Arthur Kahane
Tagebuch des Dramaturgen
Arthur Kahane

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Die Schauspielerin

I

Läßt sich das Wesen dieses Berufes in Worten einfangen?

Ist es ein Beruf wie alle anderen? Ein Beruf neben allen anderen? Ein Beruf, den man ergreift, durch ein inneres Muß getrieben oder aus freier Wahl oder gezwungen durch Existenznot, den man erlernt, den man ausübt, wechselt, ablegt, vergißt? Ein Beruf, der einen Feierabend hat? Den 40 man sich nach getaner Arbeit abschminken kann wie die Schminke, ablegt mit der Perücke und dem Kostüm, um sich wieder seinen normalen, bürgerlichen, privaten, seinen eigentlichen Menschen anzuziehen?

Ist der Beruf der Schauspielerin derselbe wie der des Schauspielers? Manchen eine Kunst, vielen ein Broterwerb, manchen die einzige auferlegte Notwendigkeit, vielen eine Möglichkeit unter anderen Möglichkeiten, erst Lockung und Verführung, dann Bequemlichkeit und Unfähigkeit, anderes zu ergreifen, manchen Lust ohnegleichen oder Lust mit Qual ohnegleichen gemischt, vielen ein Pensum, das man abarbeitet, erledigt, ohne innere Beteiligung, wie man Strümpfe strickt oder sonst etwas gleichgültig Beliebiges tut? Freude am rein Schauspielerischen, sei es das Erlebnis der Verwandlung, sei es der Drang, seine innerste Natur zu spüren und spüren zu lassen, sie auszusprechen und in Wort und Gestalt zu objektivieren, wie sich der Musiker in Tönen, in Farben der Maler objektiviert und ausspricht? Oder ist die Kunst der Schauspielerin, im Material, im Technischen die gleiche, in ihren menschlichen Wurzeln von der ihres männlichen Kollegen so verschieden wie Geigespielen und Radieren?

Ja, ist der Beruf der Schauspielerin überhaupt mit irgendeinem anderen, mit irgend etwas anderem zu vergleichen? Steht er nicht ganz einzig da, in jeder Beziehung? In seinem Verhältnis zum eigenen Leben? Im Verhältnis der Welt zu ihm? Im Verhältnis von künstlerischem und menschlichem Erlebnis? Gibt es noch einen Beruf, noch eine Kunst, in der das Künstlerische so viel, so unmittelbar 41 vom menschlichen Erlebnis aussagt; das künstlerische so oft das menschliche verdrängt oder ersetzt? Kaum gibt es noch Grenzen: so stark ist die Frau in der Schauspielerin. Und warum? Weil die Schauspielerin in jeder Frau so stark ist.

Wo gibt es einen zweiten Beruf, der so repräsentativ für ein ganzes Geschlecht ist?

II

Darin liegt das Besondere ihrer Kunst: daß die Schauspielerin für ihr Geschlecht repräsentativ wird, indem sie ihren besonderen Frauentypus innerhalb ihres Geschlechts darstellt.

Sie wird es, weil in jeder Schauspielerin die Frau, in jeder Frau die Schauspielerin wesentlich ist.

Jede Frau eine Schauspielerin zu nennen, ist eine Banalität, wenn man als schauspielerisch die kleinen Künste des Sichschönmachens, der Verwandlung, der Verstellung, der Lüge versteht. Eine Banalität, weil die Behauptung fast so oft sich wiederholt wie die Veranlassung dazu: sehr oft. Zugegeben, diese Künste kommen vor. Sie werden geübt, vielfach mit großer Virtuosität; die potentiellen Anlagen dazu stecken seit Paradieseszeiten in jeder Frau, auch in der besten, der wahrhaftigsten. Sie können sogar, für den Beobachter allerdings mehr als für das leidtragende Opfer, mitunter sehr reizvoll, sehr amüsant sein. Aber sie stellen bloß die private Seite der Angelegenheit dar. Die Schauspielerin in der Frau geht über die Komödiantin (in tadelndem Sinne) hinaus, sie hat den in ihrer innersten Natur 42 wurzelnden Drang, den besonderen Typus ihrer Frauenhaftigkeit in sich zu erspüren, in sich zu vollenden und vollendet darzustellen. Warum hat sie ihn? Weil sie eine Frau ist. Aus Frauengründen. (Cherchez l'homme.) Aber es gelingt ihr nicht immer. Die Schauspielerin hilft ihr. Und sich. Indem sie die Besonderheiten ihres eigenen Frauentypus auf der Bühne in seiner Endgültigkeit fixiert. Damit öffnen sich (oft ohne daß sie es merken, wie) auch den anderen Frauen die Augen für die eigene Art, sie bekommen den Mut zu sich selber und obendrein die weibliche Technik, wie man das macht.

