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Vater Romeo

(Fragmentarische Fassung)

Und als wie eine Sonnenfinsternis der eiserne Vorhang sich niederließ, da verneigte sich ein schmales Cab vor dem einsteigenden Künstler und rollte leicht von dannen.

Schnell stellte Romeo seinen Gehstock in die grünviolette länglich geschwungene japanische Vase, die als Schirmständer sich alles Stabartige, das man bei sich führte, ausbat, und ging dann in ein gutgewärmtes, mit weichem Licht traut gefülltes Zimmer. Hier wärmte er zunächst seine das frostige Unbehagen des Abends wohl noch aushauchende Gestalt vor den Porzellanplatten des Füllofens und fragte leise hinüber zu der Hausdame, wie sie bei mittlerem Alter dem Geheiß des Schicksals leicht nachzukommen wissen und fremde Pflicht zur eignen machen: »Fräulein Metzner, der Doktor ist doch dagewesen?«

»Ja, Herr Scheil. Er sagte, die Sache sei nicht gefährlich, nur eine leichte Mandelentzündung.

Warme Milch, wenn die Kleine trinken will, mit zwei Tropfen Zitrone darin.«

»Ich danke Ihnen, Fräulein Metzner, und bitte Sie, sich nun zur Ruhe zu begeben.

Es ist schon spät.

Ich werde bei der Kleinen wachen.«

Die Dame erhob sich vom Stuhle zu Häupten des Kindes: »Die Milch steht in der Ofenplatte im Thermophor. Gute Nacht, Herr Scheil!«

Mit leichter Verbeugung, lautlos war die graue sanfte Gestalt von dannen.

Nun waren beide allein. Mal raschelte es, kleine Ärmchen hoben sich wie Hämmer ... sie fielen wieder nieder, und weiter wie Geisterleben ging der Schlummer da im Bettchen. Dann die große Weltumwendung, das Erstaunen des Daseins, das Erwachen immer hat, vornehmlich bei denen, die nur Leben, nicht Gewohnheit sind: bei kleinen Kindern, wo ich Traum bin, Randloses, ein Meer fast der Ewigkeit!

Ihr Erstaunen ward Lächeln; sie streckte wie ihr Leben das Händchen aus und griff nach ihres Vaters Linker, der starken, schmalen, sehnig sehenden, mit dem blaugrünen Geschmeide entsagenden Blutes geschmückten Hand, wie um nun nicht mehr zu versinken, nun Halt zu haben dort oben.

Und es war ein Plaudern seltsamer Art nun, ein Gesichtszügen, ein Lächeln, bald still, bald wie ein glücklicher Glockenton und wenn Romeo alle Zärtlichkeiten aus seiner Seele in sein Gesicht hob und ein Zulachen daraus machte – dann ein Krähen, o so unbändig! Wo blieb da das bißchen Krankheit?

So eine Kinderseele nimmt es sehr ernst: Wie so forschend, wie aus Bekanntschaften weltenweiter Jahrtausende, wenn so ein paar forschendfeine Insassen im Park oder auf Schmuckplätzen von Spreewälderinnen fortgedrückt werden so kräftig, daß die Vorderräder des Wagens meistens in der Luft nach Boden schlagen, und von Kinderwärterinnen, in deren Kleidern und breiten Erörterungen der buntflache Alltag so eines heimischen in die Weltstadt verbrachten Dorfes sich verbreitet, dann forschen sie einander an, während sie so in gelben Wagen sich gegenüberliegen: »Wo habe ich dich wohl gesehn? Wer kannst du sein? Was willst du mit mir?« Und das alles so wortlos, so tiefgründig! Die Mutter kann leicht so ein guter Kamerad werden, so sie sich auf das feine Königtum junger Seelen versteht.

Und ist sie dahin und der Vater an ihre Stätte getreten, das ist dann mal so eine seufzende stille Zärtlichkeit oder so ein muntres frankes knabenfreundliches Begleiten.

Nun ist das feine Äckerchen der Seele noch rosig verwundertes Aufstarren. Bisweilen nach Kinderart ein mißtrauisch schmeichelndes Einlächeln in das Gewaltige da über ihm. Da wendet die Kleine die Augen zur Wand.

Seine folgten.

Aha, ein Glanz, ein Glanzpunkt seines Lebens. Die Schleife hat es ihr angetan, die er nach seiner ersten Romeo-Darstellung erhielt: »Dem unvergleichlichen Romeo – Einige Verehrerinnen.«

Nun dazu ist sie doch gut gewesen, die Schleife.

Er erhebt sich, der Kleinen das Spielzeug zu holen. Zugleich nimmt er sich ein Lorbeerbüschel mit zum Wehren; denn er hat schon einige Male eine von diesem warm gehaltenen Zimmer erhalten gebliebene Fliege summen hören und von dem traumblühenden Gesichtchen verscheuchen müssen, das mit seinem zarten Schlummerduft die feinen Sinne des kleinen Vampyrs heranlockte und immer wieder herbeizog.

Nun händigte er seiner kleinen Vera die weiße Schleife ein, fest schlossen sich die putzig würdigen Fäustchen darum, und einmal beruhigt im Besitz, schlossen unter tiefem Seufzen sich wieder die zwei Flachsblumenaugen, und das Kindlein bewegte sich wieder unter Ahnenbildern in der Traumwelt.

Vater Romeo wachte sinnend über seinem kleinen, liebeunendlichen Reiche.

So ein rosig Äckerlein der Seele das schlummerernste Gesichtlein unter hagebuttenrötlichem Flaum, in weißen wie säuerliche Sprossen duftenden Spitzenkissen fast ganz vergraben.

