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Sophokles

Der Areopag lauscht.

Kristallklar klingen die edelwuchtigen Tetrameter. Wie Vögel des Zeus und des weissagenden Apollo flattern die Chöre auf, die groß wie ein Schicksal sich lösen und binden.

Und so wiegt sich der lesende Greis stark und gelind auf der tragenden Anmut seines großen Werkes.

Sogar der Atem des Lebens wartet in der fühlenden Brust, um nicht zu stören den friederauschenden Lösesang des Ödipus von Kolonos.

Weihe der Andacht im Richtsaale des Areopags.

Sophokles hat geendet.

»Hier, ihr Richter, meine Verteidigung! –

Ist das Werk besonnen oder ist es das Torenwerk eines Mannes, der von Sinnen ist, der der Verwaltung seines Vermögens enthoben und entmündigt werden mußte?«

Nun wandte der Sprecher sein ätherhelles, weltüberhobenes Auge zu der Stelle, wo vier schwarze Augen scheu den Boden suchten. Deutend frei hob sich sein Arm aus schneeweißer Chlamys; denn seine Brust hatte nichts zu verbergen. Auch das Alter nicht. Seine Glieder waren hell und frisch, und wie fernes Feuer blühte sein mächtiges Haupt durch das feingekräuselte Haar, das wie Asche auf klarer Glut war.

»Und gab ich dem Knaben, der mir den Becher einschenkte, ein Talent, so waren seine Lippen mir junge Rosen, so habe ich von seinen Lippen nur Schönes und Liebes gehabt.

Was aber erhielt ich Freundliches von euch, die ihr alles haben wolltet, was mein ist?

Was gabt ihr mir, meine Söhne?

Vielleicht, daß ich hier bin?« – – –

Der Älteste der Richter erhob sich: »Wie konnten wir uns wohl erkühnen, über dich zu Gericht zu sitzen?

Wir sagen nun: wir sind nicht würdig, dich freizusprechen, Vortrefflicher!

Aber verzeihe uns, o Freund der Götter, wir handelten nach dem heimischen Nomos, nach der Väter Satzung, die auch dir heilig ist.«

In froher Würde und klarem Jünglingsfeuer aller großen Geistes gab der Greis zurück: »Gern ihr Männer, willfahr ich euch.

Selig die Stadt, die sich Richter weiß, denen die erhabene Dichtung Beweis wird.«

Der Richter aber erhob die Rechte: »Selig der Achtzigjährige, der ein Höchstes schrieb und sprach wie er! Solange du weilst, Vortrefflicher, kann es der Stadt nicht fehlen, deren Sohn du bist. Denn solange ist sie der Liebe der hehren Athene sicher. So möge denn Zeus«, betend hob er und mit ihm alle betend die Arme, »so möge denn Zeus dein Leben schonen, unseres Ruhmes Edelsten!«


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