Arthur Kahane
Tagebuch des Dramaturgen
Arthur Kahane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Angelo Neumann

Es war nur eine kurze, aber Max Reinhardt lacht heute noch Tränen, wenn er sich an meine Begegnung mit Angelo Neumann erinnert.

Wir hatten ein Gastspiel unseres Theaters in Prag. Reinhardt stellte mich dem Allgewaltigen in dessen Büro vor, und da hat der Anblick des über alle Maßen bedeutenden und berühmten Mannes mir offenbar den Atem so benommen, daß ich, als ich zum Sprechen ansetzte, unwillkürlich ins Husten geriet, und es scheint, daß ich während der ganzen Unterredung teils gehustet, teils gestottert, jedenfalls aber kein Wort gesprochen habe.

Angelo Neumann war der Direktor des Prager Landestheaters. Nun habe ich in meinem Leben mit vielen Theaterdirektoren gesprochen, ohne daß es mir vor Respekt die Rede verschlagen hätte. Angelo Neumann aber war mehr als alle anderen Theaterdirektoren, er spielte im Theaterleben etwa dieselbe Rolle, die später Stinnes in der Industrie spielte, er war, wie Pollini im Norden, der »berühmte Handelsmann in Böhmen«, er war, glaube ich, 198 ein Entdecker, Protektor, Propagator, Freund, Manager und ähnliches von Richard Wagner, und er war der Gatte der Buska. Johanna Buska war eine berühmte Schauspielerin und bis in ihre späteste, sehr späte Jugend von jener Heroinenschönheit, die es nicht mehr gibt. Aber mehr als Schauspielerin war sie Gräfin, sie hieß Gräfin Török-Buska und hörte nie auf, so zu heißen, und wenn ihr jemand Frau Johanna Neumann gesagt hätte, dann hätte sie bestimmt nicht gewußt, daß sie damit gemeint sei. Gatte der Buska zu sein, war in Österreich schon mehr eine dynastische Angelegenheit, und man erzählte, daß der Theaterdiener »Habt acht!« stehen müsse, wenn er mit Angelo Neumann sprach; ja, daß dieser es nicht ungern höre, wenn er versehentlich mit »Herr Graf« angesprochen würde.

Er war ein großer starker Mann mit dem größten Schnurrbart, den ich je gesehen habe (vielleicht war's das) und der ihm nach Magnatenart tief ins Gesicht hing; und von so imponierendem Auftreten, daß ihm jeder Kutscher in Prag »Herr Graf« sagen mußte, auch wenn er nicht gewußt hätte, daß es der Mann der Buska sei. Heute würde man »Herr Generaldirektor« zu ihm sagen, aber ich glaube, auch das würde nicht genügen, die weltbeherrschende Größe des Mannes auszudrücken.

Das Heroenzeitalter ist vorbei. So etwas gab's nur in den Gründerjahren. So überlebensgroß, wie dieser Mann sich vorkam, sind heute Menschen nicht mehr.

Ich muß gestehen, es war das erste Exemplar der Gattung, das mir begegnete. Und seitdem bin ich die große 199 Skepsis gegen das vielbesungene Genietum des Unternehmertyps nicht wieder losgeworden.

Weiß Gott! es war nicht Schüchternheit, wie Max Reinhardt glaubte. Aber es war das Unbehagen der absoluten Fremdheit.

Es gibt Menschen, bei denen man im ersten Augenblick instinktiv weiß: durch dieses Mannes Kopf und Herz ist nie etwas gegangen, das zu irgend etwas, das ich je gedacht oder gefühlt habe, auch nur die mindeste Beziehung hat. Wir sind einander nicht etwa entgegengesetzt: das würde immer noch dieselbe Wirklichkeitsebene voraussetzen. Wenn wir beide zwei gerade Linien wären, würden wir einander, auch ins Unendliche verlängert, nie begegnen. Windschiefe nennt man das, glaube ich, in der Mathematik.

Wenn dieser Mann vom Theater sprach, verwandelte sich der mir vertraute und liebe Begriff in ein bis zur Unkenntlichkeit Anderes. Eine neue Welt erstand, mir wenigstens bis dahin neu und meiner Vorstellung vom Theater so ähnlich wie ein Wolkenkratzer der Akropolis; Theater als Geschäft, Theater als Instrument im Ringen um gesellschaftliche Macht, Theater als Inbegriff von Prestigefragen. Das Theater stand nicht mehr neben der Musik und den bildenden Künsten, Zwillingsschwester, Dienerin, Erfüllerin der dramatischen Kunst, sondern rückte ebenbürtig in die Nachbarschaft der anderen Welt- und Geldmächte, in die Nachbarschaft von Börse, Industrie, Gesellschaft und Parlament. Persönliches drängte sich in den Vordergrund, aber nicht das Persönliche der künstlerischen Persönlichkeit, sondern das Persönliche der Beziehung. An 200 die Stelle der Besetzung, die uns die Hauptsache war, trat die Beziehung. Das Dichterische, das Schauspielerische wurde mit einem mitleidigen Lächeln kaum gestreift, als quantité négligeable abgetan, die nur noch Kindern und Ideologen wichtig ist, Fassade, Aushängeschild, bloßes Mittel zu versteckten und geheimnisvollen höheren Zwecken. Zu welchen, blieb mir rätselhaft. Ich gebe nicht den Inhalt, ich gebe nur den Ton und die Haltung eines Gespräches wieder, dem zweierlei die Farbe gab: die Sprache, ein Zunftidiom, das Weltmännisches mit dem Operettenjargon der österreichischen Provinz zu einer selbst für den Philologen unverständlichen Spracheinheit mischte, und die jeden Einwand im Keim erstickende Sicherheit des Tons (für mich das sichere Zeichen der innerlich Unsicheren).

Es gibt gewiß sehr kluge Leute, die sagen werden, daß dieser Mann seiner Zeit voraus war, alles vorausgesehen hat, und die ihn als eine Art Johannes der Amerikanisierung und Vertrustung des Theaters feiern würden: für mich war er der Erste, dem das Theater nicht Spiegel und Abglanz der Welt, sondern die Welt der glänzenden Spiegelfechterei bedeutete, der aus dem Spiel aller Spiele ein Börsenspiel gemacht hat und der mir das holde Wunder Theater deflorierte.

Wahrscheinlich hätte ich Stinnes und Ford ebenso verständnislos gegenübergestanden; aber zum Glück bin ich diesen beiden Angelo Neumanns der Industrie nicht begegnet. 201

 


 << zurück weiter >>