die Heinrich von Kleist aufstellte, bekommt eine neue erstaunliche Bestätigung. Am Schlusse fängt das ganze Ensemble närrisch zu tanzen an – du, Petruschka, mit der alten Königin – der Königssohn mit dem Seidenpinscher – der Fuchs mit dem Kranich – der Gewerkschaftsführer aus dem Zwergenreich mit dem Riesenschwanz des Wächterhundes – die Königstochter allein, Pirouetten machend, daß die Pawlowa, die 252 Karsawina und die Gelzer vor Neid erblassen müssen – und der schwarze Lakai, der keine Partnerin bekommt, aus Verzweiflung mit dem Vorhangtuch, immerfort stolpernd.

Du hast die vielhundertjährigen Traditionen des russischen Puppentheaters stark modernisiert. Du hast statt des Pferdes und des Teufels, die auf den Bauernbühnen mit dir gemeinsam spielten, Menschen hingestellt, das ist gut, Petruschka! Aber du stelltest Menschen aus einer alten Welt hin, und den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, das ist nicht gut, Petruschka! Du mußt noch weiter gehen, obwohl dir keine Gefahr droht von der G. P. U., denn der Bürgerkrieg ist schon vorbei und man läßt dich aufführen, was du willst, man weiß, daß deine Bewegung nicht weiter reicht als eine Spanne, die Spanne zwischen den beiden menschlichen Fingern, die in den Ärmeln deines Kostümes stecken, und daß du kein gefährlicher Gegenrevolutionär bist, sondern nur Petruschka, Petruschka, das russische Kasperl.

*

Auch in dem ständigen staatlichen Puppentheater auf der Uliza Kropotkina werden ziemlich unziemliche Dinge vorgeführt, Boxkämpfe zum Beispiel, die in Rußland verboten sind, Akrobaten, die sich eine Zeitlang nur im Rahmen des ernsten Schauspiels betätigen durften, treiben dort Schabernack, Schlangenmenschen wickeln sich auf der Bühne zusammen, ein mondänes Tänzerpaar zeigt seine Künste, Athleten werfen Gewichte in die Höhe und eine mutige Dompteuse legt einem Löwen ihr Köpfchen in den Rachen. Das Spiel ist stumm, die Figuren bewegen sich auf Drähten, aber sie sind mit derart kunstvoller Mechanik ausgestattet, daß die Symmetrie ihrer Gliederverrenkungen helles Entzücken erregt.

»Kinder, besucht euer Theater«, so steht es mit großen Buchstaben an allen Straßenecken, für jene, die noch nicht lesen können. Und am Sonntagmittag besuchen die Kinder »ihr Theater«, Eintrittspreis wird nicht erhoben, der obdachlose Betteljunge kann einen Platz in der ersten Reihe bekommen, und das sorgsam verpackte Zärtelkind muß oft hinten vorliebnehmen, wo man gar nichts sieht, denn auch in den vorderen Reihen hält das 253 Publikum nicht still, alles steht auf, gestikuliert und feuert die stummen und tauben Schauspielerchen durch begeisterte Zurufe an. In ihrer Gemischtheit haben diese Zuschauer doch etwas Gemeinsames: sie sind die Oktobrinen Moskaus, die Kinder, die seit jenem Oktober geboren sind, in dem man das Kapital verjagte, und die Beamtenschaft und die Offiziere und die Gesetze und die Nonnen und die Gendarmen und den Herrgott und tausend andere Dinge, von denen diese Kleinen nunmehr keine Ahnung haben. Sie haben merkwürdige Namen, heißen Ninel, was die Umkehrung des Wortes Lenin ist, unzählige Mädchen führen den Doppelnamen Rosa-Luxemburg, ebenso wie Knaben mit dem Vornamen Karl-Liebknecht benannt sind; Oktobrina (nach dem Oktober 1917) und Maia, nach dem 1. Mai überhaupt, Remira (Abkürzung für Revoluzioni Mir, Revolutionäre Welt) oder Rima (Abkürzung für Revoluzioni internazionalni maladjoj, Revolutionäre internationale Jugend), Ana (Abkürzung für Anarchie) und Uta (Abkürzung für Utopie) sind häufige Mädchennamen, sehr viele Knaben heißen Kim nach den Anfangsbuchstaben der Kommunistischen Internationalen Jugend (Molodesch), oder Revo, der ersten Hälfte von »Revolution«. Nach der Riesenpropaganda für die Traktorenwirtschaft und die Elektrifizierung Rußlands nannten einige Bauern ihre Töchter Traktora oder Elektrifikazia. Knaben führen den Vatersnamen Lenins »Ilitsch«, also z. B. Ilitsch Petrowitsch, was soviel wie: Sohn des Ilja und Sohn des Peter bedeutet. Viele Mädchen wurden »Prawda« genannt, was zwar »Wahrheit«, aber auch der Titel einer Moskauer Zeitung ist, und einige Eltern veranlaßte, ihr nächstes Töchterchen nach der andern Zeitung zu rufen: »Iswestija« – Nachrichtenblatt. (Wenn nur nicht die dritte Tochter konsequenterweise den Namen »Wetschernaja Moskwa« – »Moskau am Abend« – bekommt.) Ähnlich wie es in der französischen Revolution war, haben antike Helden wie Spartakus, Gracchus oder Junius Patenstelle vertreten (auch Anarchasis fehlt nicht), und geistige Heroen wie Giordano, Galileo oder Leonardo.

