Ernst Jaedicke
Deutsche Sagen
Ernst Jaedicke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Steinkreuz an der Marienkirche

(O. Monke)

Am Turmeingang der Marienkirche steht ein Steinkreuz; das ist fast 600 Jahre alt. An demselben bemerkt man vorn fünf Löcher; darin waren früher die Eisenstäbe der »ewigen Lampe« eingelassen, die Tag und Nacht brennen mußte.

Über die Setzung des Kreuzes wird mancherlei erzählt.

So soll einst der Baumeister, als die Kirche fast vollendet war, mit dem Teufel sich eingelassen und im Kartenspiel die gesamten Baugelder verloren haben. Der Teufel gab ihm zwar alles zurück; doch mußte der Baumeister dafür versprechen, beim Bau der Gewölbe einen Fehler zu machen, so daß diese am Einweihungstage über den Gläubigen zusammenbrächen; denn der Teufel haßte die frommen Leute. Der Baumeister dachte aber den Teufel zu betrügen und führte die Gewölbe vorschriftsmäßig auf. Als nun die Einweihungsfeier vorüber war, lauerte der Teufel an der Tür. Zuletzt kam der Baumeister heraus; da griff der Teufel zu und drehte ihm den Hals um. Zum Andenken daran soll das Kreuz errichtet worden sein.

Es wird aber auch gesagt, ein Zinkenbläser sei am ersten Sonntag nach Vollendung der Kirche in der Frühe auf den Turm gestiegen. Dort oben blies er ein Lied zu Gottes Ehre. Das ärgerte den Teufel; darum warf er den Mann vom Turme herab. Doch blähte ein Windstoß den Mantel des Zinkenbläsers auf, der nun sanft herniederglitt. Zur Erinnerung an die glückliche Errettung errichtete man später das Kreuz.

Die meisten aber halten das Kreuz für ein Wahrzeichen aus der Zeit der Markgrafen und sagen, die Berliner hätten es zur Strafe oder Sühne setzen müssen, weil das Volk den Probst von Bernau erschlagen hatte. Das wird schon seine Richtigkeit haben; aber was den Zorn der Berliner so erregte, daß sie sich zu so einer unseligen Tat hinreißen ließen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Probst Nikolaus von Bernau soll in Berlin den Zehnten mit großer Härte eingetrieben und sich dadurch verhaßt gemacht haben. Doch heißt es auch, er sei ein Anhänger des Herzogs Rudolf von Sachsen gewesen, der nach Markgraf Waldemars Tode Ansprüche auf die Mark machte, während die Berliner zu ihrem Landesherrn, dem Markgrafen Ludwig dem Älteren, hielten. Da erschien Probst Nikolaus in Berlin, ging in die Marienkirche und hielt eine donnernde Rede gegen die Berliner, weil sie den Herzog Rudolf nicht anerkennen wollten. Dabei nannte er sie »Verblendete« und »Schurken«. Es war aber an dem Tage gerade Markt in Berlin, und viele Menschen hatten sich auf dem Platze bei der Marienkirche eingefunden. Bald pflanzte sich die Rede des Probstes von Mund zu Munde fort bis zu der Menge draußen auf dem Neuen Markte. Die Leute drangen in die Kirche, holten den Probst von der Kanzel, zerrten ihn bis zur Tür und erschlugen ihn. Dann errichteten sie auf dem »Neuen Markte« einen Scheiterhaufen und verbrannten die Leiche. Das geschah wahrscheinlich am 16. August 1325. Es wird auch gesagt, der Probst habe zwar noch Zeit gehabt, in die Probstei zu flüchten, sei aber von dem wütenden Volkshaufen herausgeholt und auf dem Neuen Markt lebendig verbrannt worden.

Nun wurde der Bann über Berlin ausgesprochen; es durften keine Glocken geläutet, Brautpaare nicht getraut, Kinder nicht getauft werden, und kein Priester folgte dem Sarge. Erst zehn Jahre nach dem Morde wurde festgesetzt, daß die Berliner zur Sühne eine hohe Summe Goldes zahlen, in der Marienkirche einen neuen Altar bauen und an der Stelle des Mordes ein zwei Faden (drei bis vier Meter) hohes Steinkreuz mit einer ewigen Lampe errichten sollten. Trotzdem lastete der Bann noch weitere zwölf Jahre auf der Stadt.

Vermutlich ist das Kreuz, obwohl es nicht zwei Faden hoch ist, doch das ursprüngliche und damit das älteste Denkmal Berlins, wo es aber zuerst gestanden hat, läßt sich nicht mehr feststellen; vielleicht stand es mitten auf dem Neuen Markt, vielleicht auch in der Spandauer Straße. Denn dort wohnte später ein Schmied, der nach der »ewigen Lampe« »der Lampenschmied« genannt wurde.


 << zurück weiter >>