Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

W

Die Wissenschaft

Die Wissenschaft mit allen Warummen, dem Schlüssel zu allen Fragen, hülfe uns dennoch nicht, ließe alles fremd und weit von uns, wenn nicht bisweilen die Anschaulichkeit alles enthüllte und uns das traute Wie an den Dingen zurückließe.

Wille

Der Mensch will, und dann nimmt das Schicksal den Lauf damit, dieses ist der Bote.

Wollust

ist ein Kraut, das einmal da ist, einmal nicht. Einmal stärker, einmal schwächer. Sie ist im eminenten Sinne ein Nervengewächs und kann mit etwas Aufmerksamkeit, wie gerade unsere verwehrende appetitreizende Zeit darauf verwendet, zu den schönsten Exemplaren gezüchtet werden. So z. B. Kindergier, welche die alte Welt noch nicht kannte.

Wollust in der Kirche

ist doch keine Sinnlichkeit hier binnen gekommen? So fragt ein revidierender Heiliger und hebt seine Hornlaterne auf, die, wie sein gegen die Versuchungen gehürnt Gesicht, aussieht, um seinen Worten nachzuleuchten.

»Nein«, ruft beleidigt der Mönch, der einen zur spanischen Bußübung heraufgeschobenen in süßem Schauer sinnlicher Schmerzandacht gefalteten Weiberpopo bemißt. Um auf das fleischige Dach mit lüsterner Strenge den Hagel der Geißel prasseln zu lassen; und getröstet geht der Mann Gottes hinweg. Nein, Sinnlichkeit war nicht in die Kirche gekommen, die war viel zu gesund dazu, aber verbrütete Lüsternheit. Die Wollust aber sitzt neckisch versteckt und sicher, obendrein verehrt wegen ihrer besonderen Erbötigkeit zu Bußwerk und Leiden inmitten der Heiligkeit auf einem Ehrenplatz, mitten in der Heiligkeit.

Unter den Laien der Kirche, in der Gemeinde würde sie vielleicht sich nicht halten können, wegen deren Einfalt, aber unter den Ehrengästen behauptet sich dieselbe vortrefflich. Heiligkeit und Verdorbenheit haben gleiche Äußerungen, die sinnliche Genialität wird als Schwester begrüßt von der sittlichen. Wir haben es Luther zu danken, daß er die klösterliche Abgeschlossenheit, diesen Klub des Gottesdienstes brach, der die europäische Art bald in assyrische Gepflogenheiten gebracht hätte. Verkehrtheiten, ohne Bewußtsein derselben, ohne Auffallen, ohne Ahndung seitens der Menschenwürde und Unschuld hätten sonst die sittliche Beurteilung dieses, damit auf die Dauer alles geziemenden Verhaltens aufgelöst und damit einen Zustand des Kretinismus, der zuckenden Triebe – nachdem auch den Feinern das Bewußtsein der Heuchelei durch lange Anerkennung abhanden gekommen wäre – heraufgeführt, der die Menschheit bona fide ins Tierische zurückgeleitet hätte, aufs letzte ein allertollstes Schauspiel bietend, ein Unikum: die Kirche der Tiere.

Davor hat uns Luther errettet, denn da ers unterbrochen hatte, war auch die Kirche aus dem Somnambulismus miterwacht; es war kühler, luftiger geworden dadurch, daß einige sich entfernt hatten und die andächtig-wohlige Müdigkeit, das Nachmittagsschläfchen des Weihrauchs wollte nicht mehr so recht einlullen, seit es solche gab, die nicht mehr mittaten und beobachteten.

Seit der Reformation ist auch die sitzenbleibende Kirche protestantisch geworden, und seit der Scheidung Luthers ist Möglichkeit vorhanden, die ranzig gewordene Sinnlichkeit, welche durch unzählige Selbstschändungen, Lüsternheiten in Bild und Buch, Verruchtheiten an Kindern und endlich durch größere Steigerung von einseitigen Geschlechtsergötzungen am Menschengeschlecht nagte, mittels Gesundheit, antiphlogistischen Mitteln von Studien und Leibesübungen zu entfernen und der unbefangenen Menschheit den deutlichen Raum des Leibesbehagens, die Lage der Nervenlust des Innern unter den Pflichten und Freuden, in der Harmonie des Lebens anzuweisen.

Wir haben einen Moltke der Sinnlichkeit nötig, der die Karte von den wohligen Empfindungen jener Nerven, welche mit den Zeugungsteilen zusammenhängen, denen früher öffentlich alles Gebiet entzogen und abgesprochen wurde, und die sich dafür im geheimen, unter Benutzung von Mißverständnissen in Pädagogik und Andacht übermäßig entschädigten, auf die richtigen Grenzen bringe, da sich Eingestandenheit mit der Ausübung deckt, denn, was ausgesprochen werden, von Gebildeten ertragen werden kann, ist nicht verkehrt. So müßte auch Prüderie weg, denn die Beschreibbarkeit ist zugleich Waage.

Generalstab der Menschlichkeit, wir bitten um Karten, Atlanten der Liebe, sie sind das größte Bedürfnis für weitere Operationen.


 << zurück weiter >>