Diese Jugend mit den historischen Namen und mit der Ahnungslosigkeit von den historischen Dingen, die sich rings um ihre Geburt abgespielt haben, jauchzt und jubelt und klatscht 254 einem europäischen Varieté zu, das auf ihrem Theater vorgeführt wird. Sie wissen nicht, daß dieses ihr Theater einmal Besitz und Vorrecht reicher Kinder war, daß viele der Marionetten aus dem Kreml stammen und aus den Adelsschlössern in der Krim, und daß ein vierjähriger Herr Graf kaum ein paar Wochen lang damit tändelte, worauf das Theaterchen mitsamt dem Ensemble in die Bodenkammer geworfen wurde.

Ungeheure Mengen alten Spielzeugs sind der Masse zugänglich gemacht worden. Aus dem Zarenschloß Livadia in der Krim trafen nicht weniger als vierzig Pud, also fast 650 Kilogramm kostbarer Spielwaren beim Kindertheater in der Uliza Kropotkina ein, wo manches in die Künstlertruppe eingereiht, das meiste an Kinderheime und Familien verteilt und das kultur- oder kunsthistorisch Wichtige in den Vitrinen angeordnet wurde, die das Theaterchen umgeben, und ein Puppenmuseum bilden, das mehr ist als ein Puppenmuseum: eine miniature Darstellung des Unterschiedes zwischen dem Spiel des reichen und des armen Kindes.

Für die Prinzen, nicht für die des Märchens, sondern für die leibhaftigen, für die kleinen Romanows, Dolgorukows, Bolkonskis, Trubezkois gab es Spielsachen, die kein Märchenerzähler erfinden kann. Im Puppenmuseum staunen jetzt Proletarierkinder diese Herrlichkeiten an, aber auch der Erwachsene wundert sich. Eine Puppenwohnung zum Beispiel mit einem Klavier, das, aufgezogen, Melodien aus »Eugen Onegin« spielt, mit einer Standuhr unter Glassturz auf dem Kamin, die kaum drei Zentimeter groß ist und regelrecht die Zeit ansagt, mit einem Spind, in dem Wäsche für die Puppen geordnet liegt, mit himmelblauen oder blaßroten Schleifen, ganz zu schweigen von den Schränken, in denen Morgenkleid, Reitgewand, Straßenkostüm und Abendtoilette für Fräulein Puppe hängen, und von den geschnitzten Möbelstücken. Oder ein Panzerfort mit drehbaren Geschütztürmen, gebrauchsfähigen Kanonen, weithin blitzenden Scheinwerfern und einer Besatzung von einigen hundert Mann, die auch nicht von Pappe sind, sondern aus Zinn. Oder ein Gartenhaus im Empirestil, einen Meter hoch, worin das dreijährige Prinzchen seine Freundin empfangen konnte, früh krümmt sich, was ein Fürstchen werden will. Oder ein Theater mit Kulissen und Soffitten 255 und Souffleurkasten, und mit gelenkigen Akteuren, wie sie eben beim Spektakel mitwirkten. Oder das Puppenporzellan, ein Service, das drei Regale eines breiten Glasschrankes füllt, so winzig die einzelnen Stücke auch sind: eine lange gedeckte Tafel, auf der nichts fehlt, nicht die Servietten und Gläser, nicht die Karaffen und Teller, nicht die Champagnerflasche mit dem Sektkübel, die Weinflaschen und die Römer, nicht der Samowar und die Teetassen (mit goldenem Überfang), nicht die Suppenterrine und die Löffel, nicht ein gebratener Schweinskopf, nicht Hühner, Fische Gurken, Pudding, Käse, Obst, Konfekt.