Wie sie beruhigt ruht mit der Schleife!

Wie erworben.

Ist das Vorbedeutung? Ob es sie nun schon hinzieht?

Sie hat so viel Lockendes, die Kunst.

Sie ist ja Leben.

Auch seine:

Aber sie verlockt.

Zu dem und jenem.

Besonders das mehr umworbene, nicht so selbst gehaltene Weib.

Aber hat das Leben nicht Gefahren?

Das Weib ist so flackernd, so für anderes! So leis und so bestimmt!

So will er es lieben, wie nur ein Vater lieben kann.

Vertrauend es hüten, sein guter Kamerad sein!

Noch einmal, wie von innen heraus über was verwundert, schlägt das Kind das Auge auf und schließt es wieder.

Das war die Mutter gewesen, wie er sie so oft im Auge seines Kindes sucht.

Sie ist wieder da. Unverloren. Stolzüberirdisch, hochgemut fühlt er ihre Unsterblichkeit. Sie ist um ihn nun.

Schon kommt der Morgen. Wie ein ungeduldiges Kind, ein Wecker. Alles muß helles, klares Geräusch machen. Der Osten ist eine zarte verschlafen fliederfrische Mädchenwange.

Ein Strauß Licht auf dem blanken braunrötlichen Schrank. Der übernächtige Mann geht hinzu. Dann nimmt er an einer Schnur einen Schlüssel von der Brust und schließt auf. Was für ein Geheimes, daß der Schlüssel nicht mit am Schlüsselbrett hängt? Lange steht er davor, der schlanke Mann, er schwankt, daß er sich an beiden Flügeln halten muß. Es war das Beet der Vergangenheit, an dem er stand: Die Florentinerhüte mit Bändern wie Mohn und Kornblumen im Getreide, lichtblaue, rosenträumerisch hauchwarme Sommerkleider, ein malvenzarter Sonnenschirm mit Spitzen. Und ––– wie Tau der Seele, sprengte er darüber, und die Träne entsprang wie ein verhohlener Bach, und den Mann da, der sich an den Schrank gelehnt hatte, schütterte es und mit ihm den Schrank.

Der Vater ruht. Das Reich des Gatten beginnt. Wie er so einsam ging. So ungeregt. So anders und verlacht. Fremd taucht eine Flur auf. Eine Bank. Da saß etwas. Das hielt ihn. Errötete. Eine fremde Zähigkeit, behende Kühnheit in ihm, blieb. Sonderbare Zeichen, Runen des Schicksals zieht ein Schirm – und über stummem Glück jubelten sichere Vögel.

Vera ist sein.

Nun – der Atem stockt. Über Heiligtümer schweigt (man) es, und die da das Weib zu schmähen wagen, sie die so vieler Erfahrung sich berühmen, nie haben sie es kennengelernt. Seine Verzerrung ja! Da nimmt ein Tag da, so wie er gestern noch öde und wunderlos vor stumpfen Sinnen war, ein Feierkleid um und das Höchste an von holdwehen ungründigen Zügen, beseelte Wonnen einer hehren Priesterschaft, wie ein lebendiger Altar, in dem das Opfer des Lebens gebracht wird.

Und, dann, ja dann!

Das Opfer ist gebracht. Zwei Augen sehn ihn an, hilflos-versinkend, tiefer und immer tiefer in den Abgrund hinein, und beschwören ihn so mit ihrem Fallen; »Bleibe du! Nicht nach, nicht nach!«

O daß sie ihn nicht mitgezogen da!

Doch nein! Sie hinterließ sich ja!

Daß er leben sollte, da sie starb!

Sie hatte gesorgt. Mit ihrem Tode anders ihr Leben geschenkt. Ihrer beider zusammen.

Dann ging sie.

Ein hallender, den ganzen Morgen messender Schritt auf der Straße drunten.

Nun erst sucht er sein Lager auf, wo er allein nun ruht; sie nicht ihm zur Seite, dafür aber ganz, ganz in ihm. Mit ihr schläft er ein, mit ihr lebt sein Traum.

Eine verfrühte Orgel wimmert kläglich lebenslästige Lieder. Nicht lange wird es währen, und die Klingel wird gehn, wenn auch noch vorbei an seinem späten Schlummer, und Briefe werden einlaufen, Zeitungen mit dem gedruckten Widerhall von gestern zum Frühstück sich gesellen, zum stillblinkenden, und dort seiner harren.

Und es sind viele, viele kleine zierliche Verschwiegenheiten dabei, und sie alle sind gekommen aus jungem Blut oder unerfülltem, aus seinem Spiel, um die pochende Nacht erst zu beschwichtigen, ehe die knisternden Linnen begehrsame Scheu ruhsam sich vollendender Mädchenleben in sich aufnahmen.

Doch keine von ihnen allen wohl hat ausgeharrt wie er, der sie alle erregt.

Und diese Schwärmereien wuchsen immer wieder nach, wie Blumen im Sommergarten alle Morgen nachgewachsen sind.

Er wird die Briefe finden und sie lesen, sie leiden, wie ein feiner Mensch Zudringlichkeiten erträgt, so lang sie gut gemeint und nicht gar zu plump sind, und freundlich dankend

für das Interesse an seiner Kunst sie alle beantworten.

Nicht abenteuerlustig, wie wohl früher mal, nicht geschmeichelt mehr, sondern höflich für bewiesene Aufmerksamkeit. Das sind so Romeos Nächte, Vater Romeos Nächte!

Priesternächte, Weihenächte der Vergangenheit.

Romeos Leben ist abgeschlossen.

Es lebt nur noch in ihr, in ihrem Töchterlein.


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