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Mein heiliger Abend

»Meinetwegen!

Nun machen Sie aber, daß Sie herauskommen!«

Als die Wirtin gegangen, machte ich mir an dem einzigen Stuhle Luft, den mir die Wirtin soeben vor die Tür zu setzen die große Gewohnheit hatte. Ein bewährtes Mittel das eine innere Empörung niederzudämpfen, dessen sich, verläßlichen Gewährsmännern zufolge, schon der Altreichskanzler nicht ohne Erfolg bedient haben soll.

Noch einmal öffnete sich die Tür dem Ingrimm meiner liebwerten Frau Hospita: »Also morgen mittag zwölf Uhr! Sind Sie dann noch immer nicht raus, dann schmeiße ich Ihren Kram auf die Straße und Sie hinterher.«

»Schöne Seele!« meinte ich bescheiden.

»Sie machen sich wohl noch lustig über mir, Sie Strolch Sie!

Sie Erzgauner!

Überhaupt sone Schriftsetzer, eine nette Package muß dett sind!«

»Sie vergessen sich, verehrte Frau Meckert, denken Sie daran, daß heut Heiliger Abend ist!«

»Ach Heiliger Abend! Ihnen scheißt der Hund was!«

So nun war ich endlich allein mit dieser an Gaben und Ahnungen so reichen Weihnacht des ganzen Jahres.

Meine Bescherung hatte ich bereits weg. Zwei Pakete auf einmal. Nett, nicht wahr? Es gibt doch noch gute Menschen!

Das eine Paket enthielt ein Drama in fünf Aufzügen. Das betitelte sich »Schillers Lehrzeit«, war gut geschrieben, darum von mir. Es sei nicht künstlerisch genug, zu belehrend!

Zum Kuckuck noch mal, dafür heißt es doch auch Lehrzeit!

Das zweite Paket enthielt: »Sappho«, Roman der Schönheit von Peter Hille. Auf den hatte ich die meiste Zuversicht gesetzt, wie ich an »Schillers Lehrzeit« – und das doch wohl mit Recht – die höchsten Erwartungen geknüpft hatte.

Nun war auch er wieder da.

Noch aber hoffte ich. Während ich so am Hoffen war, ganz hoch in den Hunderten schon, fingen in feierlicher Tiefe die Glocken an zu klingen. Bald aber hörten sie wieder auf, und ich konnte unabgelenkt in mich zurückkehren.

Es gibt eben so ungefüge Stunden, gewöhnlich an geweihten Tagen, wo man dem lieben Gott Ohrfeigen anbietet und sich selbst rechts und links welche verabfolgt in machtlos aufsiedendem Grimm gegen die Bosheit des Schicksals, das wir in uns selbst zu züchtigen glauben.

Es werde Licht!

Es wurde aber keins. Denn die Lampe stank, als ich mit ihr mein gequältes Dasein etwas erleuchten wollte, stank wie die mürrische Miene meiner Wirtin, die da draußen herumrumorte, um mir ihre trauliche Anwesenheit nicht ins Vergessen zu bringen.

»Det nennt sich Schriftsetzer und hat keine heile Hose am Arsche!« Diese sinnige Bemerkung hörte ich immer wieder unter einem bitteren Gelächter, mit allen Kapriolen, jener Impudenz der Impotenz, die ein Kritikergenius, ein Kerr etwa, zu zeigen pflegt.

»Ausräuchern müßte man die Schwefelbande!«

Meinte sie nun mich oder Studermann oder Kerr?

Und fragen konnte ich nicht.

So erhielt ich keinen Aufschluß.

Es fing gut an.

Erst hatte mir Redakteur Lausewetter Kindersachen zurückgeschickt, die er vor einem halben Jahre angenommen hatte, nun aber ablehnte, weil in letzter Stunde Liliencron und Bierbaum noch eingesandt hatten. »Und solche erste Namen«, meinte mein Lausewetter mit demselben Takt, wie er auch den Tag der Rücksendung gewählt hatte, »die müssen wir bringen.«

Weh dir, daß du ein Enkel bist!

Nun blieb noch eins!

Heute hatte ich noch zu essen. Eine Schrippe von Mittag her und einen halben Hering. Wie ich nun meines gefrorenen Herings eiskalte Schilfern zwischen meinen Zähnen fühlte, da kam ich mir vor wie mein Symbol, wie ich als solches mein Leben verschlang.