Jede Schauspielerin stellt die Besonderheit eines Frauentypus dar, auch die kleinste. Natürlich gibt es Unterschiede der Begabung, des Ranges, der Wirkung. Den Wertmesser macht die besondere Besonderheit, die besondere Schönheit, die besondere Deutlichkeit des Typus. Und ganz seltene Schauspielerinnen sind es, die, schöpferisch, aus sich einen ganz neuen Typus der Frauenhaftigkeit schaffen, der dann allmählich von den anderen übernommen, apperzipiert, nachgeahmt wird, und auf einmal dem Frauenleben einer Zeit ein neues Gesicht und ein neues Schicksal gegeben hat.

Dies scheint mir ein Unterschied zwischen der Kunst des Schauspielers und der der Schauspielerin zu sein: der Mann will das Besondere seiner Natur ausdrücken, die Frau das Besondere ihrer Weiblichkeit; der Mann das Besondere seiner Natur in der Formensprache der Schauspielkunst, seine Natur versteht sich ihm von selbst, aber ihren Ausdruck muß er dem Material seiner Kunst abtrotzen, und darum wird ihm zur Hauptsache das Ringen mit dem 43 Problem seiner Schauspielkunst; der Frau versteht sich alles Schauspielerische von selbst, da es ihre Natur ist, und so wird das Wesentliche ihrer Aufgabe das besondere Material ihrer Weiblichkeit. Sie ringt nicht um das Allgemeine der Kunst, wie immer der Mann (weil der Frau im Grunde alles Allgemeine gleichgültig ist); sie ringt höchstens um das Besondere der Rolle (besonders eifrig um die besondere Rolle selbst): alles Technische wird ihr leicht, und sie nimmt es auch leicht (womit allerdings nicht gesagt sein soll, daß ihre Arbeit nicht ebenso ernst und gewissenhaft ist, wie die des Mannes; nur eben anders).

III

Alle Probleme der weiblichen Darstellungskunst, auch die Formprobleme, stammen aus dem Frauenschicksal. Die Schauspielerin kann nichts erleben, was nicht sofort seinen deutlich und weithin sichtbaren Niederschlag auf der Bühne, in ihrem Spiel fände: ihre Jungfräulichkeit und der Verlust ihrer Jungfräulichkeit; ihre Tugend und ihre Abenteuerlust; ihre Jugend und ihr Älterwerden; ihr Glück und ihr Leid. Alles kommt heraus, verrät sich, ist ihr vom Gesicht, von ihrem Spiel abzulesen. In tausend wechselnden Formen: durch den Gegensatz, durch den Widerspruch, in der Verhaltenheit, im Ausbruch. Das Spiel wird zum Ventil unerfüllter Wünsche, eingedämmter Leidenschaften, die sich austoben; zum Spiegel des erfüllten Glücks, zum Verräter jeder Enttäuschung. Die Bühne decouvriert unbarmherzig. Je besser, je bedeutender die Künstlerin, um so mehr gibt es zu decouvrieren. Ihr Leben liegt vor allen 44 Blicken bloß. Bei der Schauspielerin vermengt sich Schicksal und Rolle zu dem einen, das ihr zu gestalten auferlegt ist: ihrer Weiblichkeit als deutliche Kontur. Sie ist die einzige, die ihr privates Leben nicht von ihrem Berufsdasein trennen darf: sie hat kein privates Leben. Ihr Leben gehört allen, gehört dem Publikum. Was sie tagsüber, nachtsüber erlebt, steht abends auf der Bühne, und jedermann darf, im Wunsche wenigstens, sein Teil daran haben. Läßt es sich denn trennen? Kann man denn anders lieben, als man liebt? Kann man, worin sich das eigentliche Wesen des Menschen am unmittelbarsten, am unbewußtesten, am unwillkürlichsten gibt, am selben Tage in anderen, neuen, willkürlich erfundenen Formen ausdrücken? Und wenn sie es könnte, wäre es nicht der beste, untrüglichste Beweis, daß sie beides nicht kann, weder lieben, noch ihre Liebe gestalten?

Liebe aber ist, welches Rollenfach sie auch spiele, ihre einzige Aufgabe, die einzige Quelle und der ganze Inhalt ihrer Kunst.

Darum ist es keine gemeine Spekulation auf die niedrigen Instinkte des Publikums, wenn man danach verlangt, auf der Bühne schöne Menschen zu sehen. Und darum ist die Schönheit ihres Leibes bei der Schauspielerin mehr als bloße Befriedigung ihrer kleinen Weibcheneitelkeit: sie ist eine künstlerische Funktion; sie ist ein Teil (kein unwesentlicher) ihres Talents; sie gehört dazu wie gutes Sprechen, ausdrucksvolle Mimik, Echtheit der Empfindung. Die technischen Behelfe ihrer Schönheit sind ein Teil ihrer schauspielerischen Technik und ebenso wichtig. Die Virtuosin 45 ihres Berufs wird auch dieses Gebiet ihrer Kunst virtuos beherrschen. Und da durch ihre Schönheit ihr Frauenschicksal, durch ihr Frauenschicksal ihr künstlerisches bedingt ist, sprengt die Bedeutung dieses Begriffes die Grenzen der Körperlichkeit, Schönheit wird zu seelischer und geistiger Qualität, zu seelischem und geistigem Erlebnis. Natürlich gibt es auch geniale Ausnahmen, die Schönheit durch geistige Energie, durch die Tiefe und zwingende Wahrheit einer Natur, durch ungeheure Kraft der Leidenschaft ersetzen: und auch bei diesen ist ihr, vielleicht schmerzliches, Verhältnis zur Schönheit ein Teil ihres Schicksals, eine Quelle ihrer Kunst.