Von den armen Kindern, die das jetzt mit aufgerissenen Augen umdrängen, bekam wohl keines früher solche Herrlichkeit zu schauen, und hätte es sie zu schauen bekommen, hätte es nur eine Frage gestellt, auf die es keine Antwort gab: »Warum kriege ich so etwas nicht?« So ist das Museum ein Stück politischer Geschichte.

Und überdies ein Stück Kulturhistorik:

Man kann die Moden und Aktualitäten von gestern an diesem ausrangierten Inventar der Kinderstuben studieren, Puppendämchen tragen einen Cul, Puppendämchen tragen Puffärmel, Puppenherrchen spreizen sich im grauen Zylinder und grünen Frack des Biedermeier, zwei aufziehbare Blechfiguren verspotten die Anfänge der Entente cordiale, indem sich Präsident Fallières und King Edward VII. vorne umarmen und hinten zu erstechen versuchen, ein Geduldspiel trägt die Aufschrift: »Home Rule or How to solv the Irish question«, ein altes Brettspiel geht um den Besitz von Port Arthur, edle Gesichter haben die russischen Soldaten, quittengelbe Affen sind die Japaner.

Den Gegensatz von hoch und nieder, der wohl nirgends so kraß war wie im Zarenreich, bekunden die liebevoll mit Lumpen umhüllten Puppen aus Stroh, die unweit des filigranen Porzellans ihren Stand haben, und die »Schauspieler« des Kartoffeltheaters. Die Babys der Samojeden vergnügen sich mit gesichtslosen Puppen – ein Walroßzahn mit Kleidern umwickelt, fürsorglich mit warmen Kleidern, die dem arktischen Klima Trotz bieten können. Kinder der Mandschurei lassen Drachen aus giftgrünem Papier in die Lüfte steigen, spielen mit Schlangen, 256 aus Holzringen beweglich zusammengesetzt, und mit grotesken Fratzen, Schattenbildern. Zentralrussische Heimarbeit sind grelle Ostereier und Würfel, jedes nur Hülle für ein kleineres, andersfarbiges Exemplar, das seinerseits wieder ein Futteral bildet – zehnmal verkleinert sich die Schachtel. Geschnitzte Figuren, zwei Holzfäller mit Äxten, die sich gegeneinander bewegen; ein Arbeiter mit dem Hammer und ein Bauer mit der Sichel schlagen auf einen Amboß, was soll das für eine Arbeit werden! Ganze Gruppen, bewegliche und unbewegliche. Eine hölzerne Bauernhochzeit zeigt den Popen mit breitkrempigem Hut über dem glatten, lang herabreichenden Haar und dem Christusbart, den Bräutigam in der bunten Rubaschka, in Pluderhosen und Lederstiefeln, die Braut im Sarafan und mit dem riesigen glasperlenübersäten Kokoschnik auf dem Kopf. Es gibt keine Auffassung, die zur Herstellung des Wanjka-Wstanjka, des russischen Stehaufmännchens nicht schon zutage getreten wäre, bald ist er ein Muschik mit fadenscheinigem Schafpelz, bald ein schnauzbärtiger Hauptmann, bald ein Kosak, bald eine runde Bäuerin, bald ein Pope und schließlich ein Rotarmist mit dem spitzen Kalmückenhelm aus Tuch. Ein Motiv, in Marzipanbäckerei und Holzschnitzerei auf dem Lande viel verwendet, ist das Begräbnis der Katze, das die Mäuse jubelnd und tanzend begleiten. Neueste Krippenidee ist ein Arbeitertrupp mit Standarten, der sich, dreht man die Kurbel, über den Roten Platz bewegt, längs der Kremlmauer, am Lenin-Mausoleum, an der Schädelstätte Iwans des Schrecklichen und an dem bizarren Kuppelgewirr der Wassilij-Kathedrale vorbei, während das Spielwerk die »Internationale« hören läßt. Auch den »Zentrorynok«, den Moskauer Markt, hat ein emsiger Heimgewerbler mit vielen Buden, Hunderten von Verkäufertypen, Polizisten und Passanten aus weichem Holz und hartem Papier zu gestalten versucht.

Sie wird plumper und billiger, die Kunst des Spielzeugs, das ist nicht zu leugnen, und kein Proletarierkind besitzt wohl ein Empireschloß für Puppen, aber es wird auch kein anderes Kind beneiden müssen, das um nichts artiger ist und doch ein solches Zauberwerk sein eigen nannte, bloß weil seine Wiege im Palaste stand.

 


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