Ich lehnte meine Stirn gegen das Fenster. Es waren wieder irgendwo, ganz dumpf, Glocken in der Luft. Dumpf und müde! Dumpf und müde! Ich konnte es mir wohl denken! Die armen Glocken!

Zweitausend Jahre lang schon haben sie gelogen.

Von Frieden und so was.

Das ist schwere Arbeit.

Fast wie Sterben.

Das wissen auch die Dichter.

Darum sind sie den Glocken so gut.

Eintönig klägliches Getute einer Kindertrompete. Da hatten wir die Bescherung!

Aber es mußten viele doch nichts gekriegt haben heute. Es sah so ärgerlich aus draußen.

Es war alles so gereizt, als nun die paar Hinter- und Dachfenster, die ich da und dort vor mir hatte, allmählich undeutlich erleuchtet wurden.

Wie geronnenes Blut etwa.

Begreiflich: kein einziger Christbaum!

Nur gerade gegenüber aus dem Hinterhause der Villa in der Regentenstraße kamen einige Tannensterne zum Vorschein: da wohnte wohl der Bediente oder Kutscher.

Da vorn aber wie mußte es da erst aussehen! Da war ich angerichtet.

Ja wirklich ich. Corinth hatte mich gemalt und die Dame des Hauses von ihrem Herrn Gemahl mich zum Weihnachtspräsent ausgebeten.

Und sie hatte mich bekommen. Denn ihr Mann gewährte ihr alles, was er ihr nur an den Augen abzulesen vermochte, und er konnte es auch, denn sein Tagewerk war Knipsen. Nicht im Schalter, sondern vor dem Tresor.

Da würde es hergehen, da vorn! Wie ich da bewirten mochte, wie mir zu Ehren die gebranntesten Korken sprangen! Kaviar fürs Volk, dort in einem Kreise, der mir Verständnis entgegenbrachte.

Noch aber war meine Stunde nicht gekommen. Noch stand ich im Lorbeerkranze hinter einem Vorhange.

Er fiel. Welche Überraschung begrüßte mich, welche Bewunderung!

Wie zufrieden lächelt der Gastgeber über seinen Geschmack. Ich sagte es ja immer, eine Weinzunge ist verwandt mit der hohen Diplomatie, ist zu allen Dingen nütze.

Es klopft.

Der Briefträger.

Eine Überraschung! Ein Paket, der dämonische Sagenroman »Der Rattenfänger von Hameln«, meine letzte Hoffnung – nun liegt sie vor mir!

Der gute Briefträger: schenkte er mir doch die fünf Pfennig Bestellgeld, die ich nicht zahlen kann. »Na, weil Heiliger Abend ist!« ,

Die Stube ist ganz voll. Eine bereits dichte Versammlung hat darin Platz genommen: die Finsternis.

Wie außen, so mags da drinnen sein.

Da wirds heller. Die Sterne droben klappern und zwinkern vor Frost.

Ich will ihnen auch eine Überraschung bereiten.

Wem soll ich was schenken?

Meiner Wirtin?

Aber was?

Mich selbst!

Aber das nützt nichts. Wenn ich mich auch aufhänge an dieser Schnur um das Paket von Lausewetter, das ich geduldig aufknoten muß in der Finsternis, weil ich kein Messer besitze. Man holt mich ab zum Schauhause, und übermorgen hängt dort der Zettel aus.

Das hat also gar keinen Zweck. Dynamit! Könnte ich nur Dynamit kaufen, würde das hell werden, hell für alle! Die Kathedrale sollte aufleuchten in ungeahnter Lichtfülle Gott zum Preis und seiner schönen Welt!

Ein deutscher Dichter, der sich nicht mal ein bißchen Dynamit kaufen kann zum Christkindchen – pfui Teufel!

Und ich lache – ein Timonslachen.

O Gott, wie schön ist doch die Freiheit, das äußerste Elend! Man ist so sicher, tiefer kann man gar nicht fallen!

Morgen, wenn ich erwache, erster Feiertag, spitzenfrische Morgenröte und draußen Kinder, die stolz und neidesfroh die Vorzüge ihrer Puppen spazieren führen und minderbeglückten, weniger bedachten Gespielinnen gegenüber preisen.

So bleiben sie, auch wenn sie erwachsen sind.

Nur daß sie selbst die Puppen sind und ihren Puppenstaat lieber am eigenen Leibe tragen.

Durchfall am Himmel

»Nein, so ein Feetz!«

Den Engeln standen noch die Tränen in den Augen. Die hellen Lachtränen.