So erklärt sich die ungeheure, Männern kaum verständliche Wichtigkeit, die im Leben der Schauspielerin das Kostüm bekommt. Uns erscheint das Kostüm der Frau eine Angelegenheit der weiblichen Eitelkeit, eine gesellschaftliche Prestige-Ambition, ein Mittel zu gefallen, die Waffe, eine Rivalin auszustechen, zu überglänzen. Für die Frau ist es mehr: das Kostüm gehört zu ihr wie ihre Haut, wie ihr Lächeln, wie der Timbre ihrer Stimme. Das Kostüm ist eine Eigenschaft; ein Teil von ihr, in dem sie ihre spezifische Weiblichkeit ganz unmittelbar, ganz persönlich ausspricht; und in dessen Wechsel sie obendrein eine unerschöpfliche Fülle immer neuer Überraschungen, neuer Offenbarungen über sich selbst erlebt. Es ist fast, als wäre auch das Kostüm eine der erotischen Funktionen ihres Lebens, ihr nicht bloß um seiner Wirkung, sondern um seiner selbst willen notwendig. Und daher auch für die Schauspielerin ein immanenter Teil ihrer Kunst und für diese charakteristisch wie 46 alles, was ihr aus dem unergründlichen Arsenal der Weiblichkeit zufließt.

Wehe, wenn es versagt! Die Schauspielerin, die im Leben nicht mehr wirkt, hört auch auf der Bühne zu wirken auf. Sie weiß, daß es, wenn sie nicht mehr erlebt, auch mit ihrer Kunst aus ist.

Und ebenso weiß sie, daß es, wenn sie nicht mehr spielt, auch mit dem Erleben aus ist. Welcher Verzicht ist ihr der traurigere? Ich glaube, es leiden in keinem Berufe Menschen so maßlos schmerzlich unter einer aufgezwungenen Untätigkeit, wie die Schauspielerin.

Und darum gibt es wenig Frauen, denen der Abschied von der Jugend so schwer wird, wie der Schauspielerin. Aber auch wenige, die so wundervoll werden, wenn ihnen der Abschied in Würde gelingt. Es sind die Besten und Anmutigsten, die es verstehen, in der Kunst und im Leben mit Grazie ins ältere Fach überzugehen. Was verlieren sie dabei? Die Liebe höret nimmer auf.

IV

Im übrigen zeigen die Schauspielerinnen alle Eigenschaften und Spielarten, die ihre männlichen Kollegen auch zeigen. Sie sind ebenso fleißig oder nicht fleißig (eher sogar fleißiger), sind ebenso ehrgeizig (eher noch ehrgeiziger), nehmen ihren Beruf ebenso ernst oder unernst wie die andern auch.

Im Büro und in der geschäftlichen Unterhandlung sind sie ebenso leicht oder schwer zu behandeln (manchmal leichter, weil leichter beeinflußbar, manchmal schwerer, weil 47 unlogischer); und ebenso launenhaft. (Zugegeben, ein klein wenig launenhafter doch.)

Sie sind genau so eitel wie alle anderen Menschen auch. (Zugegeben, ein ganz klein wenig eitler doch.)

Sie sind im großen und ganzen die besten und opferwilligsten Kameradinnen. Wenn es sich nicht gerade um eine Rivalin handelt. Dann freilich . . . . . . dann können sie es in der Kunst der Intrige bis zu einer romanhaft unglaubhaften Virtuosität bringen.

Sie lieben es nicht, wenn man ihnen Pointen verdirbt. Es macht sie nicht liebenswürdiger. Aber ihre männlichen Kollegen auch nicht. Die Komiker natürlich ausgenommen.

Im Leben, im täglichen Verkehr außerhalb des Theaters können sie scharmant sein. Sie können gar nicht anders sein als scharmant.

Sie zeigen alle Eigenschaften und alle Spielarten des Weibchens, die ihre bürgerlichen Schwestern auch zeigen. Nur eben immer um eine Nuance graziöser, geistreicher, lebhafter, amüsanter, weiblicher, leidenschaftlicher, hemmungsloser, verlogener und doch eigentlich aufrichtiger, doch im Grunde wahrer als alle anderen. Bewundert viel und viel gescholten sind sie, wie in der Mode, so in der Liebe, eingestanden oder uneingestanden, für die andern Frauen tonbestimmend und beneidetes Vorbild. Wer das Geschlecht liebt, muß die Schauspielerinnen lieben. Was ja auch vielfach geschah und geschieht. 48

 


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