»Das war ja zu schön! Zum Kugeln! Reinweg zum Kugeln!«

»Da gehen wir Dienstag wieder hin.«

»Einmal wirds ja noch aufgeführt werden.«

Dabei hakten sie einander die blauen Flügel, die sie in der Garderobe abgegeben hatten, wieder ein in die patentierten Schnallen ihrer blauen Gewänder und nahmen wieder das hochmütig sittige Aussehen an, das sie der Außenwelt gegenüber zu bewahren wissen.

Die Engel sind eben große Politiker vor dem Herrn.

Von der Erde aber drunten sah man am Himmel einen wunderbaren Stern, wie nie seinesgleichen gewesen war.

Das war das gewaltige Werk, das droben unter dem unauslöschlichen Gelächter des himmlischen Publikums bestattet worden war.

Und immer wieder leuchtete der Einsame auf in neuen Qualen gewundenen Feuers.

Glänzend starb er, in unerhörten Farbenspielen wie ein Meeresstern oder eine Seeblume.

Die tugendhaft soliden Busen selig entschlafener Metzgerfrauen, die ihren Kirchenstuhl drunten mit einem Gratis-Abonnement auf erstes Parkett der himmlischen Vollendungsbühne und das Sterbehemd mit einem schwarzen Seidenkleide nach Gersons Zuschnitt vertauscht hatten, diese braven Busen hatten gewallt, als sei eine Empfindung in sie eingezogen, die sie auf Erden niemals bewegt.

Und die furchtbaren Isidore droben mit Karpfenschnuten und dolch- oder kreisförmigen Schnurrbärtchen prüfen bereits die Schärfe ihres mordsmäßigen Witzes, um unverzüglich zur Hinrichtung zu schreiten, und ihre rauchigen Augen gingen umher wie nach Stift und Papier.

Und der armen Kunst ist eben nicht zu helfen. Denn der Chef oben befaßt sich natürlich nur mit hoher Politik und überläßt in einer Gleichgültigkeit, einer Geringschätzung, die fast Abneigung ist, das unter dem Strich den Anfängern, den Preß-Volontären des Jenseits.

Er ist nicht grausam – o nein!

Aber er kann sich doch nicht um jeden Dreck kümmern.

Da ist nun mal nichts zu machen. Man muß sich mit der Tatsache abfinden.

Die Stadt von Glas

Ich kam mal in eine blinkende Stadt.

Die war ganz von Glas.

Und diese blinkende Stadt hatte lauter artige Kinder.

Das kam so: Wenn ein Kind schrie und knutterte und ettrig war, dann sah das Glas gleich ganz böse aus, was in der Stube war.

So braun wie ein Bär.

Und zankten sich die Kinder, so lief das ganze Haus von oben bis unten sofort an und sah dann aus wie schlechtgebrannte Ziegel, halb blau und halb rot.

Gönnte aber das eine dem anderen das Spielzeug nicht, so war Fußboden, Stuhl, Tisch, Sofa in einem Augenblick so grün wie Schimmel oder Entengrün. Und das dauerte dann so lange, bis das Kind wieder lieb und freundlich aussah.

Und wenn ein Kind seine Schularbeiten noch nicht gemacht hatte, dann sah so ein Haus gleich so grau aus wie ein Esel.

Nun wars ja in der ersten Zeit auch in dieser schönen, blinkenden Stadt wohl vorgekommen, daß Mutter die Zuckerdose nicht gleich weggestellt hatte. Und dann wußte kein Mensch, wo die Zuckerstücke geblieben waren, die soeben noch darin gewesen: die Frieda nicht und der kleine Erich erst recht nicht.

Als aber dann das ganze Haus von oben bis unten hin schwarz wurde wie die Nacht und diese Nacht sich über die ganze Stadt ausbreitete, daß keiner mehr was sehen konnte, da wußte gleich die ganze Stadt: hier war schrecklich gelogen.

Da nun die Kinder es bald heraus hatten, daß nichts Böses hier verborgen bleiben konnte, wurden sie bald alle gut, und jedermann hatte seine Freude an ihnen, und sie waren immer froh und munter.

Und mitten in der Stadt, da war ein hoher Turm auch ganz von Glas. Da waren alle schönen Farben in den Wänden, die ganz aus Scheiben bestanden, durch die besah man erst die Gegend, und dann zuletzt ging die Sonne unter. Das sah man dann wieder durch das klare Glas.

Ich meine gehört zu haben, daß in dieser Stadt von Glas noch einige Häuser zu haben sind. Hättet ihr wohl Lust, mit euern Eltern dort hinzuziehen?


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